Eine Mutter misshandelt ihren Sohn fast zu Tode. Der Leidensweg des Kindes bleibt in der Schule, in der Nachbarschaft, in der Kinder- und Jugendhilfe scheinbar unbemerkt. Wiedergutmachtung ist angesichts des Verbrechens ausgeschlossen. Welche Rolle spielt hier Vergebung? Wer bringt sie aufs Tapet? Wer verweigert sie und warum? Eine Reflexion. DIE FURCHE · 16 ein, das ist nicht dein richtiger Name. Wüsste ich ihn, er stünde hier trotzdem nicht. um. Du solltest dein Schicksal in einen größeren ge- jemandem Gnade zu gewähren. Vielmehr wünsche ich, Lass dich nicht auf diesen Pakt ein! Dreh den Spieß Alexander, es wäre vermessen, von dir einzufordern, Dein Name muss mit aller Kraft geschützt sellschaftlichen Kontext verorten. In der Soziologie bezeichnet man Gesellschaft als einen sozialen, institutifordern. Doch die kann weder der Staat noch die Gesell- du könntest in vollem Umfang Wiedergutmachung ein- werden. Du musst geschützt werden. Dein Leben, dein Alltag, deine Zukunft, dein onell gestützten Funktionszusammenhang. Jenes Leid, schaft gewährleisten. Und schon gar nicht deine Mutter. Umfeld, in dem du dich bewegst. Das hätte seit dem Tag das dir deine Mutter zugefügt hat, ist keineswegs isoliert zu betrachten. Vielmehr ist es ein Symbol für eine sie es denn überhaupt wollen? Diese Frau hat kein Inter- Nichts kann das Geschehene rückgängig machen. Würde deiner Geburt geschehen sollen. Das Gegenteil war der Fall. Die Frau, die dich auf die Welt gebracht hat, hat dir Dysfunktionalität in unserem Zusammenleben. In unserer Gemeinschaft besteht offensichtlich zu wenig Kondessen hatte sie, nachdem du weggebracht wurdest, esse gezeigt, dich ins Krankenhaus zu begleiten. Statt- großes Leid zugefügt. Ja, du merkst, mir fällt es schwer, diese Frau Mutter zu nennen. Ich setze das Wort Mutter gleich mit Zuflucht, Zuwendung, Fürsorge, Halt, dem schützt werden muss. richtssaal saß sie emotionslos auf der Anklagebank. sens darüber, dass ein Kind unter allen Umständen ge- „Kindesmissbrauch Strafe Österreich“ gegoogelt. Im Ge- Aufgefangensein, dem Sichfallenlassendürfen. Obgleich dich deine Mutter im privaten Raum misshandelt hat, wart ihr zwangsläufig beide gezwungen, an einer schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung. Die Im psychiatrischen Gutachten steht, deine Mutter leide Das alles hast du bei jener Frau, die von den Staatsanwälten, Verteidigern, Richtern, Reportern, Jugend- mit eurer Umgebung in Beziehung zu treten. Ihr hattet kommenden Jahre wird sie in einer forensischen Psychiämtern als deine Mutter bezeichnet wird, nicht erfahren. Nachbarn. Du bist zur Schule gegangen, hast Lehrerinnen und Lehrer getroffen, Klassenkameraden, die dich Sachverständigen aus. Macht das für dich einen Unter- atrie verbringen. Eine Heilung schließen die meisten Heute wissen wir, was sie stattdessen getan hat. Sie hat dich gefoltert. Sie hat dich immer wieder in eine Hunde- ihren Eltern als Sonderling beschrieben hatten. Das Ausmaß des Unvermögens seitens der zuständigen Sozial- zieren, wenn die Täterin offiziell als krank gilt? schied? Ist es leichter, sich vom erlebten Leid zu distan- box gesperrt. Die Maße: 57x83x63 Zentimeter. Du warst 1,65 Meter groß, musstest dich zusammenkrümmen, arbeiterin – denn in der Tat gab es längst eine Akte bei stundenlang in deinem Gefängnis ausharren. Diese der Kinder- und Jugendhilfe – verblüfft mich bis heute. Auch im öffentlichen Raum werden Passanten zu- Alexander, du musst dich niemandem gegenüber Der Weg der Barmherzigkeit, der Nachsicht, der Güte? Frau hat dich mit kaltem Wasser übergossen, dich hungern lassen. Stunden. Nächte. Du hast sie angefleht, um weilen die Interaktion zwischen dir und deiner Mutter rechtfertigen. In Sachen Vergeben und Verzeihen bist Essen gebettelt. Sie hat dich ignoriert, beschimpft, ausgelacht, verhöhnt – und gefilmt. Im Winter riss diese leicht ist es euch ab und zu gelungen, die Menschen zu dir keine Vorwürfe mehr machen.