DIE FURCHE · 4 10 Religion 25. Jänner 2024 Lesen Sie auch Wolfgang Bahr zu Ján Korec’ 90er am 16.1.2014, siehe „Zwei große alte Männer der Slowakei“ auf furche.at. Von Wolfgang Bahr Foto: picturedesk.com / EPA / Telenews Kardinal Ján Korec († 2015) Der 1951 geheim zum Bischof geweihte Jesuit saß 1960–68 in tschechslowakischen Gefängissen und konnte erst ab 1990 als Bischof wirken. Wäre Ján Korec noch am Leben gewesen, so wäre Robert Fico nach seinem Wahlsieg vom 30. September wieder nach Nitra geeilt, um sich den Segen des Patriarchen zu holen. Fico sei zwar im Kommunismus verwurzelt, doch sei er ein guter Slowake und um sozialen Ausgleich bemüht, so Korec nach früheren Wahlsiegen des Linkspopulisten zum Entsetzen nicht nur der Christdemokraten. Ob der Kardinal ihm die Absolution auch diesmal erteilt hätte, muss offenbleiben – gegen einen Auftritt Ficos bei der Korec-Konferenz in Nitra am Montag konnte er sich nicht zur Wehr setzen. Korec sei eine „slowakische Legende, die den nationalen Rahmen sprengte“, so der Premier. Korec habe „niemals eine Revanche für das gefordert, was ihm und anderen Vertretern der katholischen Kirche vor 1989 angetan worden war“. Vielmehr habe er darauf bestanden, „dass wir nicht auf Rache, sondern auf Wandel sinnen müssen“. Ján Chryzostom Korec ist auch acht Jahre nach seinem Tod als Symbolfigur der Slowaken im 20. Jahrhundert weitgehend GLAUBENSFRAGE Eine neue Diaspora-Nostalgie Heinrich Heine nannte die Bibel ein „portatives Vaterland“. Für die Juden des Exils war die Tora Territorium, eine Art geistige Souveränität im landlosen Leben. Der jüdische Historiker Simon Dubnow nahm diesen Gedanken wieder auf und schuf um 1900 die wohl bekannteste Form diasporischer Identität: Das nationale Bewusstsein kultureller, exterritorialisierter Autonomie. Den Zionismus betrachtete Dubnow als Rückfall in ein primitives Stadium der Nationalität. Seine Gedanken prägten die jüdische Arbeiterpartei der sogenannten Bundisten, deren Programm der Doikeit – des Hierdaseins – einen jiddischen Leitspruch hatte: Dort’n wo mir leb’n, dort iz unzer land! Dieser Leitspruch ist in letzter Zeit wieder häufig zu lesen: Nicht auf den Bannern jüdischer Arbeiter, sondern aus der Feder jüdischer Intellektueller. Aus Zweifel am Zionismus, aus Sehnsucht nach subalterner Solidarität, aus Kritik am kapitalistischen Machtstaat entstand eine neue Diaspora-Nostalgie. Es ist keine naive Nostalgie, sondern ein moralisches Ringen mit der Gewalt Am 22. Jänner wäre Kardinal Ján Korec 100 Jahre alt geworden, am 1. Jänner feierte Ján Čarnogurský seinen Achtziger. Zwei konservative Slowaken, die verschiedener nicht sein könnten. Zwei Christen in der Slowakei unbestritten. 1924 geboren, erlebte er als Jugendlicher den Aufschwung der katholischen Kirche im Slowakischen Staat des Priesterpräsidenten Józef Tiso von 1939 bis 1945. Als Fünfzehnjähriger in den Jesuitenorden eingetreten, deutete alles auf eine kirchliche Karriere hin. Doch die Machtergreifung der Kommunisten 1948 warf alles über den Haufen. Nach der Aufhebung aller Orden und Klöster wurde Korec vorübergehend interniert. Die Barbarische Nacht vom Von Asher D. Biemann eines jeden Staates, aber eben besonders mit der des jüdischen. Dass man diesen jüdischen Nationalstaat abschaffen und zugleich einen palästinensischen herbeiwünschen möchte, ist der Zauber dieses neuen Diasporismus. Dass aber ein bequemes Leben in der Diaspora nicht immer selbstverständlich ist, sondern auch ein prekäres Privileg sein kann, dies vergessen manche Bundisten