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DIE FURCHE 24.10.2024

DIE

DIE FURCHE · 43 20 Ausstellung 24. Oktober 2024 Von Theresa Steininger Ist es ein Aufschrei, ein Ausdruck von Wut oder einer der Erkenntnis? 62 Meter lang ist das „Aaaaaaaa!!!“ (und noch viel mehr a und !) von Nora Turato an der Rückseite der Kunsthalle Wien. In ihrem Gemälde hat sie Buchstaben in Rot auf schwarzem Grund geschaffen und einen Hingucker kreiert, der die erste Ausstellung der neuen Kunsthalle-Wien-Direktorin Michelle Cotton unterstreicht. Die Britin Cotton ist im Sommer dem Zagreber Kollektiv WHW nachgefolgt, zuvor war sie als Programmleiterin am Mudam in Luxemburg, dem dortigen nationalen Museum für zeitgenössische Kunst, sowie als Direktorin des Bonner Kunstvereins tätig. Die eigentliche Einstands-Schau Cottons in der Kunsthalle ist der Künstlerin Aleksandra Domanović als umfassende Personale gewidmet. In dieser werden auf mehr als tausend Quadratmetern Arbeiten aus dem Œuvre der aus Novi Sad stammenden Künstlerin gezeigt, die in den vergangenen 18 Jahren entstanden sind. Gemeinsam ist vielen, dass sie sich mit thematischen Überlappungen von Technologie, Historie und Kultur beschäftigen. Installationen, Drucke, Videos, Skulpturen und digitale Medien sind gleichermaßen dabei. Technologie und die Identität von Menschen Eine groß angelegte Installation aus teils durchsichtigen Folien namens „Things to Come“ bringt Darstellungen von Frauen in Science-Fiction-Filmen in monumentaler Ausführung. Mittendrin hängt ein an eine Frau gerichteter Brief von 1938, in dem Walt Disney Productions sie davon abbringen möchte, nach Hollywood zu kommen ‒ Frauen seien ja dort für die Ausbildung zur kreativen Arbeit nicht zugelassen. An anderer Stelle beschäftigt sich die Künstlerin mit Ultraschall und Pränataldiagnostik. Sie war damit schon früh konfrontiert, war doch ihre Mutter Radiologin. Durch die Sensibilisierung für das Thema und alle Vor- und Nachteile stieß sie auf die Lebensgeschichte des Arztes Ian Donald aus den 1960er Jahren, der die Nutzung von Ultraschall in der Geburtshilfe vorantrieb, erzählt Domanović. Ihm, der sehr religiös war und seine Arbeit auch einsetzte, um gegen Abtreibungen aufzutreten, ist in der Schau ein künstlerisches Denkmal in einer Textilarbeit mit traditionellen Stoffmustern gesetzt. Unweit davon findet man eine Liste einiger wichtiger Städte der Welt, die nach ihrer aktuellen Temperatur in absteigender Reihenfolge aufgeschrieben sind beziehungsweise auf der Website hottesttocoldest.com verzeichnet werden. Dadurch nimmt Domanović Foto: Foto: Iris Ranzinger Die Kunsthalle Wien zeigt mit „Aleksandra Domanović“ die erste Ausstellung unter der neuen Direktorin Michelle Cotton. Spektakel für die Sinne Schnittstellen Technologie, Kultur und Historie sind Themen, die das Schaffen von Aleksandra Domanović (*1981) prägen. Sie verarbeitet sie in Installationen, Drucken, Videos, Skulpturen und digitalen Medien, darunter die Werke „Bulls Without Horns: Alison With the Bulls“, 2016, und „Calf Bearer“, 2017/20, Kunsthalle Wien 2024, Courtesy die Künstlerin und Tanya Leighton, Berlin und Los Angeles. Literatur entdecken Seit ihrem Gründungsjahr widmet sich DIE FURCHE der Welt der Bücher und schafft einen wertvollen Zugang zu Wissen, Fantasie und Inspiration. Entdecken Sie online Texte namhafter Autorinnen und Autoren – von 1945 bis heute. Jetzt 4 Wochen gratis lesen! u Gleich bestellen: www.furche.at/abo/gratis aboservice@furche.at +43 1 512 52 61 52 online im Navigator seit 1945 auch auf die Auswirkungen des Menschen auf das Klima und die Erde Bezug. Die neue Kunsthallen-Direktorin Michelle Cotton nennt die Themen der Künstlerin „die brennenden unserer Zeit“. Die Künstlerin selbst sagt, sie gehe in ihren Werken mal von der Geschichte aus, die sie erzählen wolle, mal vom Bild, das sie zeigen wolle – und sie hält fest: „Strategien habe ich keine.