DIE FURCHE · 34 2 Das Thema der Woche Die Weltverbesserer 24. August 2023 AUS DER REDAKTION In Zeiten, in denen auch hierzulande die Populisten mit Leugnung der Klimakatastrophe reüssieren, scheint der Idealismus verpönt. Als „Gutmenschen“ oder Ähnliche werden diejenigen verunglimpft, die den Blick über den Tellerrand eigener Befindlichkeiten richten wollen und ihr Engagement einer „Idee“ verschreiben. Manuela Tomic nimmt diese Lage zum Anlass, um im dieswöchigen FOKUS über uns „Weltverbesserer“ nachzudenken. Dass sich Europa einmal mehr in Richtung Populismus bewegt, wird nach Philipp Fritz‘ Bericht aus Polen am Vorabend der dortigen Parlamentswahlen deutlich. Wilfried Stadler bewertet die Bargeld- und Bankensteuer-Debatte aus Sicht des Wirtschaftsfachmanns und Martina Kronthaler beleuchtet in„Diesseits von Gut und Böse“ die ethischen Implikationen des Leihmutterskandals in Griechenland. Auch Urlaubsrückkehrerinnen in die Redaktion tragen mit Berichten und Analysen zu dieser FURCHE-Ausgabe bei: Victoria Schwendenwein war unter anderem beim Weltjugendtag in Lissabon, über den sie ihren Nach(haltigkeits)bericht verfasst hat. Und Brigitte Quint hat nach ihrer Rückkehr aus den USA, wo sie den Trumpismus vor Ort erleben konnte, allen Anlass, sich des wutbürgerlichen Ex-Präsidenten und seiner Gegner bei den Republikanern anzunehmen. Schließlich gilt es, einen der großen Literaten des Landes zu feiern: Peter Henisch, Schriftsteller – und FURCHE-Freund –, wird 80. Wir gratulieren herzlich! (ofri) Von Tobias Kurakin Sie werden sich denken, Sie kennen uns. Schließlich ist die Gen Z im medialen Diskurs oft ein Thema. Beim Arbeiten zu faul, bei Gefühlen zu sensibel und bei der Bekämpfung des Klimawandels zu radikal: So wird die Generation der heute 14- bis 27-Jährigen häufig beschrieben. Aber was wollen wir wirklich? Und wieso wollen wir das, was wir wollen? Eines vorne weg, Kämpfe müssen wir alle austragen – tagtäglich und über Generationen hinweg. Die Nachkriegsgeneration hat den Kampf um den volkswirtschaftlichen Wohlstand erfolgreich geführt, auch für die nachkommenden Generationen, wie jene von Boomern und Zoomern. Langweilig ist der Jugend von heute dennoch nicht. Teuerung, Krieg und Klimakrise beeinflussen das Leben der jungen Bürgerinnen und Bürger und führen dazu, dass es neue Kämpfe gibt, denen man sich stellen muss. Arbeit ist nicht gleich Sicherheit Ein 40-Stunden-Job, ein Einfamilienhaus und ein klar geregelter Arbeitsalltag galt für viele in der Babyboomer-Generation als Ziel. Wieso auch nicht? Wer arbeitet, musste sich über Jahre hinweg keine Gedanken über finanzielle Sorgen machen. Das hat sich geändert. Inflation und Zinspolitik sorgen dafür, dass auch ein fixer Arbeitsplatz nicht mehr gleichbedeutend mit einer finanziellen Absicherung ist. Laut Zahlen der Armutskonferenz sind acht Prozent der Bevölkerung, die einer Beschäfti- Lesen Sie dazu auch den Artikel „5 Jahre Klimaproteste“ von Victoria Schwendenwein (17.8.2023) auf furche.at. Radikale Klimaschützer? Die Jugendlichen von heute möchten die Welt zu einem besseren Ort machen. Klimaschutz steht dabei über allen anderen Dingen. Ein Ideal, das bleibt? Über kaum eine Generation wird so häufig geurteilt wie über die Gen Z. Sie seien faul, radikal und egoistisch. Aber stimmt das wirklich? Tobias Kurakin, selbst Teil der Gen Z, über die Ideale seiner Generation. ‚Woke‘ Träumer gung nachgehen, armutsgefährdet. Auch wenn sich der Verstand in unsicheren Zeiten nach festem Boden unter den Füßen sehnt, ist ein fixer Arbeitsplatz keine Garantie mehr für finanzielle Sicherheit. 