DIE FURCHE · 17 12 Religion 25. April 2024 Christine Rod Die Ordensfrau der „Missionarinnen Christi“ ist seit 2020 Generalsekretärin der Österreichischen Ordenskonferenz, der Dachorganisation der Männerund Frauenorden im Land. Von Victoria Schwendenwein Sie arbeiten als Richterin, Informatiker, Lehrkraft, Ärztin, Unternehmer oder Kirchenmusiker; ihre Lebensrealitäten sind völlig verschieden, doch eines haben sie gemein: Sie interessieren sich für „christliche Spiritualität“. In regelmäßigen Abständen stecken sie deshalb seit rund zwei Jahren ihre Köpfe zusammen und tauschen sich intensiv aus. Sie diskutieren über den Begriff der Arbeit nach der Regel des Benedikt, schauen sich von Ordensleuten Struktur für den Alltag ab oder setzen sich mit Leidenserfahrungen auseinander. Den Rahmen dafür geben ihnen die Module der Spiritualitätslehrgänge „Führen und Leben“ beziehungsweise „Glauben und Leben“ der österreichischen Ordensgemeinschaften. Deren Generalsekretärin Sr. Christine Rod erklärt: „Menschen sind heute in jedem Fall unbestechlich, was Erfahrungen betrifft. Sie lassen sich nichts vormachen, glauben nichts, was sie nicht selbst erlebt und erfahren haben.“ Lesen Sie auch das Interview mit Sr. Christine Rod vom 18.6.2020, siehe „Vorgeschmack künftiger Hoffnung sein“ auf furche.at. Was heute als „spirituell“ aufgefasst wird, ist oft eine Suche nach Orientierung. Die Ordensgemeinschaften Österreichs wollen hier ansetzen und bieten bereits zum zweiten Mal Lehrgänge zur christlichen Spiritualität an. Lehrgänge als Lernwege Eine kognitive Suche Die beiden Lehrgänge versteht die Ordensfrau unter diesem Gesichtspunkt daher nicht als einen trockenen Theologiekurs, sondern als lebendige Wissensvermittlung. Nach einem erfolgreichen ersten Durchlauf, der heuer endet, startet im Herbst die Fortsetzung. In acht bzw. vier Modulen begeben sich die Vortragenden dann erneut mit den Kursteilnehmern auch auf eine kognitive Suche nach den Spuren des Christlichen im Alltag der Gegenwart. Behandelt werden Themen wie „Jesus und seine Quellen“, „Glauben in der Kirche“, „Kirche in der Welt von heute“, „Glaube ist mystisch und politisch“, „Christliche Lebenskultur“ oder „Leid und Scheitern – Schuld und Versöhnung“. Vielfach gehe es in den Vorträgen, Mediationen und Reflexionen darum, vorhandenes Wissen zu vertiefen und sich dadurch zu vergewissern, wo die eigene Spiritualität verankert ist. „Ich muss ja wissen: Glaube ich an Jesus oder an Buddha“, bricht Rod es beim Gespräch mit der FURCHE in ihrem Büro in Wien herunter. Der Begriff Spiritualität ist in der Vergangenheit Synonym für vieles geworden, was interessant, geheimnisvoll und bereichernd wirkt, über das Alltägliche hinausgeht und dem Leben einen gewissen Zauber verleihen soll. Er ist damit Ausdruck für die Suche nach dem Transzendenten geworden, in der die christlichen Spuren zunehmend auch untergehen. In der Theologie gilt Spiritualität daher auch als „Containerbegriff“, der auffängt, was aus verschiedenen Sinnangeboten und Religionen zusammengetragen und als ansprechend erlebt wird. Kritiker sehen darin eine Art postmoderne Religiosität repräsentiert, der sie auch Beliebigkeit vorwerfen. „ Die Vortragenden begeben sich mit den Kursteilnehmern auch auf eine kognitive Suche nach den Spuren des Christlichen im Alltag der Gegenwart. “ Ein Phänomen, das auch der bekannte tschechische Theologe und Philosoph Tomáš Halík ins Treffen führt. Früher hätten Menschen in einer ganz klaren Glaubenstradition gelebt und seien mit der Frage beschäftigt gewesen, wie sie Gott, dem Glauben und den Ansprüchen der Religion gerecht werden könnten. Heute würden die Menschen eher fragen, wie die eigene Spiritualität persönlichen Bedürfnissen und Sehnsüchten gerecht werden könnte. Glaube, der nicht stehenbleibt Oft