“ Was sich jedenfalls durchzieht: Viele der gezeigten Werke untersuchen, wie Technologie die Identität von Menschen und die heutige Gesellschaft prägt. Da sie aus Novi Sad stammt, war für Domanović auch immer wichtig, sich mit der Geschichte des ehemaligen Jugoslawiens auseinanderzusetzen, was sich künstlerisch unterschiedlich niedergeschlagen hat. Sie arbeitet beispielsweise die Historie der Internet-Domain .yu auf, die übrigens die größte in der Geschichte des World Wide Web war, die je gelöscht wurde, wie „ Informationskultur und Massenmedien sind wichtige Sujets für die Künstlerin, die in Wien studierte und zu der nun die erste Einzelschau in Österreich gezeigt wird. “ Domanović erzählt. Dies tut sie, indem sie aus großen Papierstößen monolithisch wirkende Denkmäler geschaffen hat. Einer davon stellt Bezüge zum frühen Fußballtrainer Ivica Osim her. Wie Fernsehjingles und Anfangssequenzen von Sendungen ihre Kindheit prägten, lässt sie ebenso zum Kunstwerk werden, in dem sie daraus ein Video und Techno-Musik schuf. Denn, so die Künstlerin, für sie bestehe eine Parallele zwischen der kollektiven Erfahrung mit den Nachrichtenjingles und Dance-Partys der 1990er Jahre. Mal hat die eine Tonspur, jene mit den Nachrichtensendungen vom Balkan, die Überhand, mal die andere, techno-lastige, die für Domanović für das Streben nach Freiheit steht. Ihr Ziel sei wohl, so die Künstlerin beim Presserundgang, eine Bewältigung von Vergangenheit, die sie in ihrer Kindheit so nicht verstanden hatte. Generell sind Informationskultur und Massenmedien wichtige Sujets für die Künstlerin, die in Wien studierte und zu der nun die erste Einzelschau in Österreich gezeigt wird. Eine Schau, die zahlreiche Themen anreißt, aber auch vieles offen lässt. Aleksandra Domanović Kunsthalle Wien Bis 26.1.2025 www.kunsthallewien.at

DIE FURCHE · 43 24. Oktober 2024 Film 21 Nach der Österreichpremiere auf der Viennale kommt das Sterbedrama „The Room Next Door“ mit Tilda Swinton und Julianne Moore nun auch regulär ins Kino. Studie über den Tod Von Otto Friedrich Ist Pedro Almodóvar altersmilde geworden? Auf den ersten Blick scheint es so. Denn „The Room Next Door“ kommt mit weit weniger surrealen Twists aus als andere Werke des spanischen Altmeisters. Und verglichen etwa mit der Komplexität von „Parallele Mütter“, seines vorhergehenden Films, gibt es Almodóvar – scheinbar – billiger. Tatsächlich ist „The Room Next Door“ aber eine grandiose Studie über den Tod in turbulenten Zeiten wie den aktuellen. Und das ist schon komplexe Materie genug, sodass es sogar gut ist, dass sich die Verfilmung von Sigrid Nunezʼ Roman „What Are You Going Through“ (2020) schnörkellos und gradlinig gibt. Man kann auch Michael Hanekes erfolgreichsten Film „Liebe – Amour“ aus 2012 in den Blick nehmen: Des Österreichers filmische Sterbegeleitung weist Verwandtschaft zu Almodóvars erstem englischsprachigen Film auf. Kammerspiel zweier Frauen Bestsellerautorin Ingrid hat ein Buch über den Tod geschrieben und signiert es in der New Yorker Buchhandlung Rizzoli. In die Schlange der Adorantinnen reiht sich auch eine alte Bekannte ein, die Ingrid vom Krebsleiden ihrer alten Freundin Martha erzählt. Ingrid hat die