60 Prozent der Jungen befürchten daher laut einer vom Consultingunternehmen Deloitte durchgeführten Umfrage, dass es schwierig bis unmöglich wird, sich eine Immobilie zu kaufen. Kein Wunder: Laut dem österreichischen Immobilien-Experten Georg Edlauer entsprach vor 20 Jahren österreichweit der Kaufpreis eines Einfamilienhauses dem fünffachen Familien-Jahres-Nettoeinkommen. Im Jahr 2022 standen wir durchschnittlich beim achtfachen Jahres-Nettoeinkommen. Wenn schon nicht für ein Eigenheim, dann wollen wir für die gute „ Auf der Suche nach dem richtigen Weg in Beruf oder Liebe genießen die eigenen Bedürfnisse immer mehr an Bedeutung. Manche mögen es sensiblen Egoismus nennen. “ Sache arbeiten. Ein Drittel gab in der Deloitte-Umfrage an, einen Job bereits wegen moralischer oder ethischer Bedenken abgelehnt zu haben. Der Idealismus konkurriert mit dem Bedürfnis nach Sicherheit, das auch bei uns jungen Erwachsenen vorhanden, aber aufgrund gegenwärtiger Krisen erodiert ist. Nicht nur in der Wahl des Arbeitgebers, auch bei der Gestaltung des Arbeitstages haben wir eigene Vorstellungen. Knapp 70 Prozent würden, laut Deloitte, einen Jobwechsel ins Auge fassen, sollte der Arbeitgeber eine durchgängige Anwesenheit am Arbeitsplatz vorschreiben, wenn der Job generell für Home-Office ausgelegt wäre. Die Ansprüche an einen Job beschränken sich daher längst nicht mehr auf die Zahlen am Lohnzettel. Die Sinnhaftigkeit des Tuns genießt bei einem Großteil der Gen Z einen hohen Stellenwert. Manche mögen es faul nennen, doch es ist Teil des Idealismus. Sinnfragen sind bei den jungen Menschen ohnehin hoch im Kurs. Generell beschäftigt sich keine andere Generation so stark mit ihren Gefühlen wie die Gen Z. Illustration: bambi (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger) Laut dem deutschen Jugendforscher Simon Schnetzer ist beispielsweise Gesundheit „der wichtigste Wert für junge Menschen“. Neben der physischen Gesundheit nehme vor allem das mentale Wohlbefinden hier einen wesentlichen Teil ein. Das Meinungsforschungsinstitut SORA hat 2023 erhoben, dass sich bei knapp der Hälfte der 16- bis 26-Jährigen die psychische Gesundheit durch die Corona-Krise und die Teuerung verschlechtert hat. Beide Krisen haben jungen Menschen Halt genommen, eine Konstante ins Wanken gebracht und für Unsicherheiten gesorgt. Umso wichtiger ist es den Jungen, die Gesundheit in den Mittelpunkt des eigenen Handelns zu stellen. Das ideale Ich genießt Vorrang. Dazu zählt auch das Streben nach einer Selbstentfaltung. Nach Lockdowns, Ausgangsbeschränkungen und Impfpflicht ächzt ein Teil der Jugend nach dem eigenen Gestaltungsspielraum. Auf der Suche nach dem richtigen Weg in Beruf oder Liebe genießen die eigenen Bedürfnisse immer mehr an Bedeutung. Manche mögen es sensiblen Egoismus nennen, doch es ist Teil des Idealismus. Wieso auch nicht? Nur ein Bruchteil der Gen Z hat Betreuungspflichten. Am engsten verwoben mit den idealistischen Ansprüchen der jungen Generation ist im medialen Diskurs wohl ihre Antwort auf die Bekämpfung der Klimakrise. Ist die Erderwärmung zu stoppen, während man parallel die verschwenderische Wohlstandsgesellschaft aufrechterhält? Schwer vorstellbar, dennoch ist es der fromme Wunsch einiger junger Menschen. Wobei, ganz so verschwenderisch lebt die Jugend nicht mehr. Der Wohlstand, den die Boomer-Generation der Zoomer-Generation vermacht, wird durch die Klimakrise zunehmend kritisch beäugt, auch von jenen, die ihn eigentlich genießen könnten. Die auch unter Wirtschaftswissenschaftern, wie