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DIE FURCHE 25.10.2023

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DIE FURCHE · 43 4 Das Thema der Woche Vergebliche Erinnerung 25. Oktober 2023 Mit der Installation „The Missing Image“ kontextualisierte Beckermann 2015 die umstrittene Skulptur des straßenwaschenden Juden beim „Hrdlicka-Mahnmal“ mit dem Abspielen von Filmsequenzen mit lachenden Gaffern aus 1938. FORTSETZUNG VON SEITE 3 Beckermann: Ja. Es gibt da das Buch „Die Tagesordnung“ des französischen Autors Éric Vuillard, der dies alles in verschiedenen Momentaufnahmen beschreibt. Die erste Momentaufnahme, als Hitler 1933 noch ganz am Anfang war, beschreibt das Treffen der Großindustriellen, von Thyssen angefangen, mit ihm: Die haben Hitler alle schon damals Geld gegeben und den Hof gemacht. Wir wissen heute, dass allzu viele ‐ wir wollen jetzt keine Namen nennen, Großindustrielle oder Medienleute ‐ die FPÖ unterstützen, weil sie sich irgendetwas erwarten oder weil sie sich so eine Gesellschaft wünschen. DIE FURCHE: Der Kulturphilosoph Franz Schuh hat vor ein paar Wochen in einem Radiointerview gesagt: „Wir werden durch den Rechtsextremismus durchgehen müssen, bis wir wieder draufkommen, das bringt uns wirklich in den Abgrund.“ Teilen Sie diese Befürchtung? Beckermann: Falls es zu dieser schrecklichen Situation mit dem VoKaKi (Volkskanzler Kickl, Anmerkung) kommt, fürchte ich, dass sehr viele Leute sich anpassen werden – gerade in den Medien. Eines der Hauptprobleme in diesem Land ist ja, dass wir keine seriösen kritischen Medien haben, abgesehen von Nischenprodukten. DIE FURCHE: Aber spielen die Medien, jedenfalls die klassischen, überhaupt noch eine substanzielle Rolle in dieser Auseinandersetzung? Herbert Kickl geht ja nicht mehr in den ORF, er geht nicht einmal zu Puls 24, das für ihn auch schon ein „linker Sender“ ist. Zu allem, was landläufig unter „Medien“ firmiert, geht er gar nicht mehr hin, weil er seine eigenen Kanäle hat. Beckermann: Ja, das sind leider keine Nischen-Kanäle, sondern die haben 300.000 Follower … DIE FURCHE: … Sie sprechen vom YouTube- Kanal „FPÖ TV“ … Beckermann: … der Babler hat nur 30.000. Kickls Blase ist groß genug. Also braucht er die anderen nicht. Und es ist natürlich auch seine Arroganz, die seinen Leuten gefällt. Er braucht nicht mehr die „Systemgesellschaft“, die „Systemmedien“: „Wir bringen etwas ganz Neues.“ Das ist das Gefährliche und das Reizvolle an dieser Partei. Wobei ich es ablehne, die Leute, die diese Partei wählen, nicht ins Eck zu stellen, weil die meisten ja keine Rechtsradikalen seien. Ich meine, man wählt ja nicht irgendetwas. Man ist vielleicht nicht so genau informiert, aber die Tendenz gefällt einem schon, wenn man diese Partei wählt. Ich würde die Leute nicht entschuldigen. ERINNERUNGSARBEIT KONKRET Lesen Sie zu Beckermanns Installation auch „Die Rückkehr der Grinser“ von Otto Friedrich am 5.3.2015, siehe furche.at. DIE FURCHE: Sie haben sich ja schon früher kritisch mit nach Ihrer Meinung missglückter Erinnerungskultur auseinandergesetzt. Sie gehörten etwa von Anfang an zu den Kritikerinnen des „Hrdlicka-Mahnmals“ vor der Wiener Albertina mit der Bronzeskulptur des straßenwaschenden Juden. Vor acht Jahren haben Sie das problematische „Mahnmal“ mit den sekundenlangen Filmbildern von straßenwaschenden Juden aus 1938, die von einer gaffenden Menge verlacht werden, kontextualisiert. Eine großartige Installation (Bild