langjährige Kriegsberichterstatterin seit Jahren nicht gesehen, sucht sie nun im New Yorker Krankenhaus auf, wo sie teure, schmerzhafte und erfolglose Therapien über sich ergehen lässt. Die beiden Frauen knüpfen dort an, wo sie sich vor Jahren aus den Augen verloren haben. Sie stellen fest, dass sie miteinander vieles geteilt haben, auch Liebhaber Damian. Und Martha bittet Ingrid, ihr im Kampf gegen die Krankheit zur Seite zu stehen. Körperlich nur mehr Haut und Knochen, das Fentanylpflaster hilft, die Schmerzen zu besiegen, aber im Kopf bleibt Martha tough wie je. Die Beziehung zu ihrer erwachsenen Tochter ist inexistent, und so bittet Martha Ingrid, sie auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Die Bestsellerautorin sagt trotz Skrupeln zu. Es gehe aber nur darum, wischt Martha die Bedenken hinweg, dass Ingrid im Zimmer nebenan ist, wenn sie aus dem Leben scheidet. Wie sie das anstellt, soll ihre Sache bleiben. Almodóvar legt ein Kammerspiel zweier Frauen an der Schwelle vom Leben zum Tod vor. Seine Protagonistinnen agieren zielgerichtet und lassen moralische Bewertungen draußen – nur juristisch gibt es einiges zu klären. „ Venedig-Gewinner ,The Room Next Door‘ ist auch deswegen ein großer Film, weil Pedro Almodóvar zwei Protagonistinnen zur Hand hat, die ihresgleichen suchen. “ Auf dem letzten Weg Ingrid (Julianne Moore, links) begleitet ihre todkranke Freundin Martha (Tilda Swinton) beim Sterben. „The Room Next Door“ ist auch deswegen ein großer Film (er gewann in Venedig den Goldenen Löwen), weil Almodóvar zwei Protagonistinnen zur Hand hat, die ihresgleichen suchen: Tilda Swinton holt als sterbende Martha heraus, wozu sie schauspielerisch imstande ist, und Julianne Moore tut es ihr als sie begleitende Ingrid gleich. Dass John Turturro in der kleinen Rolle des doppelten Liebhabers Damien dem Ganzen noch ein eigenes Flair gibt, soll auch nicht unerwähnt bleiben. In einer Rückblende zu Marthas Arbeit an den Fronten der Welt trifft sie außerdem mitten im Irakkrieg in Bagdad auf zwei schwule Karmelitermönche: In dieser Hölle geht es um Hilfe für die Opfer des Kriegs, und da sind fleischliche „Sünden“ zweitrangig, gibt Almodóvar dem Publikum zu verstehen. Er lässt hier anarchischen Schalk aufblitzen, den er einmal mehr doch nicht zügeln kann – und will. The Room Next Door USA 2024. Regie: Pedro Almodóvar. Mit Tilda Swinton, Julianne Moore, John Turturro. Warner. 138 Min. ACTION-KOMÖDIE Zwei Seelen, ach, in meiner Brust Wenn es neben „Deadpool“ eine Superheldenreihe aus dem Hause Marvel gibt, deren Erfolg auf den Einsatz ihres Hauptdarstellers zurückzuführen ist, dann diese: Tom Hardy mimt in „Venom: The Last Dance“ zum dritten Mal den von einem außerirdischen Symbionten besessenen Eddie Brock – und das erneut mit vollem Körpereinsatz. Wo die „Venom“-Reihe punktet, ist in den Zwiegesprächen des Aliens mit seinem menschlichen Wirt, die Hardy in bester Slapstick-Manier von einer Katastrophe in die nächste stolpern lassen. In dieser Hinsicht wandelt Hardy eher auf den Spuren von Steve Martin aus Komödienklassikern wie „All of Me“ (1984) als auf den Spuren üblicher Superhelden. Immer dann, wenn Eddie das Monster in sich nicht mehr kontrollieren kann, bricht es aus und erscheint in all der von Zeichenlegende Todd McFarlane designten Pracht. Running Gags, wie die Tatsache, dass Eddie bei seinen Eskapaden ständig einen Schuh verliert, unterstreichen den aberwitzigen Charakter der Comicvorlagen. Blöd nur, dass auch ein Plot erzählt werden muss. Diesmal dient ein Artefakt, das Eddie in