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DIE FURCHE 25.01.2024

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DIE FURCHE · 4 6 International 25. Jänner 2024 FORTSETZUNG VON SEITE 5 Tatsächlich ist die Forderung nach weniger Asylbewerbenden längst ein Konsens, der bis weit in die Mitte der niederländischen Gesellschaft reicht. Vielleicht ist er selbst zur Mitte geworden, denn bei einer Umfrage kurz vor den Wahlen befürworteten dies 80 Prozent der Teilnehmenden. Inzwischen weiß man, dass die PVV vor allem aus diesem Grund gewählt wurde. Gut 24 Prozent bekam sie landesweit, in der Kommune Westerwolde, zu der Ter Apel zählt, waren es 33 Prozent, in vier der fünf Wahlbüros des Dorfes mehr als 40 Prozent. Rechtswählen habe durchaus Tradition in Ter Apel, erzählt Maarten Winkel, ein Mitarbeiter der Kommune, der 20 seiner 30 Lebensjahre hier verbracht hat und nach dem Studium aus Groningen zurückkam - „aber nicht so wie diesmal!“ Auf dem Marktplatz preist der Fisch-Schreier seine Ware an, vom Hühner-Grill ziehen Schwaden herüber. Das Wahlergebnis zeugt von der frontier-Mentalität, in der sich Ter Apel eingerichtet hat. Die Atmosphäre im Dorf ist angespannt, immer wieder kommt es zu Ladendiebstählen durch Bewohnerinnen und Bewohner des Anmeldezentrums, auch von Einbrüchen wird berichtet. Maarten Winkel sagt: „Ich bin froh, dass ich hier keinen Laden betreibe.“ KLARTEXT Fotos: Tobias Müller Lesen Sie den Text „Debatte um Asylzentrum in Kindberg: „Ich will keine neuen Nachbarn“ von Tobias Kurakin (21.12.22) auf furche.at. Der Reiz des Unsittlichen „Stehlt, verschwindet im Nichts“ Viele, mit denen man rund um das Einkaufszentrum am Marktplatz spricht, berichten auch von Fällen sexueller Belästigung durch junge Asylbewerber gegenüber Mädchen und Frauen aus dem Dorf. Das Ehepaar Mossing Holsteijn etwa, um die 50, beide haben PVV gewählt. „Nicht, weil Wilders so phantastisch ist, sondern weil das Problem gelöst werden muss.“ Sie sind der Meinung, „richtigen Flüchtlingen“ müsse ein sicherer Hafen geboten werden, und die Probleme würden nur von „einer kleinen Gruppe aus sicheren Herkunftsländern“ verursacht. „Aber darunter leiden auch die Guten“, erzählt der Mann vor dem Eingang zu einem Discount-Supermarkt. Wie das geschieht, zeigt sich schon in der Sprache: Der abschätzige Begriff „Glückssucher“ bezieht sich im niederländischen Diskurs ursprünglich auf Asylbewerbende, die aus vermeintlich sicheren Ländern stammen und nach dem Gros der öffentlichen Meinung keinen Anlass zur Flucht haben. Langsam aber wurde der Ausdruck zum Synonym für alle Asylsuchenden und zur Rechtfertigung einen „Asylstop“ zu fordern. Wie die Einstellung auf persönlicher Ebene geprägt wird, zeigt die Selbstanalyse von Meneer Mossing Holsteijn: „Wenn du oft hierher zum Einkaufen kommst, werden deine rassistischen Gefühle enorm verstärkt.