DIE FURCHE · 12 10 Diskurs 23. März 2023 ALSO SPRACH „ Frieden ist gut. / Weiß nicht wie man Frieden macht. / Vielleicht ohne Lärm? / Vielleicht mehr helfen? / Vielleicht die Menschen mögen? / Vielleicht mehr lesen? / So kann man Frieden machen! “ „Frieden“ lautet der Titel dieses Gedichtes, mit dem Martin Kogler aus Pernitz beim diesjährigen inklusiven Schreibwettbewerb „Ohrenschmaus“ für Autorinnen und Autoren mit Lernbehinderung teilgenommen hat. AUS DEM FURCHE-NAVIGATOR Interview mit Heinrich Treichl Nr. 22/2. Juni 1994 „Haltet die CA fest in unseren Händen!“ In einem Gespräch mit Elfi Thiemer aus dem Jahr 1994 warnt der damalige langjährige Chef der Creditanstalt, Heinrich Treichl, vor den Folgen einer Übernahme seiner Bank durch den schweizerischen Credit Suisse. Foto: APA / AFP / Ukrainian Presidential Press Service / Handout ZEITBILDER Machtpolitische Besuche und Bündnisse Dass dieses Timing Zufall ist, glauben wohl nur wenige: Zeitgleich mit Xi Jinpings Staatsbesuch in Russland tauchte Japans Premier Fumio Kishida überraschend in Kiew auf – und versicherte Wolodymyr Selenskyj „die Solidarität und unerschütterliche Unterstützung Japans und der G7-Staaten“. Der Ukraine half Japan zwar nicht mit eigenen Waffen (das Land verzichtet in seiner Verfassung auf Gewaltausübung zur Lösung internationaler Konflikte), aber mit Finanzhilfen, die im weltweiten Vergleich beeindruckend sind: Ein japanisches Hilfsprogramm für Kiew im Umfang von 5,5 Milliarden US-Dollar wurde auf den Plan gerufen. In der Tat Ich will den Halt nicht verlieren wirkt Kishidas jüngster Auftritt wie ein gezielter weltpolitischer Konter gegen Kriegstreiber Putin und Chinas Machthaber und ihr augenfälliges Zusammenrücken. Auch weil Putins Krieg in Europa für die gesamte demokratische Staatenwelt des Pazifiks als Warnsignal gesehen wird. Sollte sich Russland militärisch durch setzen, so lautet die Sorge in Asien, werde sich der macht gierige Xi an Putin ein Beispiel nehmen und ebenfalls seine Nachbarn überfallen: erst Taiwan, dann wohl Japan, früher oder später das rohstoff- und energiereiche Australien. Indes wurde beim Treffen von Xi Jinping und Putin das „enge Bündnis“ der Länder nachdrücklich betont. (bqu) Foto: APA / AFP / Sputnik / Sergei Karpukhin DIE FURCHE: Was empfinden Sie als langjähriger Chef der verstaatlichten Creditanstalt, wenn jetzt ein größeres Aktienpaket zur Disposition steht? Heinrich Treichl: Die Formel „verstaatlichte Creditanstalt“ höre ich nicht sehr gern. Sie stimmt nur zum Teil. Immerhin gibt es 30.000 kleinere Privataktionäre. [...] Die Bank ist eben nicht ein reiner Staatsbetrieb. Daß man das immer wieder vergißt und nicht berücksichtigt, ist mein erster Vorwurf an den Großaktionär Republik Österreich. Was den Verkauf selbst betrifft, so habe ich mir den schon lange gewünscht. [...] DIE FURCHE: Zwei konkrete Angebote liegen vor. Der Credit Suisse will letztlich die Mehrheit an der CA. Dem steht das Angebot einer deutsch/italienisch/österreichischen Gruppe gegenüber. Gute Lösungen? Treichl: Es gibt nur eine wirklich richtige Lösung: die Privatisierung über den Kapitalmarkt, also ein breites Angebot der Aktien an das Publikum, ohne Frage nach Reisepaß, Gruppeninteressen oder Strategien. [...] Um Mißverständnisse zu