DIE FURCHE · 12 16 Film & Medien 23. März 2023 FILMKOMÖDIE FILMKOMÖDIE Sympathischer Neurotiker Vincent Macaigne und Sandrine Kiberlain in „Tagebuch einer Pariser Affäre“. Gedrehte Rollenbilder Der Franzose Emmanuel Mouret („Küss mich bitte!“) zählt zu den Spezialisten in Sachen amouröse Verwicklungen. Sein jüngster Film, „Tagebuch einer Pariser Affäre“, hatte in Cannes Premiere und fällt klar in die Kategorie gehobenes französisches Starkino: Die alleinerziehende Mutter Charlotte (Sandrine Kiberlain) und der verheiratete Simon (Vincent Macaigne) lassen sich auf eine Beziehung ein. „Nichts Ernstes“, ist man sich einig. Stattdessen haben sie gute Gespräche, guten Sex und genießen die Gegenwart des anderen. Versuchen sie sich darüber hinaus anzunähern, scheint das beim jeweils anderen jedoch auf Ablehnung zu stoßen. Erfrischend ist, dass in diesem ganz auf die Dialoge fokussierten Werk die üblichen Geschlechterrollen gedreht sind. Der Unsichere ist Simon, der schon mal meint, er sei zu nichts gut, und lieber verstörende Seelenbeichten von sich gibt, als sein Interesse an einem Mehr direkt zu bekunden. Das setzt sich fort bis in die Körperhaltung von Macaigne, der seine Rolle leicht gebeugt und linkisch, fast schon bedauernswert anlegt. Es ist die Besetzung, die „Tagebuch einer Pariser Affäre“ sehenswert macht, während die Inszenierung mehr auf der gediegenen Seite ist, mit hübschen, ausgesuchten Settings und überdeutlichen visuellen Hinweisen auf die emotionalen Schlüsselmomente. Das Resultat sind einige Längen, trotz all der Qualität, die hier am Werk ist. (Thomas Taborsky) Tagebuch einer Pariser Affäre (Chronique d’une liaison passagère) F 2022. Regie: Emmanuel Mouret. Mit Sandrine Kiberlain, Vincent Macaigne, Georgia Scalliet. Polyfilm. 100 Min. Selbstoptimierung kann an den Rand der Selbstverstümmelung gehen. Kristoffer Borglis „Sick of Myself“ ist die treffende Farce dazu. Hässliches Entlein Von Otto Friedrich „ Nicht was ist, ist wichtig, sondern was mehr Aufsehen – sei es Positives, sei es im Schlechten – erregt, steht im Vordergrund. “ Der aktuelle schwedische Regiestar Ruben Östlund, der seinen Ruhm bekanntlich mit der Kulturbetriebsfarce „The Square“ (2017) besiegelte, hat einen Zwilling bekommen: Was der Norweger Kristoffer Borgli in seinem Langfilmdebüt „Sick of Myself“ zeigt, steht Östlunds Œuvre an Boshaftigkeit und Wahrheit um nichts nach. Eine Gesellschaftssatire, bei der einem das Lachen im Hals stecken bleibt ... Thomas (Eirik Sæther) ist ein bildender Künstler, dessen Kunst zunächst einmal aus der widerrechtlichen Aneignung von Designermöbeln besteht. Thomas lebt in einer, wie man heute zu sagen pflegt, toxischen Beziehung mit Signe (Kristine Kujath Thorp). Als Thomas mit seiner Raubkunst unerwartet Erfolg hat, ist Signe konsterniert – und muss versuchen, auf ihre eigene, unredliche Weise Aufmerksamkeit zu erregen: Als Signe bei einem Dinner mit Sponsoren für Thomas mit einer gespieltem Nussallergie ihrem Gefährten die Schau stiehlt, hat sie „ihr“ Genre gefunden: Sie nimmt fürderhin dubiose russische Medikamente ein, die Hautausschläge und Geschwüre zur Folge haben. Die so selbst Verunstaltete begibt sich in medizinische Betreuung, aber die Ärzte finden keine Diagnose. Schließlich dockt Signe bei einer Modelagentur mit inklusiver Philosophie an: Nicht Toxische Beziehung gertenschlanke, ewiggleich aussehende Typen sind heutzutage gefragt, sondern auch ein mitleiderregendes, weil verunstaltetes Gesicht wie jenes von Signe. Selbstredend, dass die Assistentin der Geschäftsführerin dieser Modelagentur blind ist und sich besonders tollpatschig anstellt ... Neue Version des Geschlechterkampfes Thomas (Eirik Sæther), künstlerisch erfolgreich, und