“ Es ist ein diffuses Klima, dass in Ter Apel um sich greift, eine Mischung aus Angst, Empörung, Hetze und dem Gefühl zu kurz gekommen zu sein. Das Dorf ist nicht wohlhabend und strahlt das auch aus. Als in den 1990er Jahren eine Spielefabrik und ein Munitionsdepot der NATO die Türen schlossen, kostete das Hunder- Von Julia Mourão Permoser Das heurige Jahr 2024 wird bekanntlich ein „Superwahljahr“: 3,5 Milliarden Menschen werden weltweit neue Regierungen oder neue Staatsoberhäupter wählen. Was wie eine gute Nachricht für die Demokratie klingt, kann sich allerdings als das genaue Gegenteil entpuppen. Denn momentan liegen in vielen Ländern Parteien beziehungsweise Politiker mit autoritären Tendenzen in den Umfragen vorn. In Deutschland führt die AfD bei drei wichtigen Regionalwahlen in den Umfragen und könnte bundesweit die wichtige 30-Prozent-Marke erreichen – trotz der kürzlich enthüllten Aussagen über „Remigration“, die hunderttausende Menschen auf die Straße trieb. In den USA führt Donald Trump die Umfragen, trotz zahlreicher Gerichtsverfahren und trotz seines Versprechens, einen Tag lang „wie ein Diktator“ regieren zu wollen. Und auch hierzulande erweisen sich viele von Herbert Kickls Aussagen und Vorschlägen als unvereinbar mit geltenden Rechtsnormen und der politischen Sittlichkeit. Wieso werden Politiker für diese Art gewissenloser Demagogie nicht bestraft, sondern im Gegenteil von ihrer Wählerschaft sogar bejubelt? In „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ beschreibt Hannah Arendt, wie in einem Kontext, in dem sich Menschen von „Mainstream“-Parteien vernachlässigt fühlen, politischer Zynismus als befreiend empfunden werden kann. Es geht nicht mehr darum, was gesagt wird, sondern darum, ein Spektakel daraus zu machen, abseits der traditionellen Politik und ihrer Konventionen zu stehen. Die Unsittlichkeit hat ihren Reiz in der Ablehnung der Norm. Sie ist kein Mittel zum Zweck, sondern ein Zweck an sich. Aber welche Lehre ist anno 2024 daraus zu ziehen? Am ehesten jene, dass das Aufzeigen des Tabubruchs zu wenig ist. Was es braucht, ist vielmehr eine mutigere Politik der „Mitte“: Eine Politik, die marginalisierte Menschen ernstnimmt und die Utopien wagt. Aber solche innerhalb der demokratischen Rechtsordnung – und nicht jenseits. Die Autorin ist Professorin für Migration und Integration an der Donau Universität Krems. Mitnichten erwartet Geflüchtete in Ter Apel eine Willkommenskultur. Vor allem Ressentiments brechen sich in dem Ort, nahe der deutschen Grenze, Bahn. Am strukturschwachen Rand der Provinz Groningen leben Schutzsuchende am Rande der Gesellschaft. Ihre Anwesenheit ist längst zum Politikum geworden. te Arbeitsplätze. Damals war das Anmeldezentrum ein willkommener Ersatz. Heute klagt Meneer Mossing Holsteijn: „Sie laden alle hier im Norden ab“, und es ist klar, wen sie meint. Welche Blüten diese Stimmung treibt, lässt sich kurz vor Jahresende auf bei einer Facebook- Gruppe sehen, die sich „Nachbarschafts-Alarmbereitschaft Ter Apel“ nennt und 8700 Mitglieder hat. „Stille Nacht, heilige Nacht, Ausländer nicht verwacht, der für Tausende stehlen wird, wird gedropt im COA-Stall, lässt sich in Ter Apel nieder“, reimt dort jemand. Weiter geht es so: „Stehlt wieder ein Fahrrad, verschwindet im Nichts, schick sie zurück, und zwar schnell. Komm, Den Haag, tu schnell etwas dagegen, dann können wir wieder schlafen gehen. Lasst Ter Apel in Ruhe!