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DIE FURCHE 23.03.2023

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DIE FURCHE · 12 6 International 23. März 2023 Das Gespräch führte Ralf Leonhard Edwin Mutemi wa Kiama ist in Kenia und darüber hinaus so etwas wie das „Gesicht des zivilen Ungehorsams“. Im Zuge eines Wien-Besuches erklärte er der FURCHE, warum es so schwer ist, die Bevölkerung in vielen afrikanischen Ländern für politischen Protest zu aktivieren, und wieso viele Wohlhabende auf dem Kontinent am Status quo festhalten wollen. DIE FURCHE: Als Menschenrechtsaktivist haben Sie schon mehrmals Bekanntschaft mit dem Polizeigefängnis in Kenia gemacht. Wie oft und wie lange – beziehungsweise was genau war der Anlass? Edwin Mutemi wa Kiama: Zweimal und jeweils nur zwei Tage. Meine Anwälte haben mich immer schnell herausgeholt. Einmal hatte ich ein Foto des damaligen Präsidenten Uhuru Kenyatta ins Netz gestellt und darunter geschrieben: „Leihen Sie diesem Mann kein Geld.“ Er hatte einen Kredit beim Weltwährungsfonds beantragt. Diese Gelder verschwinden immer schnell in irgendwelchen Taschen und verwandeln sich dann in Staatsschulden, die die Allgemeinheit in Form höherer Steuern zu tragen hat. Das andere Mal hatte ich ein Cover gepostet von einem sehr schmeichelhaften Buch über den Präsidenten. Es hieß „Uhuru Kenyattas Entwicklungsvermächtnis“. Ich fragte: „Welches Vermächtnis?“ Das ging im Netz viral und wurde von anderen Usern modifiziert und als Meme weitergepostet. Mir hat man vorgeworfen, ich habe die Autorenrechte verletzt. DIE FURCHE: Sie kamen schnell wieder frei. Also funktioniert der Rechtsstaat in Kenia. Kiama: Wenn man seine Rechte kennt und gute Anwälte hat. Das trifft auf die meisten Menschen nicht zu. Ich kann es mir erlauben, die Regierung zu kritisieren, weil ich die Zivilgesellschaft hinter mir weiß. Persönlich kann ich mir keinen Anwalt leisten, aber als Menschenrechtsaktivist habe ich die nötigen Netzwerke, die mich unterstützen. Das Problem ist, dass solche Prozesse ewig hinausgezögert werden können. Im Durchschnitt dauert so ein Verfahren sieben Jahre. Wenn man das abkürzen will, muss man dem Anwalt Geld geben, mit dem er den Richter schmiert, der dich dann schnell freispricht. DIE FURCHE: Wie weit darf ziviler Ungehorsam gehen? Bei uns gibt es Debatten, ob es legitim ist, den Verkehr zu blockieren, um auf die Klimakatastrophe hinzuweisen. KLARTEXT Lesen Sie hierzu den Text von Hypolite Adigwe „Peter Obi als Hoffnungs träger der jungen Bevölkerung“ (15.2.2023) auf furche.at. Spiel nach falschen Regeln So schnell kann es gehen. Nachdem die massiven Zinserhöhungen der US-Notenbank die Bewertungen vieler Technologie- Unternehmen gedrückt hatten, räumten diese ihre Konten bei der Silicon Valley Bank. Der plötzlich erforderliche Notverkauf von Wertpapieren ließ deren Eigenkapital dahinschmelzen. Kaum hatte sich das Management noch flugs die Boni für das Vorjahr ausgezahlt, war die Bank zahlungsunfähig. Die Hoffnung, es könnte sich um einen Einzelfall handeln, währte nur kurz. Dass die einst so stolze Credit Suisse mittels einer überhastet verordneten Zwangsübernahme durch ihren Konkurrenten UBS aus dem Verkehr gezogen würde, wäre noch vor zwei Wochen undenkbar gewesen. Warum ist das Bankensystem noch immer so fragil? Die nüchterne Wahrheit lautet, dass viele der seit der Finanzkrise 2008 gesetzten regulatorischen Maßnahmen an den