DIE FURCHE · 30 16 Medien 25. Juli 2024 Von Stephan Russ-Mohl große Mehrheit der Jugendlichen in Deutschland hat kein „Eine Vertrauen in die Medien: 76 Prozent misstrauen demnach Zeitungen, 72 Prozent misstrauen Journalistinnen und Journalisten.“ Mit diesem erschreckenden Umfrageergebnis einer Studie der Universität Bielefeld aus dem Jahr 2022, das in Österreich kaum anders ausfallen dürfte, macht der emeritierte Journalismusforscher Michael Haller darauf aufmerksam, wie sehr Informationskompetenz zum Schlüssel geworden ist, um sich in der digitalen Medienwelt zurechtzufinden. In der Tat ist es eine der großen Herausforderungen für die Bildungspolitik und die demokratische Gesellschaft, ausreichend Medienkompetenz an Jugendliche zu vermitteln. Bislang scheitern die meisten Schulen und Berufsausbildungsstätten kläglich an dieser Herausforderung. Mit dem Projekt „Fit for News“, das das Europäische Institut für Journalismus- und Kommunikationsforschung in Leipzig angestoßen hat, versucht Haller mit seinem Team, dem entgegenzuwirken. Auch Medien sind gefordert Jetzt hat er einen Wegweiser zu den „Schlüsselkompetenzen in der Mediengesellschaft“ vorgelegt und liefert allen, die sich gegen die wachsende Flut von Halbwahrheiten und Lügengeschichten wehren wollen, das nötige Grundwissen. Sowohl diese Broschüre als auch das umfassendere Projekt selbst richten sich an Lernende und Lehrende zugleich: Schüler, Auszubildende und Studenten sollen lernen, wie man Nachrichten beschafft, prüft und nutzt, ohne auf Akteure hereinzufallen, die sie mit Nebelkerzen einlullen. Und, vielleicht wichtiger noch, Lehrer und Dozenten, die den Kids das nötige Wissen beibringen wollen, erhalten einen Überblick über weitere Projekte, die sich diesem Anliegen widmen – sowie eine solide Einführung, wie wir mit Künstlicher Intelligenz (KI) umgehen können, ohne von ihr manipuliert zu werden. Angesichts der „Wunderprogramme“, mit denen KI inzwischen Texte generieren und Bil- Lehre und Praxis Junge Menschen lernen, eine Nachricht von einem Kommentar zu unterscheiden. Sie sollen ein Gefühl dafür bekommen, wem sie mit mehr und wem mit weniger Skepsis begegnen können. „ Eine große Mehrheit der Jugendlichen in Deutschland hat kein Vertrauen in die Medien: 76 Prozent misstrauen demnach Zeitungen, 72 Prozent misstrauen Journalistinnen und Journalisten. “ Der Wissenschafter Michael Haller hat am Journalismusinstitut in Leipzig das Unterrichtsprogramm „Fit for News“ entwickelt. Es soll Jugendlichen bei der Entwicklung ihrer Medienkompetenz helfen. „Deep Fakes sind praktisch nicht mehr erkennbar“ der, ja sogar Videos fälschen kann, muss allerdings auch Haller kapitulieren: Dank der „exzellent funktionierenden Bildgenerierungssoftware“ seien „Deep Fakes als Fälschung praktisch nicht mehr erkennbar“. Viele mit KI erzeugte Audio- und Videoprodukte verwischten inzwischen den Unterschied zwischen real und fake, zwischen echt und erfunden. Wichtig, um Informationskompetenz auszubilden, ist also, dass man von diesen Manipulationsmöglichkeiten weiß. Es wird im Übrigen auch immer Foto: iStock/skynesher wieder gezielte Versuche geben, selbst Journalisten und Wissenschafter dazu zu bringen, Falschnachrichten weiterzuverbreiten. Solches Metawissen zu den Kompetenzgrenzen der Forscher und der Profis im Nachrichtengeschäft zu vermitteln, da wären eben nicht nur Schulen und Hochschulen, sondern auch die Medien selbst gefordert – jedenfalls all diejenigen, die sich gerne mit dem Prädikat „Qualitätsjournalismus“ schmücken und es dennoch immer wieder versäumen, ihr eigenes journalistisches Handeln nachvollziehbar und transparent zu machen. Die ersten Bausteine für solch eine Wissensvermittlung liefert Haller mit seinem Projekt: Dazu gehören ein Podcast sowie Unterrichts- und Trainingsprogramme, die an drei Berufsschulzentren in Sachsen erprobt wurden. Für den Präsenzunterricht wurden neun Lehreinheiten entwickelt, die modular konzipiert sind, sich also unabhängig voneinander einsetzen lassen. Diese wurden von den Lehrkräften, aber auch durch Schülerbefragungen kontinuierlich verbessert. Drei Selbstlernkurse sind ebenfalls im Angebot: „Wie ich mich zuverlässig informiere“, „Kann ich Bildern trauen?