“ „ Wenn du oft hierher zum Einkaufen kommst, dann werden deine rassistischen Gefühle verstärkt. “ Meneer Mossing Holsteijn Rund um das Einkaufszentrum patrouillieren inzwischen nicht nur ein gewerblicher Sicherheitsdienst in schwarzen Uniformen und einer der Kommune in dunkelgrauen, sondern auch eine Art Bürgerwehr, die sich „Nachbarschafts-Präventionsteam“ (abgekürzt BPT) nennt. Landesweit bekannt wurde sie durch mehrere gewalttätige „Verhaftungen“ vermeintlicher Diebe. An diesem Nachmittag sind die Patrouillen unauffindbar. Ein Mann mittleren Alters, der aus einem Discount-Supermarkt kommt, zückt hilfsbereit sein Telefon. „Ich kenne jemand vom BPT.“ Doch der Anruf bringt nichts ein. „Sie wollen nicht mit Medien reden“, bedauert er. „Da werden Dinge verdreht, und so entsteht ein seltsamer Eindruck.“ Der Gründer der Bürgerwehr heißt Harry Siemers und hat bereits für die örtliche PVV kandidiert. Auf der Partei-Website schreibt er, dies sei „aus Mangel an Polizei in unserer Gemeinde“ geschehen. Dass das ganze Land nach Ter Apel blickt, diesen Eindruck haben die Mossing Holsteijns nicht: „Wäre das doch so!“, seufzt der Mann. Wie so viele hier fühlt er sich eher im Stich gelassen, als in den Fokus gerückt. Dabei steht Ter Apel, das randständige Groninger Dorf, tatsächlich im Zentrum – und zwar eines immer rabiateren Asyl-Diskurses. Es ist ein argumentatives Faustpfand der Rechtspopulistinnen und Rechtspopulisten, um die Grenzen zu schließen, und eine Projektionsfläche für die Angst jener, die sie wählen. „Auch in ihrer Nachbarschaft werden ausländische Eindringlinge untergebracht“, warnt Wilders. „Unser ganzes Land wird vollgestopft.“ Schon seit der Flüchtlingskrise von 2015 mobilisiert er zum „Widerstand“ gegen Asylwohnheime - eine Saat, die jetzt aufgeht. Abschottung als Ausweg? Aktuell schießt die PVV gegen ein Gesetz, mit dem Menschen im Asylverfahren obligatorisch über das ganze Land verteilt werden. Kommunen können dann verpflichtet werden, sie aufzunehmen. „Schon 150 Auffang- Orte für Asyl-Profiteure. Und es werden noch viel mehr“, warnte Wilders schon im Herbst. Auch die anderen Parteien, mit denen die PVV derzeit Koalitionsgespräche führt, wollen dies am liebsten rückgängig machen: die konservativen BoerBurgerBeweging (BBB) und Nieuw Sociaal Contract (NSC). Die liberal-rechte Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD), als einzige schon in der bisherigen Regierung, ist intern gespalten. Vor den Wahlen hat das Parlament das Gesetz angenommen und am Anfang des Jahres nun auch der Senat, in dem die nun verhandelnden Rechts- Parteien keine Mehrheit haben. Der Protest, der sich immer wieder dagegen in zahlreichen Kommunen regt, erinnert nicht zuletzt auch an die Europäische Union. Auch hier erweist es sich, allen politischen Prozessen zum Trotz, seit Jahren unmöglich, Geflüchtete solidarisch und gleichmäßig über die Mitgliedsländer zu verteilen. Als Ergebnis fühlen sich die Ankunftsländer mit ihren Problemen überfordert und alleine gelassen, und ihre Bevölkerung wählt Parteien, die davon reden, die Mauern höher zu ziehen oder die Grenzen weiter nach außen zu verlegen. Als einziger gemeinsamer Nenner bleibt dann die Abschottung – in Ter Apel, den Niederlanden und Europa.