von heute. Und dass kein Staat statisch ist, sondern eine moralische Aufgabe bleibt, dies gilt nicht nur für Israel. Muss Diaspora unbedingt ein Idealbild sein? Genügt nicht ihre Wirklichkeit? Und muss sie sich dem einzigen Staat, der ihr den Rücken hält, unbedingt versagen? Zum Thema Diasporismus selbst aber sagt uns Heine: „Es ist eine alte Geschichte, Doch bleibt sie immer neu …“ Der Autor ist Professor für moderne jüdische Philosophie an der University of Virginia, USA. Zum Thema auch Kritik zu „The Klezmer Project“, S. 23 Ján Čarnogurský Der slowakische Ex-Politiker als Vorsitzender der Internationalen Vereinigung der Freunde der Krim bei einer Rede in Jalta (Ende Oktober 2023). 13. auf den 14. April 1950 hat er in einem weltweit beachteten Buch beschrieben. Aus dem Lager freigelassen empfing Korec am 1. Oktober 1950 geheim die Priesterweihe und am 14. August 1951 die Bischofsweihe. Der Vatikan gewährte angesichts der drohenden Amtsbehinderung der Ortsbischöfe die sogenannten Mexikanischen Fakultäten (päpstliche Sondervollmachten in einer Verfolgungssituation), um die apostolische Sukzession sicherzustellen. Von 1960 bis zum Prager Frühling 1968 saß Korec in berüchtigten Gefängnissen ein, danach verdingte er sich bis zum Pensionsantritt 1984 wieder als Arbeiter. Immer mehr wurde er zur geistlichen Zentralfigur der slowakischen Untergrundkirche. 1990 ernannte ihn Papst Johannes Paul II. zum Diözesanbischof von Nitra und beließ ihn in dieser Funktion bis 2005. 1991 hat ihn der Pole zum Kardinal erhoben. „ Amerika und der Westen sind im Niedergang. Es zeugt von Naivität und mangelnder Bildung, den Staat von einer westlichen Macht abhängig zu machen, diesfalls den USA. “ Ján Čarnogurský Foto: IMAGO / ITAR-TASS Der erfahrene Seelsorger stand nun vor der Aufgabe, die kirchliche Infrastruktur wieder aufzubauen. Irritationen riefen nur seltene Ausritte hervor, die aber aufzeigten, in welchen Zusammenhängen er dachte. So enthüllte er eine Gedenktafel am Geburtshaus Jozef Tisos und las Seelenmessen für das 1947 hingerichtete Staatsoberhaupt von Hitlers Gnaden. Korec rechtfertigte sich damit, dass er 1987 eine Erklärung über die Deportationen slowakischer Juden unterschrieben habe, in der das jüdische Volk um Vergebung gebeten wurde. In der Biografie über die „Unendlichen Horizonte des Kardinals Korec“ analysiert Marián Gavenda dessen Rede bei der Kyrill-und- Method-Wallfahrt in Nitra am 5. Juli 2005. Schon die Konzeption einer „die ganze Nation umfassenden Meditation und Gewissenserforschung aller – der Gläubigen, der weniger Gläubigen, der Ungläubigen und der Suchenden“ entzweite die Zuhörenden. Die Freiheit sei „ein einzigartiges Geschenk des Menschen“, doch die von den Medien unterstützte Unterhaltungsindustrie könne „den Untergang der Grundwerte unserer Kultur und Tradition“ bewirken und die Kluft zwischen Arm und Reich vertiefen. Es werde im „Namen der Freiheit die Freiheit vernichtet“. Schließlich holte der kurz davor emeritierte Bischof zu einer Infragestellung des Liberalismus aus, der sich in Europa zur nicht ausgerufenen offiziellen Religion entwickle. Die Ehe von Mann und Frau sei naturrechtlich verankert und habe „lang vor der Slowakischen Republik und deren Nationalrat“ bestanden. „Wir alle“ seien „berufen, das Werk von Kyrill und Method weiterzuentwickeln und auch heute und in die Zukunft die Furchen des Volkes zu ziehen. Als Wächter des Geistes, des Lebens und des Erbes unserer ganzen Slowakei.