DIE FURCHE · 4714 Musik23. November 2023Witz, Tempo, FarbenRegisseur Jan Lauwers inszeniertGyörgy Ligetis „Le Grand Macabre“ ineiner an Buntheit kaum überbietbarenWelt. Im Bild: Sarah Aristidou (Chefder Gepopo/Venus), Georg Nigl(Nekrotzar), Gerhard Siegel (Pietvom Fass) und Ensemble.FORTSETZUNG VON SEITE 13teriker“ unterscheide sich vom Simulantendadurch, dass er demArzt dankbar sei, während ihmder Simulant grolle, in folgendenSätzen: „Ich hatte keine Bedenken,hysterische Symptome zuheilen, da die geheilten Patientenja nur mir dankbar und nur fürmich geheilt waren. Es bestandkeine Gefahr, dass sie je wieder inden Krieg mussten.“Er müsste blind oder ein Weltmeisterim Wegschauen gewesensein, um zu glauben, dass manseine Patienten einfach heimschickte.Auch wenn über seineStation keine Unterlagen vorliegen,fällt es sehr schwer, an dasWunder eines deutschen Arzteszu glauben, dem es in dieser Stellungerspart blieb, Patienten ihrenSchergen auszuliefern. Derpsychiatrisch nicht Qualifiziertehätte diese Arbeit nicht annehmenmüssen. Auch als Schuldabweiserund Selbstfreisprecherwar Konrad Lorenz ein Typus seinerwie ebenso unserer Zeit.In der Äußerung des Nobelpreisträgers,wer ihn in die Nähe desNationalsozialismus stelle, sei eineDreckschleuder, entblößte sichein Charakter. Ja, er war ein großerWissenschaftler, Bahnbrechereiner neuen Disziplin. Einefaszinierende Persönlichkeit?Unbedingt auch das. Ein großerMensch? Taschwer und Fögerüberlassen die Meinung darüberklugerweise dem Leser.Der Autor, Jg. 1927, war lange ZeitFURCHE-Redakteur und schriebdas Standardwerk „Nationalsozialistenvor dem Volksgericht Wien“(Innsbruck 2016). Zuletzt erschienen:„Der Nürnberger Prozess“(Czernin 2022).DIE FURCHEEMPFIEHLTKonrad LorenzBiografievon KlausTaschwer undBenedikt FögerCzernin 2023480 S., geb,€ 32,–Kardinal KönigKunstpreis ’23Die 1983 in Kiew geboreneKünstlerin Nika Kupyrovawird am 27. November imKunstraum St. Virgil für ihreArbeit „Woman in Green“mit dem Kardinal KönigKunstpreis 2023 ausgezeichnet.Anschließend Eröffnungder Ausstellung mit denWerken der 20 nominiertenKünstler(innen).Kunstraum St. VirgilErnst-Grein-Straße 14, 5026Salzburg. Mo, 27. 11., 18 Uhrkardinalkoenig-kunstpreis.atGyörgy Ligetis „Le Grand Macabre“ erstmals an der WienerStaatsoper und Jaromír Weinbergers „Schwanda, derDudelsack-Pfeifer“ im Museumsquartier. Beides hervorragend.Spiegel- undTraumbilderVon Walter DobnerAm Ende werde eine Suite darausübrigbleiben, das Werk selbstwegen seines Librettos auf demOpernfriedhof landen und damitdas Schicksal von Webers „Euryanthe“oder Straussʼ „Ägyptischer Helena“ teilen:So bissig resümierte der führende deutscheKritiker Joachim Kaiser 1978 anlässlichder in Hamburg stattfindenden deutschenErstaufführung über György Ligetis einzigeOper „Le Grand Macabre“. Die Geschichtehat ein anderes Urteil gefällt. Längst gilt diesesMusiktheater in vier Bildern als eines derherausragenden Meisterwerke der jüngerenVergangenheit. Überraschend spät ist dieseOper erstmals im Haus am Ring zu sehen.Das Geschehen nach einer Farce von Michelde Ghelderode spielt im Breughelland, dessenBewohner die Freuden des Lebens in all ihrenFEDERSPIELThe Long and Winding RoadFacetten ausgiebig genießen. Entsprechendbildet eines der Breughel’schen Wimmelbilder,hier in mehrere Teile zerklüftet, den Blickfangdieser Inszenierung von Jan Lauwers. Die Szeneriesuggeriert ein letztes, geradezu outriertesAufflackern einer an Buntheit kaum überbietbarenWelt vor dem vom Tod prophezeitenWeltuntergang. Selbst wenn dieser am Endeüberraschend nicht eintritt.Aber