DIE FURCHE · 21 2 Das Thema der Woche Pfingsten – steiniger Weg 25. Mai 2023 AUS DER REDAKTION Der vergangene Montag war turbulent. Nicht nur für die Sozialdemokratie, die in Fort-Knox-Manier rund 100.000 Mitgliedervoten sichtete, sich ein wenig wunderte – und ihren Selbstzerfleischungsprozess munter fortsetzte; sondern auch für die FURCHE-Redaktion: Jana Reininger moderierte einen Science Talk zum Phänomen der Freundschaft, das zumindest außerhalb der SPÖ noch existieren sollte; Victoria Schwendenwein und unser langjähriger Herausgeber, Heinz Nußbaumer, wurden in St. Pölten mit dem Hans-Ströbitzer-Preis geehrt (siehe Seite 24); und statt sich dort mitzufreuen, saß meinereine bei ORF III und überlegte mit Kolleg(inn)en die Gründe der roten Freudlosigkeit. Mut und Leidenschaft: Das würde man dieser einst staatstragenden Partei dringend wünschen. Auch für die Kirche gilt dieser fromme Wunsch. Zumal zu Pfingsten. Wo es hier katholischerseits an Mut und Leidenschaft mangelt, hat Otto Friedrich im aktuellen Fokus „Steiniger Weg“ zusammengetragen. Was ich Ihnen sonst noch empfehle? Die Porträts von Henry Kissinger und Wolfgang Schmitz, die beide vor hundert Jahren geboren wurden, den Gastkommentar von Maram Stern über Antisemitismus, Nikolaus Halmers Würdigung von Ludwig Tieck und Brigitte Schwens-Harrants Nachruf auf den großen Dževad Karahasan. Tief getroffen sind wir auch vom Tod des langjährigen FURCHE-Autors und -Freundes Ralf Leonhard. Rechtsstaat und Demokratie standen stets in seinem Fokus. Er wird fehlen. (dh) Von Ferdinand Kaineder Wenn Bildung, Gesundheit, Kultur und Soziales kirchlich geprägt sind, schmeckt es fast allen hier in Österreich, Kirchenmitgliedschaft hin oder her. Nicht umsonst schicken selbst kirchenkritische Eltern ihre Kinder in eine Ordensschule, damit sie Werte und ein konsistentes Lebensbild inklusive Rituale erleben können. Die Caritas ist gerngesehene Gesprächspartnerin und Expertin in Medien, wenn es um soziale Schieflagen geht. Kein Österreich-Urlaub ist denkbar ohne den Besuch einer kirchlichen Kulturstätte oder einer der bedeutenden Kirchen. Im Ordensspital beispielsweise fühlen sich Menschen weniger als Nummer als anderswo, noch dazu als Privatpatienten. Eine Ordensfrau hat das größte Potenzial an Vertrauenswürdigkeit und Trostkraft. Überall dort finden Menschen „geöffnete und empathische Haltungen“ vor, heutige Welt- und Menschenbilder prägen die Professionalität der handelnden Menschen und Organisationen. Kirche ist nicht mehr Souverän Aber ist das die Kirche, die Menschen meinen, wenn sie landläufig von der Kirche reden? Nein. Wenn der Blick der Menschen im öffentlichen Diskursraum auf „die Kirche“ geht, dann reden Menschen und Medien von der Hierarchiekirche der Bischöfe, meinen die Kleruskirche, die Missbrauchskirche, die frauenfeindliche Amtskirche, das „menschenferne Oben“ (mit Papst Franziskus als bemühte Ausnahme) und das gestrige, nicht demokratisch verfasste Kirchengebilde. Mögliche positive Erlebnisse in der Pfarre wie bei Erstkommunion, Firmung oder in einer der pfarrlichen Gruppen werden zuerst eben nicht dieser Hierarchiekirche zugeordnet. Dann stellt sich heraus, dass selbst dort „ein Pfarrer“ immer das letzte Wort hat. Wenn der nicht will, skurrile Ansichten hat, der Sprache nicht mächtig ist, das hohe Alter (weil es keinen Nachwuchs gibt) sein Bemühen verdeckt, wird das Bild von einer weltoffenen, menschenzugewandten, tröstenden und befreienden Kirche immer weiter zugedeckt. Selbst die medial dauerpräsenten Kollar tragenden Priester lassen zwar das von den Medien dargestellte Bild etwas freundlicher erscheinen, verschärfen allerdings in der Peripherie und an der Basis diesen „Priesterfokus“, der in einer Art von Kultkirche landet. „Die Strategien der