vermeiden, muß ich dazu zuerst einmal sagen, daß ich für die Schweizerische Kreditanstalt besondere Sympathie habe. Sie ist für mich Jahre hindurch ein wichtiger Geschäftspartner gewesen. [...] Ich kann aber trotzdem nicht sagen, es ist gleichgültig, von wem und wo die Zukunft der CA gestaltet wird: Die Creditanstalt als Tochter der Schweizerischen Kreditanstalt würde zu einem Standbein der Schweiz in der Europäischen Union werden. [...] Und nationale Interessen werden noch lange, auch innerhalb der EU, eine Rolle spielen. Lesen Sie hier den ganzen Text: ERKLÄR MIR DEINE WELT Lieber Herr Gaisbauer! Johanna Hirzberger Journalistin Schön, dass ich Ihnen den Frühling zeigen soll. Aber bevor ich die silbernen Fenstergriffe vor mir nach oben drücke, hole ich noch einmal tief Luft. Für das folgende Thema benötige ich einen langen Atem. Ich finde es interessant, dass Ihnen jene Person den Rücken stärkt, die mir und vielen anderen FLINTA*s (ja, wieder ein Code, der möglicherweise aufstößt, er meint: Frauen, Lesben, intersexuelle, nichtbinäre, trans und agender Personen – also jene, die aufgrund ihrer Geschlechtsidentität patriarchal diskriminiert werden) immer wieder den Wind aus den Segeln nimmt. Es fällt mir daher schwer, auf diesen Ausschnitt Ihrer Welt zu reagieren. Nicht weil ich, wie man annehmen könnte und wofür es auch genü gend Gründe gäbe, die katholische Kirche bashen möchte. Sondern weil mir diese Institution das Licht zum Sehen nimmt. Mit meinen folgenden Worten werde ich es niemandem recht machen. Die einen werden sich von mir angegriffen fühlen, die anderen werden von mir enttäuscht sein, gehört es doch mittlerweile zum guten Ton, aus der Kirche auszutreten. Als emanzipierte Person muss ich mich dafür rechtfertigen, für einen Verein Mitgliedsbeitrag zu zahlen, der Menschen über Jahrhunderte diskriminiert, misshandelt und sich selbst bereichert hat. Die dringlichste Frage unserer Zeit? Lassen Sie mich einen Bogen spannen. Der Glaube ist privat, das Private ist politisch. Da frage ich mich schon: Ist die priesterliche Eheschließung, die zurzeit wieder diskutiert wird, wirklich die dringlichste Frage unserer Zeit? Wenn ich die aktuellen Artikel zum IPCC-Bericht lese, kann ich dazu ganz deutlich Nein sagen. Und so wie in der Politik nicht auf Klimaaktivist:innen gehört wird, verschließen sich auch die konservativen Christ:innen vor jenen, die Jesu Wort nicht nur verkünden, sondern auch leben, wie die Unterstützer:innen von Maria 2.0. Ich verstehe also, wenn mir meine bubble sagt, ich sollte toben, mich zur „ Als emanzipierte Person muss ich mich dafür rechtfertigen, für einen Verein Mitgliedsbeitrag zu zahlen, der Menschen über Jahrhunderte misshandelt und sich selbst bereichert hat. “ Wehr setzen und meinen Mund aufmachen für jene, die dies nicht können. Ich sollte jetzt wohl also das Fenster aufmachen, um mich hinauszulehnen. Doch dabei stoße ich dieses Mal nur auf Beton. Ich will den Halt nicht verlieren. Klammere mich an dem brüchigen Rahmen fest, auch wenn seine Splitter meine Haut verletzen. Diese kleinen Wunden kann auch kein Papst aus Übersee heilen. Aber warum halte ich mich dann noch fest? Ich bin ehrlich: Es sind egoistische Gründe. Ich glaube an eine Kraft, von mir aus soll sie Gott genannt werden, die