DIE FURCHE · 4 25. Jänner 2024 International 7 „Die Sicherheit Österreichs beginnt am Westbalkan“, heißt es oft. Umso wichtiger ist die Auseinandersetzung mit nationalistischen Gruppierungen – in Kroatien und Serbien selbst wie auch in der Diaspora. Ein Überblick vom Zweiten Weltkrieg bis heute. Die Ustascha und andere Extreme Von Hikmet Karčić und Dennis Miskić Im Mosaik der europäischen Politik ruft der Begriff „extreme Rechte“ oft Bilder von Faschismus und Nationalsozialismus hervor. Im Westbalkan jedoch nimmt dieser Begriff Dimensionen an, die sich einer einfachen Kategorisierung widersetzen. Die Region, mit ihrer komplexen Geschichte und kulturellen Vielfalt, präsentiert eine Erzählung, die sich erheblich von der restlichen europäischen und amerikanischen unterscheidet. In Kroatien und Teilen von Bosnien-Herzegowina ist die rechtsextreme Landschaft stark durch den historischen Schatten der Ustascha-Bewegung geprägt. Verbündet mit den Nazis während des Zweiten Weltkriegs war die Ustascha für ihre brutale Kampagne gegen Serben, Roma und Juden bekannt. Die jugoslawischen Behörden mit General Josip Broz Tito an der Spitze versäumten es, sich mit diesen Verbrechen auseinanderzusetzen. Unter der Idee von Bratsvo i jedinstvo (zu deutsch „Brüderlichkeit und Einheit“) wurde stets die Notwendigkeit der Solidarität unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit unterstrichen. Es sollte die Einheit im sozialistischen System fördern. So konnten die sechs Teilrepubliken – bestehend aus Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Serbien, Montenegro und Mazedonien – friedlich zusammenleben. Abtrünnige Kommunisten und Nationalisten, die sich gegen die jugoslawische Einheit aussprachen, wurden auf die Gefängnisinsel Goli Otok verbannt. Die zerrissene Region Foto: akg-images / picturedesk.com Ustascha in Banja Luka Das Foto aus 1941 zeigt die neugebildete kroatische Heimwehr nach dem Beginn des deutschen Feldzugs gegen Jugoslawien und Griechenland ab 6. April 1941. Der unterdrückte Groll und ignorierte Spannungen dienten schlussendlich als Treiber für den Konflikt, der in den 1990er Jahren ausbrach und die Region zerriss. Kroatische Nationalisten griffen Symbole, Sprache und einen Großteil der Ideologie der Ustascha wieder auf. Mit dem Ende des Krieges begann Kroatien seinen Weg nach Europa und schien zuweilen bereit zu sein, mit der Vergangenheit umzugehen. Trotzdem ist die Beliebtheit der extremen Rechten und ihrer Symbole nicht vollständig verschwunden. Vor allem bei Fußballspielen wird das deutlich. Obwohl es verboten ist, nehmen Nationalmannschaftsfans sogar Strafen auf sich, um bei Matches eine Ustascha- Fahne zu schwenken oder verherrlichende Lieder zu singen. Bei offiziellen Feierlichkeiten darf auch der Rocker Marko Perković alias Thompson nicht fehlen. In seinen Songs bezieht er sich häufig auf kroatischen Ultranationalismus. Sogar in Wiener Cafés mit überwiegend kroatischem Klientel kommt niemand an seinen Liedern vorbei. Und Graffitis der Ustascha-Zeichen (ein „U“ mit einem Kreuz oder der kroatischen Flagge in der Mitte) sind in bestimmten Teilen Wiens häufig anzutreffen. Es ist nicht nur eine Frage des historischen Reenactment, der Wieder-Inszenierung von Geschichte; es ist eine lebendige Ideologie, die weiterhin den politischen und sozialen Diskurs in der Region beeinflusst. Die anhaltende Präsenz von Ustascha-Symbolen, sei es in Form von Graffitis oder von Gesängen während Fußballspielen, unterstreicht auf beunruhigende Weise die Fortführung einer Verbindung zur Vergangenheit. Die serbische Rechte malt freilich ein anderes Bild. Im Gegensatz zu ihren kroatischen Kollegen schöpfen serbische Nationalisten keine Inspiration aus dem nationalsozialistischen Deutschland oder dem italienischen Faschismus. Stattdessen wird ihre Ideologie von einem tief verwurzelten anti-muslimischen Sentiment geprägt – ein Erbe der jahrhundertelangen osmanischen Herrschaft. So erinnerten bosnisch-serbische Generäle während des Bosnienkrieges daran, dass es bei ihren Verbrechen lediglich um „Rache an den Muslimen“ ginge. Diese Perspektive ist auch zutiefst anti-westlich und anti-kroatisch und spiegelt die historischen Spannungen mit diesen Gruppen wider. Zentral ist für sie die