Wunschproduktion, Sehnsuchtserfüllung und Kontingenzbewältigung des hegemonialen Kapitalismus sind effizienter, flexibler, anschauli- Foto: KULTUM / Johannes Rauchenberger Lesen Sie von Rainer Bucher auch „Erfahrungsorte für die ‚eigene Religion‘“, siehe 2.3.2017 auf furche.at. Hierarchiekirche, Kleruskirche, Missbrauchskirche, frauenfeindliche Amtskirche – oder doch positive Erlebnisse in der Pfarre: Was meinen die Menschen, wenn sie landläufig von der Kirche reden? Sturm und Feuer für die Kirche cher, adressatenorientierter, liquider als jene der Kirchen, und sie sind nicht traditionsbehindert.“ Das sagt der Pastoraltheologe Rainer Bucher und stellt damit die Kirche in das Heute, das zum Großteil von digital geprägten Dynamiken erfüllt ist. Die Kirche ist nicht (mehr) Souverän, sondern Untertan dieser prägenden Dynamiken. Der koreanisch-deutsche Philosoph Byung-Chul Han schreibt in zwei kleinen Büchern treffend „Vom Verschwinden der Rituale“ und sieht die neuen digitalen Realitäten als „Undinge“. Jetzt sind allerdings Rituale und die Anschauung der Dinge für ein religiöses Leben konstitutiv. Diese tiefgreifende Veränderung hätte das Konzil sehr früh erkannt und darauf reagiert. Gesprungen ist die Kirche nicht, wie der verstorbene „ War für Weihbischof Helmut Krätzl der Aufbruch in Sicht, hat Kardinal Christoph Schönborn die Zeit nach dem Konzil als ‚Zusammenbruch‘ erlebt. “ Weihbischof Helmut Krätzl in seinem Buch „Im Sprung gehemmt“ (1998) schreibt. Berührend offen hat Kardinal Christoph Schönborn in der Begräbnispredigt von den inhaltlichen Auseinandersetzungen mit seinem verstorbenen Weihbischof gesprochen. War für den einen der Aufbruch in Sicht, hat der Kardinal die Zeit nach dem Konzil als „Zusammenbruch“ erlebt. Krätzl hat bewusst die Lesung aus der Apostelgeschichte (Apg 16,11-15) für sein Begräbnis ausgewählt, die Lydia schildert, die damals dem missionierenden Paulus und dem Christentum in Europa das eigene Haus geöffnet hat, sich als Erste taufen ließ. Über diese Lydia hat der christliche Glaube Fuß fassen können. Neben mir stand beim Begräbnis eine befreundete Frau, und sie flüsterte mir ins Ohr: „So schön, diese Lesung, die eine Frau in den Mittelpunkt rückt.“ Sie war den Tränen nahe. Mein Blick geht nach vorn ins Presbyterium. Dort sehe ich nur Bischöfe und weitere klerusgewandete Männer. Selbst die Lesung hat ein Mann vorgetragen. In meinem Kopf tut sich wieder dieser Spalt auf. Da wird von den wichtigen Frauen geredet, konkret einen Platz um den Altar bekommen sie allerdings keinen. Weder das Kirchenrecht noch die liturgische Ordnung verbietet Frauen im Presbyterium. Die Gewohnheit schlägt zu. Pfingsten komm. „Plötzlich kam vom Himmel her ein Brausen – wie ein gewaltiger Sturm – und erfüllte das ganze Haus (den ganzen Dom), in dem sie versammelt waren. Zugleich sahen sie etwas wie züngelndes Feuer, das sich auf jeden Einzelnen niederließ.“ Ein Pfingsten voller gottgenährter Geistkraft für und mit allen Jüngerinnen und Jüngern. Ein neues Verstehen (Sprachen), ein fester Mut (Feuer) und ein geschwisterliches Miteinander zeichneten daraufhin die ersten Christinnen und Christen aus. Frauen und Männer stehen am Altar. Ihr Verstehen ist genährt von einem neuen Hinhören auf Augenhöhe, auf die Not und die Bedürfnisse der Menschen. Ihr Mut ist JE SUIS, wie werden wir gewesen sein? Klaras Ficus elastica Roxburgh, 2009/2023, Triptychon (Bleistift auf Papier, 220 x 200 cm). Installation von Wilhelm Scher uebl, zurzeit zu sehen im KULTUM Graz. ein Mut zur Tat und zur konkreten gegenseitigen Unterstützung. Und aus diesem Verhalten entspringt das synodale Miteinander als „neue Körpersprache“. Der Magnetismus der ersten Christengemeinden verankert sich im Heute. Und genau diese neue Körpersprache, die