“ Angesichts des Ver- beobacht und sich ihren Teil dabei gedacht haben. Viel- du frei. Wer vergibt, teilt dem anderen mit: „Du musst Frau das Fenster auf. Alexander – deine Kleidung, deine täuschen. Aber noch besser ist es den Menschen gelungen, wegzuschauen, sich auf sich selbst zu konzentriegegenhalten, dass sich bislang viel zu wenige Menschen brechens gegen dich, würde ich hier schon wieder ent- Haare, deine Haut, alles war klatschnass. Du hast gezittert. Vor Kälte, vor Angst, vor Hilflosigkeit. ren, sich an dem Glaubenssatz festzukrallen, sich lieber Vorwürfe gemacht haben. Es aber sollten... Der Mensch, der alles dafür tun sollte, damit du wachsen, dich entwickeln, ein gutes Leben führen kannst, Verfasserin aus, als über dich als Empfänger. Seit dem nicht in die „Angelegenheit anderer“ einzumischen. Du siehst schon: Dieser Brief sagt mehr über mich als war derjenige, der versucht hat, dich zu entmensch- Tag, an dem ich zum ersten Mal von deinem Martyrium lichen. Ich weiß wohl, dass die Täterin, die offiziell als erfahren habe, denke ich wieder und wieder darüber deine Mutter bezeichnet wird, eine Komplizin hatte. nach. Ich bin es, die am liebsten jeden Einzelnen, der von Doch die ist mir gleichgültig. Überall auf der Welt gibt deiner Situation nur geahnt haben könnte, an den Pranger stellen würde. es schäbige, sadistische, skrupellose Personen, vor denen es Kinder zu schützen gilt. Doch die, die dich hätten Ob das dein Weg ist, das weiß ich nicht. Vielleicht ist schützen müssen, haben dich ausgeliefert. es jener der Barmherzigkeit, der Nachsicht, der Güte. Ich Du bist diesem Martyrium entkommen. Räumlich. Körperlich. Das hoffe ich zumindest. Unter den emotionalen her. Ich allerdings muss aus meiner Wut, meinem Ent- meine fast, dem inneren Frieden käme man dadurch nä- Folgen wirst du dein ganzes restliches Leben lang leiden. setzen, meiner Unerbittlichkeit noch eine Weile die Ich glaube kein Wort, wenn jemand behauptet, es wäre Energie ziehen, die ich für Briefe wie diesen hier brauche. Ich wünschte, es wäre der letzte seiner Art. möglich, das Erlebte zu verarbeiten. Alexander, dir ist das Ich mag keine Anführungszeichen in Texten. Sie verschleiern eine Ungenauigkeit, kaschieren die Bequem- Urvertrauen in diese Welt genommen worden. Du wirst wieder gute Momente haben. Du wirst lachen, genießen, lichkeit des Schreibenden. Er ist es, der sich nicht die träumen, herumtoben – für eine Weile vergessen können. Mühe gemacht hat, ein präziseres Wort zu finden. Oder Aber die Bilder deiner Vergangenheit werden dich heimsuchen. Was wäre ich froh, wenn ich mich täuschte. stelle eines ironischen Untertons, der beim Lesen nicht aber, der Schreibende setzt die Anführungszeichen an- zu hören ist. Das, was zu lesen ist, entspricht nicht der Lass dich nicht auf diesen Pakt ein! wahren Überzeugung des Schreibenden. Zurecht fragt Vergebung. Ich fürchte, irgendwann wird irgendwer man sich, warum er es dann geschrieben hat. dir raten, du sollst versuchen, deiner Mutter (ja, sie ist deine Mutter, auch wenn sie sich ihrer Rolle nicht unwürdi- dennoch dieses Stilmittels bedient. Ich habe etwas ge- Die „Angelegenheit anderer“. Hilflos habe ich mich ger hätte erweisen