Signe (Kristine Kujath Thorp), seltsam erkrankt. Selbstoptimierung, eines der Schlagwörter der 2020er Jahre, bedeutet hier, dem Schönheitswahn mit selbstverursachter Hässlichkeit zu begegnen. Und im Letzten geht es ums rechte Bedienen der Aufmerksamkeitsökonomie. Nicht was ist, ist wichtig, sondern was mehr Aufsehen – sei es Positives, sei es im Schlechten – erregt, steht im Vordergrund. Und der altbekannte Konkurrenzkampf der Geschlechter erhält in der Version der Auseinandersetzung zwischen diebischem Thomas und selbstverstümmelnder Signe eine neue Brisanz. Die Gesellschaft als Farce: Dieser skandinavischen Spielart des Filmemachens, zu der etwa auch „Der schlimmste Mensch der Welt“ von Landsmann Joachim Trier aus dem Jahr 2021 zu zählen ist, setzt Kristoffer Borgli mit „Sick of Myself“ ein neues Highlight hinzu. Sick of Myself (Syk Pike) N 2022. Regie: Kristoffer Borgli. Mit Kristine Kujath Thorp, Eirik Sæther. Filmladen. 95 Min. Adrien (Benjamin Lavernhe) hat mit sich und dem Leben zu kämpfen, seit sich seine Freundin in eine Beziehungspause verabschiedet hat. Gleichzeitig soll er aber eine Rede für die Hochzeit seiner Schwester vorbereiten, und zudem gibt es ein langweiliges Familienessen. Vom Vorspann an, der vom Protagonisten in einem festlichen Saal dem Kinopublikum vorgelesen wird, sprüht Laurent Tirards Komödie vor Einfallsreichtum. Mehrfach lässt der Franzose so beispielsweise Adrien, der mit seinem Voice-over den Film zusammenhält, die imaginäre vierte Wand durchbrechen und direkt in die Kamera sprechen. Man spürt das Vergnügen Benjamin Lavernhes an dieser Rolle, doch so fies dieser Adrien manchmal agiert, so bleibt er im Grunde doch immer sympathisch. Nicht zuletzt durch diese spürbare Empathie für ihn und seine Familienmitglieder, die alle ihre Fehler haben, entwickelt „Meine Schwester, ihre Hochzeit und ich“ großen Charme. Doch nicht nur Amüsement bietet diese Komödie, sondern erzählt auch einiges über familiäre Beziehungen und die Abhängigkeit vom Smartphone, wenn das Warten auf eine SMS die ganze Aufmerksamkeit Adriens bindet. Ein Neurotiker in der Nachfolge der Figuren Woody Allens ist dieser Enddreißiger, bis Tirard im Finale mit der Hochzeits rede dann noch einen Haken schlägt und der Film mit einem Schuss Rührung in einer Hommage an die Liebe und – trotz allem – an die Familie endet. (Walter Gasperi) Meine Schwester, ihre Hochzeit und ich (Le Discours) F 2020. Regie: Laurent Tirard. Mit Benjamin Lavernhe. Panda Film. 87 Min. Laurent Tirard ist in „Meine Schwester, ihre Hochzeit und ich“ in seinem Element. DOKUMENTARFILM Jedermann (und viel mehr) MEDIEN IN DER KRISE Und immer noch ORF … Man kann ja sehr wohl der Meinung sein, den „Jedermann“, ohne den sich die Salzburger Festspiele nicht vorstellen wollen, als schwaches Stück und aus der Zeit gefallen anzusehen. Man sollte sich dennoch Reiner Holzemers Dokumentarfilm „Lars Eidinger – Sein oder nicht Sein“ ansehen, der über weite Strecken um die Erarbeitung der Titelrolle des Hoffmansthal-Stücks kreist. Trotz aller Vorbehalte wird durch die Performance von Lars Eidinger, des aktuell Omnipräsenten in der deutschen Schauspielkunst, sichtbar, wie sich ein Darsteller mit der Rolle identifizieren kann und sie für sich entwickelt. Dabei ist der „Jedermann“ beileibe nicht die einzige Tätigkeit Eidingers, der Holzemer nachspürt: von der (erzählten) Aufführung des Franz-Moor-Monologs aus Schillers „Räubern“ an der Schauspielschule über Shakespeares Hamlet oder Richard III. bis zu Filmen mit Isabelle Huppert oder Juliette Binoche bzw. unter der Regie von Olivier Assa yas – all das fängt der superbe Film ein und bringt den Schauspielberserker abseits seiner Rollen dem Publikum nahe. (Otto Friedrich) Lars Eidinger ist diesen Film lang in seinem Element. Lars Eidinger – Sein oder nicht Sein D/A 2022. Regie: Reiner Holzemer Filmladen. 