eigentlichen Auslösern systemischer Schocks des Geldsystems vorbeizielen. Denn noch immer täuschen an Tageswerten orientierte Bilanzen in guten Blumenindustrie Kenia ist der weltweit größte Schnittblumenexporteur. Jährlich landen etwa 85 Prozent der kenianischen Schnittblumen in europäischen Wohnungen und Hotels. Entwicklungshilfe und wirtschaftliche Entwicklung widersprechen sich mitunter, sagt der kenianische Aktivist Edwin Mutemi wa Kiama. Ein Gespräch über Korruption, afrikanischen (Neo-)Sozialismus und die Kinder der Eliten. „Sie schicken die Polizei, drohen mit Prügel“ Kiama: Das Problem ist, dass ziviler Ungehorsam nur funktioniert, wenn genug mitmachen. Solange die Leute jeden Tag ums Überleben kämpfen, fokussieren sie sich darauf, wie sie täglich das Essen auf den Tisch bekommen. Unsere Politiker sind sehr gut darin, Aktivisten einzuschüchtern. Sie schicken dir die Polizei, drohen dir mit Prügeln. So bringen sie viele zum Schweigen. Es ist also eine Herausforderung. DIE FURCHE: In Österreich versuchen Politiker, durch die Erregung über die Protestform vom Anliegen des Protests abzulenken. Gibt es das auch in Kenia? Zeiten hohe Werte vor, die in schlechten Zeiten umso rascher verfallen. Und noch immer wird das Eigenkapital von Großbanken durch eine an der Rating-Einstufung ihrer Ausleihungen orientierte „Risikogewichtung“ schöngerechnet. Illusionäre „Stresstests“ der Bankenaufseher täuschen trügerische Sicherheit vor, schützen aber nicht vor all den unkontrollierten Schattenbanken, Hedgefonds und sonstigen Spielarten eines ungebremsten Casino-Kapitalismus. Und noch weniger vor derart abrupten Zinssteigerungen, wie sie die Notenbanken gerade vorexerzieren, obwohl diese doch schon 2008 ein Mitauslöser der Krise waren. Auch wenn die globalen Großbanken dagegen Sturm laufen werden: Dieses Spiel nach falschen Regeln, die nur zum Schein für Finanzmarktstabilität sorgen, muss beendet werden. Der Autor ist Ökonom und Publizist. Von Wilfried Stadler Kiama: Natürlich. Die Politiker sind sehr gut darin, vom eigentlichen Thema abzulenken. Kaum einer will gefragt werden, was er tatsächlich geleistet hat. Am liebsten bringen sie Großprojekte ins Spiel, die viel kosten und entsprechende kickbacks abwerfen. Sie mögen es nicht, wenn man nachfragt, ob diese Straßen, Dämme oder Brücken wirklich zur Entwicklung des Landes beitragen. Manche Projekte werden nur beschlossen, weil sie eine Vergütung von zehn oder 20 Prozent für die Politiker generieren. DIE FURCHE: Sie sind als Vertreter der Organisation „Africans Rising“ nach Wien gekommen. Was ist Ihr Anliegen? Kiama: „Africans Rising“ ist ein kontinentales Netzwerk von Bewegungen. Es gilt, unser Gegenüber zu sensibilisieren: dass Afrika nicht nur ein Kontinent mit enormen Ressourcen ist, sondern aus Menschen besteht. Wenn Europäer von einem Aufbruch Afrikas sprechen, dann geht es meist um Investitionen, Gewinne – also um Bergbau oder Land. Davon profitieren nur wenige Afrikaner. Der Rest führt einen täglichen Kampf um Nahrungsmittel, Bildung, leistbare Gesundheitsversorgung. Auf unserem Kontinent leben sehr viele junge Menschen, aber weder die Regierungen noch „ Der Rechtsstaat funktioniert, wenn man seine Rechte kennt und gute Anwälte hat. Das trifft auf die meisten Menschen nicht zu. Zudem sind die Richter bestechlich. “ Foto: APA / AFP / Yasuyoshi Chiba westliche Konzerne beziehungsweise jene aus China oder Russland haben