von Vielheit und Diversität, von Gleichheit in der Würde ganz konkret, von Gewaltfreiheit im Umgang miteinander, von Liebe und Compassion mit allen Lebewesen geprägt ist, redet „die Kirche“ zwar viel und bleibt doch in der alten Körpersprache hängen wie beim Begräbnis. Avantgarde für neue Präsenzen Deshalb braucht es eine Avantgarde für neue kirchliche Präsenzen. Das gelingt einer „Kirche der Werke“ wie beispielsweise in Bildung, Gesundheit, Kultur und Sozialem. Jesus würde aus meiner Sicht heute eher mit Schüler und Schülerinnen im spannenden Dialog sein, am Krankenbett tröstend die Hand halten, als Vermittler durch die Geschichte und Herkunft gehen und konsequent und penetrant die ungerechten gesellschaftlichen Strukturen, die arm machen und andere unverschämt reich, geißeln. Ob er beim Begräbnis im Presbyterium oder hinten stehend Platz nehmen würde, lasse ich offen. Eines bin ich mir sicher: Die Hierarchiekirche wird noch viel Pfingsten, Sturm und Feuer brauchen, damit sich in der Körpersprache das neue Verstehen, der feste Mut und das synodale Miteinander ehrlich und glaubwürdig „abbilden“. Der Autor ist Präsident der Katholischen Aktion Österreich.
DIE FURCHE · 21 25. Mai 2023 Das Thema der Woche Pfingsten – steiniger Weg 3 Die Kirche ist immer viel mehr, als sie im Augenblick scheint: Dieses Zitat aus dem Testament des Anfang Mai verstorbenen Weihbischofs Helmut Krätzl ist auch für Sr. Franziska Madl realitätsnah und Richtschnur. Ein Gespräch über Ordensfrau-Sein in schwierigen Zeiten. „Heiliger Geist ist selten eindeutig“ Das Gespräch führte Otto Friedrich Sie ist Jahrgang 1980 und Priorin der Dominikanerinnen in Wien-Hacking: Sr. Franziska Madl gehört zu den jüngeren Ordensfrauen im Land. Seit November 2022 ist die auch als Psychotherapeutin Tätige die stellvertretende Vorsitzende der Österreichischen Ordenskonferenz. DIE FURCHE: Die Kirche versteht Pfingsten als ihr Gründungsfest. Was bedeutet das für heute? Sr. Franziska Madl: Ich glaube, das ist nicht mehr so einfach verständlich wie für frühere Generationen. Christlich zu leben heißt ja, aus dem Heiligen Geist zu leben. Das ist das, was wir unter „Spiritualität“ verstehen, und zu jeder Zeit aktuell. Deswegen finde ich es schön, dass die Kirche sich auf Pfingsten und den Heiligen Geist beruft. Sie hätte ja auch ein anderes Datum wählen können – die Kreuzigung Jesu, die Auferstehung … Aber bekanntlich waren die Jünger da noch ziemlich durcheinander, und es hat einige Zeit gebraucht, bis sich das Ganze geformt hat. Deswegen finde ich das logisch, dass die Kirche Pfingsten als Gründungsdatum versteht. DIE FURCHE: Was ist am Pfingstfest aktuell? Madl: Die schwierige Sache mit dem Heiligen Geist ist, dass er uns selten ganz direkt und eindeutig sagt, was wir zu tun und zu lassen haben. Aber die Grundlinien des christlichen Lebens waren immer die gleichen und sind es auch heute. Wenn wir es auf der praktischen Ebene betrachten, geht es um Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit, für eine sozial gerechte Gesellschaft, für Chancengleichheit für alle Menschen. Wir sind überzeugt, dass Gott uns alle geschaffen hat und wir alle an Würde gleich sind. DIE FURCHE: Es gibt jetzt gerade in der katholischen Kirche dazu viele Diskussionen: Wenn alle an Würde gleich sind, verlangt es praktische Konsequenzen auch in der Institution, auch in der Sozialform. Madl: Mindestens muss es Konsequenzen im Umgang miteinander haben. Das gilt insbesondere, wenn über die Frauen in der Kirche gesprochen wird. Mein Wunsch und Anspruch wäre, mit Respekt und Wertschätzung behandelt zu werden. Das erwarte ich wie alle anderen Menschen auch. Sr. Franziska Madl OP ist seit Ende 2022 stv. Vorsitzende der Österreichischen Ordenskonferenz. DIE FURCHE: Das heißt, in der Kirche ist da Luft nach oben. Madl: Luft nach oben gibt es immer. Mich hat da ein Satz aus dem Testament von Weihbischof Helmut Krätzl, der bei seinem Begräbnis auch vorgelesen wurde, sehr beeindruckt, wo er schreibt: „Ich habe gelernt, mehr auf ihr (der Kirche) inneres Wesen zu schauen und dass sie immer viel mehr ist, als sie im Augenblick scheint.