sind es die Glaubenstraditionen, wie sie noch von den Großeltern in Erinnerung sind oder wie man sie vielleicht in der eigenen Kindheit gelebt hat, die mit der Zeit nicht mehr zum eigenen Leben zu passen scheinen. Der für zwei Jahre konzipierte Spiritualitätslehrgang „Glaube und Leben“ will dieses Verharren in alten Bildern aufbrechen und Inhalten auf den Grund gehen. Glaube zu verstehen und zeitgemäß zu leben, steht dabei Vordergrund. „Der Glaube wächst ja mit mir mit“, erklärt Rod. Oft würden aber auch jene, die grundsätzlich in den christlichen Traditionen verortet sind, fehlendes Wissen Foto: ÖOK/emw und mangelnde Erfahrung mit der christlichen Spiritualität beklagen. „Bei lebendigem Leib spirituell verhungern“ nennt sie dieses Phänomen. Die Ordensfrau wird auch in der zweiten Auflage der Lehrgänge als Vortragende fungieren. Ihr ist dabei wichtig, den Rahmen zu schaffen, um auch einmal ein Stück aus dem Alltag herauszutreten und ganz neu hinzuschauen. Besonders deutlich werde das auch im etwas kürzer angelegten Lehrgang „Führen und leben“. Menschen, die in Ordenseinrichtungen, anderen kirchennahen Organisationen oder in ganz anderen Bereichen tätig sind, gehen hier der Frage auf den Grund, was sie anleitet. Es sind Personen aus den verschiedensten Branchen, vom Schuldirektor über die Pflegekraft bis zum Leiter einer Klosterbrauerei, die zwar in ihren Berufswelten sehr unterschiedliche Aufgabenbereiche kennen, sich in dieser Frage nach dem Warum, nach dem Sinn hinter ihrer Tätigkeit, aber treffen können. Spiritualität für Führungskräfte In den Seminaren geht es für Menschen mit Führungsverantwortung, Führungserfahrung und Führungsqualifikation auch darum, ihr eigenes Tun im Kontext der Gemeinschaft zu betrachten und ein Gleichgewicht zu erkennen. „Eine wirkliche Balance gibt es nämlich oft nicht“, erklärt Rod. Stichwort: Work-Life-Balance. Es gebe auf der einen Seite diejenigen, die Arbeit als reines Muss sähen, während sie das Leben an Wochenenden oder im Urlaub suchten. Auf der anderen Seite gebe es die Arbeitstiere, die kein anderes Leben mehr wahrnähmen; aber kein Gleichgewicht. Ausgehend von einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit werde in jedem Fall allein durch die reine Stundenanzahl deutlich, dass sich ein gewichtiger Teil des Lebens am Arbeitsplatz abspiele. Balance heiße da auch, zu sagen: „Ja, ich will etwas Sinnvolles, Vernünftiges, Freudvolles tun“, meint Rod. Wie das vor allem in den Herausforderungen der Gegenwart gelingen kann, wird im Lehrgang in vier Modulen beleuchtet. Struktur in den Arbeitsalltag zu bringen, kann man sich dabei von den Orden ebenso abschauen wie den Umgang mit Konflikten. „Die Führungskraft soll der Eigenheit jedes Einzelnen gerecht werden und gleichzeitig doch vorausschauend sein“, erklärt Rod, wie die Regel des Benedikt, auf die sich Ordensgemeinschaften bis heute berufen, Antworten auf Führungsfragen geben kann. Dahinter steht auch die Auffassung, dass christlicher Spiritualität im (Berufs-)Leben ein Raum gegeben werden kann, ohne dass man sich in vermeintlich verlockenden Angeboten verliert. „Persönlich glaube ich, dass christliche Spiritualität ein Wachstumsweg, ein Lernweg, ein Übungsweg ist“, meint Rod. Am besten gelinge das im Austausch mit anderen – schließlich sei Gemeinschaft die Grundbedeutung des lateinischen Wortes Ekklesia (Kirche) und Glaube kein fertig geschnürtes Paket, sondern ein Prozess. „Führen und Leben“ (2024 bis 2025) sowie „Glauben und Leben“ (2024 bis 2026) Bewerbung bis Herbst 2024 Informationen unter: www.ordensgemeinschaften.at Diese Seite entstand in Kooperation mit den Ordensgemeinschaften Österreichs. Die redaktionelle Verantwortung liegt bei der FURCHE.