unsere Zukunft, unsere Perspektiven im Blick. DIE FURCHE: Was leistet Ihre Organisation in oder für Kenia? Kiama: Wir nennen uns „Kongano La Mapinduzi“ (auf Deutsch: revolutionärer Kongress, Anm. d. Red.) und versuchen in den nächsten zehn bis 20 Jahren eine politische Alternative zu den traditionellen Parteien aufzubauen. Die etablierten Parteien wurden von den Eliten geschaffen und dienen deren Interessen. Wir setzen auf die Basis, wollen uns in zwei bis drei Jahren als politische Partei registrieren lassen und dann zunächst in Lokalwahlen antreten. DIE FURCHE: Früher musste man davon ausgehen, dass eine Organisation, die sich „revolutionär“ nennt, von der Sowjetunion gesponsert wird. Wie ist das heute? Kiama: Wir bekennen uns zum Sozialismus als Idee, sind aber weder prochinesisch noch prosowjetisch oder von sonst jemandem abhängig. Es geht um die afrikanische Perspektive. DIE FURCHE: Hier in Wien haben Sie für eine Dekolonisierung von Entwicklung plädiert. Was meinen Sie damit? Kiama: Bei traditionellen Entwicklungsprojekten stehen Ressourcen im Fokus. Den Gebern geht es um lohnende Investitionen. Die Kolonisierung hat der Ressourcenausbeutung durch die europäischen Mächte gedient. Heute sind die Länder unabhängig, aber das Schema wiederholt sich in Form der Investitionen der Bergbaukonzerne, die Steuerprivilegien genießen und minimale Löhne zahlen. Sie tragen in keiner Weise zur wirtschaftlichen Entwicklung jener Staaten bei, in denen sie tätig sind. Das trifft genauso auf die Produktion von Schnittblumen oder Lebensmitteln zu. Entwicklungsgelder erhalten mitunter ein System, das diesen Konzernen ihre Gewinne garantiert. DIE FURCHE: Können Sie das konkretisieren? Kiama: Die Sicherheitskräfte in Uganda, die für den Krieg gegen den Terrorismus ausgerüstet werden, sorgen dafür, dass die Menschen, die den benachbarten Kongo ausplündern, ungehindert agieren können. Und dieselben Sicherheitskräfte schikanieren die Opposition und schützen Präsident Museveni, der gerade ein strenges Anti- LGBTQ-Gesetz verabschieden ließ. Er wird seit Jahrzehnten von Entwicklungsgeldern an der Macht gehalten. Der 1973 in Zentralkenia geborene Edwin Mutemi wa Kiama war im März auf Einladung des Wiener Instituts für internationalen Dialog und Zusammenarbeit (vidc) in Wien. Foto: Ralf Leonhard DIE FURCHE: Wie viel koloniales Denken steckt heute noch in der afrikanischen Politik? Kiama: Sehr viel. Die Leute, die heute das Sagen haben, sind die Nachkommen von jenen Kollaborateuren der Kolonialmächte, die damals auf europäische Universitäten geschickt wurden und das Privileg hatten, sich zu bilden. In Kenia ist es ganz deutlich, dass die Söhne und Töchter der nationalen Eliten nach dem Abzug der Briten für die Erhaltung des Status quo sorgten. Die Leute, die im Mau-Mau-Aufstand in den 1950er Jahren wirklich für die Unabhängigkeit kämpften, hatten keine Kinder mit Schulbildung. Ich hatte heute die Gelegenheit, ein bisschen von Wien zu sehen. Ich bin mit der Straßenbahn gefahren, die mit Steuergeldern finanziert wird, und sah all die anderen Dinge, die der Staat oder das Bundesland bereitstellt. Davon können wir in Afrika nur träumen. Unsere Regierungen stecken das Geld, das sie uns wegnehmen, in ausländische Banken. Wieso sind bei uns Wasserversorgung und Müllabfuhr keine öffentlichen Dienstleistungen? Nairobi hat deshalb die teuersten Schulen der Welt, weil die Bildung kommerzialisiert ist.