“ Das finde ich sehr realitätsnah. Und beeindruckend ist auch, dass er sagt, er hat es lernen müssen … DIE FURCHE: Beim Begräbnis von Bischof Krätzl, der ja auch für die FURCHE ein wichtiger Begleiter war, war auch spürbar, dass da eine Ära zu Grabe getragen wurde. Krätzl stand ja für die Konzilsgeneration wie kaum ein anderer seit Kardinal König. Nehmen Sie wahr, dass vom Geist des II. Vatikanums noch etwas übrig ist? Madl: Die Zeit nach dem Konzil habe ich selbst nicht erlebt. Ich bin katholisch geprägt worden durch meine Groß eltern, die die Generation von Weihbischof Krätzl waren. Nach dem Konzil hatte diese große Hoffnungen. Ich habe aber – etwa bei meinem Großvater – auch die Enttäuschung gespürt, dass vieles nicht eingetreten ist. Ich bin mir nicht sicher, wie realistisch man das damals eingeschätzt hat. Heute geht die Kirche zumindest teilweise in eine andere Richtung. Foto: öok/emw DIE FURCHE: Was meinen Sie da konkret? Madl: Etwa in Richtung charismatischer Bewegungen oder zu den Lobpreisbewegungen. Man sieht auch im Bereich der Ordensgemeinschaften, dass sehr traditionelle Formen wieder Zulauf haben, wo ich nicht gedacht hätte, dass das noch einmal modern wird. DIE FURCHE: Sie sind 2001 in Ihre Gemeinschaft eingetreten. Was war für Sie die Motivation, diese Lebensform zu wählen? Madl: Das ist immer ein ganz persönlicher Weg. Ich habe Theologie studiert, das wollte ich schon immer. Dennoch hatte ich das Gefühl, dass etwas fehlt. Als ob Gott von mir noch mehr verlangt. Bei meiner Sponsion hat Professor Zulehner gefragt: Woran erkennen wir, dass ihr in der Mitte steht? Seine Antwort war: Ihr kriegt die Watschen von links und von rechts. Ich hatte – ob das meine politischen Ansichten sind oder mein Blick auf die Kirche – immer das Gefühl, dass ich in der Mitte stehe. Und ich habe mir auch einen Orden „ausgesucht“, der von außen betrachtet strenge Regeln hat, aber sehr frei ist, was unser Denken betrifft. DIE FURCHE: War es leicht, diese Lebensentscheidung durchzuhalten? Madl: Es war durchaus starker Gegenwind zu spüren, als ich gesagt habe: Ich möchte in einen Orden eintreten. Verrückter geht es ja nicht! Wer macht heute noch so was? Das ist ja von vorgestern! DIE FURCHE: Derartige Vorhalte sind nicht überraschend. Betrachtet man die Zahlen, sieht man, dass gerade bei den Frauenorden ein großer Abbruch im Gang ist, es stirbt viel. Sie sind eine der wenigen aus einer jüngeren Generation unter vielen alten Mitschwestern. Wie gehen Sie damit um? Madl: Wenn viel vom Sterben und vom Abschiednehmen die Rede ist, sage ich: Das ist alles richtig und notwendig. Aber wir sind ja noch da. Ich habe noch hoffentlich einige Zeit vor mir. Es stimmt, die Zeiten der großen Schwesternzahlen sind vorbei, auch in der Kirchengeschichte war das eine relativ kurze Zeitspanne. Schwierig ist es im Alltag, weil natürlich in so einer Gemeinschaft alles eine gewisse Schwere bekommt, langsamer wird, sich viel um Themen dreht, mit denen alte Menschen beschäftigt sind. Aber das ist einfach die Realität. Und ich kenne eine Schwester, die sagt: Gott umarmt uns mit der Wirklichkeit. Das ist die Zeit, in die wir gestellt sind, und die Aufgabe, die mir gestellt ist. DIE FURCHE: Sie sind auch Psychotherapeutin. Hat das auch mit Ihrer Berufung zu tun? Madl: Ja. Ich habe Theologie studiert und bin in den Orden eingetreten, weil ich Foto: KULTUM / Johannes Rauchenberger OIKOS – Das Gewicht der Welt Installation aus Sonnenblumenstängeln (55 x 120 x 140 cm) von Wilhelm Scher uebl, 2023, zurzeit in der Ausstellung „GEHEN & VERGEHEN“ im Grazer KULTUM. „ Momentan sehe ich, dass die Menschen sich vieles nicht mehr leisten können. Ich denke, dass wir Orden dort besonders gefordert sind, wo Menschen um die Existenz ringen. “ Lesen Sie auch das Gespräch mit Sr. Franziska Bruckner am 10.12.2020, nachzulesen unter „Religiöses Erbe bewahren“ auf furche.at. Menschen helfen wollte. Ich wollte immer in die Seelsorge gehen. Und habe in meiner seelsorglichen Tätigkeit gemerkt, dass das es guttut, psychologisches Grundwissen zu haben, um Dinge einordnen zu können. Dass ich auch Psychotherapeutin bin, hat sicher mit meiner Berufung zu tun, mit Menschen zu arbeiten und Menschen zu helfen. Das ist etwas sehr Intensives. DIE FURCHE: Aber es hat Zeiten gegeben, da hat man in der Kirche Psychotherapie mit einem kritischen Blick betrachtet. Madl: Das hat sich prinzipiell geändert. Die Psychotherapie hatte nicht zu Unrecht früher den Ruf, sie würde den Menschen den Glauben ausreden wollen, so als ob an Gott zu glauben an sich schon etwas Pathologisches wäre. Aber Religion ist nichts Pathologisches, deswegen muss man das auch nicht wegtherapieren. Im Gegenteil, das ist eigentlich eine große Ressource und Macht. Auch gibt es ja empirische Studien dazu, dass Menschen, die religiös sind, einen ganzen Polster an Ressourcen haben, um mit vielem im Leben besser umgehen zu können. DIE FURCHE: In dieser Tätigkeit sind Sie auch mit den Nöten der Menschen konfrontiert. Gibt es Nöte, wo Sie als Ordensfrau besonders gefragt sind? Madl: Momentan sehe ich, dass die Menschen sich vieles nicht mehr leisten können. Das ist aber etwas, worauf ich keinen Einfluss habe. Ich kann, selbst wenn ich wollte, leider nicht die Steuern abschaffen oder dafür sorgen, dass Menschen gerecht bezahlt werden oder dass alleinerziehende Mütter mit zwei Kindern genug Hilfe haben, um über die Runden zu kommen. Wenn ich mir was wünschen könnte und einen Zauberstab hätte, wäre wahrscheinlich das das erste Problem, das ich lösen würde. Kann ich aber nicht. Man hat früher viel davon geredet, dass die Orden Solidarität mit den Armen leben. Da habe ich immer selbst Fragezeichen gemacht: Was haben die Armen davon, dass ich solidarisch versuche, einfach zu leben? Ich tue das ja freiwillig und nicht gezwungenermaßen. Erzwungene Armut und das, was wir freiwillig als den Evangelischen Rat der Armut leben, sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Aber ich denke schon, dass wir Orden dort besonders gefordert sind, wo Menschen um die Existenz ringen. DIE FURCHE: Zurück zur Kirche: Es ist ein weltweiter synodaler Prozess angelaufen. Denken Sie, dass der zu etwas führen wird? Madl: Ich bin eine unverbesserliche Optimistin. Ich gehe immer davon aus, wenn Menschen zusammenkommen und sich ehrlich bemühen, miteinander ins Gespräch zu kommen, kann das nur positiv sein. Ich bin mir nicht sicher, wie ehrlich das Bemühen auf beiden Seiten ist. Allein das ist ja schon ungesund, dass es zwei Seiten gibt. Und dass man, je nachdem, welche positive Meinung man zu einer Sache vertritt, automatisch auf einer Seite steht, auch wenn man möglicherweise zu anderen Themen andere Ansichten hätte. Die Voraussetzung dafür, dass ein synodaler Prozess funktionieren kann, ist, dass alle die nötige Offenheit mitbringen. Das wäre eigentlich eine Gabe des Heiligen Geistes. Darum könnte man zu Pfingsten beten. Diese Seite entstand in Kooperation mit den Ordensgemeinschaften Österreichs. Die redaktionelle Verantwortung liegt bei der FURCHE.
Laden...
Laden...
Ihr Zugang zu neuen Perspektiven und
mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte.
© 2023 DIE FURCHE