können) zu vergeben. Diese Vorstellung macht mich wütend. Wer wagt es, dir nahezulegen, Alexander, von deiner Mutter in einen Hundekäfig geschrieben, von dem ich das Gegenteil meine. Dass du, etwas zu verzeihen, was unverzeihlich und unentschuldbar ist? Wen soll das entlasten? Etwa dich? Wem soll diese gern musstest, dass dir keine Hilfe widerfahren ist – das sperrt und monatelang gequält wurdest, dass du hun- Gnade gewährt werden? Deiner Mutter? Willst du wissen, ist „unser aller Angelegenheit“. Dein Schicksal offenbart was ich denke? Dass hier noch eine Ebene angesprochen ein Leck in der Gesetzgebung, einen blinden Fleck innerwird, der bislang zu wenig Beachtung geschenkt wurde. halb unserer Institutionen, einen schwindenden moralischen Kompass, einen Irrweg, ein kollektives Nicht- Mit dem Vergebungsappell fordert die Gesellschaft an sich deine Absolution ein. Es verstört die Menschen, Handeln. Warum glauben wir, dass uns dein Leid nichts wenn jemandem langfristig (ein Leben lang?) ein Unrecht zu schaffen macht. Das Opfersein hat ein Ablauf- nig den Gedanken, dass man es hätte verhindern kön- Verletzte Bildrechte, gestohlene angeht? Weil wir es nicht ertragen können. Ebenso we- datum. Eine Zeit lang darfst du dich schlecht fühlen. nen. Stattdessen halten wir weiter an gesellschaftlichen Texte, kopierte Videos: Das Internet hat Doch dann heißt es: Wiedereingliederung ins Weiterso. Regeln fest, die es in letzter Konsequenz ermöglichen, den Streit um das geistige Eigentum entfacht, Du hast zu funktionieren. ein Kind an eine Verbrecherin auszuliefern. Künstliche Intelligenz hat die Debatte weiter angeheizt. Über die Kampfansage der Kulturbranche, die Übermacht der Wissenschaftsverlage und den Geist, der zum Eigentum wurde. DIE FURCHE · 17 16 Diskurs 25. April 2024 ZEITBILD Grüße aus der Sahara Foto: APA / AFP / Angelos Tzortzinis IHRE MEINUNG Schreiben Sie uns unter leserbriefe@furche.at Lieber Alexander! Von Brigitte Quint Nr. 16, Seite 4 Es fehlen mir die passenden Worte, um Brigitte Quint für ihren Brief an Alexander zu danken. Manfred Heissenberger via Mail wie oben Der Artikel von Frau Quint hat mich betroffen gemacht. Ich frage mich, ob ich immer mit offenen Augen meine Umgebung wahrnehme. Ob ich nicht ausschließlich mit meinen Angelegenheiten beschäftigt bin, oder vielmehr mit dem, was ich für meine Angelegenheiten halte. Ja, es muss Menschen gegeben haben, die es gewusst haben und die geschwiegen haben. Weil sie meinten, es ginge sie nichts an, weil sie keine Probleme haben wollten. Oder Menschen, die etwas geahnt haben, diese Ahnung aber wegwischten. Leichtfertig, unachtsam, eben weil es nur eine Ahnung war, die sich rasch verflüchtigt im schnelllebigen Alltag. So will ich nicht sein. Sollte ich einmal einer Situation gegenüberstehen, die offene Augen, Mut und Herz erfordert, hoffe ich, das alles zur Verfügung zu haben. Karl Wagner 2362 Biedermannsdorf wie oben Herzlichen Dank für den wunderbaren Brief an Alexander. Es ist wirklich traurig und eigentlich unvorstellbar, dass niemand dieses Martyrium bemerkt hat. Nachbarn, Lehrer, Mitschüler, Verwandtschaft ... Alexander hatte offensichtlich zu niemandem ein Vertrauensverhältnis aufbauen können, um sein Leid wenigstens ansatzweise zu schildern. Nun hoffe ich auch, dass die schrecklichen Wunden geheilt bzw. gemildert werden durch geschulte, empathische Fachleute. Wir müssen wachsam und aufmerksam hinsichtlich des Leides in unserer nächsten Umgebung sein! Abschließend möchte ich Brigitte Quint für alle ihre Artikel in der FURCHE danken. Ich lese ihre Beiträge immer. Weiterhin eine gute Feder! Christine Oppitz via Mail Hinüberreichen in den Anderen Von Peter Strasser Nr. 16, Seite 2 Ich widerspreche Peter Strassers Rede vom „Umgehen mit dem absolut Bösen“ und argumentiere: Wenn es das Böse als „absolut Böses“ geben sollte, dann kann man mit ihm per definitionem nicht „umgehen“. Denn „Umgehen mit etwas“ setzt voraus, dass man außerhalb bzw. über dem „Absoluten“ einen Standort hätte. Und: Die Bitte von Jesus am Kreuz um Vergebung war nur möglich, weil sie „nicht wussten, was sie tun“. 