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DIE FURCHE 24.08.2023

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DIE FURCHE · 34 6 International 24. August 2023 Opposition auf Schiene Die vom ehemaligen EU-Ratspräsident Donald Tusk (links) angeführte „Koalicja Obywatelska“ – Bürgerkoalition – setzt darauf, den amtierenden Premier Mateusz Morawiecki aus dem Amt zu drängen. Von Philipp Fritz Es ist ein modernes Video im Stil aktueller Social-Media-Kampagnen. In etwas mehr als zwei Minuten, zu schnell wechselnden Bildern und indem er seine Argumente in Form von Schlagwörtern mit Handbewegungen von links nach rechts über den Bildschirm wischt, erklärt Polens Premierminister Mateusz Morawiecki, was seine Regierung bereits getan hat, „um illegale Migration aufzuhalten“, und was sie gedenkt zu tun, um die europäische Migrationspolitik zu reformieren. „Die Grenzen Polens und Europas werden attackiert“, sagt Morawiecki eingangs, um dann darauf zu verweisen, dass Polen unter seiner Ägide eine Mauer an der Grenze zu Belarus gebaut hat und auch mit dem Einsatz der Armee Menschen aus dem Nahen Osten oder Afrika, die regelmäßig von Grenzern des Regimes von Diktator Alexander Lukaschenko in die EU gedrängt werden, aufhält und zurückdeportiert. Dass immer noch täglich Menschen die Grenze überqueren, spart der Premierminister aus. Morawiecki fordert stattdessen eine Reform der europäischen Grenzschutzbehörde Frontex und ein härteres Vorgehen gegen „Gangs“, die Menschen über das Mittelmeer nach Europa bringen. Lesen Sie hierzu den Text von Tobias Müller: „Wie sich die EU bei der Asylpolitik der Verantwortung entledigt“ (26.7.2023) auf furche.at. In Polen wird am 15. Oktober gewählt. Die PiS will punkten, in dem sie gegen die EU poltert, Migranten schmäht, Kritiker diffamiert. Wird sie dafür goutiert oder abgestraft? Über eine Richtungswahl. Lokomotive mit Potenzial Die Mär: Masseneinwanderung Im letzten Punkt in seinem Kampagnen-Clip kündigt Morawiecki ein Referendum über die europäische Migrationspolitik an, das parallel zu den polnischen Parlamentswahlen am 15. Oktober abgehalten werden soll. Konkret wird die Frage auf den Wahlbögen wie folgt lauten: „Unterstützen Sie die Aufnahme von Tausenden illegaler Einwanderer aus dem Nahen Osten und Afrika nach dem von der europäischen Bürokratie auferlegten Mechanismus der verpflichtenden Aufnahme?“ Das Referendum ist ein Wahlkampfmanöver der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Sie möchte ihr Profil als Macherpartei, die für einen harten Grenzschutz steht, schärfen. Gleichzeitig diffamiert sie die Opposition, der sie unterstellt, eine Masseneinwanderung nach Polen zu forcieren oder zumindest einem europäischen Verteilungsmechanismus für Flüchtlinge zustimmen zu wollen. Ein solcher ist in Polen seit jeher unbeliebt. Es ist zu erwarten, dass eine Mehrheit der Wähler dagegen votiert. „ In puncto Asylkompromiss ist Warschau überstimmt. Daran kann auch ein Referendum nichts ändern. Ein Rechtsbruch ist denkbar. “ Das Beispiel zeigt neben dem Konflikt zwischen der seit 2015 regierenden PiS und der liberalkonservativen Herausfordererpartei „Bürgerplattform“ (PO) auch die europäische Dimension des polnischen Wahlkampfs: Denn die Volksabstimmung steht im Widerspruch zum sogenannten Asylkompromiss der EU, gegen den sich die Regierungen Polens und Ungarns nach einer Ausarbeitung der EU-Innenminister auflehnen. Er sieht vor, dass Migranten künftig bei Überlastung einzelner Staaten per Quote über weniger belastete Mitgliedsländer, wie die im Osten der EU, verteilt werden. Möchte eine Regierung eine bestimmte Zahl von Menschen nicht aufnehmen, muss sie zahlen. Der Ausgang des polnischen Referendums wird an dem Asylkompromiss nichts ändern, Warschau ist überstimmt. Denkbar ist jedoch, dass die polnische Regierung, gestärkt durch ein entsprechendes Abstimmungsergebnis, sich