DIE FURCHE · 34 14 Diskurs 24. August 2023 ERKLÄR MIR DEINE WELT Ich fühle mich provoziert. Warum? Den gesamten Briefwechsel zwischen Johanna Hirzberger und Hubert Gaisbauer können Sie auf furche.at bzw. unter diesem QR-Code nachlesen. Johanna Hirzberger ist Redakteurin von „Radio Radieschen“ und freie Mitarbeiterin von Ö1. Den Briefwechsel gibt es jetzt auch zum Hören unter furche.at/podcast Ich hatte mich schon gefragt, wann unsere Welten wieder aufeinanderprallen. Dass mein Körper damit zu tun haben wird, damit habe ich nicht gerechnet. Als Kind der 90er erinnere ich mich noch an zahlreiche Talk- Shows, die das Thema Tätowierungen ausgeschlachtet haben. Einmal war ein Mann zu Gast, dessen Gesicht komplett bemalt war, auf der Stirn hatte er hörnerartige Implantate und seine Zunge war gespalten. Das hat mir Angst gemacht. Was mich jedoch an ihrer Ausführung überrascht, ist die religiöse Färbung Ihrer Vorurteile. Das macht etwas mit mir. Heilige Haut „ Wie viel Leidensdruck muss da sein, um sich auf eine Straße zu kleben, um sich Gewalt auszusetzen? Je größer der Druck, desto weniger hat man zu verlieren. “ Im Moment kann ich die Emotionen, die es in mir hervor ruft, noch nicht benennen. Vielleicht fühle ich mich provoziert. Warum? Weil ich an die zahlreichen Verbote und Maßregelungen im religiösen Gewand denke, deren Zweck es oft war und ist, Menschen zu unterdrücken? Oder vielleicht weil ich aus irgendeinem Grund an die Netflix-Serie „Vatican Girl“ denken muss, die mich wütend macht. Falls Sie diese noch nicht kennen, mich würde Ihre Meinung dazu interessieren. Noch eine Frage, und dann lasse ich es gut sein: Welches Organ fänden Sie denn ersetzbar? Solang ich kann, möchte ich mich von keinem trennen müssen. Nun gut, ich gehe davon aus, dass Sie die Sonne meiden und auch im Winter Cremen mit UV-Schutz tragen, wenn Ihnen Ihre Haut heilig ist. Das bringt mich gedanklich zu den steigenden Temperaturen und intensiveren Sonneneinstrahlungen, die uns im Zuge der Klimakrise auch in Zukunft begleiten werden. Da stelle ich mir die Frage, ob die klebenden Aktivistinnen und Aktivisten ihre Haut opfern, um unsere zu retten. Hach, vielleicht merken Sie es, die Hitze steigt mir zu Kopf. Ich finde Ihre Erzählung von Jan Palach spannend, ich muss zu meiner Schande gestehen, ich hatte noch nie von ihm gehört. „Auch die Handflächen von ‚Klimaklebern‘ sind kostbar“, schreiben Sie und ich denke: „Ja, genau deshalb sollten wir auch hinhören.“ Wie viel Leidensdruck muss da sein, um sich auf eine Straße zu kleben, um sich potenzieller Gewalt auszusetzen? Je größer der Leidensdruck, desto weniger hat man zu verlieren, das denke ich. „Menschen haben eine Eigenverantwortung“ – dieser Satz stammt von einer Interviewpartnerin. Sie ist Juristin und ich habe mit ihr über den Zusammenhang zwischen Social Media und den Boom von Schönheitseingriffen gesprochen. Übrigens dürfte man sich diesen auch nicht unterziehen, als Ebenbild Gottes, oder? Ist Jesus zu links? Wenn ich schon bei Social Media bin. Ein Freund hat mir auf Instagram einen Info-Post weitergeleitet. Er beschäftigt sich mit der Frage, ob Jesus zu „links“ ist. Genauer gesagt damit, dass evangelikale Protestanten und Protestantinnen in den USA in Gottesdiensten vermehrt Jesus kritisieren. Er sei eben zu links und seine Ansichten zu schwach. Einige hätten sogar bestimmte Bibel-Passagen streichen lassen wollen, wie die Bergpredigt im Matthäus-Evangelium. Was halten Sie denn davon? Um ehrlich zu sein, auf den ersten Blick dachte ich, es handle sich bei dem Post um einen Scherz. Vor einigen Jahren hätte ich an dieser Stelle geschrieben, dass ich neun Wochen Sommerferien für unverhältnismäßig halte. Das kann ich mittlerweile nicht mehr guten Gewissens behaupten. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es wäre, wenn die Schülerinnen und Schüler bei den aktuellen Temperaturen zusammengepfercht in ihren Klassenräumen säßen. Auch kann ich dem Argument etwas abgewinnen, dass einem Kind zwei Monate Auszeit im Jahr seelisch wie körperlich gut tun. Doch ich verwehre mich, diese Auszeit als absolute Flaute zu begreifen. Definitiv ist es legitim drei – oder von mir aus vier – Wochen einfach mal abzuhängen. Auf der faulen Haut liegen, Schwimmen, Zocken, Pfadfindercamp – erlaubt ist (fast alles), was entspannt. Aber danach kommen weitere vier Wochen – in denen Kinder sich wieder eingrooven sollten. Pro Tag eine Stunde Hirngymnastik bringt niemanden um. Das geht auch spielerisch. In öffentlichen Bibliothek gibt es Dutzende Gesellschafts- oder Computerspiele mittels derer mathematische Fertigkeiten trainiert werden können. Ganz zu schweigen vom umfangreichen Lesestoff. Wenn der Nachwuchs kein Bücherwurm ist, dann erfreut er sich vielleicht an Fußballmagazinen, Pferdeheften oder Comics. Auf langen Autofahrten kann das Vokabellernen sogar lustig sein. Was seht ihr? „Eine Straßenlaterne.“ Wie heißt das auf Englisch? „Street lamp“. Warum braucht man diese Dinger? „They should improve the safety of road LASS UNS STREITEN! Sollen Kinder auch in den Ferien lernen? users.“ Oder aber man schaut sich seine Lieblingsserie ab und zu auf Englisch an. Nein, nein. Nicht falsch verstehen. Das hier ist keine Gebrauchsanweisung für Streber oder deren Eltern. Es ist eher ein Plädoyer dafür, (geistig) nicht einzurosten. So haben Studien von Grazer Forschern unlängst gezeigt, dass in den Sommerferien Lesefertigkeit, Rechtschreibung, mathematisches Geschick, Kreativität und logisches Denken abnehmen. Der Grund: Diese Fähigkeiten werden im Ferienalltag seltener angewandt. In den USA wird das schon länger untersucht, der „negative holiday effect“ ist dort in aller Munde. Dem kann man entgegenwirken. Denn wer im Sommer kognitive Defizite entwickelt, hat es im Herbst um einiges schwerer. Das ist auch keine gute Aussicht. (Brigitte Quint) Die Schulferien sind die Zeit, in der sich die jungen Geister erholen können. Es mag verlockend erscheinen, diese Wochen für zusätzliches Lernen zu nutzen. Schließlich haben manche Kinder in einigen Fächern Aufholbedarf, die eine oder andere Fremdsprache sollte aufgefrischt und die eine Mathe-Formel besser eingeprägt werden. Aber bringt es wirklich etwas, Kindern in ihrer Freizeit weiteren Lernstoff aufzuzwingen? Egal, ob bildungsfern oder bildungsnah: Schülerinnen und Schüler sind das ganze Jahr über massivem Stress ausgesetzt. Nicht nur die ständige Benotung, auch die Weltlage und der Stress der Eltern beeinflussen die Kinder in ihrem Alltag. Ihre Strategien, damit umzugehen, sind im Vergleich zu Erwachsenen aber noch nicht sehr ausgereift. Daher brauchen Kinder besonders viel Erholung, um die Dinge, die sich über das Jahr angehäuft haben, zu verarbeiten. „Das Leben ist kurz, weniger wegen der kurzen Zeit, die es dauert, sondern weil uns von dieser kurzen Zeit fast keine bleibt, es zu genießen“, wusste schon Jean- Jacques Rousseau. Und längst ist bekannt, dass Lernpausen, sowohl kürzere als auch längere, zu einem größeren Lernerfolg führen. Nur wer frisch und ausgeruht ist, kann sich für etwas Neues öffnen und neugierig sein. Dass Schuljahr ist lang genug, wer braucht da Kinder, die bereits zu Beginn des Schuljahres ausgebrannt und müde sind? Zudem wird die Langeweile als Wert in unserer Gesellschaft zunehmend verdrängt. Dabei liegt in ihr sehr großes Potenzial für Kreativität und das Kennenlernen der eigenen, inneren Stimme. In Zeiten, in denen jeder und jede bei dem kleinsten Anflug von Langeweile bereits das Smartphone zücken kann, wird das Gefühl aber verunmöglicht. Eltern