92 Min. Radiodirektorin Ingrid Thurnher habe sie bislang nicht kontaktiert. Generaldirektor Roland Weißmann auch nicht. So Chefdirigentin Marin Alsop am 15. März im Standard. Eigentlich, so denkt sich der kleine Maxi, sollten sich Chefs, die nun schon 14 Monate im Amt sind, einmal anschauen lassen. Aber bei ORF und RSO Wien scheint das anders. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Dabei geht es dieser Tage nicht nur fürs Orchester, sondern für den gesamten ORF ans Eingemachte. Und gibt es eine ORF-Diskussion? Weiter nicht. Immerhin befragen verschiedene Medien zurzeit Stiftungsräte jedweder Couleur. Erfreuliches las man am 18. März im Kurier vom Wiener Stiftungsrat, dem Tourismusmanager Norbert Kettner, der die Verlogenheit der Politik in Sachen ORF-Finanzierung – keine Valorisierungen über Jahre, Einsparungen ohne Perspektive etc. – geißelte. Und dass man das RSO zum Abschuss freigibt, damit vielleicht nicht an anderen Baustellen der Anstalt herumgedoktert wird. Kettners Diagnose wird wenig nützen. Denn er ist halt ein Roter, also brauchen die Türkis-Schwarzen, die das Sagen im Stiftungsrat haben, nicht auf ihn hören. Nicht einmal bei seiner Ansage, ORF-Journalist(inn)en sollten sich privater „Seelenblähungen“ auf Twitter und Co enthalten. (Otto Friedrich)
DIE FURCHE · 12 23. März 2023 Wissen 17 Die Aufarbeitung der Coronakrise ist angesagt – nicht nur in Österreich. Global relevant ist die Frage, wie sich die Pandemie auf die Klimakrise ausgewirkt hat. Gibt es auch hier noch Überraschungen? Eine US-Studie hat verschiedene Weltregionen beleuchtet. Vorübergehend hinuntergebremst Von Klaus Stiefel Im Rückblick erscheint vieles in einem anderen Licht: Das betrifft etwa die Herkunft des Coronavirus. So bringt eine vorläufige Analyse nun Marderhunde im chinesischen Wuhan als potenzielle Überträger ins Spiel. Wissenschafter waren auf zuvor unbekannte chinesische Daten vom Huanan Seafood Market, dem Ursprung der Pandemie, gestoßen. Illustres Detail am Rande: Während der Coronakrise ist auch die Zahl der UFO-Sichtungen in den USA gestiegen. Das zumindest legt eine Studie im Journal of Scientific Exploration nahe. Angesichts der fortschreitenden Klimakrise stellt sich freilich auch die Frage nach der CO₂-Bilanz: Hat die verringerte wirtschaftliche Aktivität während der Pandemie den Klimawandel eingebremst? Schließlich haben die teils drastischen Corona-Maßnahmen die globale Wirtschaftsleistung reduziert. Es wurde weniger produziert und viel weniger gereist. All diese Aktivitäten verbrauchen fossile Brennstoffe, deren Verbrennung Kohlendioxid in die Atmosphäre freisetzt. Messung mit Radarpulsen Diese Frage drängt sich natürlich auf, und es gibt mittlerweile eine respektable wissenschaftliche Literatur zu dem Thema. Es war kein leichtes Unterfangen, die verschiedenen Faktoren, die den Kohlendioxidausstoß beeinflussen, auseinanderzudividieren. Denn die Strenge, der Beginn und die Dauer der Lockdowns waren zwischen verschiedenen Ländern, und auch zwischen verschiedenen Provinzen innerhalb eines Landes, teils sehr unterschiedlich. Auch ist es keineswegs trivial, den lokalen CO₂-Ausstoß zu messen. Denn Kohlendioxid als Gas vermischt sich mit dem Rest der Atmosphäre, sobald es aus dem Automotor oder dem Kohlekraftwerk austritt. In einer Studie von Ram Roy und Kollegen von der Prairie-View-A&M-Universität in Texas haben die Forscher Satelliten daten verwendet, die den Kohlenstoffkreislauf in den obersten Schichten des Erdbodens, also bis zu einer Tiefe von fünf Zentimetern, messen. Damit können die CO₂-Emissionen lokal