DIE FURCHE · 12 23. März 2023 International 7 Indonesien verlegt seinen Regierungssitz von Java nach Borneo. Die brandneue Supercity mitten im Dschungel soll „Nusantara“ heißen und 2024 eingeweiht werden. Die dafür notwendige Rodung hat längst begonnen. Alte City versinkt: Metropole aus der Retorte als Ausweg Von Günter Spreitzhofer Borneo ist nach Grönland und Neuguinea die drittgrößte Insel der Welt. Mit 750.000 Quadratkilometern neunmal größer als Österreich, ist das Eiland auf drei Staaten aufgeteilt: Brunei Darussalam, Malaysia und Indonesien. Kalimantan, wie die indonesische Provinz heißt, umfasst rund drei Viertel der Inselfläche und beheimatet etwa 20 Millionen Menschen. Indonesiens Peripherie lebt – vor dem Hintergrund massiver Abholzung der tropischen Regenwälder – von Holzexport, Palmölplantagen und Kautschukproduktion und spielt aktuell eine politische Nebenrolle. Doch genau das soll sich nun ändern: Die Hauptstadt des größten Inselstaates der Welt, dessen aktuelle Bevölkerung auf über 270 Millionen Menschen geschätzt wird, soll nach Ostkalimantan verlegt werden. Der Plan ist nicht neu und existierte in Grundzügen bereits seit der Präsidentschaft von Sukarno, Indonesiens erstem Präsidenten nach der Unabhängigkeit 1949. Auch seine Nachfolger Suharto und Susilo Bambang Yudhoyono stellten Überlegungen an, das stark überbevölkerte Jakarta zu entlasten und als politische Schaltzentrale abzulösen. Industrie pumpt Grundwasser ab Doch erst der aktuelle Präsident Joko Widodo („Jokowi“) macht ernst. Er konkretisierte die Pläne 2019, gab dem designierten Stadtgebilde einen Namen und ließ für das Projekt ein Budget von 34 Milliarden US-Dollar verabschieden: Die Capital City of Nusantara (Ibu Kota Nusantara, IKN) wird nach Fertigstellung eine eigene Verwaltungseinheit namens Otoria bilden, für die mittlerweile bereits eine eigene Behörde eingerichtet wurde. „Nusantara“ ist ein altjavanisches Wort, das so viel wie „äußere Inseln“ bedeutet und oft als Synonym für den indonesischen Archipel verwendet wird. Ein solcher Hauptstadtumzug ist in Südostasien nichts völlig Neues: Auch die neuen Regierungssitze von Malaysia (Putrajaya, 2003) und Myanmar (Naypyidaw, 2006) wurden am Reißbrett entworfen. Die Motive: Bevölkerungsdruck und Emissionen. Angesichts des indonesischen Umzugs kommen noch weitere Probleme hinzu, die auf Jakarta lasten. So liegt die Stadt auf der Insel Java, eine der dichtest besiedelten Regionen der Welt (etwa eineinhalbmal so groß wie Österreich). Auf nur sieben Prozent der Staatsfläche wohnen in Indonesien damit über 60 Prozent der gesamten Bevölkerung. Jakarta zählt etwa 35 Millionen Menschen und gilt als einer der größten Ballungsräume der Welt. Mittlerweile kommt es regelmäßig zu Überschwemmungen, weil 40 Prozent der Hauptstadt unter dem Meeresspiegel liegen. Bis 2050 könnte laut Expert(in n)en das gesamte Gebiet von Nordjakarta überflutet sein, auch ohne jede Einberechnung des zusätzlich klimawandelbedingten Anstiegs des Meeresspiegels. Hauptursache davon ist vor allem das exzessive Abpumpen von Grundwasser für industrielle Zwecke, womit – begünstigt durch das Gewicht der Bauwerke – die Stadt buchstäblich versinkt: je nach Lage bis zu 20 Zentimeter jährlich, unregelmäßig intensiv, aber stetig. Verrufenes Verkehrsmoloch Hinzu kommen – neben latenten Bedrohungen durch tektonische Naturkatastrophen – eine hohe Luftverschmutzung und der tägliche Verkehrskollaps: Statistisch 22 Tage jährlich verbringt ein Mensch, der in Jakarta wohnt, durchschnittlich im Stau. Mehrfach wurde die Metropolregion als schlimmster Verkehrsmoloch der Welt bezeichnet. Aus den Außenbezirken pendeln täglich mehr als drei Millionen Menschen in die City. Nusantara ist etwa 2000 Kilometer von Jakarta entfernt, das Indonesiens Finanz- und Wirtschaftszentrum bleiben soll. Die neue Hauptstadt wird dann zwar ebenfalls an der Küste liegen, allerdings ist Ostkalimantan deutlich weniger von Wetterphänomenen betroffen. Außerdem ist die latente Gefahr tektonischer Kräfte (Erdbeben, Vulkanausbrüche, Tsunamis) wesentlicher geringer, da Borneo – im Gegensatz zu Java – nicht unmittelbar am zirkumpazifischen Feuerring liegt. Noch steht dort, wo sich bald die neue Hauptstadt