4 Das Thema der Woche Wieder gut? 18. April 2024 N „ Die Gesellschaft fordert deine Absolution ein. Das Opfersein hat ein Ablaufdatum. Dabei ist dein Leid ein Symbol für eine Dysfunktionalität in unserem Zusammenleben. “ Staub aus der größten Trockenwüste der Welt: Immer wieder gelangt er nach Europa, vor allem im Frühjahr und im Herbst, wenn der aufgewirbelte Staub durch starke Winde tausende Kilometer nach Norden getragen wird. In Mitteleuropa trafen die Grüße aus der Sahara heuer rund um die Osterzeit ein. Nun sorgten sie in Griechenland für ein Naturspektakel der anderen Art: Riesige Wolken tauchten die Landschaft in eine surreale Stimmung. Der orangerote Himmel sorgte für eine schummrige Atmosphäre – futuristisch, bedrückend, für manche auch romantisch. Über das südliche Griechenland kam der Sand nach Athen und legte sich über Häuser, Bäume, Autos. Auch die Akropolis erschien plötzlich in neuem Licht. Touristen wie Einwohner zückten Smartphones und Fotoapparate – oder griffen auf FFP2-Masken zurück. Denn die Partikel in der Luft belasteten besonders die vulnerablen Bevölkerungsgruppen. Wegen Husten, Kurzatmigkeit und Brustschmerzen mussten mehr Menschen in den Notaufnahmen der Krankenhäuser behandelt werden. (mt/dpa) Nächste Woche im Fokus: Damit ist aber gerade nicht ein „radikal“ bzw. „absolut Böses“ gemeint. Pfarrer Peter Mathei via Mail Bis Putin die Party crashte Von Wolfgang Machreich Nr. 14, Seite 6 In dem von Ihnen verfassten Artikel steht der Satz: „Bereits Russlands Angriffe auf Georgien 2008 und die Krim 2014 wurden von russischer Seite, trotz beträchtlicher Unterschiede, als Blaupausen zur NATO im Kosovo dargestellt.“ Der Begriff Blaupause taucht in letzter Zeit in Texten immer wieder auf. Es würde mich interessieren, warum anstelle einer klaren Aussage plötzlich ein Begriff verwandelt und nicht in der ursprünglichen Bedeutung, sondern als eine Art Platzhalter verwendet wird. Ich verbinde mit dem Begriff ein (längst veraltetes) Verfahren der Planvervielfältigung, daher mein Interesse. Dennoch möchte ich mich als langjähriger Leser der FURCHE für die ausgezeichnete Qualität und die Vielfalt der Beiträge bedanken – und sagen, dass die Blaupause nicht das wesentliche Thema ist. Georg Übelhör 1030 Wien Bei den EuroMillionen Ziehungen vom 23. und 26. April gibt es exklusiv in Österreich insgesamt 5 Millionen Euro extra zu gewinnen SuperBonus bringt 50 mal 100.000 Euro extra EuroMillionen startet mit einem besonderen Bonus in die Frühlingssaison, nämlich mit dem ÖsterreichSuperBonus. Und das bedeutet: Unter allen in Österreich mitspielenden EuroMillionen Tipps, die an zumindest einer der Ziehungen vom 23. bzw. 26. April teilnehmen, werden 50 mal 100.000 Euro verlost. Die Zusatzausspielung gilt exklusiv für Österreich und ist unabhängig vom „normalen“ ÖsterreichBonus, der mit ebenfalls 100.000 Euro in jeder Runde österreichweit verlost wird. Egal wie sehr den EuroMillionen Fans des Landes das Glück bei den Ziehungen hold ist, eines ist somit sicher: Es wird am 26. April 50 zusätzliche