DIE FURCHE · 17 20 Film & Medien 25. April 2024 SPIELFILM Allzu viele traurige Gestalten Die Weite Amerikas hat immer schon Gelegenheit geboten, dort einige spezielle Charaktere anzusiedeln – man denke nur an sämtliche Figuren von „Fargo“, Javier Bardems spleenigen Killer in „No Country for Old Men“ oder die verbissenen Möchtegern-Schönheitsköniginnen in „Gnadenlos schön“ (inklusive einer jungen Kirsten Dunst). „LaRoy“ möchte von all dem etwas in einer schwarzen Komödie vereinen. Ihr kleinlauter, unwahrscheinlicher Held Ray wird von niemandem ernst genommen. Im eigenen Laden hat er neben seinem Bruder nichts zu sagen, und seine Frau Stacy- Lynn, die ihrer Sternstunde als Schönheitskönigin nachtrauert, betrügt ihn offensichtlich. Gerade als er deshalb seinem Leben ein Ende setzen will, wird er mit einem Auftragsmörder verwechselt – um kurz darauf gemeinsam mit dem Möchtegern-Detektiv Skip im eigenen Fall zu ermitteln und selbstverständlich auch den grantigen Professionisten auf den Fersen zu haben. Irrwitz könnte nun auf dem Programm stehen, dafür ist das Kinodebüt des Amerikaners Shane Atkinson aber letztlich zu sehr ein verkapptes Drama mit allzu vielen traurigen Gestalten – wenn auch einige davon durchaus solide gespielt, von Stars der zweiten Reihe wie Steve Zahn oder Dylan Baker. Mal wirkt die Inszenierung hölzern, mal überdreht, kurz: Sie versucht zu angestrengt, ihren Vorbildern nachzueifern. Im Fall von „LaRoy“ macht das hauptsächlich Lust, ein paar von ihnen wiederzusehen. (Thomas Taborsky) LaRoy (LaRoy, Texas) USA/F/A 2023. Regie: Shane Atkinson Mit John Magaro, Steve Zahn, Dylan Baker, Megan Stevenson. Ellly Films. 112 Min. Steve Zahn und John Magaro in Shane Atkinsons Spielfilmdebüt „LaRoy“. Von Otto Friedrich Er ist ein Berserker in der Musikwelt – angesiedelt zwischen Jazz und Neuer Musik: John Zorn, mittlerweile 70 geworden, tanzt als Bandleader, Komponist und Vielfachinstrumentalist – vom Saxofon oder der Elektro-Oud bis zur Kirchenorgel – auf wahrlich vielen Hochzeiten. Jazz bis Streichquartett, Noise bis Klezmer oder Easy Listening, Opernsopran bis Frauenchor: Auch diese Aufzählung bildet die Genres und Œuvres John Zorns bestenfalls fragmentarisch ab. Maximalismus zeichnet seine Kompositionen und Performances ebenso aus wie das Aufsuchen seiner jüdischen Wurzeln, etwa im Konzept der „Radical Jewish Culture“, der sich der New Yorker seit Anfang der 1990er Jahre verschrieben hat. Mathieu Amalric, französischer Schauspiel- und Regiestar, der schon auch einmal als Bösewicht eines James-Bond-Films reüssiert hat („Ein Quantum Trost“, 2008), nähert sich in einer monumentalen Trilogie John Zorn auf eine Weise, die einzigartig ist – und deren einzelne Teile mehr als ein Geheimtipp für Film- und Musikfreunde sein sollten. Ab 2010 begleitete Amalric – allein – mit Kamera und Mikrofon den New Yorker Musiker und gestaltete daraus drei in sich wieder originäre Einzeldokumentarfilme, die kurz und bündig „John Zorn“ heißen. Genial divers „John Zorn I, II, III“: Mathieu Amalrics wegweisende Dokumentarfilmtrilogie macht das Werk des New Yorker Ausnahmekünstlers im Kino begreifbar. Der große Zorn Zwölf Jahre überstreichen die einzelnen Filme, und Amalric scheint immer noch nicht genug zu haben, denn die Arbeiten für „John Zorn IV“ gedeihen auch schon längst. Derweil muss man sich mit den Teilen I bis III begnügen, aber man kann nur raten, jeden der drei Teile anzuschauen – durchaus auch in einem Stück (zum Vergleich: der letzte Scorsese-Film ist immerhin noch eine Viertelstunde länger als „John Zorn I, II, III“ auf einmal). Amalrics filmische Zugangsweise zu John Zorn ist jeweils völlig unterschiedlich, aber gerade in der Verschiedenheit der Beobachtung und Darstellung erschließt sich das Gesamtkunstwerk John Zorn geradezu genial