“ Katholik und „Russophiler“ Weniger pathetisch, aber nicht weniger pessimistisch äußert sich heute Ján Čarnogurský. Amerika und der Westen befänden sich im Niedergang und es zeuge von „Naivität und mangelnder Bildung, den Staat von einer westlichen Macht abhängig zu machen, diesfalls den USA“, so der einstige Dissident, Mitbegründer der Christdemokratischen Bewegung (KDH) sowie spätere Justizminister und Ministerpräsident 1991/92. Dies habe sich für die Tschechoslowakei mit dem Münchner Abkommen 1938 erwiesen sowie im Jahr danach, als auch Polen vom Westen im Stich gelassen worden sei. Präsident Beneš habe seine Außenpolitik auf eine starke Position im Westen aufgebaut, aber auch auf gute Beziehungen mit der Sowjetunion. Die heutige tschechische Politik verleugne Beneš’ Erbe, was sich einmal rächen könnte. Die slowakische Außenpolitik sei da realistischer, so Čarnogurský in einem Interview für das Internetportal Business vor seinem 78. Geburtstag. Keine zwei Monate später überfiel Russland die Ukraine. Als Vorsitzender der Slowakisch-Russischen Gesellschaft nahm Čarnogurský am 22. Februar 2022 an einer Diskussion im öffentlich-rechtlichen RTVS teil und verteidigte die russische Politik, weil in der Ukraine faschistische Gruppierungen am Werk seien. In sogenannten alternativen Medien unterstrich er, warum es wichtig sei, dass Russland siegt, den Westen niederringt und neue Verhältnisse in Europa schafft. Ein Jahr später traf er bei einer Fernsehdiskussion anlässlich des Jahrestages der historischen Pressburger Kerzendemonstration von 1988 mit seinem einstigen Weggefährten František Mikloško zusammen und deklarierte sich abermals als „Katholik und Russophiler“. Es sei merkwürdig, „dass du vom Verteidiger der Menschenrechte zu ihrer Unterdrückung gelangt bist“, so Mikloško, der sich zum Unterschied von Čarnogurský in der Politik zurückgemeldet hat. Er hat maßgeblich Anteil daran, dass sich KDH, PS (Progresívne Slovensko) und SaS (Freiheit und Solidarität) aktuell im Widerstand gegen die Regierung Robert Ficos zusammenschließen. Während zum Jubiläum von Kardinal Korec Nuntius Nicola Girasoli einen Dankgottesdienst feierte und der Staat eine Euromünze sowie eine Briefmarke emittierte, verschlägt es Martin Hanus, dem Chefredakteur der deklariert konservativen Internetzeitung Postoj (Standpunkt) zum Achtziger Ján Čarnogurskýs die Rede. Dass der einstige Hoffnungsträger „ein schwarzes Loch“ hinterlasse, „in dem auch einige seiner Schüler untergehen, die wie er dem Kampf gegen den westlichen Liberalismus einfach alles unterordnen“, habe er selbst zu verantworten.
DIE FURCHE · 4 25. Jänner 2024 Chancen 11 In ihrem Buch „Die Singuläre Frau“ widmet sich die 53-jährige Journalistin Katja Kullmann dem Leben von alleinstehenden Frauen und bezeichnet sie als „wahre Heldinnen der Moderne“. Was heute selbstverständlich scheint, nahm bei den Arbeiterinnen seinen Anfang. „Wir brauchen kein Mitleid“ Von Manuela Tomic Einen Mann zu verlassen galt 1879 noch als großer Skandal: Als in ebendiesem Jahr das berühmte Stück „Nora oder Ein Puppenheim“ des norwegischen Dramatikers Henrik Ibsen im Kongelige Teater in Kopenhagen uraufgeführt wurde, löste es wegen folgender Zeilen europaweit einen Sturm der Entrüstung aus: „Ich muß mich selbst zu erziehen versuchen. Dabei kannst du mir nicht helfen. Ich muß mich allein damit befassen. Und darum verlaß ich dich jetzt.