selbst von der europäischen Vereinbarung ausnimmt und dauerhaft in der Sache EU-Recht bricht. Wirtschaft als Vorzeigemodell Es wäre ein typisches Vorgehen für die Nationalkonservativen in Warschau, die seit acht Jahren mit der Europäischen Kommission wegen des Justizabbaus im Land über Kreuz liegen, zum Beispiel einstweilige Anordnungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nicht umsetzen, ein Disziplinarsystem für missliebige Richter etabliert haben, diese in Frührente schicken oder neue Kammern schaffen. Überhaupt zieht die polnische Regierung nach einem Urteil des polnischen Verfassungsgerichts die Autorität des höchsten EU-Gerichts in Zweifel. 2021 befand das Warschauer Gericht, das laut führenden Experten, wie dem in Dublin lehrenden EU- und Verfassungsrechtler Laurent Pech, kein ordentliches Gericht mehr ist, sondern ein von der Partei abhängiges Organ, dass wesentliche Teile der europäischen Verträge nicht mit polnischem Recht vereinbar seien, darunter Artikel 19. Dieser schreibt die Autorität des EuGH fest. Es ist ein einmaliger Vorgang, dass ein EU-Mitgliedsstaat dergestalt die europäische Rechtsgemeinschaft in Frage stellt. In ihrer achtjährigen Regierungszeit hat die PiS Polen gründlich umgebaut: Institutionen des Staates, wie die hohen Gerichte oder der vormals öffentlich-rechtliche Rundfunk, der nunmehr ein bloßes Propagandainstrument der Partei ist, hat sie praktisch übernommen. Trotz einer erfolgreichen Sozialpolitik, wie dem Kindergeldprogramm „500 plus“, und einer beeindruckenden wirtschaftlichen Entwicklung – Polen konnte selbst im Krisenjahr 2022 ein Wirtschaftswachstum von 4,9 Prozent vorweisen –, haben die Spannungen in der polnischen Gesellschaft zugenommen. Kritiker der PiS werden von regierungstreuen Journalisten oder Parteipolitikern als Verräter an Foto: APA / AFP / Janek Skarzynski der nationalen Sache gescholten. Der mächtige Parteichef Jaroslaw Kaczynski selbst sprach bereits 2015 von Polen dieser „schlechtesten Sorte“ und gab damit die Richtung vor, wie Kritiker seiner Politik zu behandeln sind. An die Stelle des politischen Wettbewerbs ist ein erbittertes Freund- Feind-Denken getreten, das vom polnischen Parlament bis ins Private hindurchgesickert ist. Über dieses Polen befinden die Wähler in weniger als zwei Monaten an den Wahlurnen. Wollen sie den Weg der Nationalkonservativen weitergehen und deren Macht in einer dritten Legislaturperiode konsolidieren, oder wollen sie eine demokratische Rückentwicklung, mehr gesellschaftlichen Ausgleich und vor allem weniger Konfrontation mit der EU und den europäischen Partnern? Das ist es, worin die Bedeutung der polnischen Parlamentswahlen für Europa besteht: Wird Polen, immerhin mit beinahe 40 Millionen Einwohnern eines der größten Länder Europas und eine wirtschaftliche Lokomotive, sich wieder konstruktiv in die europäische Politik einbringen, vielleicht gar die europäische Integration vorantreiben und so den Einfluss geltend machen, der dem Potenzial des Landes entspricht? Oder wird die Regierung in Warschau sich einfach weiter an den ungarischen Dauerpremierminister Viktor Orbán binden und mit ihm gegen Europa poltern und in Kauf nehmen, dass das Land wegen andauernder Rechtsstaatsdefizite keine Euro-Milliarden aus Brüssler Fördertöpfen erhält? Donald Tusk auf Aufholjagd Es ist eine Richtungswahl für Polen und für Europa. Die nach jeweils zwei gewonnen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, erfolgreichen Europa- und Kommunalwahlen erfolgsverwöhnte PiS ist in Bedrängnis wie nie. Einer aktuelle Umfrage für das Nachrichtenportal „Wirtualna Polska“ zufolge wären die Nationalkonservativen mit 34,5 Prozent der Stimmen zwar immer noch die stärkste Kraft, das von der PO und dem ehemaligen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk angeführte Mitte- Rechts-Bündnis „Bürgerkoalition“ (KO) allerdings liegt mit 31,2 Prozent, also mit nur geringem Abstand, dahinter. Eine stabile Regierung wird die PiS trotz des in Polen geltenden D’Hondt-Verfahrens, das bei der Sitzverteilung im Parlament stärkere Parteien in eine günstigere Lage bringt, kaum alleine bilden können. Sie dürfte wie auch die KO auf einen Koalitionspartner angewiesen sein. Einen natürlichen Verbündeten haben beide Blöcke nicht. Die KO dürf-