DIE FURCHE · 17 25. April 2024 Chancen 13 Junge Menschen stellen Ansprüche an ihre Arbeitgeber. Das ist auch gut so, schreibt der Journalist David Gutensohn in seinem neuen Buch „Generation Anspruch“. Warum Überstunden überflüssig sind, Leistung und nicht Präsenz zählen sollte und Konsum unglücklich macht. „Wir sind nicht faul“ Von Manuela Tomic habe miterlebt, wie meine Mutter sich als Pflegerin kaputtgearbeitet hat“, schreibt „Ich David Gutensohn in seinem neuen Buch „Generation Anspruch“. Schon zu Beginn des Buchs wird klar: Der Zeit-Journalist möchte etlichen Glaubenssätzen, die vergangene Generationen über die Bedeutung der Arbeit geprägt haben, ein Ende setzen. Und er möchte es sich nicht länger gefallen lassen, dass seine Generation, er ist 30 Jahre alt, als weichgespült gelte, nur weil sie Forderungen an ihren Job stellt. Dass Arbeit längst nicht alles im Leben junger Menschen ist, zeigt sich auch an dem Phänomen „Quiet Quitting“. Dieses „stille Kündigen“ bedeutet, man erledigt in der Arbeit nur das Allernotwendigste und lässt sich nicht durch sie definieren. Diese Einstellung provoziert selbstverständlich jene, die ihre Person mit ihrer Rolle in der Arbeit gleichsetzen und gerne Überstunden machen, um ein guter Bürger oder eine gute Bürgerin zu sein. Man will ja nicht als faul gelten, oder? Ideologie und Arbeit Doch Arbeit ist natürlich mehr als das. Gerade für die Generation der Babyboomer, also jene Menschen, die jetzt in Pension gehen, galt der Job auch als sinnstiftend. Nun belegt sogar eine deutschspanische Studie der Universitäten Mannheim und Barcelona, dass Mittel- und Gutverdiener, die in Pension gehen, ein höheres Sterberisiko haben. Ihnen fehlen Anerkennung, soziale Kontakte und der Einfluss auf Entscheidungen. Im Ruhestand wissen sie gar nicht, was sie mit sich anfangen sollen. Nur einer Gruppe geht es in der Pension besser: jenen, die harte körperliche Arbeit verrichtet haben. Sie leben nun gesünder und glücklicher. Doch dass es auch nachfolgenden Generationen so geht wie den Babyboomern, dem will Gutensohn mit den Lösungsansätzen in seinem Buch vorbeugen. „Das Erbe des protestantischen Arbeitsethos schrumpft und verliert für uns an Bedeutung“, schreibt er. Denn in der Idee, es durch viel Arbeit irgendwann besser im Leben zu haben, lag der „letzte ideologisch aufgeladene Funken von Arbeit“. Auch er frage sich: Warum für eine Pension arbeiten, die es vielleicht später gar nicht mehr gibt? Weshalb solle man sich für Erfolge ab arbeiten, wenn die eigene Existenz ohnehin durch den Klimawandel bedroht ist? Gutensohn weitet den Blick, sein Buch erfrischt den 9 to 5-Alltag, und es ist nicht nur etwas für Jobeinsteiger. Und noch eine provokante Aussage findet sich im Buch: „Man kann Überstunden machen und gleichzeitig völlig unproduktiv sein.“ Denn Studien des Karlsruher Instituts für Technologie zeigen etwa, dass die Produktivität nach sieben Stunden Arbeit abnimmt. Doch viele machen trotzdem Überstunden. Hier unterscheidet Gutensohn zwischen sozialen Berufen und Medizinern, die es sich schlichtweg nicht leisten können, nach Hause zu gehen, wenn jemand krank ist oder unerwartet auf dem OP- Tisch liegt, und so manchen Büroarbeitern, die länger bleiben, einfach nur, um aufzusteigen. Und dann gibt es noch jene Menschen, die länger Arbeiten müssen, weil ihre Chefs und Chefinnen ihnen Aufgaben zuteilen, die sie nicht in der vertraglich vereinbarten Zeit erledigen können. Phänomen der Sesselkleber Der Arbeitsrhythmus eines jeden Menschen ist individuell. Daher sieht Gutensohn das Homeoffice als Gewinn. Die einen arbeiten lieber nachts, andere am Wochenende, und andere brauchen viele Pausen, um optimale Produktivität zu erreichen. Mit Überstunden hat das nichts mehr zu tun. „Leistung hat für uns wenig mit Arbeitszeit zu tun, sondern damit, wie viele Aufgaben man schafft und welche Ziele man sich selbst gesetzt hat.