mich stützt, wenn ich sie brauche, durch die ich mich in Sicherheit wiege. Dieser Kraft begegne ich nicht in der Kirche, sondern allein daheim beim Tagebuchschreiben, eine Liebe, die mir übrigens mein Großvater vermittelt hat. Finden Sie nicht auch, dass der aufrichtige Weg zu sich selbst die Lösung vieler gesellschaftlicher Probleme mit sich bringen könnte? Ich wünsche Ihnen einen herrlichen Frühlingsbeginn. Auf dass es mir einmal möglich sein wird, meinen Enkel:innen die Liebe zur blühenden Natur vermitteln zu können. Ihre Johanna Hirzberger Den gesamten Briefwechsel zwischen Hirzberger und Hubert Gaisbauer können Sie auf furche.at bzw. unter diesem QR-Code nachlesen. Medieninhaber, Herausgeber und Verlag: Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KG Hainburger Straße 33, 1030 Wien www.furche.at Geschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner, Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Chefredakteurin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Redaktion: Dr. Otto Friedrich (Stv. Chefredakteur), MMaga. Astrid Göttche, Dipl.-Soz. (Univ.) Brigitte Quint (Chefin vom Dienst), Jana Reininger BA MA, Victoria Schwendenwein BA, Dr. Brigitte Schwens-Harrant, Dr. Martin Tauss, Mag. (FH) Manuela Tomic Artdirector/Layout: Rainer Messerklinger Aboservice: 01 512 52 61-52 aboservice@furche.at Jahresabo: € 181,– Uniabo (Print und Digital): € 108,– Bezugsabmeldung nur schriftlich zum Ende der Mindestbezugsdauer bzw. des vereinbarten Zeitraums mit vierwöchiger Kündigungsfrist. Anzeigen: Georg Klausinger 01 512 52 61-30; georg.klausinger@furche.at Druck: DRUCK STYRIA GmbH & Co KG, 8042 Graz Offenlegung gem. § 25 Mediengesetz: www.furche.at/offenlegung Alle Rechte, auch die Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2 Urheberrechtsgesetz, sind vorbehalten. Art Copyright ©Bildrecht, Wien. Dem Ehrenkodex der österreichischen Presse verpflichtet. Bitte sammeln Sie Altpapier für das Recycling. Produziert nach den Richtlinien des Österreichischen Umweltzeichens, Druck Styria, UW-NR. 1417
DIE FURCHE · 12 23. März 2023 Diskurs 11 Das Fenster für Umweltmaßnahmen schließt sich. Gleichzeitig ist der Klimawandel ein Konflikttreiber. Eine Verantwortung, die auch Österreich mitzutragen hat, meint Forscher Moritz Ehrmann. Gezielte Klimapolitik sichert den Frieden Die erneut entbrannte Diskussion über das Aus von Verbrennermotoren ist in Österreich derzeit wohl das offensichtlichste Zeichen dafür, dass bei Klimafragen das große Ganze immer noch außer Acht gelassen wird. Den Klimawandel kleinzureden, ist aus meiner Sicht gefährlich. Dadurch zeigt sich, dass es nicht nur schwierig wird, die Klimaziele zu erreichen, sondern vor allem, dass immer noch vergessen wird, dass der Klimawandel als Teil einer globalen Polykrise fatale Folgen hat und uns alle betrifft. Als Leiter des Austrian Center for Peace (ACP) ist es nicht meine Aufgabe, mich in die Politik einzumischen oder Politik zu machen. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, informelle Dialogprozesse zu schaffen, Konfliktparteien zu beraten und Verhandlungsprozesse für den Frieden zu unterstützen. Konflikte können in einer vom Klimawandel betroffenen Welt nicht mehr gleich gedacht werden wie früher. Länder, in denen Krieg herrscht oder in denen die Strukturen zerstört sind, brauchen nämlich Unterstützung, um mit den Bedrohungen der Klimakrise umzugehen. Gezielter Dialog am Beispiel Libyen Diese Dynamik kann daher für Konfliktländer eine Chance sein: Einerseits sind diese Länder und Regionen zwar am wenigsten für den Umgang mit den disruptiven Effekten der Klimakrise gerüstet, andererseits kann dies dazu genützt werden, Vertrauen zwischen Konfliktparteien aufzubauen, da die Auswirkungen eines veränderten Klimas letztlich alle betreffen. Die Verantwortung dafür ist aber nicht einfach zuordenbar. Aus diesem Vertrauen kann Zusammenarbeit werden, die in weiterer Folge zu einer breiteren Konfliktlösung beiträgt. Skizzieren lässt sich das am Beispiel eines Landes, das aktuell wieder im Fokus steht – vordergründig aufgrund der Migrations krise. Und diese steht wiederum in engem Zusammenhang mit der Klimakrise. Sieht man sich Berichte des „Intergovernmental Panel on Climate Change“ (IPCC) an, weiß man, dass Libyen eines der am stärksten und schnellsten von der Klimakrise betroffenen Länder ist. NACHRUF Integrität statt Identität Sie reagiere allergisch auf das Wort „Identität“, schrieb die am 27. März 1949 im heutigen Kroatien geborene Schriftstellerin Dubravka Ugrešić einmal in einem Essay. Vielleicht habe sie diese Allergie von einer Überdosis Identität bekommen. „Denn in meiner einstigen Heimat hat man mit diesem Wort lange und beharrlich meine Gehörgänge und Trommelfelle attackiert und mich damit geprügelt. […] Anfangs dachte ich, lass sie, vielleicht brauchen sie diese nationale, ethnische, staatliche Identität oder wie auch immer, sollen sie sie haben, was ist daran schlecht. […] Dann aber gingen sie im Namen ihrer Identitäten wie die tollen Hunde aufeinander los.“ Sie gingen auch auf Dubravka Ugrešić los, die an der Universität Zagreb studiert, über Literaturtheorie und russische Literatur gearbeitet und gelehrt und 1978 mit dem Kurzgeschichtenband „Eine Pose für die Prosa“ als Literatin debütiert hatte. Von den Anhängern Franjo Tuđmans wurde Ugrešić, die stets gegen Nationalismen antrat, zur „Hexe“ erklärt. Kroatien hatte sich zwar als unabhängig erklärt, leider aber nicht die Freiheit des Wortes bekommen. 1993 verließ die Schriftstellerin das Land ihrer Geburt, ging ins Exil, nach Amsterdam, in die USA: „Das Leben ist mein einziges Gepäck.“ In ihren pointierten, auch ironischen und satirischen Essays prangerte sie den Nationalismus und seine Folgen an, sie widmete sich aber nicht nur politischen, sondern auch gesellschaftlichen Foto: Elke Marksteiner Das Land ist zur Deckung seines Wasserbedarfs fast vollständig auf Grundwasser angewiesen (80–85 Prozent), das vor allem in den Küstenstreifen transportiert wird, in dem der größte Teil der Bevölkerung und die meisten landwirtschaftlichen und industriellen Aktivitäten konzentriert sind. Andere Ressourcen wie Regenwasser, Entsalzung und geklärte Abwasserinfrastrukturen tragen zu den übrigen Wasserversorgungsquellen bei. Die beiden westlichen Provinzen Libyens, das bevölkerungsreiche Tripolitanien und DIESSEITS VON GUT UND BÖSE Von Moritz Ehrmann „ Es gibt nicht einmal das Bewusstsein dafür, dass ein Plan für den Umgang mit den Folgen von Umweltschäden fehlt. “ die vernachlässigten