mit einem vollen Terminkalender, die Stress als Äquivalent zu Erfolg sehen, leben es vor. Und nun sollen auch die Kinder zu kleinen Managern ihrer Lerninhalte werden. Nein: In den Ferien ist die Zeit gekommen, in sich zu gehen. Kinder brauchen keinen neuen Lernstoff, sondern ruhige Plätze, die sie vor der Reizüberflutung schützen. Sie brauchen Natur, Spiel und Spaß. Denn ohne Spaß sind die besten Noten am Ende nichts wert. (Manuela Tomic) Medieninhaber, Herausgeber und Verlag: Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KG Hainburger Straße 33, 1030 Wien www.furche.at Geschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner, Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Chefredakteurin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Redaktion: Dr. Otto Friedrich (Stv. Chefredakteur), MMaga. Astrid Göttche, Dipl.-Soz. (Univ.) Brigitte Quint (Chefin vom Dienst), Jana Reininger BA MA, Victoria Schwendenwein BA, Dr. Brigitte Schwens-Harrant, Dr. Martin Tauss, Mag. (FH) Manuela Tomic Artdirector/Layout: Rainer Messerklinger Aboservice: 01 512 52 61-52 aboservice@furche.at Jahresabo: € 181,– Uniabo (Print und Digital): € 108,– Bezugsabmeldung nur schriftlich zum Ende der Mindestbezugsdauer bzw. des vereinbarten Zeitraums mit vierwöchiger Kündigungsfrist. Anzeigen: Georg Klausinger 01 512 52 61-30; georg.klausinger@furche.at Druck: DRUCK STYRIA GmbH & Co KG, 8042 Graz Offenlegung gem. § 25 Mediengesetz: www.furche.at/offenlegung Alle Rechte, auch die Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2 Urheberrechtsgesetz, sind vorbehalten. Art Copyright ©Bildrecht, Wien. Dem Ehrenkodex der österreichischen Presse verpflichtet. Bitte sammeln Sie Altpapier für das Recycling. Produziert nach den Richtlinien des Österreichischen Umweltzeichens, Druck Styria, UW-NR. 1417
DIE FURCHE · 34 24. August 2023 Diskurs 15 Der jüngste Skandal um Leihmutterschaft in Griechenland offenbart deutlicher denn je, worauf dieses Geschäft grundsätzlich basiert: auf Menschenhandel und Ausbeutung. Ein Gastkommentar. Grenzenlose Gier im Namen des Glücks Die Bilder der weinenden Leihmutter- Babys in Bunkern in der Ukraine sehen wir vielleicht noch vor uns. Der neue Skandal um Leihmutterschaft auf Kreta zeigt nun einmal mehr, dass Leihmutterschaft eine zutiefst menschenverachtende Methode ist: Eine Klinik soll im großen Stil Frauen aus Osteuropa ausgebeutet und Menschen mit Kinderwunsch durch Scheinbehandlungen betrogen haben. Der 73-jährige Inhaber der Klinik soll ein Netz von Zuhältern aufgebaut haben, die Frauen aus Moldawien, der Ukraine, Georgien, Rumänien und Bulgarien nach Griechenland geschafft haben. Dort wurden sie als Eizellen- „Spenderinnen“ und Leihmütter ausgebeutet. Viele dieser Frauen sind Romnja, alle stammen aus sehr armen Verhältnissen, wie der ORF am 19.8.2023 berichtete. Die Frauen seien von der Öffentlichkeit abgeschirmt und in 14 Wohnungen in erbärmlichen Verhältnissen untergebracht und überwacht worden. Die Betreiber(innen) der Klinik verlangten zwischen 70.000 und 100.000 Euro. Maximal 600 Euro erhielten die Leihmütter monatlich. Ihre Gegenleistung: – Sie lassen Hormonstimulationen über sich ergehen, die ihre Gesundheit kurz- und langfristig gefährden können, damit nicht nur eine Eizelle in ihnen heranreift, sondern mindestens zehn bis zwölf, die von geschäftstüchtigen „Wunschkinder-Kliniken“ unter Narkose entnommen und mit hohen Gewinnen weiterverkauft werden. – Oder sie „arbeiten“ als Leihmutter: Sie erfahren Hormonstimulationen, um den Körper auf die Schwangerschaft einzustimmen, das Einsetzen eines Embryos, eine risikoreiche Schwangerschaft mit einer ihnen fremden Eizelle und einen Kaiserschnitt, damit das Baby den Käufer(inne)n übergeben werden kann. Bereit für unangenehmes