“ Eine Frau aus gutbürgerlichem Hause verlässt ihren Mann und entscheidet sich für eine finanziell unsichere Zukunft. Es ist die wohl berühmteste Schlussmach- Szene der Weltliteratur. Nicht zuletzt deshalb wird Ibsen häufig als der erste männliche Feminist bezeichnet. In ihrem Buch „Die Singuläre Frau“ widmet sich die Journalistin und Autorin Katja Kullmann den Noras der heutigen Zeit, die sich aus ihren Puppenhäusern befreit haben. Dabei ist Kullmann selbst eher zufällig in das Single-Dasein hineingerutscht. „Eigentlich ist bei mir alles normal“, schreibt sie zu Beginn des Buches. Mit dem anderen Geschlecht habe sie sich immer gut verstanden und mehrere längere und erfüllende Beziehungen gehabt. Nun ist die 1970 geborene Autorin aber bereits so lange Single, dass sie sich fragt, ob sie das Beziehungsleben verlernt hat. Sie scheint sich fast selbst zu wundern, warum es ihr als alleinstehende Frau so gut geht, obwohl die Single-Frau ab einem gewissen Alter doch eher einen schlechten Ruf genießt. Auch 140 Jahre nach Ibsen. Provokante Thesen Kuhlmann provoziert mit ihren Thesen: Schließlich belegen mehrere Studien, dass sowohl objektive als auch subjektive, also gefühlte Einsamkeit das Sterberisiko um etwa 14 Prozent erhöht. Dabei fühlen sich Frauen häufiger einsam als Männer. Und die Corona-Pandemie hat das Problem der zunehmenden Einsamkeit durch die Individualisierung des Lebens mehr als deutlich gemacht. Für die Autorin Kullmann gilt das, ihrem Buch nach zu urteilen, nicht. Zwar gibt auch sie zu, während der Pandemie eine schwere Zeit gehabt zu haben. Dennoch vermisst sie in ihrem Single-Dasein nichts. Und auch wenn die Partnerschaft für viele eine erfüllende Lebensform ist, es gibt sie: Die Single-Frau. „Manche wollen sie retten. Oder bekehren. Etliche lachen oder lästern über sie. Andere bemitleiden sie, und zwar von ganzem Herzen. Wieder andere sind neidisch oder eifersüchtig auf sie und versuchen, sich etwas von ihr abzuschauen“, schreibt Kullmann. Das Leben von Frauen, so wirke es, ist nur etwas wert, wenn sie in Begleitung sind. Alles, was „zwischen den Beziehungen“ stattfindet, sei nur das Warten auf die nächste männliche Begleitung. Kullmann geht diesen Klischees und Empfindungen schonungslos ehrlich auf den Grund. Und sie zeichnet ein neues Bild der „singulären Frau“. Es ist voll Liebe, enger Freundschaften, Familien und den süßen Stunden der Ruhe allein zu Hause. Kullmann ist keine Männerhasserin oder Beziehungsgegnerin, ganz im Gegenteil. Und doch lebt sie ohne einen festen Partner. Was macht das mit ihr und was macht das mit den vielen anderen Frauen in ihrer Situation? „Die Frau ohne Begleitung ist ein beeindruckendes Wesen. Ja, ich halte sie inzwischen für die eigentliche, die wahre Heldin der Moderne – eine entscheidende Pionie- Foto: Pixabay rin des 20. und vielversprechende Protagonistin des 21. Jahrhunderts“, schreibt Kullmann. Die Autorin zeigt auf, wie sich die Frau ohne Begleitung in der Gesellschaft über die Jahrhunderte ihren Platz gesucht und diesen gefunden hat. Aber wo genau fing das an? Die Zunahme des Singledaseins von Frauen begann vor allem in der Arbeiterbewegung. Um die Jahrhundertwende strebten junge Frauen aus verarmten ländlichen Regionen der USA, aber auch in Europa, in die prosperierenden Städte. Junge Mädchen kamen in die Stadt und konkurrierten um Beruf, Karriere und soziale Sicherheit, wie der Kulturhistoriker Erhard Schütz schreibt. So entstanden auch erste Vergnügungsparks und helle, belebte Räume. Die Arbeiterinnen, so Kullmann, waren die eigentlichen urbanen Pionierinnen. Erst später wagten sich Mädchen aus der gut behüteten Mittelschicht ebenfalls in die Städte. Während der Weltkriege verrichteten Frauen vermehrt auch eine Arbeit, die zuerst