Gewinner:innen von 100.000 Euro geben. Die gewinnbringenden Quittungsnummern werden unter anderem auf win2day.at, im ORF-Teletext und in den Annahmestellen bekannt gegeben. EuroMillionen kann man in allen Annahmestellen der Österreichischen Lotterien sowie auf win2day.at und über die Lotterien App spielen. Entweder per Normalschein, Quicktipp, mit System, mittels Anteilsschein, Team Tipp oder per EuroMillionen Abo. SuperBonus bringt 50 mal 100.000 Euro extra Foto: © Peter Svec/Österreichische Lotterien IN KÜRZE GESELLSCHAFT ■ Redewettbewerb: Sag’s multi! RELIGION ■ Synagogen in NÖ, Burgenland GESELLSCHAFT/BILDUNG ■ Vollzeit häufig unmöglich MEDIEN ■ Max Dasch (1946–2024) „Mitbestimmen, mitgestalten – Meine Stimme, mein Tun“: Zu diesem Thema präsentieren Jugendliche beim 15. ORF-Redewettbewerb „SAG’S MULTI“ ihre Gedanken, und das mehrsprachig. Dieses Jahr wechselten die Teilnehmenden in ihren Vorträgen zwischen Deutsch und insgesamt 38 anderen Sprachen. Das Event erlaubt es jungen Menschen nicht nur, ihre Meinungen mitzuteilen, sondern auch die Vorzüge von Mehrsprachigkeit unter Beweis zu stellen. Eine Jury bewertet die Beiträge nach Inhalt, Auftritt sowie sprachlichen Kriterien. Die Finalrunde endet diesen Freitag, die Ehrung der Siegerinnen und Sieger folgt im Juni. Nach umfassender Renovierung und Adaptierung zu einem Kulturzentrum präsentiert sich die ehemalige Synagoge in St. Pölten – ein 1913 entstandenes Jugendstiljuwel der Architekten Theodor Schreier und Viktor Postelberg – in neuem Glanz. Das während der Novemberpogrome 1938 schwer beschädigte Gebäude war 1980/84 erstmals restauriert worden. Auch die 1938 ebenfalls verwüstete und 2022 vom Land Burgenland renovierte Synagoge im mittelburgenländischen Kobersdorf öffnet wieder mit einer Reihe von Konzerten, Theateraufführungen und Workshops mit einem Schwerpunkt auf jüdischer Geschichte und Kultur. Nur für rund die Hälfte der Kinder gibt es im Kindergarten eine Betreuung, die Eltern eine Vollzeitberufstätigkeit ermöglicht. Das zeigt der erste Monitoringbericht zur Elementarbildung der Statistik Austria. Voraus setzungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind Öffnungszeiten von mindestens 45 Stunden pro Woche von Montag bis Freitag sowie 9,5 Stunden an mindestens vier dieser Tage und ein Mittagessensangebot. In Wien erfüllen 91 Prozent der Kindergartenplätze diese Voraussetzungen, in Oberösterreich und Niederösterreich nur je ein Viertel. Besonders schwierig ist die Situation für Alleinerziehende. Der Eigentümer, Verleger und Herausgeber der Salzburger Nachrichten (SN) verstarb im 78. Lebensjahr. Daschs Vater gründete 1945 gemeinsam mit Gustav Canaval die SN als eine der ersten Tageszeitungen nach dem Kriegsende. Sohn Max Dasch, der ab 1977 Gesellschafter der SN war, baute das Regionalblatt zu einer österreichweiten Qualitätszeitung aus und expandierte deren Verlag sowie deren Druckhaus. „Er hat niemals seine Macht seinen Mitarbeitern gegenüber ausgespielt, er hat keine Geschichten angeordnet und erst recht keine verboten“: So charakterisierte ihn Manfred Perterer, heutiger Chefredakteur der SN.