Wissen? Ich vermisse in unserer Gesellschaft bei vielen Themen das Mit-Fühlen, die Bereitschaft, sich unangenehmes Wissen anzueignen. Seit vielen Jahren weist „Aktion Leben“ auf die Verletzungen der Menschenrechte und des Kindeswohls hin, die der Leihmutterschaft zugrunde liegen und ohne die sie nicht funktioniert. Foto: Christina Schön Niemand kann sagen, nicht genug zu wissen. Das Problem ist: Wer für ein Verbot ist, stellt sich gegen Lobbyisten, die sagen: Alles kein Problem! Die Frauen taten es gern. Schaut nur die glücklichen Familien an! Ohne Leihmutter hätten sie kein Kind haben können. Ja, das ist leider so. Wir fühlen mit allen, die kein Kind bekommen können und sich eines wünschen. Wir wissen, dass hier jedes Wort verletzend sein kann. Und doch muss klar sein: Leihmutterschaft ist Babyhandel. Es sind riskante Schwangerschaften mit fremden Eizellen. Es sind auch Schwangerschaften unter großem Stress. Das alles ist weder der Gesundheit der Frau noch der Gesundheit der Kinder zuträglich. DIESSEITS VON GUT UND BÖSE Von Martina Kronthaler „ Leihmutterschaft benutzt Frauen und bringt Babys um ihr erstes Zuhause. Nichts davon können wir wollen. “ In den Berichten rund um die Klinik von Chania wurde eine Frau zitiert, die von Depressionen verschleppter Frauen berichtet. Auch Dr. Sheela Saravanan, Spezialistin für Gesundheit in menschlicher Reproduktion, berichtete seit Jahren über die katastrophalen Auswirkungen der Leihmutterschaft in Indien, von Depressionen unter den Schwangeren sowie körperlichen Beschwerden bis hin zu lebensbedrohlichen Situationen und Todesfällen. Chania in Griechenland ist die Spitze des Eisbergs. Denn Leihmutterschaft folgt Marktge- setzen, arme Frauen, findige Anwälte und gierige Geschäftsleute gibt es überall. Skandale gibt es viele rund um Leihmutterschaft. Aber es reicht anscheinend noch lange nicht. Bis zum weltweiten Verbot und dessen Durchsetzung werden noch viele Frauen krank oder sterbend auf der Strecke bleiben und Kinder bedenkenlos Traumatisierungen ausgesetzt, die niemand wahrhaben will. Ware Kind muss „unbeschädigt“ sein Aus jahrzehntelanger Erfahrung mit der Beratung und Begleitung schwangerer Frauen und Beschäftigung mit vorgeburtlicher Psychologie wissen wir: Leihmutterschaft ist in vielfacher Hinsicht auch eine tiefe Verletzung des Kindes. Es wird mit Vorbehalten gezeugt, es muss gesund sein, ein bestimmtes Geschlecht haben, eine bestimmte genetische Ausstattung besitzen … Das Kind wird vorsätzlich um eine sichere vorgeburtliche Bindung gebracht, da bei der Leihmutter ein starker innerer Konflikt entsteht, würde sie sich zu tief auf eine emotionale Beziehung einlassen. Jede Art von Bindung erzeugt Trennungsschmerz – davor versuchen sich die Frauen zu schützen. Meist erhält die Leihmutter nur Geld, wenn Schwangerschaft und Geburt komplikationsfrei verlaufen und die „Ware“ Kind unbeschädigt übergeben wird. Ein weiterer Stressfaktor, der auf das Baby wirkt. Durch den bei Leihmutterschaft standardisierten Kaiserschnitt und die unmittelbare Wegnahme von der Mutter wird das Baby abrupt aus seiner vertrauten Welt gerissen. Jedes Neugeborene braucht nach der Geburt den vertrauten Herzschlag der Mutter, den vertrauten Geruch aus dem Mutterleib und ihre Stimme, um sich in seiner neuen Welt zurechtzufinden. Leihmutterschaft nimmt dem Baby all das. Sie ist Sklavenhalterei, Menschenhandel, benutzt den Körper von Frauen, gefährdet ihre Gesundheit, ihr Leben. Und Leihmutterschaft nimmt den Babys ihr erstes Zuhause. Nichts davon können wir wollen – als Gesellschaft, die hoffentlich noch immer den Menschenrechten verpflichtet ist. Die Autorin ist Generalsekretärin von „Aktion Leben Österreich“. ZUGESPITZT SNUsige Stunden Das öffentliche Thermometer in Wien Mitte zeigt 38,4 Grad, die Wassertemperatur an der Alten Donau ist im Vergleich dazu mit 29 Grad geradezu angenehm. Man müsste das Büro, sollte die Klimaanlage ausfallen, in die Alte Donau verpflanzen, denkt der Boss und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Gegenüber sitzt die Kommunikation und die ist unerbittlich. „Welcher strategisch notwendiger Unsinn soll in den kommenden Wochen unters Volk gebracht werden?