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DIE FURCHE 25.07.2024

DIE

DIE FURCHE · 30 18 Wissen 25. Juli 2024 Von Martin Tauss Bei Long Covid ist das Chronische Fatigue-Syndrom (CFS) häufig. Mittlerweile gibt es viel Wissen darüber, wie die Erkrankten ihren Lebensstil gestalten sollten, um ihr Energiedefizit zu verbessern. Auf das „Pacing“ achten! Ein See mit Zu- und Abflüssen: Für den Pegelstand zählt jeder Tropfen. Oder ein Bankkonto: Es gibt Eingänge und Ausgänge. Jeder Euro zählt, wenn es darum geht, über die Runden zu kommen. So ähnlich kann man sich auch das Energiebudget des Menschen vorstellen. In der Regel ist es mehr oder weniger gut gefüllt durch die Zellkraftwerke der Mitochondrien, die Energiewährung in Form von ATP (Adenosintriphosphat) zur Verfügung stellen. Wohl jeder kennt „Energiebündel“, die hier auf große Ressourcen zurückgreifen können. Es gibt jedoch auch Leute, die gezwungen sind, Energie zu sparen und mit sehr wenig Mitteln durchzukommen. Am Ende dieses Spektrums finden sich Menschen mit ME/CFS, einem chronischen Erschöpfungssyndrom, das etwa im Rahmen einer Long-Covid-Erkrankung auftreten kann. Sie müssen ihre alltäglichen Aktivitäten stark zurückschrauben, denn sie leiden unter anhaltender Müdigkeit und Erschöpfung (Fatigue), teils bis zur Bettlägerigkeit. „Beiß dich durch, das schaffst du schon!“ oder auch „Mit ein bisschen Willen geht das schon!“: Aufforderungen wie diese sind bei CFS-Erkrankten kontraproduktiv. Denn im Gegensatz zu Gesunden, die ihre Leistungsfähigkeit „auftrainieren“ können, kann sich ihr Körper bei einem Zuviel an Anstrengung nicht gut regenerieren. Rastet ein Gesunder nach dem Sport ein bis zwei Stunden, fühlt er sich danach wieder fit – bei einem CFS-Betroffenen ist das Gegenteil der Fall. Sein Zustand kann sich über Tage bis Wochen verschlechtern. In der medizinischen Fachsprache heißt das Belastungsintoleranz bzw. „Post-Exertional Malaise“ (PEM), Betroffene sprechen von einem Crash: Dieser Absturz nach Überanstrengung zählt zu den Hauptsymptomen bei Fatigue-Erkrankungen. Die Verschlechterung der Symptome kann durch körperliche oder geistige Anstrengung, aber auch durch emotionalen Stress ausgelöst werden. Ein Crash tritt meist wenige Tage nach Belastung auf, mitunter auch Wochen später. Dann ist die Ursache umso schwieriger zu finden: Ist man vielleicht zu lange aufgeblieben? Hat man mehr als sonst gelesen? Oder hätte man doch nur zehn statt 20 Minuten spazieren gehen sollen? Wenige Minuten oder Meter können hier den Unterschied machen. Das Leben so auszurichten, dass Zu- „ Bei Fatigue-Betroffenen geht es darum, das Energiebudget des Körpers nicht zu überreizen, um möglichst günstige Bedingungen für die Regeneration zu schaffen. “ standsverschlechte- rungen bestmöglich vermieden werden, wird für CFS-Patienten und -Patientinnen zur großen Herausforderung. Auch wenn es noch keine etablierten Therapien gegen diese Erkrankung des Nervensystems gibt, ist der Erfahrungsschatz im Umgang damit gewachsen. Und eine