divers. „John Zorn I“ ist dabei der am schwersten zugängliche Versuch der Näherung, dem es aber zugleich gelingt, den Zorn’schen Wahnsinn mit Methode einzufangen: Dieser Filmteil umfasst die Jahre 2010 bis 2016, und man sieht den Protagonisten darin nie in durchgängiger Aktion, sondern in wildem Gestikulieren hinter oder saxofonspielend auf der Bühne, einmal mit großem Orchester, dann in kammermusikalischer Besetzung quer durch die Welt hetzend und musizierend. Zum einen Besessenheit pur, zum anderen Meditation und die Klänge ordnend. Man weiß nach „John Zorn I“ „ Ab 2010 begleitete Amalric – allein – mit Kamera und Mikrofon den New Yorker Musiker und gestaltete daraus drei in sich originäre Einzeldokumentarfilme. “ noch wenig von seiner Kunst, aber man ahnt durch die Clips und gefilmten Schnipsel etwas vom Kosmos, in dem sich dieser Musiker bewegt. Für „John Zorn II“, der die Jahre 2016 bis 2018 überstreicht, hat Mathieu Amalric einen anderen Ansatz gewählt. Diesmal nimmt er sich keinen Parforceritt durch die Zorn-Welt vor, sondern er zeigt längere Konzertsequenzen oder den Meister an einer Kirchen orgel: Endlich kann der Zuschauer wirklich etwas von der Zorn-Musik mitnehmen. Und in langen Einstellungen von Backstage-Geplauder erfährt man von Zorns Philosophie und Arbeitsweise. „John Zorn I“ erweist sich da fast als Voraussetzung, um „John Zorn II“ zu verstehen, wobei umgekehrt Teil I als Torso dastünde, wäre nicht Amalrics zweiter Zorn-Film gefolgt. Das lässt sich erst recht für „John Zorn III“ sagen – der die Jahre 2020 bis 2022 zum Ausgangspunkt hat. Diesmal lässt Amalric jedes Panop tikum, dessen er sich zuvor zur Darstellung bedient hatte, beiseite und konzentriert sich auf ein Werk von Zorn: Es geht um die Erarbeitung des Stücks „Jumalatteret“ für vokalisierende Singstimme und Klavier. Man kann der Sopranistin Barbara Hannigan (Amalrics Lebensgefährtin) dabei zuschauen, wie sie sich, auch von John Zorn angeleitet, im Verein mit dem Pianisten Stephen Gosling das Stück buchstäblich erkämpft, es bändigt wie ein unberittenes Pferd – mit vielen Abwürfen, Zweifeln und nicht nur einmal an der Schwelle des Scheiterns stehend. Große Musik, vom großen John Zorn zumal, ist das Ergebnis eines Kampfes. Es bedurfte des Genius eines Mathieu Amalric, um das im Kino erstehen zu lassen. John Zorn I, II, III F 2010–2022. Regie: Mathieu Amalric Filmgarten. 54 Min., 59 Min., 77 Min. SPIELFILM Sympathisches Porträt eines Dorfes MEDIEN IN DER KRISE Eine unendliche Geschichte „Es sind die kleinen Dinge“ der französischen Regisseurin Mélanie Auffret („Roxane“, 2019) entführt das Publikum in ein verschlafenes Dorf in der Bretagne, wo die Bürgermeisterin und Lehrerin Alice (Julia Piaton) so gut wie alles schupft, vom Schlaglöcher-Ausbessern bis zu ihrem Zweitberuf als Dorfschullehrerin einer Gesamtvolksschule, die gerade mal zehn Kinder beherbergt. Drei zu wenig, befindet ein Behördenmensch, der zufällig vorbeikommt und prompt die Schließung ankündigt. In einem ohnehin „sterbenden“ Dorf, in dem es kaum mehr Geschäfte gibt, kämpft Alice trotzdem mit ein paar Gleichgesinnten gegen ihr aller Verschwinden. Einer der Mitstreiter ist der grummelige Emile (Michel Blanc), der sich gerade dazu durchgerungen hatte, endlich Lesen und Schreiben zu lernen, was er auch auf seine alten Tage nun durchaus lohnend findet. Eine nette Komödie, die vor allem Blanc eine Bühne bieten möchte, ist „Es sind die kleinen Dinge“ (im Original „Les petites victoires“) – kein richtig großer Wurf, aber eine kleine Errungenschaft in Sachen „Dorfporträt“ mit seinen archetypischen Figuren und (generationsbedingten) Problemen. (Alexandra Zawia) Eine Schule muss vor dem Schließen bewahrt werden. Es sind die kleinen Dinge (Les petites victoires) F 2023. Regie: Mélanie Auffret. Mit Michel Blanc, Julia Piaton. Lunafilm. 