“ und „Mit sozialen Medien kompetent umgehen“ sind die Themen der Kurse. Das Lehrmaterial enthält aktuelle Beispiele aus der Alltagswelt von Jugendlichen. Soweit sie den Nachrichtenmedien entstammen, werden sie periodisch aktualisiert. Die Broschüre schließt mit Einblicken in die Vermittlungspraxis, also mit Beispielen aus der Lehre und mit Hintergrundtexten aus dem Manual für Lehrkräfte, die mit den „Fit for News“-Lehrprogrammen arbeiten wollen. Insgesamt ist das eine wahrlich durchdachte, vielschichtige Arbeitshilfe, die dem Aberwitz trotzt, den „zweckmäßigen Gebrauch von Werkzeugen“ zu lehren, „wenn sich deren Einsatzmöglichkeiten fortwährend ändern“, und darauf pocht, dass der Kern der Informationskompetenz nicht „technisches Knowhow zum Inhalt hat, sondern in erster Linie kognitive Fähigkeiten, die vorgestern ebenso gültig waren, wie sie auch übermorgen gültig sein werden“, so Haller. Aufgeplusterte Halbwahrheiten Ob die eingangs genannten Zahlen zum Vertrauensverlust von Journalisten bei Jugendlichen anders aussehen würden, wenn Letztere im Sinne von Haller informationskompetent wären? Womöglich ist es ja unter den heutigen Umständen sogar eine gesunde Reaktion, den Medien zu misstrauen. Aber ein riesiger Fortschritt wäre es schon, wenn die Betroffenen eine Nachricht von einem Kommentar unterscheiden könnten, wenn sie wüssten, wem sie mit mehr und wem mit weniger Skepsis begegnen sollten und warum – und wie sich mitunter eben doch durch Recherche herausfinden lässt, ob eine Nachricht stimmt, ob es sich um eine aufgeplusterte Halbwahrheit oder gar eine Lügengeschichte handelt. Der Autor ist em. Prof. für Journalistik und Medienmanagement. Tipp: Europäisches Institut für Journalismus- und Kommunikationsforschung: Fit for News. Medienkompetenz für Jugendliche in den Schulen und der Berufsbildung, Leipzig 2024, online unter: https://fitfornews.de MEDIENWELTEN Der Zeitungskern und das bessere Digitalgeschäft Der Autor ist Medienberater und Politikanalyst. Von Peter Plaikner Was bei Axel Springer geschieht, ist oft über Deutschland hinaus wegweisend. Das gilt für Österreich besonders, wo der Verlag einst als Hälftegesellschafter für die Gründung von Standard wie News mitverantwortlich war und die Mehrheit an der Moser Holding (Tiroler Tageszeitung) hielt. Mathias Döpfner hatte dem Mutterhaus von Bild und Welt schon vor zwei Jahrzehnten die Devise „online first“ verordnet. Dank einem Milliardengeschenk der Verlegerwitwe Friede Springer gehören dem Manager heute wie ihr 22, dem US-Finanzinvestor KKR aber 35,6 Prozent. Mit ihm verhandelt Döpfner nun über eine Spaltung des Konzerns – in die Mediensparte und den digitalen Anzeigenbereich. Das erinnert einerseits an ProSiebenSat.1 (P7S1), wo der größte Eigner – die Berlusconis – Sektoren wie Parship vom Kerngeschäft Fernsehen trennen will. Alarmstufe Rot für Journalismus Da wie dort steht aber auch die traditionelle Herkunft unter vollem Transformationsdruck. Bei P7S1 ist der Streamer Joyn die Zukunftsplattform für alle TV-Aktivitäten, Springers Zeitungen sind mitten in der mehrjährigen Strategie „digital only“. Der Boulevardriese Bild verliert dabei seine Führungsrolle an die Plattform Politico. Dieser teuerste Zukauf der Unternehmensgeschich- „ Eine Aufspaltung