DIE FURCHE · 17 25. April 2024 Literatur 17 Das Gespräch führte Brigitte Schwens-Harrant Jubiläen bieten immer einen Anlass zur Würdigung, man kann sie aber auch zum Anlass nehmen, genauer hinzusehen und kritisch nachzufragen. DIE FURCHE sprach dazu mit der Literaturwissenschafterin Evelyne Polt-Heinzl. Sie hat sich in vielen Publikationen (zum Beispiel „Ringstraßenzeit und Wiener Moderne. Porträt einer literarischen Epoche des Übergangs“, 2015; „Österreichische Literatur zwischen den Kriegen. Plädoyer für eine Kanonrevision“, 2012) mit dem gesellschaftlichen und politischen Umfeld auseinandergesetzt, in dem Karl Kraus lebte und wirkte. DIE FURCHE: Wir haben uns für dieses Gespräch vorgenommen, Karl Kraus einmal etwas kritischer zu beleuchten. Aber ich würde zuerst doch gerne mit seinen Verdiensten anfangen. Wo sehen Sie sein größtes Verdienst? Evelyne Polt-Heinzl: Er hat das Zeitgeschehen, insbesondere die Medienlandschaft, kritisch beobachtet und begleitet, und seine sprachliche Akribie dabei ist oft bewundernswert. „Die letzten Tage der Menschheit“ etwa sind mit der schonungslosen Montage realer, vor allem medialer Fundstücke ein monumentales Denkmal. Kraus war ja zwangsweise ein Kriegsbeobachter aus dem Hinterland. Seine zentrale Quelle war daher die Kriegsberichterstattung, allen voran die Extraausgaben, die zwar nicht im Ersten Weltkrieg erfunden wurden, aber bei Kriegsausbruch zum Propagandamittel mutierten. Kraus hat diese mediale Begleitmusik des Kriegs mit Verve entlarvt und im bloßen Zitieren gegen den Strich gebürstet. DIE FURCHE: Hatte er einen genaueren Blick als andere, oder war es eher die Verfahrensweise, die ihn besonders hervorhebt? Polt-Heinzl: Es ist sicher einerseits diese Verfahrensweise, zudem hatte er ein besonderes Talent, aus minimalistischen Beobachtungen eine Fundamentalkritik zu entwickeln. Mir fällt etwa dieser Punkt beim Schriftzug an der Fassade des neuen Burgtheaters ein. In diesen Punkt interpretiert er witzig und durchaus schlüssig eine Begründung für den künstlerischen Niedergang der Wiener Theaterkultur hinein. Da gelingen ihm oft Panoramen oder Modellanalysen, die beeindrucken. Freilich greift er mitunter auch Momente heraus, einfach weil sie ihm in seine Agenda passen – und nicht, weil sie repräsentativ wären. DIE FURCHE: Er hat sich bereits in jungen Jahren sein eigenes Medium, „Die Fackel“, geschaffen, das immense Bedeutung bekam. Polt-Heinzl: Ja, er hat mit der Fackel einen eigenen Medienkanal aufgebaut und viele Jahre lang überaus effektiv bespielt. Heute würde man sagen, die Zahl seiner Follower war beeindruckend, er hatte damit im intellektuellen Milieu der Zeit eine enorme Reichweite. Und diese Fackel- Kultur war, ähnlich den Onlineforen unserer Tage, eine Art hermetischer Raum. Elias Canetti, der ja selbst ein begeisterter Krausianer war, hat im Rückblick sinngemäß einmal gesagt, was in Vor 150 Jahren, am 28. April 1874, wurde Karl Kraus geboren. Mit seinem Drama „Die letzten Tage der Menschheit“ hat er sich in die Literaturgeschichte eingeschrieben. Der Schriftsteller und Publizist war ein großer Netzwerker und Förderer, aber auch ein gnadenloser Kritiker, nicht nur der Sprache. „In Grund und Boden geschrieben“ der Fackel nicht drinstand, das konnte nicht wichtig sein, sonst wäre es ja bei Kraus auf irgendeine Weise vorgekommen. Ein bisschen erinnert das an die Blasenkultur auf Social Media heute. Erwartete man ungeduldig die Welterklärung, die jede neue Fackel-Ausgabe zu liefern versprach, dann ergab das einen in sich geschlossenen Kosmos. Was da drinnen stand, das zählte. Und es ist immer eine gewisse Gefahr, dass die Mechanismen dieses Tunnelblicks der damaligen Kraus-Verehrung in der Kraus- Philologie weiterleben. Taucht man in die enormen Textmassen der Fackel ein, ist das Risiko zumindest da, dass man das gesellschaftspolitische Rundum ausblendet, so wie das mitunter den Zeitgenossen passiert ist. DIE FURCHE: Es ist interessant, dass er sich nicht eingliedert in ein bestehendes System (das er ja sehr kritisiert