“ Sesselkleber könnten somit der Vergangenheit anhören. Ebenso kranke Bürokolleginnen und -kollegen. Denn auch das Phänomen des Präsentismus, also das Zeigen von Präsenz im Dienst, ist Gutensohns Generation „völlig fremd“. „Nur weil unsere Eltern und Großeltern mit einer Bronchitis ins Büro oder mit Regelschmerzen zum Dienst gegangen sind, heißt das noch lange nicht, dass wir das auch tun müssen.“ Diskutiert wird auch über Sabbaticals, Menstruationsurlaub und Krankenstände aufgrund psychischer Krankheiten. All das, so Gutensohn, sollte in der neuen Arbeitswelt transparent und selbstverständlich diskutiert werden. „Wir fordern schlichtweg Arbeit, die nicht krank macht. Und das ist nicht zu viel verlangt.“ „ Leistung hat für uns wenig mit Arbeitszeit zu tun, sondern damit, wie viele Aufgaben man schafft und welche Ziele man sich selbst gesetzt hat. “ Nicht nur Überforderung, auch Unterforderung kann ein Problem werden. Viele Angestellte leiden am sogenannten Bore- out- Syndrom. Der Psychologe John D. Eastwood definiert Langeweile als „unbefriedigtes Bedürfnis nach einer befriedigenden Tätigkeit“. Vor allem jene Menschen sind davon betroffen, denen ein zufriedenstellender Job, zum Beispiel aufgrund struktureller Benachteiligung, verwehrt wird. Auch das kann Stress und psychische Störungen auslösen. Der Philosoph David Graber hat dafür den Begriff der „Bullshitjobs“ geprägt. Weltweit stecken Der Sinn im Job Viel Geld am Konto? Zeit mit der Familie? Intakte Umwelt? Keine Sorgen? Was ist Wohlstand? Mit Daniela Brodesser, Patrick Kaczmarczyk, Fred Luks und Carmencita Nader Podiumsdiskussion der ksœ – Katholische Sozialakademie Österreichs 23. Mai 2024, 19:00 Dr. Ignaz-Seipel-Platz 1, 1010 Wien Anmeldung und Infos: www.ksoe.at Foto: Pixabay Gerade für die Generation der Babyboomer galt der Job auch als sinnstiftend. Junge Menschen möchten der Arbeit jedoch nicht mehr alles unterordnen, sagt Gutensohn. Millionen Menschen in solchen Jobs. Doch diese könnten bald von Künstlicher Intelligenz ersetzt werden, schreibt Gutensohn. Denn schon heute kann die KI schreiben, programmieren und vieles mehr. Der Autor sieht dies aber nicht als Bedrohung, sondern als Chance an. In Zeiten des Fachkräftemangels könne dadurch enormes Potenzial frei werden. Die Künstliche Intelligenz könnte in Zukunft Bullshitjobs übernehmen, Burn-outs verhindern und dafür sorgen, dass Unternehmen, die kein menschliches Personal finden, trotzdem wachsen können, schreibt Gutensohn. „Eine Welt, in der Menschen weniger, aber besser arbeiten, scheint möglich.“ Und auch in dieser Welt bleibe genug Arbeit übrig, weil ohnehin viele in den Ruhestand gehen und andere wiederum umgeschult werden. Er führt hier das „Recht auf Weiterbildung“ an, das es in Österreich gibt, und sieht dieses auch als gutes Modell für Deutschland. Konsum und Alltag Es wäre übertrieben, weltweit von einer neuen Arbeiterbewegung zu sprechen, aber es gibt sie, schreibt Gutensohn. Auch das Phänomen „Tangping“, also die Weigerung junger Chinesen und Chinesinnen aus der Mittel- und Unterschicht, sich ins Zeug zu legen, um die soziale und wirtschaftliche Leiter zu erklimmen, beweist ein internationales Umdenken. Und diese Bewegungen fußen vor allem auf Kapitalismuskritik. Denn wenn Menschen arbeiten, um sich immer mehr Produkte leisten zu können, die sie am Ende ohnehin nicht glücklich machen, führe das nirgendwo hin, schreibt Gutensohn. „Zu sehen ist ein Aufbegehren gegen vorhandene kapitalistische Strukturen und Denkmuster. Überall auf der Welt sagen junge Menschen: Stell dir vor, es ist Kapitalismus, und keiner geht hin.“ Generation Anspruch Von David Gutensohn oekom 2024 192 S., kart., € 23,50 Anzeige-ksoe-Furche-2.indd 3 11.04.24 08:05
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