DIE FURCHE · 8 18 Musik 23. Februar 2023 Prekariat im Putzmilieu Christa Ratzenböck, Hans- Jürgen Lazar, Felix Heuser und Peter Schöne in Peter Eötvös’ Musiktheater „Der goldene Drache“. Von Walter Dobner Wie soll ein Stück beschaffen sein, dass es aufrüttelt, gar politische Dimension entfacht? Die Antwort auf diese Frage lässt sich nicht über den berühmten einen Leisten schlagen: Ist das Stück zu grell, besteht die Gefahr, dass seine Botschaft zu rasch verglüht. Ist es zu leise, wird es überhört. Allerdings, um eine Anleihe bei einer Tagebuchnotiz eines der bedeutendsten Pianisten des vorigen Jahrhunderts, Wilhelm Kempff, zu nehmen, ist die Stille des Geistes stets lauter als der Lärm der Motoren. Ob Roland Schimmelpfennigs 2009 am Wiener Akademietheater uraufgeführtes Schauspiel „Der goldene Drache“ nicht doch zu artifiziell konstruiert ist, um den Besucher mit der nötigen Eindringlichkeit auf sein Hauptthema, die Migration, zu stoßen? Dies funktioniert auch in der musikalischen Form dieses Stücks, in Péter Eötvös’ gleichnamigem dreiteiligem Musiktheater, nur in Maßen. Er hat für sein Libretto das Original zwar eingekürzt und die zahlreichen Rollen auf fünf Darsteller konzentriert, die männliche wie weibliche Rollen spielen. Aber die dominierende Geschichte (ein illegaler Migrant leidet an Zahnschmerzen, ohne Papiere und Geld ist eine Zahnarztbehandlung nicht möglich, deshalb reißen ihm Kollegen den Zahn mit einer Beißzange heraus, und er verblutet) verdrängt auch in dieser gestrafften Version letztlich ein wichtiges Anliegen: nämlich damit das bewusste Ertränken von Problemen zu zeigen. Denn nicht nur der Migrant wird am Ende von seinen Kollegen in einem Fluss entsorgt, auch sein komischerweise in einer Suppe gefundener Zahn wird schließlich ins Wasser geworfen. Auf dieses Thema hätte sich Regisseur Jan Eßinger in dieser, von wenigen Requisiten begleiteten Produktion der Wiener Kammeroper mehr konzentrieren sollen, FEDERSPIEL Frau Carrar reloaded Bertha von Suttner erhielt den aus Gewinnen des Dynamits finanzierten Friedensnobelpreis 1905. Hätte unsere EU-Präsidentin einmal den Titel von Suttners „Die Waffen nieder“ zitiert, bevor sie die Munitionserzeugung zu beschleunigen proklamierte, hätte ich das Lippenbekenntnis geschluckt. Wüsste ich, dass die EU das Ziel hat, Putin militärisch zu schlagen, weil er nicht an den Gesprächstisch zu kriegen ist, müsste ich mich nicht fragen, ob die Munitionslieferungen nur ein kriegsverlängerndes „Hände hoch“ bleiben. Alice Schwarzer hat Friedensarbeit für die Welt geleistet, Sarah Wagenknecht eher nicht: Stunden vor Putins Invasion beteuerte sie seine Unschuld, ein Kniefall vor dem größenwahnsinnigen Mann. Die Frontfrauen werden für ihr pazifistisches Manifest als naive Friedenstauben verächtlich gemacht. Ich unterzeichne ihren Appell nicht, will aber die Absicht Friedenstiften nicht schmähen. Dass antieuropä ische Gruppen zur Unterzeichnung aufgefordert sind, halte ich für unerträglich. Foto: Herwig Prammer Péter Eötvös’ „Der goldene Drache“ an der Kammeroper, Georg Friedrich Händels „Belshazzar“ im MuseumsQuartier – und wie es mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien weitergeht. Migration, Größenwahn und ein Anschlag Inzwischen geistert das Wort der Mitverantwortung herum. Waffenbefürworter und Pazifistin tragen sie. Die Ukraine verteidigt meine Freiheit. Ich umkreise diese Leerstelle meiner Werte, da ich doch in den Krieg hineingezogen bin. Wie viele Tote sind meine Werte wert? Ich bin Pazifistin, wer ist es nicht? Bin für: Waffen den Angegriffenen. Putin schlägt noch immer keinen Waffenstillstand vor, Opfer fallen auf beiden Seiten. Die EU-Präsidentin, siebenfache Mutter, feuert an. Die Präsidentengattin der Ukraine, zwei Kinder, ziert das Cover der Vogue. War sells! Die Schauspielerin, Jane Fonda, drei Kinder, klagt den ölfördernden Konzernsponsor der österreichischen Werbeveranstaltung „Opernball“ wissentlicher