DIE FURCHE · 4 24 Ausstellung 25. Jänner 2024 Von Theresa Steininger Knöchrige Hände, Gesichtsausdrücke, die tief blicken lassen, und all das einmal mit expressionistischen, einmal mit kubistischen oder futuristischen Stilmitteln – oder auch mit allen in Kombination. Die Gemälde Max Oppenheimers heben sich von jenen anderer Künstler und Künstlerinnen seiner Zeit ab und lassen doch auf Vorbilder wie Rembrandt oder El Greco und auf Weggefährten wie Egon Schiele schließen. Eine umfassende Ausstellung im Leopold Museum zeigt ihn als Expressionisten der ersten Stunde. Es ist die bisher größte Retrospektive zu seinem Schaffen hierzulande, die einen wichtigen Künstler aus der Zeit von Gustav Klimt, Egon Schiele und Oskar Kokoschka aus der Vergessenheit holen möchte. Apropos Schiele: Dass er nicht nur fast gleichzeitig mit Oppenheimer den Expressionismus für sich entdeckte, sondern mit diesem zeitweise auch Atelier und sogar Papier teilte, stellt Kurator und Direktor Hans-Peter Wipplinger in einem eigenen Raum vor. Da hängt ein Werk Oppenheimers, auf dessen Rückseite sich eine Arbeit von Schiele befindet, ebenso wie ein Neuankauf, ein Selbstbildnis Oppenheimers, das lange als verschollen galt und das seine Stilmittel besonders hervorstreicht. „Ich glaube, dass Oppenheimer beispielsweise Einfluss darauf hatte, wie Schiele später Hände malte.“ Schon früh schuf Oppenheimer auch ein Porträt von Schiele, das die typischen knöchrigen Hände aufweist. Gegenüberstellungen Als Gegenüberstellung sieht man Schieles bekanntes nacktes Selbstbildnis neben einer Kopie eines verschollenen Werks Oppenheimers. Die Bilder ähneln einander in der Machart. In letzterem stellt sich Oppenheimer selbst als der Gekreuzigte dar, der unter den Blicken von Schiele, Altenberg und Kraus vom Kreuz genommen wird – daneben steht Oskar Kokoschka. Dass mit diesem eine scharfe Konkurrenzsituation einer Freundschaft folgte, zeigt Wipplinger in einem eigenen Raum. Generell geht er zwar chronologisch vor, gruppiert die Werke aber in Themengruppen. Otto Friedrichs Filmkritik „Egon Schiele: Tod und Mädchen“: Eines jungen Lebens Endzeit“ (6.10.2016) gibt es auf furche.at. Das Leopold Museum hebt Max Oppenheimer als einen der ersten heimischen Expressionisten hervor und setzt ihn in Beziehung zu Egon Schiele und Oskar Kokoschka. Feine Sensoren „ Max Oppenheimer teilte das Interesse vieler Zeitgenossen an einem Eintauchen in die Seele der Menschen. “ So findet sich auch eigener Saal zu Oppenheimers Porträts, in denen dieser stark den psychoanalytischen Aspekt hervorkehrt. Nicht von ungefähr hängt hier auch Sigmund Freud: Oppenheimer teilte das Interesse vieler Zeitgenossen an einem Eintauchen in die Seele der Menschen. „Die Psychologisierung war ihm besonders wichtig“, sagt Wipplinger. „Er hatte sehr feine Sensoren und nahm viele Charaktereigenschaften in seine Porträts auf. Gleichzeitig tat er dies nicht im Sinne eines bösartigen Röntgenbilds wie Kokoschka oder einer Verklärung eines Klimt, sondern sehr nahe an der Wirklichkeit.“ Unter den Gemälden finden sich bekannte Gesichter der damaligen Kulturszene wie Arnold Schönberg und die Brüder Heinrich und Thomas Mann. Selbst war Oppenheimer ein dandyhafter, exaltierter Selbstdarsteller, der schon mal mit einem Pferd vor dem Kaffeehaus ankam und sich in Szene zu setzen wusste. Dafür wirken die Bilder seiner Foto: Foto: Leopold Museum, Wien / Lisa Rastl frühen Zeit auffallend unauffällig, was die Farbauswahl betraf. Auch trug er nie viel Farbe auf und spielte mit Hell-Dunkel-Kontrasten ebenso wie mit dem Durchscheinen der Leinwand. Als er sich später christlichen und mythologischen Themen zuwandte, wovon hier etwa „Simson“ und „Beweinung“ zeugen, wurden die futuristischen und kubistischen Elemente sowie das Spiel mit Geometrien immer präsenter. Auch neusachliche Aspekte kamen nach und nach dazu. „Oppenheimer war immer am Anfang der avantgardistischen Strömungen mit dabei“, sagt Wipplinger. „Er Sechstagerennen Max Oppenheimer starb am 19. Mai 1954 einsam in New York, nachdem er – 1885 in Wien geboren – vor den Nationalsozialisten fliehen musste. Sein Bild „Sechstagerennen“ entstand 1929. zeigte dabei ein Amalgamieren der Stilelemente, wie ich es sonst nicht kenne. Während andere von einem Stil zum nächsten weitergingen, wurden diese bei Oppenheimer zu einer Einheit.