befinden soll, vor allem dichter Wald. Offiziell wird erst seit Juli 2022 großmaßstäbig gerodet und gebaut – mit rund 100.000 Arbeitskräften, die zunächst in ganz Indonesien rekrutiert wurden und erst nach massiven Protesten sukzessive auf 200.000 aufgestockt wurden, um auch Arbeitsplätze für die Bevölkerung Kalimantans zu schaffen. Erste Bereiche von Regierung und Verwaltung sollten bereits bis zum Ende von Jokowis zweiter und letzter Amtszeit im Jahr 2024 übersiedeln – um am indonesischen Unabhängigkeitstag (17. August) zumindest die offizielle Eröffnung vornehmen zu können: Bis dahin dürfte jedenfalls der Präsidentenpalast fertiggestellt sein. Ein Zehnjahresplan sieht vor, dass die Regierungsgeschäfte ab 2034 komplett aus Nusantara geführt werden. Das gesamte Projekt soll 2045 abgeschlossen sein und 1,5 Millionen Menschen Lebensraum bieten. Die Euphorie über das Supercityprojekt im Dschungel hält sich in Grenzen; Skepsis und Kritik an Jokowis Denkmalsetzung überwiegen hier wie dort. Pandemiebedingt hinkt man dem baulichen Plansoll hinterher, die Kostenprognosen sind nicht absehbar und umstritten: Indonesien braucht jedenfalls dringend wirtschaftliche Anreize, um sich von den pandemiebedingten Wirtschaftseinbrüchen der letzten beiden Jahre zu erholen. „Eine neue Hauptstadt hilft uns hier in Jakarta wenig“, sagt die indonesische Architektin Elisa Sutanudjaja, die das urbane Reißbrettprojekt als zu elitär und abgehoben kritisiert: „Fast alle Menschen müssen hier weiterleben.“ Kaum mehr als ein paar Hunderttausend werden in den nächsten Jahrzehnten aus Metro-Jakarta nach Borneo ziehen (müssen oder wollen), das ist nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung des Ballungsraumes. Umfragen des KedaiKOPI Survey Institute zufolge standen im August 2019 knapp 96 Prozent der befragten Bevölkerung Jakartas dem Umzug des Regierungssitzes auf die Insel Borneo negativ gegenüber. Foto: Günter Spreitzhofer Das indonesische Onlinemagazin Benar News wiederum berichtet von der Sorge der Einwohner Kalimantans, aus dem Baugebiet vertrieben zu werden. Führungskräfte der Dayak, wie die nichtmuslimische, indigene Bevölkerung auf Borneo bezeichnet wird, begrüßen zwar den geplanten Umzug in das unterentwickelte Gebiet – doch Eigentumsrechte an Grund und Boden können die wenigsten Menschen vorweisen, deren traditionelle Wirtschafts­ Mit Werbemaßnahmen versucht die Regierung, die aus dem Boden gestampfte Superstadt als nachhaltig zu präsentieren. Die Nachteile, die das Projekt für die Bevölkerung darstellt, werden freilich kaum betont. formen (Wanderhackbau) großen Beamte, Militärs und Sicherheitskräfte. Allerdings plant die Regie­ Flächenbedarf aufweisen und ohnedies durch zunehmende Rodungen für cash crops wie Palmöl te, sondern eine ebenso grüne rung keineswegs eine Betonwüs­ und Kautschuk bedroht sind. „Wir wie nachhaltig smarte City, in der müssen unsere Kultur und unsere sich die Probleme Jakartas nicht Bräuche bewahren“, fordert Jubein wiederholen sollen. 80 Prozent Jafar, ein Sprecher der Dayak. „Ich der Mobilität sollen mit öffentlichen Verkehrsmitteln und zehn habe Angst, dass wir einfach so vertrieben werden, dass sie uns Prozent der Nahrungsversorgung sollen lokal erfolgen. Auch sagen, wir sollen einfach umziehen und irgendwo anbauen.“ setzt man zu 100 Prozent auf erneuerbare Energien. Nusantara Irgendwann soll sich die Stadt über mehr als 250.000 Hektar erstrecken. Der Plan ist, gegen, mit oder ohne Regenwald. sieht einer grünen Zukunft ent­ dass anfangs etwa eine Million Und der Stau in Jakarta geht indes Menschen in das neue Verwaltungszentrum ziehen, vor allem lich und reformpolitisch. weiter: ökologisch, gesellschaft­ FUTTER FÜR’S GEHIRN Wenn Sie Lust am Denken haben, dann scannen Sie den QR-Code und lesen Sie Feuerring liegt. “ „ Die Gefahr von tektonischen Kräften – Erdbeben, Vulkanausbrüchen, Tsunamis – ist wesentlich geringer, da der neue Standort nicht unmittelbar am zirkumpazifischen DIE FURCHE 4 Wochen kostenlos gedruckt und digital! Lesen Sie hierzu einen Text aus dem Navigator aus dem Jahr 1950 von Alfred Posselt, „Nach der dritten Runde in Indonesien“, auf furche.at.

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