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DIE FURCHE 23.05.2024

DIE

DIE FURCHE · 21 22 Wissen 23. Mai 2024 Mediterran und gesund Omega-3-Fettsäuren wirken gegen Entzündungen. Zudem sind sie am Bau der Botenstoffe Dopamin und Serotonin beteiligt, die wichtig für die Regulation der Stimmung sind. Foto: iStock/fcafotodigital Von Andrea Krieger Ernährung für die Stimmung? Da fällt vielen blitzschnell Schokolade ein. Freilich ist das braune Gold keine Dauerlösung. Schon gar nicht, wenn die Trübsal bereits über eine kurzfristige Lustlosigkeit und Niedergeschlagenheit hinausgeht. Laut dem Dachverband der Sozialversicherungsträger erkranken bis zu 20 Prozent im Laufe ihres Lebens an einer Depression, die in drei von vier Fällen immer wieder kommt. Für diese Betroffenen könnte eine aufstrebende Forschungsrichtung neue Hoffnung bringen. Die Rede ist von „Ernährungsmedizin in der Psychia trie“ („Nutritional Psychiatry“), die ihre Wurzeln in Australien hat. Hierzulande ist die Psychiaterin Sabrina Mörkl eine Vorreiterin. Die Grazerin dissertierte über Darmbakterien bei psychisch Kranken und hat Zusatzausbildungen in Ernährungs- und Nährstoffmedizin absolviert. An der Medizinischen Universität Graz unterrichtet sie das Wahlfach Ernährungsmedizin in der Psychiatrie. Komplexes Mikrobiom Und Ende 2023 hat Mörkl gemeinsam mit dem Koch und Ernährungstherapeuten Attila Várnagy ein Buch vorgelegt: „Ernährung für die Psyche: Das Kochbuch“ (Riva-Verlag). „Die Rezepte stammen aus Kochworkshops für Menschen mit Depressionen und Essstörungen. Deren Effekt hat Várnagy bei uns an der Uni-Klinik Graz untersucht“, sagt Autorin Mörkl. Vor dem Rezeptteil beschreibt Sabrina Mörkl auf 94 Seiten einfach verständlich den aktuellen Forschungsstand zum Thema Ernährung und Psy- Neuere Forschungen zeigen: Depressive Verstimmungen können durch eine Ernährungsumstellung verbessert werden. Wie man über das Essen wieder zu mehr Lebensfreude findet. Rezepte zur „Seelenkost“ che und gibt spezielle Tipps bei psychischen Leiden, allen voran bei Depressionen. „In diesem Bereich haben wir die meisten Daten“, betont Mörkl. „ Ist die Darmflora durch falsche Ernährung oder auch Stress gestört, entstehen kleinste chronische Entzündungen, die sich auf das Gemüt schlagen können. “ Einen Meilenstein gab es 2018. „Da erschien eine Metaanalyse, die eindrucksvoll belegt, dass sich depressive Symptome durch Ernährungsinterventionen signifikant senken lassen. Dazu wurden Daten aus 16 Studien mit über 45.000 Teilnehmenden zusammengefasst.“ Die Maßnahmen umfassten weniger Fett, Zucker und Fertiggerichte und mehr Gemüse und Ballaststoffe, wie in der mediterranen Ernährung. Die Wirkung erklärt sich über den Darm, genauer gesagt über das derzeit vielbeforschte Mikrobiom, jene ein bis zwei Kilo wiegenden Trillionen Darmbakterien unterschiedlichsten Typs. Beim Mikrobiom zählen der richtige Mix und eine möglichst große Vielfalt. Ist die Darmflora durch falsche Ernährung oder auch Stress gestört, entstehen kleinste chronische Entzündungen, die zwar nicht schmerzen, aber doch aufs Gemüt schlagen können. Denn vor allem über den weit verzweigten Vagusnerv finden diese chronischen Herde den Weg ins Gehirn (Darm-Gehirn- Achse). „Solche Entzündungen können einen Schwelbrand auslösen, der dazu führt, dass nicht mehr genügend Serotonin aufgebaut wird.