erfasst werden. Die Daten kamen von einem NASA-Satelliten („Soil Moisture Active Passive“), der „ ‚Süß sind die Nutzen der Widrigkeiten‘, heißt es bei Shakespeare. Doch es führt kein Weg daran vorbei, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu beenden. “ Foto: iStock/imaginima Satellitendaten Die Daten der amerikanischen Studie kamen unter anderem von einem NASA- Satelliten, der die Feuchtigkeit des Bodens misst. die Feuchtigkeit des Bodens mittels kurzer Radarpulse misst. Durch ausgeklügelte Berechnungen kann man dann aus dem Echo dieser Radar pulse den Kohlenstoff im Boden eruieren. Der Zusammenhang zwischen den Satelliten daten und dem Kohlenstoff im Boden wurde in vorhergehenden Studien geeicht, indem der berechnete CO₂-Gehalt mit dem vor Ort im Boden gemessenen Kohlenstoff verglichen wurde. Die kleinste Fläche, die so bei den Messungen aufgelöst werden kann, ist etwa ein Quadratkilometer. Auf diese Weise konnten die Wissenschafter zuerst den Kohlendioxidausstoß zwischen 2016 und 2019 ermitteln – also einer Periode kurz vor der Pandemie, während der die Wirtschaft in vielen Teilen der Welt ungebremst lief. Wie zu erwarten, stieg der Kohlendioxidausstoß in diesen Jahren in den meisten Teilen der Welt an. Dann verglichen die Autoren der Studie den CO₂-Ausstoß zwischen 2019 und 2020, also während der Pandemie. In vielen Teilen der industrialisierten Welt sanken in diesem Zeitraum die Kohlenstoffemissionen – ganz besonders in Europa, wo es von 2016 bis 2019 noch einen signifikanten Anstieg gegeben hatte. In Nordamerika folgte auf einen moderateren Anstieg eine etwas geringere Reduktion der Emissionen während der Pandemie als in Europa. In Asien – das stark unterschiedlich entwickelte Volkswirtschaften von Japan bis Afghanistan beinhaltet – waren die Emissionen vor der Pandemie fast unverändert und fielen während der Coronakrise leicht. Australien als „Klimasünder“ Nur in Australien, das zu den schlimmsten „Klimasündern“ zählt, gab es sowohl von 2016 bis 2019 als auch während der Pandemie ein Wachstum der Emissionen (wenn auch pandemiebedingt ein etwas geringeres) – und das trotz teils drakonischer Lockdowns im Bundesstaat Victoria. Insgesamt gab es in den 184 untersuchten Ländern eine Reduktion des CO₂-Ausstoßes um 438 Millionen Tonnen. Andere Studien zeichnen ein ähnliches Bild: Die Folgen der Covid-Pandemie haben die menschlichen CO₂-Emissionen klar verringert. Allerdings war diese Reduktion nur temporär, denn die Weltwirtschaft samt Verbrauch fossiler Brennstoffe kommt ja gerade wieder in Schuss. „Süß sind die Nutzen der Widrigkeiten“, heißt es bei Shakespeare. Aber „süß“ war die Episode ganz und gar nicht – es wäre sicher besser, die wirtschaftliche Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu beenden und nicht auf zynische Weise auf Krankheiten und andere Katastrophen zu hoffen, welche die ökologischen Auswirkungen der Weltwirtschaft abpuffern. Genauso wie es nicht die beste Art ist, abzunehmen, indem man sich den Magen verdirbt. Der Autor ist Biologe, populärwissenschaftlicher Autor und Naturfotograf. Er lebt zurzeit auf den Philippinen. KREUZ UND QUER WAS MÄDCHEN WERT SIND – EINE MUTTER IM IRAN DI 28. MÄRZ 22:35 Drei Töchter hat Mina bereits zur Welt gebracht. Doch es muss ein Sohn, ein männlicher Stammhalter der Familie geboren werden: So verlangt es die strenge Tradition im Iran, so verlangt es auch Minas Mann. Als sie neuerlich schwanger wird, droht ihr Mann, sie zu verlassen und sich eine neue Frau zu nehmen, sollte sie keinen Sohn gebären. Ein intimes Porträt über gesellschaftspolitischen Druck und familiäre Zwänge im Iran. religion.ORF.at Furche23_KW12.indd 1 15.03.23 11:19
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