hat), sondern stattdessen ein eigenes kreiert. Polt-Heinzl: Das war nicht unbedingt eine freiwillige Entscheidung. Kraus hat in seinen Anfängen durchaus versucht, an existierende Zirkel und Medien anzudocken, was ihm nicht so recht gelingen wollte. Das kennen wir ja auch aktuell, dass am System gescheiterte Journalisten versuchen, eigene „ Kränkung hat wohl bei vielen seiner Kämpfe – eigentlich waren es oft regelrechte Feldzüge – eine zentrale Rolle gespielt. “ Foto: IMAGO / Heritage Images Karl Kraus Geboren 1874 in Gitschin, Böhmen, machte sich Kraus mit der Fackel und als Sprach- und Kulturkritiker, Satiriker, Publizist und Schriftsteller einen Namen. Er starb am 12. Juni 1936 in Wien. mediale, heute oft digitale Kanäle aufzubauen, und das gar nicht selten mit einigem Erfolg. Der junge Karl Kraus wollte etwa durchaus aktiv in jenem Kreis junger Intellektueller um 1890 dabei sein, der später als „Jung Wien“ bekannt wurde. Das ist allerdings gescheitert und überraschend schnell in eine offene Feindschaft gekippt. Als 1893 Arthur Schnitzlers „Anatol“ erschien, war Kraus begeistert. Er schrieb eine kleine Rezension und wies Schnitzler in der Folge brieflich auf alle Medienberichte hin, in denen dieser namentlich erwähnt wurde. Kraus war ja zeitlebens für Personen, die er schätzte und mit denen er sich nicht zerkrachte, ein eifriger Netzwerker. Und das hat er eben zunächst für „Jung Wien“ versucht. Knapp drei Jahre später hat Kraus dann mit seinem Pamphlet „Die demolirte Literatur“ genau diese junge Bewegung, die zaghaft versuchte, die Moderne nach Österreich hereinzuholen, in Grund und Boden geschrieben. DIE FURCHE: Das klingt sehr nach Kränkung. Polt-Heinzl: Kränkung hat wohl bei vielen seiner Kämpfe – eigentlich waren es oft regelrechte Feldzüge, die er gegen Medien und Personen geführt hat – eine zen trale Rolle gespielt. Die Forschung mag das mitunter so nicht sehen. Stellt man Kraus als großen Moralisten dar, will man nicht unbedingt wahrhaben, dass am Beginn vieler seiner medialen Schlachten oder auch Schlachtungen eine persönliche Kränkung oder zumindest ein persönliches Motiv stand. DIE FURCHE: Er hat offenbar viel Zeit mit Gerichten verbracht, mit juristischen Fehden. Polt-Heinzl: Kraus hat eine eigene Anwaltskanzlei beschäftigt. In seinem Stück „Die Unüberwindlichen“, geschrieben 1927/28, verquickt er zwei seiner großen Fehden miteinander: jene gegen Imre Békessy, Herausgeber des Boulevardblatts Die Stunde, und jene gegen den Polizeipräsidenten Johannes Schober in der Causa Justizpalastbrand 1927. In beiden Fällen hat Kraus mit einer selbstfinanzierten Plakatkampagne reagiert, und dieses Stück widmete er seinem Anwalt Oskar Samek. Das ist kein Zufall. Békessy und Die Stunde haben Kraus über Jahre hinweg mit Klagen und Widerrufsaufforderungen überzogen. Als er das Stück schrieb, war Békessy schon aus Wien verschwunden. Bis heute hält sich die These, dass Kraus’ Plakataktion „Hi naus aus Wien mit dem Schuft“ Békessy vertrieben habe. In Wirklichkeit waren es wohl eher finanzielle Schwierigkeiten. Sein Financier Camillo Castiglioni hatte sein Vermögen unter anderem mit Währungsspekulationen gemacht und war mit der Konsolidierung der europäischen Währungen nach 1924/25 ins ökonomische Trudeln geraten. Freilich ist die Erzählung reizvoll, Kraus habe mit seinem Monatsblättchen Die Fackel den mächtigen Zeitungsmann aus Wien vertrieben, zumal Kraus selbst ja seine Wirkmächtigkeit stets hoch eingeschätzt hat. Aber realistisch ist diese Kausalität letztlich kaum. 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