Männern vorbehalten war und verschafften sich so ihren Platz in der einst männlich dominierten Arbeitswelt. Kämpfe um das Frauenwahlrecht und das Recht, auch ohne Einwilligung des Ehegatten arbeiten zu gehen, ließen nicht lange auf sich warten. Später, mit dem Aufbruch der Popkultur, der Liberalisierung aller möglichen Lebensbereiche und der zweiten Welle des Feminismus, hatten junge Frauen endgültig die Wahl, ihr Leben fernab der Ehe zu gestalten. „Wir fürchten uns heute derart vor dem Alleinsein, dass wir denjenigen, die gern allein sein möchten, die Fähigkeit absprechen, ihre eigenen Gefühle zu kennen“, schreibt die britische Schriftstellerin Sara Maitland, die seit ihrer Scheidung in einem abgeschiedenen Haus in Schottland lebt. „Ich weiß, dass viele sich schwertun mit dem Alleinleben“, schreibt auch Kullmann. Doch Alleinsein kann auch etwas Schönes sein. In der schlechten Einsamkeit sei man allein mit sich, während man in der guten mit sich selbst zusammen sei, erklärt der Norweger Lars Redrik H. Svendsen den Unterschied in seiner „Philosophie der Einsamkeit“. „ Manche wollen sie retten. Oder bekehren. Etliche lachen oder lästern über sie. Andere bemitleiden sie, und zwar von ganzem Herzen. Wieder andere sind neidisch oder eifersüchtig. “ Lesen Sie dazu auch den Artikel „Ein Ende der Bescheidenheit“ von Sandra Gugić, vom 3. März 2021 auf furche.at. Alleine glücklich „Wir fürchten uns heute derart vor dem Alleinsein, dass wir denjenigen, die gern allein sein möchten, die Fähigkeit absprechen, ihre eigenen Gefühle zu kennen“, schreibt die britische Schriftstellerin Sara Maitland, die seit ihrer Scheidung in einem abgeschiedenen Haus in Schottland lebt. Die gesündeste und glücklichste Bevölkerungsgruppe seien, wenn es nach dem renommierten britischen Verhaltenspsychologen Paul Dolan geht, Frauen, die nie geheiratet haben und kinderlos sind. Er hat verschiedene internationale Langzeitstudien analysiert und ist zu der provokanten These gekommen, dass vor allem Männer vom Verheiratetsein profitieren, sowohl in gesundheitlicher als auch in seelischer Hinsicht. Natürlich müssen solche Thesen kritisch betrachtet werden. Doch die Frau, als jene, die die Familie zusammenhält, die sich kümmert, immer ein offenes Ohr hat, ihre Belange hinter jene ihres Mannes und ihrer Kinder anstellt, ist auch heute nicht so selten. Doch Kullmann geht es nicht darum, Beziehungen zu verteufeln. Bei ihr habe es eben einfach nicht den Richtigen gegeben, mit dem sie bis heute zusammengeblieben ist. Beziehungen seien jedoch auch bei alleinstehenden Frauen selbstverständlich wichtig für das Wohlbefinden und das Nähebedürfnis. Beziehungen bleiben wichtig „Menschen achten weiterhin aufeinander, sorgen füreinander, verbringen Zeit miteinander, nur dass eine wachsende Zahl es inzwischen anders tut als vorherige Generationen – als Freundinnen- und Freundeskreise aus singulären Menschen, Voll- oder Teilzeitwohngemeinschaften, Nachbarschaftszirkel, in Dutzenden Varianten der Zwischenmenschlichkeit, in denen auch viele sogenannte Care-Aufgaben neu ver- und geteilt werden.“ Kullmanns Buch liest sich also nicht als eine Absage an Paarbeziehungen, sondern als ein bereicherndes Protokoll einer alleinstehenden Frau, die weder bemitleidet noch gerettet werden will, sondern einfach als vollwertiger und selbstbestimmter Mensch in unserer Gesellschaft angesehen werden möchte. Nora würde das gefallen. Die Singuläre Frau Von Katja Kullmann dtv 2023 333 S., kart., € 15,95
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