Weltverschmutzung an. Krieg ist Geschäftsmodell, und alles hängt mit ihm zusammen. Wohin mit der Scham? Wann drückte ich ab? Die Autorin ist Schriftstellerin. Von Lydia Mischkulnig anstelle aus dem Personal eines Thai-Restaurants einen Putztrupp zu machen und damit etwas holzhammerartig zu zeigen, dass illegale Migranten stets Gefahr laufen, besonders ausgenützt zu werden. Péter Eötvös’ auf Textverständlichkeit konzentrierte, weniger das Geschehen illustrierende als kommentierende, die Personen klar charakterisierende, filigrane Musik war beim souverän agierenden Klangforum Wien unter Walter Kobéra aber bestens aufgehoben. Das Solistenquintett wurde von Camilla Saba Davies in der Partie der jungen Frau dominiert. Solide die übrige Besetzung. Videobegleitete Nabelschau Ein Händel’sches Oratorium als Oper? Das kann, denkt man an zahlreiche Produktionen der Ära Geyer am Theater an der Wien, gut funktionieren. Warum nicht auch bei einem weniger bekannten Werk, wie dem zu Lebzeiten Händels kaum goutierten „Belshazzar“, dieser Parabel über Missbrauch von Macht und brutaler Ausbeutung der Natur? So auch die Interpretation dieser Neuinszenierung im für Barocktheater wenig geeigneten Ambiente des MuseumsQuartiers. Allerdings mit der Prämisse, dass Gott von seiner Schöpfung längst überfordert sei, Spiritualität abgedankt habe. Deshalb meinte das dafür am Ende heftig ausgebuhte Regieteam um Marie-Eve Signeyrole das dem biblischen Buch Daniel entnommene, den Niedergang des babylonischen Herrschers Belshazzar thematisierende Geschehen in ein sehr plakatives Heute übersetzen zu müssen. „ Péter Eötvös’ auf Textverständlichkeit konzentrierte, die Personen klar charakterisierende, filigrane Musik war beim souverän agierenden Klangforum Wien bestens aufgehoben. “ Der Babylonierkönig Belshazzar wird als unsympathischer, machtgeiler, sexbesessener Popstar gezeichnet. Seine Mutter, Nitocris, versucht ihn vergeblich zur Räson zu bringen, treibt es ebenfalls gehörig. Meist verwackelte Bilder produzierende Videos gewähren entbehrliche voyeuristische Einblicke in die königliche Familie. Die angestrebte grundsätzliche thematische Auseinandersetzung verkommt bald zu einer billigen Soap-Opera. Sie kippt letztlich noch ins Kitschige, wenn sich das seltsam beiläufig ausnehmende Finale wie die schlechte Parodie einer Heiligenverehrung ausnimmt. Robert Murray präsentierte sich als stimmstarker Belshazzar, Jeanine De Bique gab sehr achtbar die Königinmutter. Vivica Genaux hatte einige Mühe mit dem die Juden von ihrem Babylonier-Joch befreienden Perserprinzen Cyrus. Untadelig der Arnold Schoenberg Chor. Für den instrumentalen Part hätte man sich ein brillanteres, flexibler begleitendes Ensemble gewünscht als L’Arpeggiata unter der meist mit einförmiger Fadesse aufwartenden Christina Pluhar. Quo vadis Radio-Symphonieorchester? Apropos Orchester: Muss wirklich das ORF Radio-Symphonieorchester Wien, seit Jahren eines der Stammorchester des Theaters an der Wien, dem Rotstift zum Opfer fallen? Ist es erneut die Kultur, die man aus Einsparungsgründen dafür ausersehen hat, Federn lassen zu müssen? Selbst wenn man bei diesem Klangkörper in der jüngeren Vergangenheit manches – wie Programmierung, Chefdirigentenbesetzung, Öffentlichkeitsarbeit – besser machen, sich im zeitgenössischen Bereich deutlicher hätte positionieren können: Das alles sind keine Gründe, um dieses Flaggschiff österreichischer Musikkultur fallenzulassen. Oder sind Begriffe wie Kulturnation oder Musikland Österreich zu inhaltslosen Chiffren in routinierten Reden Kulturverantwortlicher verkommen? Dann stellt sich allerdings die Frage: Wozu ein Kulturminister, wozu eine Kulturstaatssekretärin? Der goldene Drache Kammeroper, 25., 27.2., 1., 3.3. Belshazzar MusikTheater an der Wien, MQ, 24., 26., 28.2.
