DIE FURCHE · 43 4 Das Thema der Woche Aller Heiligen 24. Oktober 2024 Evangelische Stars Die Nonne und Luther-Gattin Katharina von Bora (im Bild), Martin Luther King oder Dietrich Bonhoeffer werden von vielen Protestanten wie Heilige verehrt. Von Ulrich H. J. Körtner Warum die Reformation zur katholischen Kirchengeschichte gehört (20.10.2016) von Dietmar W.Winkler auf furche.at. Der protestantischen Theologie ist die Verehrung von Heiligen fremd. Die „Gemeinschaft der Heiligen“ verwirklicht sich nach Luther im allgemeinen Priestertum aller Gläubigen. Allein Christus? Auf dem Internet-Portal evangelisch.de gibt es einen „Protestant-O-Mat“. Anhand von 22 Fragen kann man testen, wie „evangelisch“ man ist und welcher berühmten evangelischen Persönlichkeit man wohl am meisten ähnelt. Sechzehn Männer und Frauen stehen zur Auswahl, darunter Albert Schweitzer, Katharina von Bora, Martin Luther King, Dorothee Sölle und Dietrich Bonhoeffer. Um Heilige im strikten Sinne handelt es sich nicht, aber manche wie Martin Luther King oder Dietrich Bonhoeffer werden in evangelischen Kreisen doch beinahe wie Heilige verehrt, zumal beide für ihre christlichen Überzeugungen mit dem eigenen Leben bezahlt haben. Evangelische Heiligenverehrung – darf es das geben? Steht das nicht im Widerspruch zur Reformation, welche die Heiligenverehrung massiv kritisiert und verworfen hat? Martin Luther lehnte die Heiligenverehrung seiner Zeit als eine bedürfnisorientierte Volksfrömmigkeit ab, die gegen das 1. Gebot verstößt und die alleinige Heilsmittlerschaft Christi in Frage stellt. Im Zuge seiner Ablasskritik, die er in seinen 95 Thesen vom 31. Oktober 1517 formulierte, verwarf er den Gedanken, es gäbe einen Schatz guter Werke, den die Heiligen im Himmel angehäuft hätten und aus dem Papst und Kirche den normalsterblichen Gläubigen einen Erlass von zeitlichen Strafen im Fegfeuer erteilen könnten. Letztlich sind Heiligenverehrung und Ablasswesen zwei Seiten einer Medaille mit der Aufschrift Werkgerechtigkeit. Auch die Anrufung von Heiligen wies Luther zurück: Es gebe nur einen Fürsprecher im Himmel und das ist Jesus Christus, also weder Maria noch irgendwelche Heiligen. Besonders scharf fiel die Kritik an der katholischen Heiligenverehrung bei Ulrich Zwingli, dem Reformator von Zürich, und Johannes Calvin, dem Genfer Reformator aus. Calvin hatte für die Heiligenverehrung nur beißenden Spott übrig. „Welcher Engel oder Teufelsgeist“, schreibt er in seinem Hauptwerk, der Institutio Christianae Religionis, „hat denn je einem Menschen auch nur eine Silbe von jener angeblichen Fürbitte der Heiligen kundgetan? In der Schrift findet sich doch nichts davon!“ Überhaupt die Heiligendarstellungen: „Was sind die anderes als Musterbilder der verderbtesten Üppigkeit und Schamlosigkeit?“ Die Papisten sollten „ihre Götzen zuerst einmal etwas anständiger darstellen“, bevor sie von deren Heiligkeit reden. Moderatere Töne schlägt das Augsburger Bekenntnis von 1530 an. Zwar lehnt auch diese Bekenntnisschrift die Heiligenverehrung und Anrufung derselben ab, empfiehlt aber in Artikel 21 das „Gedenken“ der Heiligen. An ihnen könne man erkennen, wie Menschen durch den Glauben geholfen worden sei. Sie werden als Zeugen für die rechtfertigende Gnade Gottes gewürdigt, welche auch als „Exempel“, also als Vorbild, dienen können. Darin gibt es heute ökumenische Annäherungen. Der mit der Heiligenverehrung in der „ Welcher Engel oder Teufelsgeist hat denn je einem Menschen auch nur eine Silbe von jener angeblichen Fürbitte der Heiligen kundgetan? “ Johannes Calvin Illustration: Rainer Messerklinger (Unter Verwendung eines Gemäldes von Lucas Cranach d. Ä.; 1526) katholischen und in den orthodoxen Kirchen verbundene Wunderglaube bleibt, wie Heiligsprechungsverfahren und Marienerscheinungen, dem Protestantismus allerdings wesensfremd. Jedoch kennen die evangelischen Kirchen besondere Gedenktage, und im Pietismus des 18. Jahrhunderts zeigen sich erste Ansätze zu einer