oben, Anm.) , die einem vermittelt hat, was damals wirklich geschah. Aber wie geht es Ihnen, wenn – wie vor wenigen Wochen – eine Demonstration der Identitären ausgerechnet dort ihren Ausgangspunkt gefunden und niemand versucht hat, das zu verhindern? Beckermann: Ich kann nur sagen: Die Stadt Wien hätte meine Installation dort stehen lassen sollen. Meiner Meinung nach war das eine sehr gute Intervention, weil sie nämlich die Täter zeigte, die Menschen, die denen, die da den Boden mit Zahnbürsten putzen mussten, lachend zugeschaut haben. Die Menschen, die vor dieser Installation gestanden sind, mussten sich damit auseinandersetzen: Wie hätte ich damals reagiert, wie reagiere ich heute? Jetzt stehe ich da, so wie die da standen … Das war eine Installation, auf die ich wirklich stolz bin, weil sie die Menschen zu einer Auseinandersetzung gezwungen hat. Das erwarte ich von Gedenken. DIE FURCHE: Aber dass eine rechtsextreme Demonstration genau an dieser Stelle begonnen hat empört sie nicht? Und die Identitären sind auf der Skulptur des straßenwaschenden Juden gesessen. Beckermann: Doch, das empört mich. Und da war keine Polizei, um einzuschreiten – während sie sonst schnell zur Stelle ist. Ja, wer weiß, wie manche Polizisten denken. Wer weiß, wie all diese Leute heutzutage denken. DIE FURCHE: Aber wenn das alles so ausgeht – wie sollte man das heute angehen, dass das Gedenken einen Effekt hat? Beckermann: Die Kontextualisierung habe ich ja schon angesprochen. Und auch effektive Handlungen, wie eben das Beschmieren des Lueger-Denkmals, also Antijüdische Kirchenfenster in Wien-Landstraße verhüllt Foto: Ruth Beckermann Filmproduktion Handlungen, die zu Diskussionen und Konflikten führen. Ich bin absolut gegen eine Harmonisierung. Das ist das eine. Das andere ist Bildung und politische Aktivität. Aber da haben wir das Problem, dass durch die vielen Jahre des Neoliberalismus intelligente junge Menschen sich nicht mehr für Politik interessieren bzw. nicht Politiker werden wollen, weil man dort nichts holen kann. Das ist sehr schlimm, weil diese Mannschaft, die wir in der Politik haben, ja nicht gerade First Class ist. Wir haben viel intelligentere Menschen in diesem Land. Die wollen aber nicht Kanzler oder so etwas werden. Das ist sehr problematisch. Ich sehe im Moment noch keinen wirklichen Widerstand gegen diese FPÖ. Das alles ist offenbar noch nicht nah genug oder die Menschen können sich nicht vorstellen, wie das unsere Gesellschaft verändern wird, wenn die an der Macht kommen. DIE FURCHE: Gibt es hierzulande Parteien, denen Sie abnehmen, eine gestalterische oder eine politische Idee zu haben, und die … Beckermann: … das aufhalten können? Nein. Habe ich nicht. Ich bleibe dabei: Wir befinden uns in einer sehr verwirrenden Zeit. Der Neoliberalismus zeigt sich jetzt in seiner ganzen erschreckenden Auswirkung. Das heißt, die Solidar-Gesellschaft ist zerfallen – in anderen Ländern schon mehr als in Österreich und in Europa. Aber auch in Österreich spürt man das sehr stark – etwa mit der Inflation. DIE FURCHE: Aber bedeutet das automatisch, dass davon dann vor allem eine wirklich rechte Partei wie die FPÖ profitiert? Beckermann: Die FPÖ schafft es, gerade diese Leute mit Parolen einzufangen, die frustriert sind und eben nicht organisiert genug, um dagegen zu kämpfen. Und ich sehe nicht, dass es eine Partei gibt, die neue Ideen hat. Ich sehe auch nicht, dass die Gesellschaft bereit ist für wirklich neue Ideen. Ich sehe nur, dass die Demokratie, von der alle reden, immer mehr zu einem sinnentleerten Wort wird. Die Leute denken sich, Demokratie heißt, alle vier Jahre zur Wahl zu gehen; Punkt. Die Politiker sagen ja auch dauernd: „Na ja, wenn sie demokratisch gewählt wurde, die FPÖ, dann müssen wir mit ihr koalieren.