von Axel Springer in Medien und den Rest wird Vorbildwirkung haben. “ te ist der Schuhlöffel ins amerikanische Mediengeschäft. Während die deutschen Titel 100 Millionen Euro einsparen müssen, setzt Springer in den USA auf Expansion. Die Verhandlungen mit KKR könnten ein Indiz sein, dass der Investor dafür im eigentlichen Medienbereich wenig Zukunft sieht. Pessimisten fürchten, die Spaltung führe zu einer Art Bad Bank: Das allenfalls defizitäre Nachrichtengeschäft werde dann dort geparkt. Alarmstufe Rot für Journalismus. Dessen Berufsverband fordert von Döpfner Aufklärung, hat aber auch die Hoffnungsoption, dass der ursprüngliche Konzern sich nach einer Abtrennung der digitalen Werbeplattformen wieder mehr auf Medien konzentriere. Die Milliardenübernahme von Politico spricht dafür, der Rückbau von Bild und Welt dagegen. Doch gleichgültig, welche Einschätzung stimmt: Sie wird Vorbildwirkung haben.
DIE FURCHE · 30 25. Juli 2024 Film 17 „Ein kleines Stück vom Kuchen“ verwebt persönliche Sehnsüchte mit politischem Kommentar: ein Film über ein Frauenleben in einem repressiven Regime – und über die Liebe im Alter. Kurzes Glück im Iran Von Alexandra Zawia „W as, du warst wirklich da?“, fragt der 70-jährige Taxifahrer Faramaz (Esmail Mehrabi) die gleichaltrige Mahin (Lili Farhadpour), die ihn wenige Stunden zuvor in einem Restaurant für Rentner entdeckt hat, wo sie manchmal Essensgutscheine einlöst. Mahin ist schon lange „da“, im Iran, genauer gesagt in Teheran, und sie kann sich sehr gut an ein Leben erinnern, in dem sie hohe Schuhe und tief ausgeschnittene Kleider tragen und nächtelang mit ihren Freundinnen tanzen gehen konnte. Als sie „nicht diese Hijab-Kleidung anziehen musste“, in der jede Frau unsichtbar werden soll, was einem ab einem gewissen Alter aber in fast jeder Gesellschaft passiert. Seit 30 Jahren Witwe, will Mahin schon länger nicht mehr allein sein und setzt sich im Taxi zu Faramaz nach vorn. Ein gewagter move hinsichtlich der sozialen Konventionen im Iran – und eine Gelegenheit für die Kamera, beide Menschen, nun vom Rücksitz aus, gleichwertig zu zeigen. Anklage gegen Regieduo Viele Filme nutzen die Assoziationen von Öffentlichem und Privatem, Erlaubtem und Verbotenem im Spiel mit den Blicken innerhalb eines Taxis, in dem vor allem dem Rückspiegel oft große Bedeutung zukommt. „Je unterwürfiger du dich verhältst, desto mehr wirst du unterdrückt“, hat Mahin noch am Vormittag einer jungen Frau im Park geraten, die beinahe von der Sittenpolizei aufgegriffen worden wäre, weil ihre Stirnfransen zu sehen waren. Das Regieduo Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha war im Iran mitten in den Dreharbeiten, als im Herbst 2022 die Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini ausbrachen. Kurz vor Fertigstellung dieses Films wurden ihnen die Pässe abgenommen. Im Dezember 2023 schlossen sich Filmorganisationen, Festivals und Filmschaffende zusammen und forderten die iranischen Behörden in einem offenen Brief dazu auf, die Anklage gegen die beiden fallenzulassen – bisher ohne Erfolg. Nach langen Verhören warten Mogghadam und Sanaeeha momentan auf ihre Urteile. Mahins Entscheidung, Faramaz nach dieser Taxifahrt kurzerhand zu sich nach Hause einzuladen, ist mit erheblichen Risiken verbunden. Ihre gemeinsame Zeit wird zu einer Erkundung einer verbotenen Gemeinschaft, die in einer Nacht voller Intimität, Wein, Tanz und Gesprächen kulminiert – Handlungen, die anderswo alltäglich sind, aber in ihrem Kontext transgressiv wirken. „ Ihr zufälliges Zusammentreffen wird zur Erkundung einer verbotenen Gemeinschaft, die in einer Nacht voller Intimität, Wein, Tanz und Gesprächen kulminiert. “ Taxi Teheran Der Taxifahrer Faramaz (Esmail Mehrabi) und seine Kundin