“ Ein eigenes Kapitel ist Oppenheimers Liebe und enger Beziehung zur Musik gewidmet, vor allem hängen hier Bilder von Streichquartetten, oft sieht man dabei nur die Hände, Instrumente und Bögen. Da er selbst lange Violine spielte, wird angenommen, dass die dargestellten Handhaltungen einem bestimmten Moment eines Streichquartetts entsprechen, so Wipplinger. Sein monumentalstes Werk, „Die Philharmoniker“, das ihn über viele Jahre beschäftigte, war zuletzt im Belvedere zu sehen, im Leopold Museum kann man nun auch die Beschäftigung des Künstlers mit Instrumenten-Details und mit Kammermusik betrachten. Abgeschlossen wird die Schau mit ein paar Stillleben sowie Bildern, die sein Dasein und seinen Gang ins Exil in der Zeit des aufkommenden Nationalsozialismus thematisieren – inklusive Abbildungen einiger verlorener Werke. Einen Ausblick in die nicht mehr erlebte Zukunft bringt schließlich im letzten Raum „Männliches Bildnis“, das postexpressionistische Züge aufweist. „Hätte Oppenheimer noch Kraft gehabt, hätte er wohl so weitergemalt“, sagt Wipplinger. Doch der Künstler verstarb 1954 vereinsamt im Exil. Klar ist für den Kurator und Direktor: „Er war eminent wichtig für die frühe österreichische Moderne und den frühen Expressionismus – und verdient es, dass wir ihm alle mehr Beachtung entgegenbringen.“ Max Oppenheimer Leopold Museum, bis 25.2.24 www.leopoldmuseum.org WIEDERGELESEN Botschaften aus der Tiefe der Existenz Von Anton Thuswaldner Als Oscar Wilde im Juli 1897 „Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading“ schrieb, war er ein gebrochener Mann. Zwei Jahre zuvor war er wegen homosexueller „Unzucht“ zu zwei Jahren Zuchthaus mit schwerer Zwangsarbeit verhaftet worden. Aus dem erfolgreichen, umschwärmten Schriftsteller, der die Theaterszene in London beherrschte und in den höchsten Kreisen verkehrte, aus dem Dandy und Ästheten war ein verachteter Sträfling geworden, von dem sich nahezu alle, die sich gerade noch seiner Freundschaft gerühmt hatten, mit Abscheu abwendeten. Nach seiner Entlassung ging Wilde umgehend nach Paris, wo er im November 1900 im Alter von 46 Jahren verstarb. Die Ballade war seine letzte schriftstellerische Arbeit. Sie erschien vorerst anonym, als Hinweis auf die Autorschaft wurde seine Häftlingsnummer C.3.3. auf dem Umschlag abgedruckt. Erst die siebte Auflage – das kleine Buch stieß auf enormes Interesse – führte den Namen des Verfassers an. Diese Arbeit war ihm nicht nur deshalb wichtig, weil er damit eigene Erfahrungen literarisch aufarbeiten und auf die katastrophalen Zustände im berüchtigten Zuchthaus hinweisen, sondern auch den Fall des Kavalleristen Charles Thomas Woolridge öffentlich machen konnte. Der befand sich zur gleichen Zeit wie Wilde in Reading in Haft und wurde dort wegen Mordes an seiner Frau hingerichtet. Ein düsterer Text, den Umständen entsprechend. Dennoch hatte man Wilde den Hang zu Spott und Ironie nicht vollkommen auszutreiben vermocht. Als ihm vorgeworfen wurde, dem Kavalleristenrock die Farbe rot angedichtet zu haben, wo er doch blau sei, entgegnete er, die Verse könnten ja nicht wie folgt aussehen: „Er trug nicht mehr den blauen Rock, / Denn Blut und Wein sind blau.“ Die Ballade macht nur den geringsten Teil des Bandes aus, im Mittelpunkt stehen Briefe des Häftlings und des nach Paris Emigrierten. Kernstück ist der umfangreiche „De Profundis“ betitelte Brief an seinen früheren Liebhaber Lord Alfred Douglas. Dessen Vater, Marquess von Queensberry, hatte Oscar Wilde verleumdet, sodass der sich gerichtlich zur Wehr setzte, was sich letztlich gegen ihn selbst wendete. Verurteilt wurde Wilde nicht wegen des Verhältnisses zu einem Lord, sondern zu Burschen von niedrigem Stand. Dass der Brief an den Verschonten nicht ohne Zorn formuliert ist, lässt sich gut verstehen. Ein Liebesbrief als Abrechnung, hart und ungerecht, und eine Selbstbestimmung aus dem Geist des Leidens und als Geschichte der Läuterung: Das alles ist diese imposante Werk, das locker neben den Dramen Wildes und dem Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“ besteht. Die von Mirko Bonné besorgte Ausgabe ist ein Glücksfall an Übersetzungskunst und editorischer Genauigkeit. Aus der Tiefe Gefängnisbriefe und Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading Von Oscar Wilde Hg. und übers. von Mirko Bonné Hanser 2023. 367 S., geb., € 39,10
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