WIFO-Chef Gabriel Felbermayr, anerkannte Theorie des Degrowths – also der wirtschaftlichen Entschleunigung zu Gunsten des Klimaschutzes – findet indes Anklang. Denkverbote soll es keine geben, auch der Wohlstand der anderen sowie der eigene darf leiden, um die Zukunft zu sichern. Manche mögen es radikal nennen, doch es ist Teil des Idealismus. Bunte Jugend Eines muss trotz der starken Trends bedacht werden: Den Idealismus im Kollektiv gibt es nicht. Was Rechtspopulisten und Konservative, häufig abwertend gemeint, als „woke“ definieren und angreifen, ist nur ein Teil der jungen Menschen. Das nicht auf alle jungen Menschen diese Lebenseinstellungen hindeuten, zeigt ein Blick auf die Zahlen. Bei der Landtagswahl in Niederösterreich votierten 29 Prozent, der unter 29-Jährigen für die FPÖ. SORA-Chef Christoph Hofinger analysierte im Falter, dass die Freiheitlichen längst auch bundesweit auf der Überholspur sind. So punktet Herbert Kickl mittlerweile bei den unter 30-Jährigen genauso stark, wie bei den Altersgruppen darüber. Das Streben nach Selbstverwirklichung in der Arbeit, der Fokus auf die mentale Gesundheit und das starke Bewusstsein für Klimaschutz spielt in dieser Gruppe eine geringere Rolle, das zeigen diverse wissenschaftliche Studien zu klassischen Wählerprofilen. Die Gen Z ist vielschichtig – generalisieren lässt sie sich nicht. Unsere Kämpfe sind andere als die der Generationen zuvor. Zugegeben: Manchmal träumen wir von schwer realisierbaren Ideen. Doch wenn das Gehalt nicht mehr für den Wohnraum reicht, das Klima lebensbedrohlich wird und die mentale Gesundheit unter diversen Krisen unter die Räder kommt – wer will denn dann schon ständig wach sein.
DIE FURCHE · 34 24. August 2023 Das Thema der Woche Die Weltverbesserer 3 Die einen wollen die Erde retten, andere trachten nach einem größeren Auto. Egal ob „Gutmensch“ oder Materialist: Ideale prägen das ganze Leben. Woher sie kommen, was sie mit uns machen, und warum Werte Halt geben, erklärt die Psychologin Caroline Erb. „Die Welt ist die Idee, die wir von ihr haben“ Das Gespräch führte Manuela Tomic Wie wir leben und was wir für wichtig halten, ist uns in die Wiege gelegt worden. Was man im Erwachsenenalter daraus macht, nicht. Die eigenen Werte gilt es ständig zu reflektieren. Wie sie uns prägen und wie man sie sinnvoll nützen kann, erklärt die Psychologin Caroline Erb. DIE FURCHE: Wir befinden uns gerade in einer Zeit vielfältiger Krisen. Haben Idealisten heutzutage schlechte Karten? Caroline Erb: Das würde ich so nicht sehen. Vielleicht ist eine idealistische Lebenseinstellung mehr denn je gefragt, um all den Krisen und großen Herausforderungen besser begegnen zu können, ohne dabei naiv oder unrealistisch zu sein. Es heißt ja immer auch so schön, dass eine Krise eine Chance bedeuten kann. Würde jeder nur egoistisch seine eigenen Interessen verfolgen, hätte das natürlich auch äußerst negative Folgen für eine Gesellschaft. Es erfordert derzeit allerdings sehr viel Optimismus, Mut, Engagement und manchmal vielleicht auch fast eine gewisse Disziplin, um zuversichtlich in die Zukunft zu blicken und auch andere mitzureißen und zu ermutigen. Dankbarkeit, für das, was alles gut läuft und gut funktioniert, ist auch eine wichtige Ressource. DIE FURCHE: Wie entsteht Idealismus im Menschen? Ist er von der Erziehung geprägt oder von ganz anderen Faktoren? Erb: Idealismus bedeutet, sein Denken und Handeln an Idealen auszurichten. Die Welt ist die Idee, die wir von ihr haben. Eigene Bedürfnisse werden teilweise