Methode hat sich bei vielen Betroffenen als hilfreich erwiesen: das „Pacing“ (engl. Schrittsteuerung bzw. Schrittmachertherapie). „Hier geht es darum, das aktuelle Energiebudget des Körpers nicht zu überreizen, um im grünen Bereich zu bleiben und möglichst günstige Bedingungen für die Regeneration zu schaffen“, erklärt die Tiroler Psychologin Kathrin Frischmann. Die Mutter eines Sohnes litt lange Zeit selbst unter CFS. Zwei Jahre kämpfte sie vergeblich dagegen an, bis sie nach zahlreichen Abstürzen zur Einsicht kam: „Ich muss raus aus dem Push-und-Crash- Kreislauf.“ Nur im Regenerationsmodus ist Besserung und vielleicht sogar Heilung in Sicht. Frischmann stellte ihren Lebensstil auf Pacing um und konnte bald von positiven Wirkungen berichten. Nun hat die Psychologin ein wissenschaftlich basiertes Programm für Betroffene erstellt („Recharge“). Grundlage dafür waren u. a. die Materialien der amerikanischen „Open Medicine Foundation“, die von Frischmann ins Deutsche übersetzt wurden. Arztbesuche und medizinische Therapien kann ihr Programm natürlich nicht ersetzen. Es handelt sich um ein Werkzeug zur Selbsthilfe, das die Betroffenen in ihrer Lebenssituation begleiten kann – ein didaktisch wertvolles Angebot, das Ärzte aufgrund des Zeitmangels in den Ordinationen meist nicht zur Verfügung stellen können. In „Recharge“ werden die Erkrankten dazu angeleitet, ihren Alltag zu organisieren und sich im Rahmen ihrer Einschränkungen möglichst günstig zu verhalten. „Das bedeutet, ständig auf die Balance zwischen Aktivität und Ruhe zu achten“, sagt Frischmann. „Es ist wichtig, bereits vorausschauend immer wieder Ruhephasen einzuplanen.“ Im parasympathischen Modus bleiben Pacing gibt es in verschiedenen Formen: etwa im vorgegebenen Intervall von Tun und Rasten oder als Pi-mal-Daumen-Strategie, die sich auf das Gefühl verlässt. „Das eine verlangt viel Planung; beim intuitiven Ansatz wiederum gibt es die Versuchung, das Gefühl zu übergehen“, so die Psychologin: „Das hat bei mir am Anfang nicht so gut funktioniert, weil zu wenig Struktur dahinter war. Später war es dann super.“ Bei größeren Aktivitäten sei es jedenfalls sinnvoll, einen Rahmen festzulegen, etwa sie auf einmal pro Woche zu beschränken oder danach einen ganzen Ruhetag einzuplanen. Denn das Pacing kommt zu spät, wenn man die Erschöpfung bereits spürt. So auf das Energiebudget zu achten, fördert die Aktivität des parasympathischen Nervensystems, das für Erholungsphasen zuständig ist. Das ist übrigens generell eine gute Strategie: Gerade an Hitzetagen oder im Stressalltag profitieren auch Gesunde von kurzfristigen Ruhepausen – am besten in der Horizontalen. „Recharge“: Onlinekurs für Long Covid/ postvirale Fatigue und CFS-Betroffene www.wieder-aufladen.at Zeitungen und Magazine liefern sorgfältig recherchierte, faktenbasierte Storys und Berichte. Und das kommt an. Laut aktueller Media-Analyse bieten sie 57 % der Befragten umfassende Hintergrundinformationen. Mit anderen Worten: Zeitungen und Magazine bringen’s – Print und digital.

