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DIE FURCHE 23.05.2024

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DIE FURCHE · 21 24 23. Mai 2024 Die Atombombe ist im politischen Diskurs so präsent wie lange nicht. Ihre Konstruktion fußt auf der Forschung der Österreicherin Lise Meitner. Für die Pazifistin war dies jedoch ein Albtraum. „Oft fürchte ich, sie gelingt doch“ Von Manuela Tomic X-Faktor MOZAIK Weil ich in den 90ern zu oft die Mysteryserie „X- Factor“ schaute, gruselte mir nachts vor roten Lämpchen. In der Folge mit dem Titel „Rote Augen“ zieht eine dreiköpfige amerikanische Familie namens Sterling samt Nanny in ein schönes, neues Haus mit modernster Küche. Die Idylle bröckelt, denn sie werden in ihren vier Wänden von einem rot äugigen Geist gejagt. Zuerst vermuten sie, dass bloß die kybernetischen Küchengeräte unheimlich leuchten. Dann erzählt die Maklerin vom Selbstmord des Vormieters, und böse Ahnungen stiegen in mir auf. Am Ende beruhigt die warmherzige Nanny den verschreckten Sohn. Aber als sie sich umdreht, leuchten ihre Augen hinter seinem Rücken abrupt und feuerrot. Die Serie bezeichnet die Geschichte als „wahr“. Ist der elektrische Hausgeist in sie gefahren? Auch ich spürte manchmal in der Nacht ein seltsames Kribbeln in meinen Zehen. Wirr und müde saß ich tagsüber in meiner Klasse. Meine Mitschüler hatten rote Augen vom Kiffen, ich vom „X-Factor“-Schauen. Heute multipliziert sich der „X- Factor“ in meiner Wohnung. Das Modem flimmert grün, der Bildschirm blau, die Kippschalter der Mehrfachstecker strahlen orange. Ich bin die Nanny meiner eigenen Geräte. Wenn ich schreibe, glühen rot wie Rubine meine Zombieaugen auf. FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet. Die Kolumnen gibt es jetzt als Buch! Illustration: Rainer Messerklinger Foto: picturedesk.com / PhotoResearchers / Science Source Lesen Sie auch den Text „Pionierinnen der Forschung: Schau, schau, eine Frau!“ vom 20. Dezember 2023 von Manuela Tomic auf furche.at. Als eine der ersten Frauen studierte Lise Meitner Philosophie an der Universität Wien. Danach zog sie nach Berlin, um Chemie zu studieren, ehe sie vor den Nazis nach Schweden fliehen musste. Von Manuela Tomic Ausgerechnet unter der Naziherrschaft gelang dem deutschen Chemiker Otto Hahn im Dezember 1938 im Kaiser-Wilhelm- Institut in Berlin etwas, das er möglicherweise ursprünglich gar nicht gewollt hatte: Beim Versuch, mit Neutronen auf Uran zu schießen, entstand, statt wie von ihm erwartet, kein schweres „Transuran“, sondern Barium, nur halb so schwer wie Uran. Damit hatte Hahn als Erster einen Atomkern gespalten. Das Ergebnis fußt auf der jahrelangen Zusammenarbeit mit seiner vor den Nationalsozialisten nach Schweden geflohenen jüdischstämmigen Forscherkollegin, der österreichischen Physikerin Lise Meitner. In einem Brief teilt er ihr seinen Zufallserfolg mit. Meitner erkannte sofort die Brisanz von Hahns Entdeckung. Die Spaltung von Atomkernen setzt ungeheure Energien frei. Sollten die Nazis diese Kraft beherrschen, hätten sie eine Vernichtungswaffe in der Hand, mit der sie die ganze Welt bezwingen könnten. Heute, fast 90 Jahre später, ist die Diskussion über Atomwaffen so brisant wie lange nicht. Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine 2022 wurde ihr möglicher Einsatz wieder zum ultimativen Drohszenario von Russlands Präsidenten Wladimir Putin und seinem Außenminister Sergei Lawrow. Doch es gibt auch gute Entwicklungen: Der Iran hat sich kürzlich offen für direkte Gespräche mit den USA gezeigt und scheint für einen Kurswechsel in seiner Politik gegenüber dem Erzfeind bereit zu sein. Sogar die von den USA abgebrochenen Atomverhandlungen sollen wieder aufgenommen werden. Von einer nuklearfreien Region im Nahen Osten ist die Rede. So oder so: Die Macht der Atomwaffen hat die Politik und die Art, wie Kriege geführt werden, fest im Griff. Maßgeblich daran mitbeteiligt war eine Österreicherin, die heute auch als zweite „Marie Curie“ bezeichnet wird: die Physikerin Lise Meitner. Dass Meitner mit ihrer Forschung zur