“ Serotonin ist ein für das Wohlbefinden essenzieller Botenstoff, ebenso wie Noradrenalin. Bei Depressionen ist die Konzentration zu niedrig oder die Balance stimmt nicht. Fragt sich, wie schnell eine Ernährungsumstellung die Stimmung verbessern könnte. „Studien zufolge sind drei Monate realistisch, das Gehirn ist ein langsames Organ“, sagt Mörkl. Antidepressiva wirken schneller – in der Regel binnen zwei Wochen. Bei großem Leidensdruck macht das einen wichtigen Unterschied. Die Fachärztin möchte ihr Buch aber auch gar nicht als Gegenprogramm zur medikamentösen Behandlung verstanden wissen. „Als Psychiaterin biete ich bei mittelschweren und schweren Depressionen stets Antidepressiva an. Nebenwirkungsbedingt werden sie allerdings oft früher abgesetzt. Außerdem sprechen bis zu 40 Prozent nicht auf die Behandlung an, und nur knapp ein Drittel erreicht einen kompletten Symptomrückgang. Im Falle von leichten Depressionen helfen sie gar nicht.“ Was Mörkl ihren Studierenden mitgeben will: „Medikamente sind wichtig, Psychotherapie ist wichtig: Depressionen sind multifaktorielle Erkrankungen, und sie gehören auch multifaktoriell behandelt. Es gibt viele Faktoren, die Stress auslösen, und Ernährung ist eben die Grundlage. Gelingt eine Ernährungsumstellung dauerhaft, kann man die Antidepressiva unter Umständen reduzieren und mit der Zeit sogar absetzen. Das sehe ich in meiner Praxis jetzt schon seit einigen Jahren.“ Eine kleine, aber umso beeindruckendere Studie der australischen Nutritional-Psychiatry- Pionierin Felice Jacka scheint das zu bestätigen. Dafür wurden 67 moderat bis schwer Depressive mit ungesundem Ernährungsstil ausgewählt. Wer Anti depressiva und/oder psychologische Beratung in Anspruch nahm, blieb auch während der Studie dabei. Nach sieben individuellen Ernährungsberatungen binnen zwölf Wochen wurde ein Drittel gar nicht mehr als depressiv eingestuft. Wichtig: Der Effekt kam nicht etwa durch Gewichtsabnahme zustande. Studien mit Fischölkapseln Was macht die mediterrane Ernährung zur „Seelenkost“? Zum Beispiel ihr hoher Anteil an gesunden Kohlenhydraten: Gemüse und Salat lassen den Blutzuckerspiegel nur langsam steigen, anders als etwa Schokolade, die den Blutzucker in die Höhe schießen und ebenso schnell wieder in den Keller rasseln lässt – samt der Stimmung. Empfohlen werden fünf Handvoll unterschiedlichstes Obst und Gemüse, mit einem Schwerpunkt auf Gemüse. Als Eiweißquelle soll mindestens einmal wöchentlich Geflügel auf den Tisch, ab und zu auch rotes Fleisch. Von zentraler Bedeutung sind jedoch zwei Portionen fetter Fisch pro Woche. „Fisch

DIE FURCHE · 21 23. Mai 2024 Wissen 23 zeichnet sich durch seine Omega-3-Fettsäuren aus. Diese wirken anti entzündlich und sind am Bau von Dopamin und Serotonin beteiligt“, sagt Mörkl. Leinöl ist zwar ebenso eine gute Quelle von Omega-3-Fettsäuren, nur handelt es sich in diesem Fall um den Typ Alpha-Linolensäure (ALA), die nur bedingt in die beiden anderen wichtigen Omega-3-Typen Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) umgewandelt werden kann. „Es wurden schon viele Nahrungsergänzungen im Hinblick auf Depressionen untersucht – die meisten erfolglos. Bis auf Omega-3-Fettsäuren in Form von Fischöl, wo die Ergebnisse unterschiedlich waren“, erzählt Edda Winkler-Pjrek, Psychiaterin und Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin. „Neuere Studienresultate weisen darauf hin, dass die antidepressive Wirkung wohl vom Anteil der Omega-3-Säure EPA im Fischöl abhängen dürfte.“ An der Med-Uni Wien arbeitet sie gerade an einer Studie zum Thema Omega-3-Fettsäuren bei saisonal abhängiger Depression („Winterdepression“), einem Spezialgebiet von Winkler-Pjrek. Insgesamt 80 Teilnehmende sind geplant, weitere Probanden und Probandinnen werden noch gesucht. „Über acht Wochen bekommt die eine Hälfte Fischölkapseln mit hohem EPA-Anteil, während die Kontrollgruppe Placebokapseln erhält. Vor und nachher erheben wir die Entzündungswerte und schauen, ob diese mit den Symptomen korrelieren.