“, fragt sie den Boss. „More of the same, also ‚wir sind Auto‘ und ‚wir sind Bargeld‘? Oder geht’s noch besser?“ „Man könnte behaupten, die EU möchte unsere Heurigen abschaffen“, raunzt der Boss, weil er sich auf sein Glas am Abend freut. Die Kommunikation blickt erstaunt auf. So einen klugen Vorschlag hat sie nicht erwartet. „Sehr gut. Da haben wir mehrere Fliegen auf einen Schlag. Wir sind der Heurige. Österreichische Identität pur. Zugleich schüren wir Ärger gegen die EU. Sehr gut, im Vorfeld der Wahlen, sehr gut.“ Anerkennend und aufmunternd schaut die Kommunikation ihr Gegenüber an. „Noch ein Vorschlag?“ „Alte Donau. Denk dir irgendwas mit Alter Donau aus“, raunt der Boss, „die ist sowieso zu heiß und überhaupt, Wien, weißt eh, mach du, ich muss mich jetzt abkühlen.“ Brigitte Schwens-Harrant PORTRÄTIERT Politik im Schatten des Vaters möchte als jemand in Erinnerung bleiben, der das Erbe seines Vaters respektiert“, sagte jüngst „Ich der frisch gewählte Präsident Guatemalas in einem Interview. Dem 64-jährigen Bernardo Arévalo liegt die Politik buchstäblich im Blut. Er ist der Sohn des ehemaligen Präsidenten Juan José Arévalo, unter dem das Land das erste Jahrzehnt einer demokratischen Regierung erlebte. Ein Putsch setzte 1954 die Regierung ab und damit auch den Einfluss der demokratischen Linken für die nächsten drei Jahrzehnte. Das „Land der Bäume“, wie es übersetzt heißt, sah Bernardo erst im Alter von 15 Jahren, als seine Familie aus dem politischen Exil zurückkehrte. Dort beendete er die Schule und studierte in Israel und den Niederlanden bevor er eine Karriere als Diplomat begann, die er schließlich zugunsten eines Lebens in der Politik aufgab. Mit seiner 2017 gegründeten Partei „Semilla“ (Samen) baute Arévalo in nur wenigen Jahren eine Anti-Korruptionsbewegung auf. Arévalos Politik gilt als gemäßigt. Obwohl er nicht davor zurückschreckt, linke Regierungen wie die von Nicaragua zu kritisieren, wird er in der konservativen politischen Landschaft Guatemalas als der fortschrittlichste Kandidat angesehen. Vor seiner Kandidatur war er Abgeordneter im Kongress. Nun hat das bevölkerungsreichste Land Zentralamerikas am vergangenen Sonntag gewählt. Mit 58 Prozent der Stimmen setzte sich Bernardo Arévalo gegen seine Konkurrentin und ehemalige First Lady Sandra Torres durch. Für Guatemalas herrschende Oberschicht, der Korruption und Autoritarismus vorgeworfen werden, bedeutet sein Sieg eine herbe Abfuhr. Trotz des errungenen Sieges muss er mit Rückschlägen im Kongress rechnen, den seine Partei nicht anführt. Ab dem 14. Jänner nächsten Jahres soll er offiziell das Amt des Präsidenten übernehmen. Zwar hat sein Vorgänger und amtierender Präsident Alejandro Giammattei einen geordneten Machtwechsel versprochen, doch viele Guatemalteken und Guatemaltekinnen bleiben skeptisch. Zu oft mussten Richter und Korruptionsbekämpfer das Land verlassen. Die hohe Kriminalitätsrate und die Nahrungsmittelknappheit lösen immer wieder Wellen der Abwanderung aus. Guatemalteken bilden die größte Gruppe an Zentralamerikanern, die in die USA auswandern wollen. Wie schon sein Vater erbt Bernardo Arévalo eine angespannte politische Situation. (Helena Pichler) Foto: APA / AFP / Luis Acosta Der Anti-Korruptionskämpfer Bernardo Arévalo gewinnt den Präsidentschaftswahlkampf in Guatemala.
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