Kosovo-Frage. Das seit 2008 unabhängige Land wird bis heute als heiliges Land betrachtet, das ihnen unrechtmäßig genommen worden sei. Der Kosovo und die „Verräter“ In Wahlkämpfen wird anstatt von Inflation daher eher über den Kosovo gesprochen. Damit wollen nationalistische Politikerinnen und Politiker das Land weiter polarisieren. Wer im öffentlichen Diskurs die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennt, wird als „Verräter“ des serbischen Volkes gesehen. Diese Haltung, zusammen mit einer starken orthodox-nationalistischen und pro-russischen Ausrichtung, definiert die serbische extreme Rechte. Die Erzählungen historischer Unzufriedenheiten, einige real und andere eingebildet, bilden das Rückgrat dieser Ideologie. Es ist eine komplexe Mischung, die sie von typischen extrem rechten Bewegungen in Europa und Amerika abhebt. Im Gegensatz dazu ist in der bosniakischen (bosnisch-muslimischen) Gemeinschaft die extreme Rechte auffallend abwesend. Trotz Bedenken hinsichtlich des muslimischen Extremismus in der Region halten sich die Bosniaken größtenteils nicht an Ideologien, die der extremen Rechten ähnlich sind. Stattdessen erscheint die von serbischen und kroatischen extrem rechten Gruppen oft propagierte Erzählung des Extremismus eher als ein Werkzeug zur Rechtfertigung ihrer Ideologien. Dabei werden Bosniaken vor allem als muslimische Bedrohung dargestellt. Klar wird dadurch jedenfalls eines: Rechtsextremismus auf dem Westbalkan kann nicht einfach mit seinen europäischen und amerikanischen Gegenstücken in einen Topf geworfen werden. Es handelt sich um eine einzigartige Mischung aus historischen Ressentiments, kulturellen Identitäten und politischen Ideologien. „ Bei der großen Anzahl von Menschen mit Migrationshintergrund aus Ex-Jugoslawien braucht es insbesondere an den Schulen eine ehrliche, faktenbasierte Aufarbeitung. “ In Kroatien wirft die Ustascha weiterhin lange Schatten, während in Serbien die extreme Rechte von historischen und kultureller Faktoren geformt wird. Das Verständnis dieser Landschaft ist entscheidend für jeden, um das komplexe politische Gelände des Westbalkans zu navigieren. Es handelt sich um eine Region, in der Geschichte nicht nur eine Angelegenheit der Vergangenheit ist, sondern eine lebendige Kraft, die weiterhin die Gegenwart und Zukunft formt. Diese Kraft lebt auch in der Diaspora weiter. Oftmals geprägt durch den Diskurs in der vermeintlichen Heimat und Erzählungen im Elternhaus werden nationalistische Parolen unreflektiert weitergetragen. Die Aufklärung zu diesen Themen läuft nicht Lesen Sie auf furche.at unter „Die umstrittene Vergangenheit“ (3.4.86) über den Prozess gegen Ustascha- Innenminister Artuković. gerade einfach. Uneinheitliche Geschichtsschreibungen in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens bieten keine gute Basis für eine ehrliche Auseinandersetzung. Der mangelnde Wille, diese Themen in österreichischen Schulen zu behandeln, macht es für die zweite Generation fast unmöglich, aus den Erzählungen der Eltern herauszubrechen. Dodik als steter Gast der FPÖ Auch Teile der österreichischen Politik scheinen zu den Nationalisten am Westbalkan beste Verbindungen zu pflegen. Der wohl bekannteste bosnisch-serbische Nationalist, Milorad Dodik, ist regelmäßiger Gast der FPÖ in Österreich. Dabei bilden die nicht-christlichen Bosniaken und Albaner das gemeinsame Feindbild. Für die in Österreich wahlberechtigte Diaspora werden diese Treffen groß angekündigt. Für viele in der zweiten Generation ist es schwierig, nationalistische Erzählungen als solche zu erkennen. Es sind nämlich Narrative, die in fast allen Haushalten von klein auf weitergegeben werden, um die eigene Geschichte zu rechtfertigen. Bei der großen Anzahl von Menschen mit einem Migrationshintergrund aus dem ehemaligen Jugoslawien braucht es genau deswegen – insbesondere in den Schulen – eine ehrliche und faktenbasierte Aufarbeitung. Hikmet Karčić ist ein Genozidund Holocaustforscher aus Sarajevo, Bosnien und Herzegowina. Er forscht zu Genozidleugnung und der Prävention von Gräueltaten. Dennis Miskić ist ein freier Journalist mit Schwerpunkt auf Nationalismus, Rechtsextremismus und Erinnerungskultur in Südosteuropa.

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