“ Anregung für diese Studie war eine Untersuchung, bei der Fischölkapseln im Vergleich zum gängigen Antidepressivum Fluoxetin bei schweren Depressionen (nicht saisonal) getestet wurden. Beide Therapien schnitten gleich gut ab, die Wirkung von Fischöl setzte allerdings später ein. Und: Den stärksten Effekt auf die Stimmung hatte eine Kombination aus beidem. Ernährung für die Psyche Das Kochbuch Von Sabrina Mörkl und Attila Várnagy Riva-Verlag, 2023 256 S., kart., € 25,80 Zeitungen und Magazine liefern sorgfältig recherchierte, faktenbasierte Storys und Berichte. Und das kommt an. Laut aktueller Media-Analyse bieten sie 57 % der Befragten umfassende Hintergrundinformationen. Mit anderen Worten: Zeitungen und Magazine bringen’s – Print und digital. IN KÜRZE LITERATUR LITERATUR WISSEN MEDIEN ■ Lyrikpreis an Tamara Štajner Nach drei intensiven Tagen, an denen die Lyrik von neun Finalisten und Finalistinnen von einer Jury öffentlich besprochen wurde, ging am 18. Mai die 21. Ausgabe des renommierten Lyrikpreises Meran zu Ende. Die gebürtige Slowenin Tamara Štajner wurde mit dem ersten Preis ausgezeichnet. „Auf engstem Raum findet sich ein beglückendes Klang-, Bild- und Farbenspek trum in diesen Gedichten, die mal tonlos flüsternd auftreten (senza voce), mal eigensinnig, ostinato; mal lautstark, mit Elvis’ ‚Jailhouse Rock‘“, begründete die Jury ihre Entscheidung. Der Alfred-Gruber-Preis ging an Esther Dischereit, der Medienpreis an Sebastian Schmidt. ■ Booker Prize an Erpenbeck Jenny Erpenbeck ist als erste Deutsche mit dem International Booker Prize ausgezeichnet worden. Die Schriftstellerin und Opernregisseurin erhielt den diesjährigen Preis für die englische Übersetzung ihres Romans „Kairos“ gemeinsam mit Übersetzer Michael Hofmann, mit dem sie sich das Preisgeld von 50.000 Pfund teilt. Das Buch sei außergewöhnlich, weil es „sowohl schön als auch unangenehm ist, persönlich und politisch“, hieß es in der Begründung der Jury. Erpenbeck lade dazu ein, eine Verbindung herzustellen zwischen politischen Entwicklungen, die Generationen definierten, und einer zerstörerischen, sogar brutalen Liebesaffäre. ■ Ausbau des ISTA-Campus Der Campus des „Institute of Science and Technology Austria“ (ISTA) in Klosterneuburg wird weiter ausgebaut. Der nun vorgestellte „Masterplan 2036“ sieht rund 150 Forschungsgruppen und über 2000 Personen vor. Um die Infrastruktur dafür zu schaffen, werden bis 2028 drei neue Gebäude fertiggestellt, fünf weitere bis 2034. Land und Bund investieren in Summe 3,28 Milliarden Euro. Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sprach vom „nächsten Schritt der ‚Mission Nobelpreis‘“. Das Institut solle ein Magnet für Spitzenforschung sein. Ziel sei es, in den kommenden 20 Jahren einen Nobelpreis über das ISTA zu holen. ■ China: Reporterin wieder frei Nach vier Jahren Haft haben Chinas Behörden eine Bürgerreporterin aus dem Gefängnis entlassen, die aus Wuhan über den Ausbruch der Corona-Pandemie berichtet hatte und später von einem Gericht dafür verurteilt wurde. Unterstützer der früheren Anwältin veröffentlichten in der Nacht auf Mittwoch auf der Plattform X ein Video von ihr. Darin sagt sie: „Hallo, ich bin Zhang Zhan.“ Am 13. Mai um fünf Uhr habe sie die Polizei in die Wohnung ihres Bruders nach Schanghai gebracht. Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) zeigte sich erleichtert über die Bestätigung der Freilassung, betonte jedoch, dass die 40-Jährige weiterhin unter strenger Überwachung stehe.

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