ist der von Georg Nigl in unüberbietbarvirtuoser Manier dargestellte Nekrotzargar nicht der Tod, sondern vielmehr ein Clown,ein Scharlatan? So wirklich festlegen will sichder Regisseur nicht – und das trifft auch aufdie Zeichnung der übrigen Protagonisten dieserdurch Witz, Tempo und Farbenpracht bestimmtenInszenierung zu. Überhaupt scheintLauwers das wirbelnde Bühnengeschehennur als Folie für eine dahinter liegende ernste,existenzielle Reflexion verstanden wissenzu wollen. Unter diesem Aspekt erweist sichFür viele zählt er zum Sonntagsritual: derTatort, der seit Jahrzehnten am Sonntag imHauptabendprogramm ausgestrahlt wird.Warum auch nicht? Gerade im Fernsehen, woes eine Überbereitschaft gibt, gute Formate abzuschaffen,wirkt der Krimi wie ein Ruhepol.Schon der Vorspann mit der goldigen Jazz-Signationist etwas immer Gleichgebliebenes. Danndiese Ermittlerduos, von denen manche unsereUrgroßeltern überleben! Wären sie wirklichePolizisten, müssten sie längst pensioniert sein.Die esoterische Botschaft, die der Körper derTatort-Sehenden aussendet, lautet: Ich habe Zeit,ich nehme mir Zeit. Und man braucht auch Zeit.Neunzig Minuten sind zu lange für einen Plot,der bei einem CSI-Krimi in zwölf Minuten fertigerzählt wäre. Also verkittet man die Szenen mitlangen Autofahrten und psychedelischen Zwischeneinblendungen,die vergangenen Sonntagvom Ertrinken handelten.In den Yoga-Schriften heißt es, dass der Yogi,wenn er ununterbrochen vier Stunden lang imSirshasana (dem Kopfstand) steht, die Zeit überwindet.Die Gefahr einerzerebralen Embolie vergaßendie Weisen wahrscheinlichabsichtlichzu erwähnen. Aber auchwer den Tatort ununterbrochen sieht, hat dieZeit überwunden. Er überwindet und verwindetunnötige Handlungswindungen, die dennochwichtig sind, um neunzig Minuten Fernsehenzu füllen. Somit wird dem Weisen vor demBildschirm auch klar, dass sich ein Verdächtiger,der nach rund 80 Minuten Tatort schon sogut wie überführt ist, letztlich doch noch als unschuldigherausstellen wird.The Long and Winding Road schlängelt sichlangsam an ihr Ziel. Und wirklich ist das Zeitgefühldann ein anderes. Die kurze ZiB 2, diefolgt, kommt einem dann wie ein Werbespotvor, und selbst die gähnentreibende SendungIm Zentrum hält man aus. All das zur Pflege derTradition.Der Autor ist Schriftsteller.Von Daniel WisserFoto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhnseine Arbeit als hinter aufdringlichem Glanzversteckte Kritik an einer Gesellschaft, dieglaubt, mit Glamour den eigentlichen Fragendes Lebens, damit auch dem Tod und einem Lebendanach, ausweichen zu können.Exzeptionell erwies sich auch die musikalischeRealisierung. Pablo Heras-Casado ander Spitze des exzellent aufspielenden Staatsopernorchestersund des brillanten SlowakischenPhilharmonischen Chors setzte beiseiner Interpretation nicht nur auf höchstePräzision. Ebenso eindrucksvoll arbeiteteer die zahlreichen, bis Monteverdi zurückreichendenInspirationsquellen dieservielschichtigen wie technisch überaus herausforderndenPartitur heraus.Gerhard Siegels klar artikulierender Pietvom Fass, Wolfgang Bankls köstlich-persiflierenderAstradamors, Sarah Aristidou als ineinem umfänglichen Reifrock agierende, mitstrahlenden Höhen aufwartende Venus sowieAndrew Watts zwischen Macht und Ohnmachtwirkungssicher changierender Fürst Go-Godominierten neben Nigl das ausgewogen besetzteSolistenensemble. Sie alle sorgten füreinen frenetisch umjubelten Premierenabend.Schnitzler, Freud und ein DudelsackWorum geht es in Jaromír Weinbergerseinstigem Welterfolg „Schwanda, der Dudelsack-Pfeifer“?Erschöpft