DIE FURCHE · 30 25. Juli 2024 Wissen 19 Von Christian Reiner Technologieoffenheit anstatt Verboten und Elektroautomonokultur – eine Maxime, die einschlägige Industrievertreter und dem Verbrennermotor wohlgesinnte Experten nicht müde werden öffentlichkeitswirksam zu betonen. Einerseits stecken hier wahlkampftaktische Motive dahinter. Andererseits werfen diese Forderungen ganz grundsätzliche Fragen der Klimaund Industriepolitik auf, die es sich zu beleuchten lohnt: Der Weg in die Klimaneutralität ist vor allem für den Verkehrssektor eine Herausforderung. Nicht nur macht dieser mit 45 Prozent den größten Anteil an den heimischen Treibhausgasemissionen außerhalb des EU- Emissionshandels aus, er ist auch der einzige Sektor, dessen Emissionen zunehmen. Dabei helfen auch nicht die ständig wachsende Größe, Motorenstärke und Zusatzfunktionen von Autos. Ganz abgesehen davon, dass der Autobestand deutlich rascher als die Bevölkerung wächst. Technologieoffenheit und Markt wirtschaft könnten also die dringend notwendige Abnahme der CO₂-Emissionen im Verkehrssektor sogar befördern. Theoretisch. Realistisch ist das nicht. Tatsächlich dürfen laut geltenden EU-Regeln alle bis 2035 zugelassenen Verbrenner weiterhin mit fossilen Treibstoffen fahren, und für alle ab 2035 neu zugelassenen Verbrenner gilt, dass diese beim Fahren CO₂emissionsfrei sein müssen. Dies könnte durch sogenannte E- Fuels erreicht werden, also mittels erneuerbaren Stroms produzierte synthetische Kraftstoffe. Diffusion dauert Jahrzehnte E-Fuels ist das, was österreichische und deutsche Christdemokraten (in Deutschland auch die FDP) im Kern unter Technologieoffenheit verstehen. Bestehende Infrastrukturen (etwa Tankstellen) könnten so weiterverwendet werden, und die deutsche Autoindustrie müsste ihr altes Geschäftsmodell nicht großartig adaptieren. Dennoch geben sich die Unternehmen zurückhaltend. So zeigt das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung, dass alle Produktionsanlagen der Welt, die bis 2035 fertiggestellt sein dürften, gerade einmal zehn Prozent jener Menge an E-Fuels produzieren können, die zur Versorgung der deutschen chemischen Industrie, Luftfahrt und Schifffahrt benötigt werden. Und diese Bereiche müssen zur Dekarbonisierung mangels Alternativen in jedem Fall auf E-Fuels zurückgreifen. Wie lässt sich die geringe Investitionsneigung erklären? Sie könnte etwa mit den hohen Kosten in der Herstellung von E­ Fuels, die durch den Aufbau von Infrastrukturen für erneuerbare Energie, Elektrolyse, Wasserentsalzungsanlagen, Direct Air Capture von CO₂ sowie Trans­ Verbrennerverbot Das Verbrennerverbot steht derzeit auf dem politischen Prüfstand. Eine (populistische?) Wende, die Wissenschafter für einen großen Fehler halten. Foto: iStock/luxizeng In der Grundlagenforschung zu Elektroautos wurde vieles verschlafen. Das wiederum befeuert den Zeitdruck bei den Klimazielen. Analyse zu einem Technologiedilemma. Kostenwahrheit als Zukunftsmodell portinfrastrukturen entstehen, zu tun haben. Weil die in Europa produzierte erneuerbare Energie teuer und beschränkt ist, müssten E-Fuels aus Afrika oder Südamerika importiert werden. Innerhalb der Autoindustrie weiter auf den Verbrenner zu setzen, ist dennoch keine Option: Unter Berücksichtigung der marktreifen Antriebs- und Treibstofftechnologien sowie der Klimaziele wird sich das Elektroauto als dominante Technologie im Pkw-Bereich durchsetzen, auch wenn die Verkaufszahlen zuletzt enttäuscht haben. Grundlagenforschung und Technologieoffenheit wären vor 20, wenn nicht sogar 30 Jahren wichtig gewesen. Dann hätten wir heute vielleicht eine breitere Palette an Optionen, die sich im Wettbewerb beweisen müssten. Angesichts des Zeitdrucks zur Reduktion der CO₂-Emissionen ist das Warten auf neue Technologien in der Zukunft jedoch keine Option, vor allem wenn man bedenkt, dass deren Diffusion Jahrzehnte dauern kann. Das Elektroauto ist definitiv kein technologisches Heilsversprechen ohne Probleme (Batterierecycling, Abhängigkeit von China, Strommix), aber bis auf weiteres und nüchtern betrachtet die einzige