untergeordnet, Selbstlosigkeit, Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft, Empathie, Gerechtigkeit und Engagement sind wichtige Eckpfeiler für das Streben und die Sehnsucht nach einer „besseren Welt“. Unsere familiären und persönlichen Erfahrungen spielen eine große Rolle, was wir als ideal und erstrebenswert erachten. Gab es beispielsweise prägende Vorbilder und Bezugspersonen, wurde zu Hause leidenschaftlich diskutiert, hat sich jemand sozial oder politisch engagiert, hat man Stellung zu wichtigen Fragen des Lebens bezogen, welche Werte wurden hochgehalten und gefördert, gab es Schicksalsschläge oder individuelle Erfahrungen, die mein Denken und Handeln nachhaltig beeinflusst haben? Soziokulturelle Faktoren spielen natürlich auch eine Rolle, welchen Idealen jemand nacheifert. DIE FURCHE: Warum brauchen wir überhaupt Ideale im Leben? Erb: Konstruktive Leitbilder geben Halt und eine Richtung vor, die positive Impulse und Veränderungsprozesse in Gang setzen können. Sich für etwas engagieren, „für etwas brennen“, ist ein leidenschaftlicher Vorgang, der andere mitreißen und mobilisieren kann, was wiederum den Gemeinschaftssinn stärkt und Bindungen schafft. Caroline Erb arbeitet als klinische und Gesundheitspsychologin in einer Wiener Praxisgemeinschaft. DIE FURCHE: Was passiert, wenn der Idealismus zur Belastung wird, wenn man also „die Welt retten will“? Erb: Man sollte immer wieder seine Erwartungshaltung überprüfen und seine Ziele realistisch bewerten und adaptieren. Oft geht es um kleine Rädchen, die man verstellen und verändern kann. Dabei gilt es, eine gesunde Balance zwischen Geben und Nehmen zu finden und die eigenen Wünsche, Bedürfnisse und körperlichen Grenzen zu beachten. Auch die eigenen Motive sollten immer wieder hinterfragt werden. Es besteht sonst die Gefahr, „sich selbst zu verlieren“, zu resignieren oder ein ständiges Gefühl des Scheiterns zu haben. Die Foto: Paship.at Selbstwirksamkeit auch „im Kleinen“ ist wichtig, ebenso das Aufladen seiner „Batterien“, man braucht selbst gute und erfreuliche Erlebnisse und Begegnungen, um nicht abzustumpfen und auszubrennen. DIE FURCHE: Hat jeder Mensch Ideale? Erb: Dieses Urteil möchte ich mir nicht anmaßen, es ist letztlich auch eine Frage der Definition. DIE FURCHE: Wie kann man seine Ideale positiv einsetzen, ohne daran zu Grunde zu gehen oder gleich aufzugeben? Erb: Es kommt auf eine gute Dosierung an, auch auf die Frage, was in meinem Handlungsspektrum liegt und was nicht. Wo fühle ich mich ausgeliefert und fremdbestimmt, wo kann ich Veränderungsprozesse in Gang setzen und mit meiner Haltung und meinem Wertesystem Gutes bewirken? Ich habe es beispielsweise selber in der Hand, wie ich meinen Mitmenschen begegne, ob ich umweltbewusst lebe, mich in einem Verein engagiere, meinen Kindern Mitgefühl und rücksichtsvolles Verhalten vermittle und noch vieles mehr… Illu: iStock/ S-S-S (Bildbearbeitung: R. Messerklinger) Lösungen anbieten Jede Generation stehe vor neuen Herausforderungen, sagt Erb. Eine Frontenbildung nütze niemandem etwas. Im Dialog solle man lösungsorientiert bleiben, so Erb. „ Sich für etwas engagieren, ist ein leidenschaftlicher Vorgang, der andere mitreißen und mobilisieren kann, was wiederum den Gemeinschaftssinn stärkt und Bindungen schafft. “ Lesen Sie dazu auch „Die Welt erklären“, erschienen am 14.4.2021, von Doris Helmberger-Fleckl auf furche.at. DIE FURCHE: Beobachten Sie, dass sich Ideale von Generation zu Generation verändern? Stichwort Klimaaktivismus. Erb: Absolut, jede Generation steht vor neuen Herausforderungen und wählt