“ Das stimmt aber nicht. Die Nazis wurden auch gewählt. Wenn eine Partei gegen die Demokratie ist, aber trotzdem gewählt wird, dann ist sie längst noch keine demokratische Partei. Nächste Woche im Fokus: Kein Ende der Klagen über den Strafvollzug: zu viel Wegsperren, zu wenig Resozialisierung. Während Radikalisierung, Gewalt- und Drogenprobleme wachsen, schrumpft der Jugend vollzug. Was ist zu tun? Bestandsaufnahme eines schwierigen Themas. Vor zwei Jahren berichtete DIE FURCHE über antijüdisch konnotierte Glasfenster in der evangelischen Pauluskirche in Wien-Landstraße . Die Fenster waren erst in den 1960er Jahren – also 20 Jahre nach dem Ende der Schoa vom Künstler Rudolf Böttger gestaltet worden. Das Bildprogramm der Fenster schließt nahtlos an die judenverachtende NS-Ikonografie an: Der Christus des NSDAP-Mitglieds Rudolf Böttger weist die Merkmale eines jungen arischen Mannes auf, und wo Kinder zu sehen sind, glaubt man „deutsche Mädchen“ vor sich zu haben. Im Bild, auf dem Juden zu sehen sind – etwa die Szene, in der der 12-jährige Jesus mit den Schriftgelehrten im Tempel diskutiert –, werden diese mit Hakennase und „verschlagenem Blick“ dargestellt. Elke Petri, Pfarrerin der Evangelischen Gemeinde Wien-Landstraße, berichtete 2021 im FURCHE-Interview von den Schwierigkeiten in der Gemeinde, über das weitere Vorgehen in Bezug auf diese Fenster Einvernehmen zu finden. Obwohl von der „Kriegsgeneration“ nur mehr wenige leben, war es bis zuletzt nicht möglich, ein Entfernen der Fenster zu erreichen. Das lag nach den Worten von Petri auch daran, dass die Fenster von einzelnen Familien gestiftet worden waren, weswegen es „emotionale Bindungen“ daran gab, die schwer zu überwinden waren. Im April 2023 verfasste Petri einen „Werkstattbericht“, in dem die Geschichte der Fenster, aber auch die Auseinandersetzungen dazu ausführlich dokumentiert sind. Auch das Vorhaben, die antijüdischen Fenster zu entfernen, wird darin angesprochen. Schon dieser „Werkstattbericht“ zeigt, dass und wie „Erinnerungsarbeit“ heute geschehen kann, ohne die Problematiken eines solchen Prozesses auszusparen. Mittlerweile ist diese Vorhaben weiter gediehen: Am 8. Oktober wurden in der Pauluskirche die Böttger-Fenster mit farbigen Stoffbahnen verhüllt. In Zusammenarbeit mit Jugendlichen aus der Gemeinde begleitete die Künstlerin Gabriele Petri die Gestaltung: „Verhüllung als Fokussierung ist ein Stilmittel in der religiösen Kunst“, so die Künstlerin: „Durch das Verhüllen soll nicht das Vergessen oder Verdrängen ermöglicht, sondern vielmehr eine Erinnerung wachgehalten werden.“ Das Verhüllen wird aber nicht der Endpunkt der Auseinandersetzung sein: Im Zuge einer thermischen Sanierung sollen die Fenster ausgetauscht und aus den Scherben eine Gedenkstelle errichtet werden. Thomas Hennefeld, reformierter Superintendent, meinte bei der Verhüllung, es sei „modellhaft“, wie sich die Gemeinde der Pauluskirche mit dieser Vergangenheit auseinandersetze. (ofri/epdÖ) Lesen Sie das Interview mit Elke Petri vom 20.10.2021 nach unter „‚Mag nicht verschweigen‘“ auf furche.at.

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