er sich in Szenen einerin Turbulenzen geratenen Ehe? Geht esnicht genauso um ein erotisch aufgeladenesDreierverhältnis zwischen Schwanda, seinerEhefrau Dorota und dem Räuber Babinsky,garniert mit schrillen Episoden mit einer Königinund einem skurrilen Ausflug in die Unterwelt?Und lebt nicht Dorota ständig in zweiWelten? Nämlich tatsächlich in einer bürgerlichenmit ihrem – kurioserweise sein Instrumentnie benützenden – Dudelsackpfeifer, wobeisie aber gleichzeitig von einer mondänerenmit Babinsky träumt? Mit all dem konfrontiertuns Regisseur Tobias Kratzer, der sich in seinerInszenierung für das Theater an der Wien vonSchnitzlers „Traumerzählung“ inspirieren ließ.Das sorgt für Abwechslung und höchst beredteBilder, aus denen sich unschwer erkennenlässt, dass Kratzer das Geschehen in dieunmittelbare Gegenwart (Bühnenbild: RainerSellmaier) verlegt hat. Allerdings, so mancherfilmischer Einblendungen hätte es nichtbedurft. Und wenn man das Thema der durchFreud wesentlich angestoßenen sexuellen Revolutionaufgreift, hätte man es ungleich elegantermachen können. Dennoch: Eine in sichschlüssige, bis ins kleinste Detail ausgefeilteArbeit mit einer exzellenten Personenführung.„ Petr Popelka musizierte mit seinemkünftigen Orchester, den WienerSymphonikern, so elanvoll, dass mandas Gefühl hatte, sie wären einanderseit langem verbunden. “Das glänzend besetzte Ensemble wurde vondem in Pop-Barde-Outfit auftretenden AndréSchuen (Schwanda), der stimmgewaltigen,auch schauspielerisch exquisiten Vera-LotteBoecker (Dorota) und dem mit strahlendemMetall prunkenden Pavol Breslik (Babinsky)angeführt. Souverän wie stets agierte der ArnoldSchoenberg Chor. Und der designierteChefdirigent der Wiener Symphoniker, PetrPopelka, musizierte mit seinem künftigen Orchesterso elanvoll und musikantisch, wennauch zuweilen zu laut, dass man das Gefühlhatte, sie wären einander schon seit langemengstens verbunden.Schwanda, der DudelsackpfeiferTheater an der Wien, Halle E, Museumsquartier,24.11., 26.11. und 28.11.
DIE FURCHE · 4723. November 2023Theater15Am Wiener Volkstheater inszeniert Antonio Latella Carlo Goldonis berühmte Komödie „Der Diener zweierHerrn“ aus dem Jahr 1745 – mit und über Goldoni hinaus.Kein Happy End, nirgendsVon Patric BlaserIm weißen Jabot, grüner Weste und grünemFederbarett tritt der Wirt Brighella(Uwe Schmider) vor den Vorhang. Daer alles weiß, stellt er – Applaus einfordernd– anhand von Tafeln mit dem jeweiligenKonterfei das Personal von GoldonisDreiakter vor. Wer ob seiner Kostümierunggedacht hätte, einer historisierenden Aufführungdes Klassikers beizuwohnen, wird freilich,wenn der Vorhang sich hebt, eines anderenbelehrt. Die Bühne ist nämlich leer. DasVenedig der Handlung wird nur akustisch,allein durch das Gurren der Tauben vergegenwärtigt.Für das, was sich auf der weitenVolkstheaterbühne in nicht ganz drei Stundenentfalten wird, durfte Bühnenbildner GuiseppeStellato gerade einmal zwei Sänften undein paar Klappstühle (einer immerhin mit einerGondel-verzierten Rückenlehne) beisteuern.Die Kostümbildnerin Simona d’Amicohatte es da besser: Sie hat Kleider im Stil vonGoldonis Zeit ersonnen, wobei sie durch Musterund Farbe dazu beiträgt, die Zugehörigkeitder Personen zu ordnen. Das ist auch nötigfür Zuschauer(innen), denen die verworreneGeschichte nicht ganz geläufig ist.Der Beginn ist fröhlich: Es wird nämlich„Ammmooo-rre“ gefeiert, wie Irem Gökçen alsClarice murrt, während sie abwechselnd mitdem Mann ihres Herzens, Silvio (Mario Fuchs),mit Freudensprüngen und unter Anfeuerungsrufender Väter die Bühne quert. Dass die beidenzusehends außer Atem geraten, ist mehrals Hinweis, dass diesem Paar auf dem Wegzur Hochzeit die Puste ausgehen wird. Silviowird mit seiner ganzen Männlichkeit kämpfen– was Latella ganz buchstäblich versteht, indemer ihn gefühlt das halbe Stück mit blankem Gemächtherumfuchteln lässt – was auch nichthilft, zumal Clarice so gar nicht nur auf heteronormativeVerbindungen fixiert ist. So irrt ihrVater Pantalone (Andreas Beck), wenn er zufriedenruft: „So, das wäre erledigt.