unterschiedliche Möglichkeiten des Engagements oder des Protests. Man sollte die Sorgen der Menschen jedenfalls ernst nehmen, gerade auch die der Jungen, an pressierenden Themen mangelt es derzeit wirklich nicht. Darüber hinaus ist es wichtig, im Dialog und lösungsorientiert zu bleiben. Eine aufgeheizte Frontenbildung dient letztlich niemandem, auch nicht der Sache. Die Politik ist hier auch gefragt, Menschen seriöse Lösungswege und Hilfsangebote zu vermitteln, es geht immer auch um Themen wie Vertrauen, Zuversicht und das rasche Umsetzen von Taten. DIE FURCHE: Gibt es Ideale, die auch von Sozialen Medien befeuert werden? Erb: Auf jeden Fall und man hat auch das Gefühl, dass man aufgrund des rasanten Tempos und der Vielzahl an Möglichkeiten kaum mehr einen Überblick hat, was alles in kürzester Zeit verbreitet und gestreut wird. Als auffallend empfinde ich beispielsweise die übertriebene Selbstoptimierung, der oft nachgeeifert wird und zwar auf mentaler wie auf physischer Ebene. Körper- und Schönheitsideale, Fragen der Identität, diverse Bucket-Listen oder auch extreme Ernährungsvorgaben findet man derzeit zahlreich auf sozialen Medien. Auch Nachahmungsversuche gefährlicher und selbstverletzender Inhalte sind leider keine Seltenheit. Der TikTok-Algorithmus zieht den Nutzer und die Nutzerin (noch dazu handelt es sich meistens um Kinder und Jugendliche) in eine bestimmte Blase, man bekommt immer mehr aus den angeklickten Bereichen angezeigt. Das hat einen höchst manipulativen Charakter und mit Objektivität nichts mehr zu tun. Gerade für Kinder und Jugendliche sind gute reale Erlebnisse und soziale Kontakte von großer Wichtigkeit. DIE FURCHE: Wie gehen Sie in der Therapie mit Menschen um, die Ideale haben, die Ihnen vielleicht das Leben schwer machen? Zum Beispiel Geld, Materialismus, sagen wir, oberflächliche Ideale. Anders gefragt: Gibt es schlechte Werte? Erb: Es kommt darauf an, ob jemand einen Leidensdruck hat, seine bisherigen Wertvorstellungen und Ziele im Leben kritisch hinterfragt und auch Veränderungen vornehmen möchte. Materielle Werte müssen ja an sich nichts Schlechtes sein, wenn ich sie auch für mich und andere sinnvoll einsetze, Arbeitsplätze schaffe, Verantwortung übernehme usw. Jeder Mensch hat einen anderen Antrieb und unterschiedliche Wertvorstellungen. Man darf allerdings die Wichtigkeit von guten zwischenmenschlichen Beziehungen nicht unterschätzen und sollte diese wichtige Ressource gut pflegen. Auch Gesundheit, Sicherheit oder eine freie Gesellschaft sind nichts Selbstverständliches. Dankbarkeit und ein bewusstes Wahrnehmen von meiner Umwelt und dem Hier und Jetzt erachte ich für sehr wichtig. DIE FURCHE: Wie können wir unsere Ideale stärken, wenn wir z. B. merken, dass wir in der Minderheit sind mit unseren Werten. Das ist ja vielleicht auch verunsichernd. Was würden Sie Menschen da mitgeben? Erb: Darüber reden, am besten mit engen und wichtigen Bezugspersonen, bei denen ich mich sicher fühle und die mir wohl gesonnen sind. Es ist ja durchaus spannend, seinen eigenen Standpunkt und seine Werte mit anderen zu teilen, sie aber auch manchmal kritisch zu hinterfragen. Niemand sollte sich für seine Meinung und seine Werte verstecken müssen. Ein offener Diskurs, aber auch eine wertschätzende Gesprächs- und Streitkultur sind letztlich belebend und können mich auch stärker über den Tellerrand blicken lassen. Nur missionarisch aufzwingen sollte man seine Ideale niemanden, sie sollten freiwillig angenommen und geschätzt werden.
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