Mahin (Lili Farhadpour) verbringen eine intensive Zeit miteinander, was nicht ohne große Risiken geschieht. Moghaddam und Sanaeeha verfolgen ihren minimalistischen Erzählansatz im Setting eines klaustrophobischen urbanen Raums, in dem jede Handlung potenziell überwacht wird. Und der menschliche Isolation geradezu beschwört. Visuelle Symbole wie das wiederkehrende Grün, die Farbe des Islam, unterstreichen den allgegenwärtigen Einfluss des Regimes, und grün leuchtet es auch während der nicht lange auf sich warten lassenden Stippvisite einer Nachbarin, deren Ehemann für die Regierung arbeitet. Ob es Mahin gutgehe, sie habe „eine Männerstimme gehört“. Die Chemie zwischen Farhadpour und Mehrabi ist das Herzstück des Films, ihre beschränkte gemeinsame Zeit der tragische Motor. Während sie ihre neue Verbindung navigieren, wird ihre Sehnsucht greifbar, das Gewicht ihrer unterdrückten Wünsche – und der Nervenkitzel vorsichtiger Überschreitungen. Ein kleines Stück vom Kuchen (My Favourite Cake – Keyke mahboobe ma) IR/FR/SWE/DE 2024. Regie: Maryam Moghaddam, Behtash Sanaeeha. Mit Lily Farhadpour, Esmail Mehrabi. Polyfilm. 97 Min. FILMKOMÖDIE Nichts ist mehr so, wie es einmal war Im Sommer 1990 existiert die DDR gerade noch. Es ist die Wendezeit, und die Freunde Maren (Sandra Hüller), Robert (Max Riemelt) und Volker (Ronald Zehrfeld) sind seit ihrer Kindheit ganz dick miteinander. Sie wohnen in der Kleinstadt Halberstadt in Sachsen-Anhalt, und die reale DDR schwindet langsam zu einer in Sonnenlicht getauchten Erinnerungskulisse voller sehnsüchtiger Momente. Aber auch: Die reale BRD tritt in das Bewusstsein der Protagonisten, die nichts mehr in ihrem Leben so vorfinden, wie es einmal war. Dann kommt eine Gelegenheit, die das Trio nicht auslassen will: In einem Schacht in ihrer Nähe findet man die verschwundenen Millionen der ehemaligen DDR. Geld, das praktisch nichts mehr wert ist, aber doch zu viel, um es zu ignorieren. Immerhin gibt es dafür noch bestimmte Waren oder Dienstleistungen. Also soll das Geld gestohlen werden, wobei der Umtausch in D-Mark ein mit dem Fortgang der Ereignisse größer werdendes Risiko darstellt. Aber trotzdem: Das Trio will es versuchen. Hüller, Riemelt und Zehrfeld agieren natürlich tadellos in ihren Rollen; allein das ziemlich verklärte Setting irritiert in Regisseurin Natja Brunckhorsts neuer Arbeit. Der Abendglanz einer zerfallenden Ordnung ist allzu gelackt und schönfärberisch geraten: Das kann natürlich auch als Zuspitzung empfunden werden, ist aber in dieser Dosis zu üppig geraten. Aber der Film driftet auch gerne ab in die Dreiecksgeschichte, die er erzählen will: jene zwischen Maren, Robert und Volker. Da ist auch nicht allzu viel Platz für Ideologien. Zugleich ist da die staatliche Prägung – vielleicht ist das der Widerspruch, den Brunckhorst dann doch recht schlüssig umreißt. (Matthias Greuling) Zwei zu eins D 2024. Regie: Natja Brunckhorst. Mit Sandra Hüller, Max Riemelt. Filmladen. 116 Min. Max Riemelt, Ronald Zehrfeld und Sandra Hüller tragen die DDR filmisch zu Grabe, irgendwie. Im Fokus – Religion und Ethik Religion und Gender – Ein Spannungsfeld Mit Geschlechtergerechtigkeit und mit Identitäten, die von der Heteronormativität abweichen, hatten und haben Religionen vielfach ihre liebe Not. Wieviel Geschlechtergerechtigkeit steckt beispielsweise in den Erzählungen der Bibel? Wie finden Menschen, deren sexuelle oder geschlechtliche Identität von der Heteronormativität abweicht, in ihren Religionen dennoch eine Heimat? Die Ö1-Sendereihe „Im Fokus“ geht diesen Fragen nach. Im Fokus – Religion und Ethik Mittwoch, 31. Juli 2024, 16.05 Uhr, Ö1 religion.ORF.at Furche24_KW30_Ö1.indd 1 18.07.24 12:30
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