DIE FURCHE · 8 23. Februar 2023 Theater & Literatur 19 Von Christine Ehardt „Ich möchte bitte gerne sofort ein Verbrechen aufklären. Von mir aus auch ein nationalsozialistisches. Aber es gibt so viele, da kann ich mich nicht entscheiden.“ So deklamiert Anna Rieser mit Jelinek-Perücke auf dem Kopf zu Beginn des Abends. Allzu gern Vergessenes an die Oberfläche zu spülen, ist das zentrale Anliegen Elfriede Jelineks. Ihr Stück „In den Alpen“ erinnert an die Katastrophe von Kaprun im Jahr 2000. 155 Menschen starben dabei auf grausame Weise, zur Verantwortung wurde schlussendlich aber niemand gezogen. Jelineks Drama erschien zwei Jahre danach; nun ist es am Wiener Volkstheater unter der Regie von Claudia Bossard zu sehen – versehen mit dem von ihr während der Pandemie verfassten Appendixtext „Diese Maschine ist unschuldig!“ und zusammen mit der Uraufführung des Werks „Aprés les Alpes“ von Fiston Mwanza Mujila. Foto: © Marcel Urlaub Herausfordernd, aber gut kombiniert präsentiert sich im Volkstheater das Zusammenspiel von Elfriede Jelinek und Fiston Mwanza Mujila in der Uraufführung von „In den Alpen // Après les Alpes“. Textgebirge, multimedial Wucht der Worte Rieser ist die Stimme der Autorin, mit viel Verve vermag sie ihre Monologe vorzubringen, alle weiteren Passagen werden „unter Toten geführt“. Drei der Opfer des Seilbahnunglücks, gespielt von Nick Romeo Reimann, Uwe Rohbeck und Stefan Suske, kommen zu Wort. Gemeinsam mit „Paul Celan“ (Christoph Schüchner) philosophieren sie über Gebirgswelten, Antisemitismus und Skitouristik. Sie alle sitzen in einem fahlgrünen Wartebereich mit Buffet und Gepäckausgabe, hinter ihnen ist die meterhohe Projektion eines Gesteinsbrockens zu sehen, der am Ende des ersten Teils unter Lichtblitzgewitter und viel Theaterdonner implodiert. Der kurze Zusatztext über den „Hobby Fakirli“ ist das Glanzstück des Abends, zahlreiche Heizstrahler rollen dazu vom Gepäckband, und Rieser setzt zur Verteidigungsrede für Maschinen und ihre Rechte an. Tatsächlich wurde beim Prozess der Heizlüfter der Firma Fakir, Modell Hobby TLB, als Unglücksursache ausgemacht, der widerrechtlich in die Seilbahn eingebaut worden war und als stummer Sündenbock herhalten musste. Jelinek selbst hat die Regisseurin auf ihren Text hingewiesen, nachdem Bossard 2020 ihr Drama „Das Werk“ im Kosmos Theater aufgeführt hatte. Bossard lässt die Prägnanz von Jelineks Sprache wirken, ohne ihr viel szenisches Spiel hinzuzufügen, und vor allem Richter und Rohbeck bringen die Wucht der Worte zum Tönen. Es gibt viel zu erzählen in dieser multimedialen Aufführung, und das ändert sich auch im letzten Teil des Abends nicht. Während „In den Alpen“ die Opfer des Unglücks zu Wort kommen lässt und deren Schicksal als vergessene Tote mit den verdrängten Verbrechen des Nationalsozialismus zusammenführt, wirft „Nach den Alpen“ einen profunden Blick auf die Ausbeutung von Natur und Mensch. Der kongolesischösterreichische Erfolgsautor verschränkt dabei koloniale Machtmechanismen mit aktuellen Begehrlichkeiten und kapitalistischen Fantasien über neue Nutzungsmöglichkeiten alpiner Räume im posttouristischen Zeitalter. In Mwanza Mujilas Text steht alles mit allem in Verbindung: Globaler Süden, Bergbau, Kinderarbeit, Kapitalismus und Tourismus, Klimakatastrophe und Pandemie. Die bisherige Szenerie wird auf offener Bühne abgebaut, ein Flugfeld mit rollender Gangway errichtet, und Julia Franz Richter übernimmt nun die Hauptrolle der mysteriösen Forscherin Frau Gartner. Im ausladenden Rokokokleid mit überdimensionalem Reifrock und schwarzen Boots versucht sie die Alpenländler zum Verkauf ihrer Berge zu bewegen. „Ich komponiere meine Texte wie ein Jazzmusiker“, beschreibt Mwanza Mujila, dessen 2014 veröffentlichter Debütroman „Tram 83“ bei der Kritik viel Eindruck hinterlassen hat, sein Schreiben. Eine literarische Herangehensweise, die viel mit Jelineks polyphoner Sprachmusik gemein hat, und tatsächlich fügt sich das Alpendoppel von Jelinek und Mwanza Mujila wunderbar ineinander. Die Strenge von Jelineks Textgeflecht löst sich in Mwanza Mujilas Arbeit in