evangelischen Heiligengeschichtsschreibung, die sich bis in die Verehrung von Persönlichkeiten wie Dietrich Bonhoeffer fortsetzen – bisweilen freilich auch um den Preis, die Unzulänglichkeiten der Verehrten abzuschatten oder gar auszublenden. Kritik an Bonhoeffer und seiner Theologie ist ein heikles Unterfangen, wie die jüngsten von Günter Thomas und Ralf Frisch angestoßenen Auseinandersetzungen um ihr Erbe und möglichen Einseitigkeiten und Schwächen zeigen. Bonhoeffer hat freilich selbst zu seiner Stilisierung als Heiliger beigetragen, wie er in einem seiner Gefängnisbriefe selbstkritisch notiert hat. Er erinnert sich an ein Gespräch, das er viele Jahre zuvor mit einem jungen französischen Pfarrer hatte. Sie sprachen darüber, was sie eigentlich mit ihrem Leben wollten. Der junge Priester antwortete, er wolle ein Heiliger werden. Das habe Bonhoeffer sehr beeindruckt. Dennoch widersprach er und meinte, er wolle glauben lernen. Den Gegensatz habe er allerdings selbst lange nicht verstanden. „Ich dachte, ich könnte glauben lernen, indem ich selbst so etwas wie ein heiliges Leben zu führen versuchte.“ In dieser Zeit schrieb er sein Buch „Nachfolge“, dessen Gefahren er rückblickend sehe. „Später erfuhr ich und ich erfahre es bis zur Stunde, dass man erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben lernt“, nämlich wenn man lernt, sich „in der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge und Misserfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten“ Gott ganz in die Arme zu werfen und das Leiden Gottes in der Welt ernst zu nehmen; „und so wird man ein Mensch, ein Christ.“ Ist es nicht anmaßend, wenn Bonhoeffer schreibt, so wache man mit Christus in Gethsemane, wo doch Petrus und die übrigen Jünger schlafend gefunden wurden. Sind wir besser als die ersten Jünger? Priestertum aller Gläubigen Ein evangelisches Verständnis von Heiligkeit und heiligem Leben kennt keinen grundlegenden Unterschied zwischen besonderen Heiligen und den übrigen Christen. Im Neuen Testament werden alle Glaubenden unterschiedslos als Heilige bezeichnet. Die Heiligen in Rom, an die Paulus seinen Römerbrief schreibt, sind „alle Geliebten“ und Glieder der dortigen Gemeinde (Röm 1,7). Die Gemeinschaft der Heiligen verwirklicht sich nach Luther im allgemeinen Priestertum aller Gläubigen, das in der Taufe gründet. Heiligkeit ist keine menschliche Eigenschaft, sondern ausschließlich ein Gottesattribut. Gott aber sagt zu seinem Volk Israel wie zur christlichen Gemeinde: „Seid heilig, denn ich bin heilig“ (3. Mose 11,44- 45; 1. Petrus 1,16). Heilig ist, wer am Leben des allein heiligen Gottes teilhat. Im biblischen Sinne bedeutet heilig sein freilich ein unabschließbares Heiligwerden. Es ist keine menschliche Leistung, sondern unverfügbare Gabe und Gnade Gottes. In diesem Sinne haben die Reformatoren den Begriff der Heiligung gebraucht. Das ganze Leben der Christen bedeute ein beständiges Absterben des alten und ein Lebendigwerden des neuen Menschen, zu dem wir nach Gottes Willen werden sollen. Der Weg des Glaubens ist ein Weg der beständigen Umkehr, den wir mit der Bereitschaft gehen sollen, uns auch dahin führen zu lassen, wohin wir eigentlich gar nicht wollen. Auf diesem Weg kann uns das Lebenszeugnis von Menschen bestärken, die ihren Glauben überzeugend und doch unaufdringlich gelebt haben, zum Beispiel in der Familie oder im Freundeskreis. Im besten Fall können wir selbst zu Heiligen werden, die die Last des anderen tragen und einander im Glauben ermutigen und stärken. Der Autor ist Professor für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Nächste Woche im Fokus: Die Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten am 5. November werden nicht nur die USA, sondern die Welt an sich verändern. Über eine Stimmabgabe, die die Weichen für Frieden, Krieg, Hass oder Vernunft zu stellen vermag – und einen Wahlkampf, der viel Unbill offenbart hat.
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