“Dämonisch, tierhaft, derbDenn jetzt kommen sie! Da ist zunächst derDiener Truffaldino. Das Kostüm mit den geometrischenRhomben kennzeichnet ihn alsNarren – und es scheint, als läge sich der famoseElias Eilinghoff nicht fest im Spiel desNarren. Wie die Figur ist seine Gestaltung einezwielichtige Angelegenheit, bietet er dochgleich eine ganze Palette von Narrenfiguren an.Mit seinem Bowler Hut hat er etwas von einemcharmanten Gauner, mit dem rastlosen Umherspringenakzentuiert er mal das Koboldhafte,Dämonische, in der Gestik und expressivenMimik betont er das eher Tierhafte, Derbeum im nächsten Augenblick ganz in Distanzzur Rolle zu gehen. Latella lässt ihn jeweils ausdem Untergrund auftreten, womit auf dessen(ungeklärte) Herkunft – von Harlekin als demFoto: © Marcel Urlaub / Volkstheater„Ammmooo-rre“: Unter der Regie von Antonio Latellalassen Beatrice (Lavinia Nowak, links) und Clarice (IremGökçen, rechts) dem Liebes-Verwirrspiel freien Lauf.„Höllenkönig“ – angespielt wird. Er zieht die Fäden,sodass sich die anderen Figuren manchmalwie besessen synchron zu ihm bewegen.Und da ist Beatrice (Lavinia Nowak), dieFrau in den Männerkleidern ihres verstorbenenBruders, dem eigentlich die Ehe mit Clariceversprochen worden war. Sie ist Herr von Truffaldinound auf der Suche nach ihrem GeliebtenFlorindo (Birgit Unterweger). Dieser wirdder andere Herr des Dieners, womit das großeDurcheinander erst so richtig Fahrt aufnimmt.In Venedig wird Beatrice nämlich vermeintlichfür den toten Bruder gehalten, worauf der ehrbareKaufmann Pantalone zu seinem Wort stehenwill. Aus der Liebesheirat wird also nichts,denn „ich hab mein Wort gegeben und ich binkein Hanswurst.“ Aber auch aus dem Possenspielwird nichts. Als Silvio Clarice wegen desangeblichen Betrugs mit ihrer Ermordungdroht, wird es ernst.Bis dahin hat Antonio Latella die Komödieeng in der Tradition der Comedia dell’arte inszeniert– mit einzelnen Szenen als Nummern,viel Situationskomik, Akrobatik und choreographiertenPantomimen sowie Raum für Improvisationaus dem Stehgreiftheater (mit einergroßartigen Einlage des Schauspielers Elias Eilinghoffdarüber, wie man Warten spielt). Jetztlässt er sie kippen; und auch die Dienerin Smeraldina(Lisa Schützenberger), die als Frau angesichtsdes angedrohten Femizids nicht mehrmitmachen kann: „Euch lässt man alles durchgehen!Und warum? Weil die Männer die Gesetzegemacht haben.“ Da nützt es nichts, dass allesnur Theater ist. Kein Happy End, nirgends.Stattdessen regnet es tote Tauben, aus dem Offist die Titelmusik aus „Tod in Venedig“ zu hören.Truffaldino/Eilinghoff hat das letzte Wort:„Und du Clarice? Was machst du?“Der Diener zweier HerrenVolkstheater Wien, 26.11., 29.11., 16.12., 30.12.,12.1. und 7.3.AuslandEuropaInlandÖsterreichWienWirtschaftFinanzenFeuilletonSportDebatteMein GeldRechtspanoramaGeschichteWissen& InnovationImmobilienManagement& KarriereBildungReiseUnabhängiger Qualitätsjournalismus.Bürgerlich-liberal.Die PresseSeit 1848Nachrichten. Meinung. Magazin.Gedruckt. Digital. Audio. Video. 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