91 Min. Wie anderen Printmedien auch geht es der Mediaprint, zu der unter anderem Krone und Kurier gehören, zurzeit alles andere als gut. Laut einem Bericht des Standard fuhr der größte Printmedienkonzern im Lande letztes Jahr ein Defizit von 25 Millionen ein – allerdings seien die Fortbestandsprognosen der Wirtschaftsprüfer positiv. Daneben spielt auch die Signa-Pleite in die Geschäfte der beiden Tageszeitungen hinein. Ursprünglich hielt die deutsche Funke-Gruppe 50 Prozent an der Krone, die andere Hälfte gehört der Familie Dichand. (Beim Kurier besteht die Ehe aus Raiffeisen und Funke.) René Benko hatte nun der Funke-Gruppe Anteile abgekauft, die nun wieder, so heißt es, von der deutschen Mediengruppe aus der Konkursmasse zurückübernommen werden. Vor allem bei der Krone ändert das wenig, sind Dichands und Funke über Verträge so verbunden, dass Funke (mit oder ohne Signa im Schlepptau) nichts am garantierten Gewinn der Dichands ändern konnte – auch durch unzählige Schiedsgerichtsverfahren nicht. Umgekehrt gelang es den Dichands gleichfalls nicht, die renitenten Funkes loszuwerden. Irgendwann einmal waren wir versucht, Simmering gegen Kapfenberg – laut Helmut Qualtinger der österreichische Aufweis für Brutalität – als Bild für nimmermüden Kampf der Medienplatzhirsche aus Westfalen und Österreich zu bemühen. Besser aber ist doch die Unendliche Geschichte – respektive eine, von der man einfach nicht weiß, wie sie ausgeht. (Otto Friedrich)
DIE FURCHE · 17 25. April 2024 Film 21 „Challengers“: Luca Guadagninos Mé nage-à-trois im Tennismilieu wird von Zendaya, Mike Faist und Josh O’Connor mitreißend, erotisch und brillant gespielt. DOKUMENTARFILM Von Pink Floyd bis Paul McCartney Spiel, Satz und Sieg Anton Corbijn zeichnet in seinem Dokumentarfilm die Geschichte des Londoner Designstudios Hipgnosis zwischen den 1960er und 1980er Jahren nach. Von Philipp Waldner Manche behaupten, die Herkunft des Ausdrucks screwball comedy stamme aus dem Baseball: Gemeint ist ein Ball, der so geworfen wird, dass er nicht vorhersehbar ist – genauso unvorhersehbar wie die schlagfertigen Figuren der Filme. Sieht man „Chal lengers“, so kann man leicht zu der Überzeugung kommen, das nicht Baseball, sondern Tennis als Vorbild für diese Gattung gedient haben muss. Regisseur Luca Guadagnino lässt in seiner zwischen ernstem Drama und pointierter Komödie angesiedelten Dreiecksbeziehung die Fetzen (und Bälle) fliegen. Im Mittelpunkt: eine abgebrühte Zendaya als ehemaliger Tennisstar Tashi, die ihre Karriere aufgrund einer Verletzung an den Nagel hängen musste. Sie fungiert als Coach für ihren Ehemann Art (Mike Faist), der langsam genug vom Tenniszirkus hat. Tashi ist diejenige, die ihn noch antreibt, selbst wenn es darum geht, in einem eigentlich unter seinem Niveau liegenden Chal len ger turnier zu spielen. Dort begegnet er seinem alten Kumpel Patrick (charmant: Josh O’Connor), der, voilà, auch Tashis Ex-Freund ist. Die beiden Rivalen stehen sich schließlich im Finale gegenüber, während Tashi das Geschehen von der Zuschauertribüne aus überblickt. Wer spielt hier gegen wen? Unterbrochen wird das fulminante Duell aus Ball- und Blickwechseln von zahlreichen Rückblenden, die immer wieder zum schicksalhaften Match in der Gegenwart zurückkehren. Guadagnino schwelgt in Bildern von jungen, athletischen, attraktiven und verschwitzten Körpern, für die alles ein Spiel ist – so lange, bis die (la- „ Der Tennissport wird zur ultimativen Metapher für das erotische Spiel von Anziehung und Abstoßung, wobei die freizügigen Szenen den Schauspielern einiges abverlangen. “ tent homoerotische) Männerfreundschaft zwischen Art und Patrick vom sportlichen Konkurrenzdenken auf die Probe gestellt wird. Tashi befeuert den Konflikt, sie kalkuliert, verführt und manipuliert. Der Tennissport wird zur ultimativen Metapher für das erotische Spiel von Anziehung und Abstoßung, wobei die freizügigen Szenen den Schauspielern einiges abverlangen. „Reden wir noch über Tennis?