sich trägt und ein intergalaktisches Portal öffnen könnte, als McGuffin für allerlei Maßnahmen gegen die Alien- Invasion. Ein Highlight: Rhys Ifans als Verschwörungstheoretiker, der sich bei der Begegnung mit Eddie endlich bestätigt fühlt. Unterm Strich rettet Hardys physische Performance auch diesen „Venom“-Film, selbst wenn das Finale wie üblich im CGI-generierten Gedöns untergeht. So wie in Eddie leben zwei Seelen in diesem Film: Die eine will aus den Konventionen des Superheldenkinos ausbrechen, die andere bedient dessen Klischees ein bisschen zu bereitwillig. (Philip Waldner) Venom: The Last Dance USA/UK/MEX 2024. Regie: Kelly Marcel. Mit Tom Hardy, Juno Temple, Rhys Ifans, Chiwetel Ejiofor. Sony. 109 Min. In „Venom: The Last Dance“ gibt es viel Monster- Action, aber auch Gags in bester Slapstick-Manier. NS-DRAMA Ein Opfer der schweigenden Masse Hans (Hegemann) und Hilde Koppi (Fries) durchlebten auch schöne Zeiten. Nicht lange. Man verrät keine Geheimnisse der Filmhandlung, wenn man den Tod der Protagonistin Hilde Koppi (Liv Lisa Fries) vorwegnimmt. Denn die einstige Widerstandskämpferin wird nach etwa 115 Filmminuten ihrem historisch verbrieften Ende zugeführt; sie landet auf der Guillotine. Die Nazis haben kurzen und unsentimentalen Prozess mit ihr gemacht, weil sie und ihr Mann Hans (Johannes Hegemann) als Mitglieder der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“ versucht hatten, Funksprüche an die Russen zu schicken – von denen nur einer, ein unerheblicher, je ankam. Aber so waren die Nazis eben: Unerschütterlich in ihrer Zielverfolgung zum tausendjährigen Reich. Regisseur Andreas Dresen hat daraus einen Spielfilm gemacht, in dem Hilde Koppi unter dem Titel „In Liebe, Eure Hilde“ auch ihren eigenen Abschiedsbrief verlesen darf. Ein Moment, in dem einem die Tränen kommen. Sommermärchen in der Diktatur Dresen, inzwischen ein Chronist (nicht nur) deutscher Geschichte, legt sein Porträt des Paares Hilde und Hans Koppi als Sommermärchen an, das inmitten einer Diktatur auch für schöne, herzerwärmende Momente sorgt: Hilde hat sich auf ihren Hans vor allem deshalb eingelassen, weil der hübsche junge Mann ihr nicht nur gefiel, sondern weil sie auch aufregend fand, wie er gegen das NS-Regime agierte. Sie ließ sich – auch der Liebe wegen, aber nicht nur – bald mitreißen von der Widerstandstruppe und macht bei immer mehr Aktionen mit. Ihre Motivation war eine naive Mischung aus Liebe, Leidenschaft und Aufbegehren gegen ein entmenschlichtes Regime, das viele Schreihälse hervorbrachte – und noch viel mehr willige Mitläufer und Befehlsempfänger. Hier arbeitet Dresen wirklich substanziell an der Frage: „Wie konnte das alles nur passieren?“ Denn nicht die wenigen Schreihälse waren die Ursache für das Hitler’sche Terrorregime, sondern die willigen Volksgenossen, die all das brav abgenickt hatten. Die schweigende Masse, der Hilde und Hans Koppi letztlich zum Opfer gefallen sind. Andreas Dresen weiß natürlich, wie er sein Publikum emotional einfangen muss: In diesem Film macht er es über die famose Darstellung seiner Hauptfigur; Liv Lisa Fries („Babylon Berlin“) bringt die naivschüchterne, aber selbstbewusste junge Frau zum Strahlen, dass es heller nicht geht. In ihr bildet sich ein Widerstand ab, der hoffen lässt, dass damals tatsächlich nicht ein ganzes Volk völlig entmenschlicht gehandelt hat. (Matthias Greuling) In Liebe, Eure Hilde D 2024. Regie: Andreas Desen. Mit Liv Lisa Fries, Johannes Hegemann, Lisa Wagner. Filmladen. 125 Min.

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