Wüstengebiete von Fezzan, sind durch das Wasserinfrastrukturprojekt „Man-Made River“ (MMR) miteinander verbunden. Es transportiert Wasser aus unterirdischen Reservoirs im Süden in den Norden zur Hauptstadt Tripolis. Daraus resultiert eine allgemeine Frustration unter der Bevölkerung im Süden, weil sie das Wassersystem als nicht nachhaltig empfindet und es als Ursache der vollständigen Erschöpfung der Grundwasserressourcen betrachtet. Die Folge ist, dass bewaffnete Gruppen, aber auch Demonstranten das Wassertransportsystem stilllegen oder sabotieren, um die Regierung im Norden zu zwingen, Entschei Foto: imago/gezett dungen zu ihren Gunsten zu treffen. Nachdem das Land seit über zehn Jahren in Krieg und Konflikt versunken ist, hat das „Austrian Centre for Peace“ einen Dialogprozess eingeleitet. Und es zeigten sich tatsächlich alle beteiligten Akteure – von Ministern und Politikern in Tripolis bis hin zu Zivilgesellschaftsvertretern in der südlichen Provinz Fezzan – willens, in konstruktive Gespräche mit der anderen Seite zu treten. Erste Treffen fanden bald statt. Es wurde dabei deutlich, dass es bis dahin kaum Bewusstsein für die Bedürfnisse und Perspektiven der jeweils anderen Seite gab. Das politische Chaos, das infolge nicht abgehaltener Wahlen einsetzte, verkomplizierte den Prozess freilich, da derzeit hochrangige Akteure in Tripolis kaum ansprechbar sind. Der Dialogprozess untermauerte aber erschreckende Tatsachen: Auf Regierungsseite existiert nicht nur kein Plan, wie mit der durch den Klimawandel immer akuteren Frage der Wasserversorgung umzugehen ist, es gibt nicht einmal das Bewusstsein dafür, dass eben ein solcher Plan fehlt. Es braucht einen weltweiten Wissensaufbau Die zukünftige Dialogarbeit des „Aus trian Centre for Peace“ in Libyen wird sich daher auch auf den Wissensaufbau konzentrieren, um für alle Akteure den Spielraum für Lösungsmöglichkeiten zu erhöhen. Vorschläge für Maßnahmen zur Klimaanpassung oder zu Umweltregeneration könnten dazu beitragen, Konfliktdynamiken abzuschwächen und neue Konflikte abzuwenden. Nach dem letzten Sommer mit über 50 Grad in Tripolis ist nun auch das Bewusstsein gestiegen, dass tatsächlich etwas getan werden muss. Man muss aber bei weitem nicht bis nach Libyen schauen, um zu sehen, was die Klimakrise auslöst. Klar ist: Man braucht auch in Österreich sowie überall auf der Welt das Bewusstsein dafür, dass etwas getan werden muss – und den Dialog, um tatsächlich etwas zu bewegen. Der Autor ist Direktor des Austrian Center for Peace, des österreichischen Forschungszentrums für Frieden und Konfliktlösung in Stadtschlaining. Dubravka Ugrešić erhielt 1999 den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur. Am 17. März ist sie in Amsterdam gestorben. und kulturellen Themen. „Und wohin gehöre ich?“, fragte sie einmal. „Schwer zu sagen: ich bin ‚drin‘ und ‚draußen‘, eine ‚Einheimische‘ und eine ‚Fremde‘. Vom Honorar für diesen Text werde ich Schuhe kaufen. Ohne mit der Wimper zu zucken. So dreist bin ich inzwischen geworden. Und das entspricht meinem rating auf dem Markt.