massentaugliche Alternative zur Erreichung der Klimaziele bei Pkw. Die Naturgesetze sprechen in Form eines höheren Wirkungsgrades für das Elektroauto. Laut ADAC kann ein Windrad 1600 Elektroautos, aber nur 250 mit E- Fuels betriebene Verbrenner versorgen. Elektroautos haben geringere Emissionen bei Stickoxid, Kohlenmonoxid, Feinstaub und Lärm. Dies ist in Städten wichtig, vor allem wenn dort die Luftqualität ohnehin schon schlecht ist – etwa in China oder Indien. Die Anschaffungspreise von Elektroautos sind nach wie vor höher als bei Verbrennern, allerdings wird diese Differenz immer geringer, und die Vollkosten sind bei einigen Elektroautomodellen bereits niedriger. Reichweitennachteile von E-Autos nehmen aufgrund ständig besserer Batterien ab, und der Markthochlauf wird zu weiteren Kostensenkungen und Innovationen führen, so wie dies „ Die Gemengelage deutet darauf hin, dass politische Autogipfel weniger dem Prinzip der Technologieoffenheit als vielmehr dem Technologielobbying dienen. “ bei Photovoltaikanlagen der Fall war. Letztlich wird laut Internationaler Energieagentur die globale Zukunft des Elektroautos nicht in Österreich oder Deutschland, sondern in den rasch wachsenden Märkten der Schwellenländer entschieden. Es wäre überraschend, wenn China diese Märkte nicht mit billigen E-Autos zu beliefern wüsste. Der Verweis der ÖVP auf die Vorzüge von Marktkräften mag ebenso wenig verfangen. Damit Lesen Sie hierzu auch die Kolumne von Martin Tauss unter dem Titel: „Die Konservativen und der Klimaschutz“ (17. April 2024), auf furche.at. Bildung im Blick Mit einem Gratisabo der FURCHE erfahren Sie, wie es Österreichs Bildungslandschaft wirklich geht: Von exklusiven Reportagen direkt aus der Schule bis hin zu Einschätzungen von führenden Expert:innen. Jetzt 4 Wochen gratis diese die effizienteste Lösung selektieren, müssen Kosten und Nutzen, die durch den Kauf und Betrieb eines Autos entstehen, auch nur Käufer und Verkäufer betreffen, und keine unbeteiligten Dritten. Kosten durch Luftverschmutzung, Lärm, Subventionen oder Unfälle werden aber in hohem Maße auf die Gesellschaft und zukünftige Generationen abgewälzt. Diese externen Kosten liegen für Deutschland laut einer aktuellen Studie aus dem Fachmagazin Ecological Economics bei ungefähr 5000 Euro pro Jahr und Pkw. Die TU Dresden schätzte sie für Österreich auf jährlich etwa 15 Milliarden Euro. Weil diese Kosten nicht in den Preisen enthalten sind, erscheinen Autos daher viel billiger, als sie tatsächlich sind. Diese Kostenwahrheit würde die Kalkulation zugunsten von Elektroautos verändern und gesellschaftlich effizienteren Mobilitätsformen wie dem öffentlichen Verkehr zugutekommen. Fortschritt in teuren Nischen Die Gemengelage deutet da rauf hin, dass politische Autogipfel weniger der Technologieoffenheit, sondern dem Technologielobbying dienen. Nachdem die deutschen Autokonzerne durch massive Unterstützung der Politik seit Jahren erfolgreich gegen Verschärfungen von CO₂- Grenzwerten lobbyieren und Abwrackprämien kassieren, um ihre Verbrennertechnologie möglichst lange zu verkaufen, fällt ihnen nun der eigene Erfolg auf den Kopf. Der Anschluss an die Elektromobilität wurde verschlafen, und E-Fuels werden sich nur in teuren Nischen durchsetzen. Offenbar gilt aber auch für Österreich, was Martin Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, geschrieben hat: „Die Politik muss sich aus der Umklammerung der Wirtschaft lösen.“ Eine moderne Industriepolitik erkennt dieses Problem und sucht daher den Dialog mit allen Stakeholdern – und nicht die einseitige Nähe zu Interessensgruppen, deren Geschäftsmodell mit einer ökologisch endlichen Welt nicht mehr kompatibel ist. Eine Pro-Verbrennermotor- Argumentation, wie sie nach wie vor zu hören ist, hinterlässt Unsicherheit bei Konsumenten ebenso wie bei Investoren. Das schadet nicht nur dem Klima, sondern sogar der europäischen Automobilindustrie. u Gleich bestellen: www.furche.at/abo/gratis aboservice@furche.at +43 1 512 52 61 52 online im Navigator seit 1945

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