DIE FURCHE · 34 24. August 2023 International 7 Was in Polen in den vergangenen acht Jahren unter PiS geschah, sei beispiellos, sagt der polnische Politik-Experte Piotr Buras. Im Interview erklärt er, warum es verfassungsrechtlich schwierig ist, verfassungsrechtliche Brüche wieder rückgängig zu machen. „Sorge, dass der Prozess sabotiert wird“ te sich schwer tun, sich auf Kompromisse mit der polnischen Linken einzulassen, die teilweise aus Postkommunisten besteht, und bei 7,1 Prozent in Umfragen liegt. Wahrscheinlicher ist ein Bündnis mit dem Wahlzusammenschluss „Dritter Weg“, bestehend aus der Bewegung „Polska 2050“ um den ehemaligen TV-Moderator Szymon Holownia und der „Polnischen Bauernpartei“ (PSL). Letztere ist wie auch die PO Mitglied in der Europäischen Volkspartei (EVP). Der Dritte Weg steht in Umfragen bei neun Prozent. Rechtsextreme Königsmacher? Zum Königsmacher könnte die rechtsextreme „Konfederacja“ werden. In der Umfrage für „Wirtualna Polska“ kommt die Partei auf 7,8 Prozent, andere Institute sagen der Partei ein Ergebnis von bis 14 Prozent voraus. Die Rechtsextremen, die noch nie in Regierungsverantwortung waren, machen der PiS am rechten Rand Konkurrenz und schaffen es gleichzeitig, sich als junge Partei von dem von ihr verschmähten Parteienmainstream abzusetzen. Möglich wäre eine Minderheitsregierung der PiS – toleriert von der „Konfederacja“. Ihr Einfluss auf die polnische Politik dürfte zunehmen. Für Europa bedeutete das weitere Konflikte mit Warschau. Die „Konfederacja“ ist klar anti-europäisch, anti-demokratisch, teilweise rassistisch und antisemitisch. Auf Stimmenfang geht sie vor allem mit Ukraine-kritischen Slogans. Bislang ist Polen einer der wichtigsten europäischer Unterstützer der Ukraine. Die „Konfederacja“ könnte an dieser polnischen Grundfeste rütteln. Das Gespräch führte Philipp Fritz Piotr Buras leitet seit 2012 das Warschauer Büro der Denkfabrik „European Council on Foreign Relations“ (ECFR) und gilt als einer der profiliertesten Experten für die Politik und EU-Politik Polens sowie die Krise des polnischen Rechtsstaats. Im Gespräch mit der FURCHE skizziert er drei Szenarien, die nach der Wahl denkbar sind: Eine weitere Entdemokratisierung, Instabilität oder der Beginn einer Redemokratisierung. DIE FURCHE: Herr Buras, europäische Geistesgrößen wie Ivan Krastev sagen, die anstehenden Parlamentswahlen in Polen seien der wichtigste Urnengang in Europa seit dem Brexit-Referendum. Sehen Sie das auch so? Piotr Buras: Ich stimme dem zu. Die Wahlen sind vor allem wichtig für Polen, wo die PiS nach acht Jahren abgewählt werden könnte, aber auch für Europa, wo wir es fast überall mit dem Aufstieg von Populisten zu tun haben. In Polen sehen wir, dass die Regierungspartei in zwei Legislaturperioden das politische System umgebaut hat, die liberale Demokratie im Land steht heute auf der Kippe. Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit oder Medienfreiheit sind offensichtlich. Es handelt sich um einen schleichenden Prozess der Entdemokratisierung. Zwei Beispiele: Gerade erst wurde beschlossen, einen Ausschuss im Parlament einzurichten, dessen Arbeit sich gegen die Opposition richtet; auch wurde ein Gesetz verabschiedet, dass die Kompetenzen des der PiS nahestehenden Präsidenten in der Außen- und Europapolitik erweitert. Das sind vielleicht zwei spezifische Beispiele, aber sie veranschaulichen, was auf dem Spiel steht: Wenn die PiS die Wahlen gewinnt, werden wir nicht nur eine weitere