“ Die im Exil entstandenen Romane thematisieren den Verlust, das Vergessen und die Versuche zu erinnern. Am 17. März ist Dubravka Ugrešić in Amsterdam gestorben. Mit ihren Romanen und Essays hat sie viel hinterlassen. Man sollte, so Ugrešić etwa in ihrem eingangs erwähnten Essay über Identität, statt dieses Worts ein anderes in Umlauf bringen: „Integrität“. (Brigitte Schwens-Harrant) ZUGESPITZT QUINT- ESSENZ Von Brigitte Quint Dilemmata mit Ōe Nennen wir sie Monika, Maria, Martina und Melanie. Gemeinhin schreibt man an dieser Stelle, dass die Frauen ihre echten Namen nicht in der Zeitung lesen wollen. Das wäre in diesem Fall falsch. Weil ich nicht weiß, ob es wirklich so ist. Das wiederum würde den jüngst verstorbenen Literaturnobelpreisträger Kenzaburō Ōe mitnichten wundern, was ihm den Argwohn seiner Landsleute einbrächte. Aber von vorn: Ich habe einen Beitrag zu Ōe im Radio gehört. Es ging um die japanische Vorstellung, die eigene Identität sei vor allem von jenen Gleichaltrigen, mit denen man seine Volksschulzeit verbracht habe, geprägt. Die Japaner nennen diesen Kreis „Karupazu“ und wüssten diesen zeitlebens zu huldigen. Ōe sah das differenziert, was ihn zum „schwarzen Schaf“ gemacht hat. In mein „Karupazu“ müssten Monika, Maria, Martina und Melanie. Wir verbrachten die ersten Schuljahre gemeinsam, feierten als Rüschenkleider-Quintett Erstkommunion. Von Martina weiß ich, dass sie einen Holländer geehelicht hat, unlängst eine späte Mutter geworden ist. Monika wiederum lebt getrennt von einem Ostdeutschen. Das ist der Klatsch, den mir Verwandte zutragen. Bei Maria und Melanie habe ich gar keinen Schimmer, was aus ihnen geworden ist. Während der Ōe-Sendung musste ich folglich an keine dieser Frauen denken. Ich hatte Hanna im Kopf. Eine Südtirolerin, die in meiner Straße wohnt und mit einem Japaner verheiratet ist. Die Ōe-Story hätte auch ihr Interesse geweckt. Also schicke ich ihr den Link. Wie schräg wäre es, wenn ich ihn ebenso meinem „Karupazu“ zukommen ließe. Sozusagen aus dem Nichts. Dass ich das nicht tue, hat mehr mit Monika als mit Hanna zu tun. Letztere täte es vielleicht sogar. Ob ihrer Identität eben. Abbitte Liebe Niederösterreicher (das ganze Gendern und Vielfaltsäuseln können wir uns ja jetzt von Amts wegen sparen)! Wir möchten uns bei Ihnen in aller Form entschuldigen! Nicht in dieser windelweichen Konditional-Variante, in der sich Politiker sonst gern entschuldigen – Sie wissen schon, dieses „Falls sich jemand durch diese Lappalie tatsächlich rassistisch, antisemitisch, frauenfeindlich etc. verletzt fühlen sollte ...“. Nein, wir wollen ernsthaft Abbitte leisten für das, was die Regierung mit ihren Anti-Corona-Maßnahmen verbrochen hat. Zwar könnte es noch immer sein, dass die Impfung der Gamechanger war, wie die WHO hartnäckig glaubt, dass damit 14 Millionen Menschenleben gerettet werden konnten und dass auch in Österreich bei einer evidenzbasierten Evaluierung nicht nur politische Fehler und Verwaltungsdesaster zutage treten, sondern auch Fälle von Long Covid, von Pflegekräften, die sich auf Coronastationen anpöbeln lassen mussten, und von Menschen, die nur dank Impfung, Masken und Solidarität noch leben. Aber es ist Wahlkampf. Deshalb schreiben wir die Geschichte neu, lassen Forscher Forscher sein, treiben jene, die sich an Vorschriften halten, in die Arme des politischen Gegners und pfeifen auf die Werte der Aufklärung. Doris Helmberger
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