“, fragt Patrick Tashi einmal, während sie sich gegenseitig stimulieren. Natürlich tun sie das nicht, und doch kommen sie nicht heraus aus ihrer Welt. Untermalt wird die in der Zeit hin- und herspringende Handlung von den pulsierenden Techno-Beats des Nine-Inch-Nails- Duos Trent Reznor und Atticus Ross, die sich manchmal so sehr in den Vordergrund drängen, dass man die Dialoge kaum noch versteht. Guadagninos eklektischer Stil, der sich sowohl von Godard als auch von Hitchcock einiges abschaut, wird nur im letzten Drittel zum Problem, wenn er versucht, das entscheidende Tennismatch auf immer aufregendere Weisen zu inszenieren. Die Kamera aus der Froschperspektive oder aus der Perspektive eines Tennisballs – das alles wirkt wie Effekthascherei an Stellen, wo Guadagnino eigentlich nur auf die inhärente Dynamik seiner Geschichte vertrauen bräuchte. Auch ist das Schlussbild wohl zu versöhnlich, als dass es die einzig auf Sieg ausgerichtete Mentalität der Figuren rechtfertigen würde. Challengers – Rivalen (Challengers) USA 2024. Regie: Luca Guadagnino Mit Zendaya, Mike Faist, Josh O’Connor, A. J. Lister. Warner. 132 Min. Ein Prisma auf schwarzem Grund, das einen Lichtstrahl bricht. Das Pink- Floyd-Album „The Dark Side Of The Moon“ ist nicht nur ein Meilenstein der Musikgeschichte, sondern auch ein herausragendes Beispiel für eine untergegangene Kunstform: die Gestaltung von Schallplattenhüllen. Nun kommt ein Dokumentarfilm in die Kinos, der die Geschichte des legendären Londoner Designstudios Hipgnosis erzählt. Das Team um Aubrey „Po“ Powell und Storm Thorgerson schuf in den 1970er Jahren ikonische Plattencover für Rockbands wie Pink Floyd, Led Zeppelin oder 10cc, aber auch für Paul McCartney oder Peter Gabriel. „Squaring the Circle: The Story of Hipgnosis“ (Regie: Anton Corbijn) zeigt die Anfänge des Studios in der Hippieszene der 1960er bis zum jähen Ende Anfang der 1980er, als Punk und Post-Punk die überladen und dekadent gewordene Rockmusik der Der Vorstand und die Kollegen des Verbands Österreichischer Zeitungen trauern um Ehrenpräsident Dr. Max Dasch Seventies und damit auch die dazugehörige perfektionistische Hipgnosis-Ästhetik hinwegfegten. Die Interviews mit den Designern, Rockmusikern und anderen Weggefährten sind in Schwarz-Weiß gehalten, sodass die originalen Platten cover aus jener Zeit noch besser zur Geltung kommen. Es ist ein nostalgischer Rückblick auf eine Zeit, als in der Mainstream-Musik mit allem Drum und Dran erstaunliche Qualitätsansprüche und künstlerische Freiheit herrschten und als Kunstwerke im Format von 31,5 mal 31,5 Zentimetern noch nicht zu kleinen, kaum erkennbaren Icons auf Streamingplattformen geschrumpft waren. (Michael Krassnitzer) Squaring the Circle: The Story of Hipgnosis GB 2022. Regie: Anton Corbijn. Mit Paul McCartney, Roger Waters, David Gilmour, Robert Plant, Jimmy Page. Einhorn. 101 Min. der am 17. April 2024 nach kurzer, schwerer Krankheit verstorben ist. Max Dasch war eine große Verlegerpersönlichkeit, der unbeirrt für die Pressefreiheit und Unabhängigkeit seiner Redaktion, die liberale Demokratie sowie die Wahrung der Menschenrechte und den Rechtsstaat gekämpft hat. Unsere Gedanken und unser tief empfundenes Mitgefühl gelten in diesen schweren Stunden seiner Familie und seinen Freunden. In Dankbarkeit und bleibender Erinnerung Mag. Markus Mair Präsident Mag. Gerald Grünberger Geschäftsführer Ein gar nicht flotter Dreier? Mike Faist als Ehemann Art, Zendaya als Tennis-Ass Tashi und Josh O’Connor in der Rolle des (Ex-)Freundes Patrick.
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