Machtkonsolidierung, sondern auch eine weitere Entdemokratisierung in Polen sehen. Wenn die demokratische Opposition gewinnt, dürfte ein langsamer Prozess der Redemokratisierung angestoßen werden. „ In der grundsätzlich pro-ukrainischen Stimmung im Land werden Risse sichtbar. Die Konfederacja weiß das auszunutzen. Anders zu sein ist Teil der Selbstinszenierung. “ Foto: seesaw-foto.com) DIE FURCHE: Eine solche Entwicklung wäre in der jüngeren europäischen Geschichte Neuland: dass also gewisse Reformen oder autoritäre Entwicklungen rückgängig gemacht werden. Kann so was überhaupt demokratisch vonstatten gehen? Buras: Es wäre eine große Herausforderung für eine neue Regierung. Was in den vergangenen acht Jahren geschehen ist, ist beispiellos. Die PiS hat unter massiven Verletzungen der polnischen Verfassung staatliche Institutionen für sich vereinnahmt. Verfassungsexperten fragen sich zu Recht, wie man so was rückgängig machen kann, ohne abermals die Verfassung zu verletzen. Ich denke aber, dass man dafür Wege fände. Meine größte Sorge ist, dass in so einer Situation eine Opposition bestehend aus der PiS und der extremen Konfederacja den politischen Prozess derart sabotieren würde, dass eine demokratische Mehrparteienregierung ins Wanken käme. Wahrscheinlich ist, dass es überhaupt nicht zu klaren Mehrheitsverhältnissen kommt und so eine Redemokratisierung ausbleibt. Polen wird nach den Wahlen wohl von Instabilität im politischen System geprägt sein. Auch die PiS wird vermutlich keine absolute Mehrheit erlangen. DIE FURCHE: Wird die rechtsextreme Konfederacja damit zur Königsmacherin? Buras: Die Konfederacja und die PiS sind keine gleichgesinnten Parteien. Die Konfederacja ist zwar radikal nationalistisch und anti-europäisch und darin auf einer Linie mit der PiS; wirtschaftspolitisch und mit Blick auf die Mitglieder- und Wählerstruktur aber unterscheiden sich beide. Die Konfederacja ist marktradikal, die PiS sozialstaatlich orientiert. Ein weiterer Unterschied: Die Konfederacja ist eine sehr junge Partei, die sich erfolgreich als Anti-Establishment-Partei gegen die PiS inszenieren kann. Aktuell liegt sie in Umfragen bei 14 Prozent der Wählerstimmen. DIE FURCHE: In einer weiteren Sache unterscheidet sich die Konfederacja von den übrigen Parteien: Sie spricht sich für eine antiukrainische Politik aus, wohingegen alle anderen polnischen Parteien für eine pro-ukrainische Politik stehen. Polen gilt als einer der wichtigsten Unterstützer der von Russland überfallenen Ukraine. Buras: Wenn die Konfederacja an Einfluss gewinnt, wird das die polnische Außenpolitik komplizierter gestalten, nicht nur im Verhältnis zur Ukraine, sondern auch zur EU. Das ist ein Teil der Selbstinszenierung der Konfederacja: anders zu sein. Zwei Tendenzen dürften sich verstärken: eine Positionierung gegen den europäischen Mainstream in Schlüsselfragen, zum Beispiel in der Klima- oder Migrationspolitik – auch nach einem Wahlsieg der PiS. Und dann könnten wir eine nachlassende Unterstützung für die Ukraine beobachten. In Polen ist die Stimmung grundsätzlich noch pro-ukrainisch, aber Risse werden sichtbar. Die Konfederacja weiß das auszunutzen. KREUZ UND QUER DIE WALDMENSCHEN DI 29. AUG 22:35 Die Guarani, Brasiliens größte indigene Volksgruppe, ringen verzweifelt um den Grund und Boden ihrer Ahnen. Die „Waldmenschen“, wie die Guarani genannt werden, stehen der Rodung von Regenwäldern machtlos gegenüber. Agrokonzerne und Großgrundbesitzer teilen sich die Landflächen auf – während die Indios gegen ihren Willen in Reservaten ihr Dasein fristen müssen. Regisseur Gernot Lercher zeigt in seiner Dokumentation nicht nur den schmerzhaften Kampf der Guarani um ihren Lebensraum, sondern schildert auch ihre tiefe spirituelle Verbundenheit mit dem Wald. religion.ORF.at Furche23_KW34.indd 1 16.08.23 14:36

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