gefährlichsten Waffe der Welt beitragen würde, damit konnte sie wohl selbst nicht rechnen. Erste Versuche „ Otto Hahn bekam für die Entdeckung der Kernspaltung 1944 den Chemienobelpreis, der Lise Meitner trotz mehrfacher Nominierungen verwehrt wurde. “ Im Jahr 1934 erfahren Meitner und Hahn von einer Entdeckung des italienischen Physikers Enrico Fermi. Dieser hat herausgefunden, dass Kernumwandlungsprozesse viel effektiver ablaufen, wenn Atome mit Neutronen beschossen werden. Fermi und seine Mitarbeiter bestrahlen zu dieser Zeit eine ganze Reihe von Elementen mit Neutro nen, darunter auch Atome des zu dieser Zeit schwersten bekannten Elements: Uran. Dabei stoßen sie auf eine Substanz mit einer anderen Halbwertszeit als Uran und schließen daraus, noch schwerere Atome erzeugt zu haben, die sie Transurane nennen. „Ich fand diese Versuche so faszinierend, dass ich sofort nach deren Erscheinen im Nuovo Cimento und in der Nature Otto Hahn überredete, unsere seit mehreren Jahren unterbrochene direkte Zusammenarbeit wieder aufzunehmen, um uns diesen Problemen zu widmen“, erinnert sich Meitner später. Diese und viele weitere Dokumente aus ihrem Leben finden sich in der 2018 erschienenen Biografie „Lise Meitner: Pionierin des Atomzeitalters“ von David Rennert und Tanja Traxler (Residenz Verlag). Obwohl Meitner noch in ihrem 84. Lebensjahr klargestellt hat, dass sie keine Biografie über sich haben möchte, ist die Arbeit der 1878 geborenen Kernphysikerin viel zu essenziell. Längst gibt es unzählige Bücher, Ausstellungen und Filme über ihr Leben. Die Forschung zu Uran, das sie mit Neutronen anreichern, wird Meitner und ihren Forscherkollegen Otto Hahn über Jahre beschäftigen. 1938, Meitner ist längst vor den Nazis von Berlin nach Schweden geflohen, gelingt Hahn dann die Spaltung des Atomkerns. Meitner liefert im Februar 1939 gemeinsam mit ihrem Neffen, dem Kernphysiker Otto Fried, eine erste theoretische Deutung dessen, was Hahn im Labor passiert war. Die USA erkannten die Sprengkraft der Forschung und versuchten Meitner mehrere Male dazu zu überreden, dass sie in den Vereinigten Staaten zum Bau einer Atombombe forscht. Doch die Physikerin und erklärte Pazifistin lehnte jedes Mal ab. Die USA führten ihr „Manhattan-Projekt“, die Nutzung der Atomwaffen für militärische Zwecke, dennoch fort. Ein Jahr nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki wurde ausgerechnet Meitner, die Kriegsgegnerin, von den amerikanischen Boulevardmedien als „Mutter der Atombombe“ bezeichnet. Sie selbst wollte ihre Arbeit jedoch nie in den Dienst einer Massenvernichtungswaffe stellen. Eine Tragödie, die ihr gesamtes Leben überschatten sollte. Geboren in Wien-Leopoldstadt als Tochter eines Rechtsanwalts in einem jüdisch-protestantischen bürgerlichen Umfeld, interessierte sich Meitner schon früh für Mathematik, weshalb ihr Vater ihr einen Privatlehrer zur Verfügung stellte. 1907 ging sie nach dem Studium der Philosophie in Wien zum Chemiestudium nach Berlin, damals keineswegs üblich für eine junge Frau. Dort lernte sie ihren Kollegen, den Chemiker Otto Hahn kennen. Sie beide sollte daraufhin eine lebenslange Freundschaft verbinden. Hahn bekam für die Entdeckung der Kernspaltung 1944 den Chemienobelpreis, der Meitner trotz mehrfacher Nominierungen verwehrt wurde, obwohl sie überhaupt erst die theoretische Grundlage für Hahns Experimente geliefert hatte. In ihrem Aufsatz „Wege und Irrwege zur Kernenergie“ hält sie 1963 fest: „Ich möchte diese Darstellung nicht schließen, ohne zu sagen, wie sehr ich gewünscht hatte, die neu erschlossene Energiequelle möchte nur zu friedlichen Zwecken ausgenützt werden. Während des Krieges pflegte ich zu meinem Stockholmer Freund Oskar Klein zu sagen: ‚Ich hoffe, die Konstruktion einer Atombombe gelingt nicht, aber oft fürchte ich, sie gelingt doch.‘ Meine Furcht war berechtigt und wie sieht die Welt heute aus!“ Wie recht sie hatte. Lise Meitner Pionierin des Atomzeitalters Von David Rennert und Tanja Traxler Residenz 2018, 224 S., geb., € 27,–

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