eine ruhelose, schwer fassbare Collage auf. Bossard übersetzt die beiden Texte auf unterschiedliche Weise: Während sich die ersten Teile ganz den Sprachflächen Ein Hauch Rokoko Mit Spiel und Stimmgewalt überzeugt Julia Franz Richter im ausladenden Rokokokleid mit Reifrock in der Regie von Claudia Bossard. „ Tatsächlich fügt sich das Alpendoppel von Jelinek und Mwanza Mujila wunderbar ineinander. Die Strenge von Jelineks Textgeflecht löst sich in Mwanza Mujilas Arbeit auf. “ widmen und wenig Interaktion zwischen den Schauspielern passiert, ist der letzte Teil des Stücks als performative Roadshow voller burlesker Einfälle und fantasievoller Assoziationen angelegt. „Tonight, I gave the greatest performance of my life“ – der Shirley-Bassey-Hit leitet den Schlussakt ein und wird von Richter mit Hingabe geschmettert. Den Liedzeilen kann aber leider nur bedingt zugestimmt werden. Im Laufe des Abends verheddert sich die Inszenierung in immer mehr multimediale Showelemente und performative Szenenfragmente. Insgesamt eine anspruchsvolle, aber anstrengende Premiere, die dem Publikum einiges an Geduld abverlangte. In den Alpen // Après les Alpes Volkstheater, 26., 31.3. WIEDERGELESEN Diego Viga? Merken! Diego Viga! Von Anton Thuswaldner Als Paul Engel 1997 im Alter von 90 Jahren in Quito, Ecuador, verstarb, fand das in den deutschsprachigen Medien niemand besonderer Beachtung wert. Dabei hätten wir in Österreich allen Grund, ihn ehrenhaft in Erinnerung zu halten. Bevor die Nazis die Macht an sich rissen, stand ihm eine medizinische Karriere als Arzt und Forscher in Aussicht. Als Jude musste er emigrieren, zog nach Lateinamerika, wo er schon einmal, als er nach den niedergeschlagenen Februaraufständen von 1934 Österreich für längere Zeit verlassen hatte, in einem Labor untergekommen war. Seine wissenschaftlichen Erfolge reichen nicht, um dieses Leben zu beschreiben; unter dem Namen Diego Viga veröffentlichte er eine stattliche Anzahl von Romanen. Sie wurden in der DDR wahrgenommen, erreichten jedoch die westliche Leserschaft kaum. Reicht es, sich als bekennender Kommunist zu deklarieren, um verschwiegen zu werden, oder wird einem zum Verhängnis, ins Exil gegangen zu sein? Dass die Ignoranz ein kapitaler Fehler ist, lässt sich jetzt leicht überprüfen, da der Roman „Die Unpolitischen“, erstmals 1969 unter dem Titel „Die Parallelen schneiden sich“ erschienen, in einer vorzüglichen, von Erich Hackl herausgegebenen Ausgabe zu haben ist. Das Buch bleibt nah an den eigenen Erfahrungen des Verfassers, wenn er Zeitgeschichte aus dem Blickwinkel verschiedener Figuren erzählt, die alle unter Einfluss der politischen Ereignisse stehen. In Form des inneren Monologs eignet er sich deren Denkund Gefühlswelten an. Sie mögen sich, dem gebildeten Wiener Bürgertum entstammend, als unpolitisch definieren, werden aber unweigerlich hineingezogen in den Strudel der Politik, aus dem es kein Entrinnen gibt. Wie gehen die Einzelnen mit der bedrohlichen Lage, in der sie sich unvermittelt finden, um? Diego Viga zeichnet das Porträt einer Generation, die sich bisweilen so ahnungslos gibt, dass sie die düsteren Zeichen nicht erkennen will. Selbstmord mag einem als letzter Ausweg einfallen, wer es nicht ins Exil schafft, wird ins KZ verbracht. Der Zeitraum umfasst die Nazi-Jahre bis zur Kapitulation. Das leuchtet ein, denn danach haben sich die Verhältnisse geändert, etwas Neues kann beginnen, so viel Hoffnung darf sein. Der Krieg ist vorbei, und Anna, die Frau von Johannes, dem Alter Ego des Verfassers, kann es nicht fassen, denkt an ihre Kinder: „Ja, ich bete plötzlich, Dank und Bitte. Bitte, dass sie ohne Krieg aufwachsen mögen. Dies muss der letzte Krieg gewesen sein.“ Es gilt keine Ausrede mehr, ab jetzt muss Diego Viga als wichtiger österreichischer Autor aufgenommen werden! Die Unpolitischen Roman von Diego Viga Edition Atelier 2022 696 S., geb., € 30,–
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