Besonders weil Familien immer diverser werden, ist der Kindergarten wichtig, um die Fähigkeit zum demokratischen Zusammenleben zu stärken. Von Jana Reininger lif* ist 28 Jahre alt, als ihr Arzt ihr einen siebenprozentigen Hörverlust auf dem linken Ohr diagnostiziert und sie davor warnt, sich weiterhin zu viel Lärm auszusetzen. Doch das ist einfacher gesagt als getan. Die lauten Geräusche, die Elifs Ohr in Mitleidenschaft gezogen haben, sind Teil ihrer Arbeit, die Summe täglichen Schreien, Weinens und Tobens von 20 kleinen Kindern, die mit Elifs Hilfe ihre ersten Bildungsschritte gehen. Mit 19 Jahren schließt die Wienerin ihre Ausbildung an einer Bildungsanstalt für Elementarpädagogik (Bafep) ab und beginnt in einem privaten Kindergarten in der Hauptstadt zu arbeiten. Elif gehört damit zu rund 61.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in Österreichs Kindergärten tätig sind – und zu knapp 2400 jungen Erwachsenen, die jährlich eine Bafep abschließen. Doch obwohl die Anzahl der Elementarpädagogik-Schülerinnen stetig steigt, sinkt die Anzahl jener Absolventinnen, die letztlich auch diesen Beruf ergreifen. Die Arbeitsbedingungen, so berichtet eine Studie der Universität Klagenfurt im Dezember 2022, werden als zu abschreckend empfunden. Ein Mangel von 13.700 Fachkräften wird daher im Jahr 2030 befürchtet – zumindest unter dem vorliegenden Betreuungsschlüssel. Würden die Fachkraft-Kind-Verhältnisse bis dahin in jenem Maß verbes- Am 4. Jänner 2023 spricht Martin Polaschek in „Dieses Schlechtreden der Schule ist gefährlich“ über Maßnahmen für den Kindergarten, auf furche.at. Tabellen aus und schreibt Reflexionen darüber, wie das Geplante in der Praxis gelungen ist. Oft sitzt Elif dabei länger, als sie eigentlich bezahlt wird. „Wenn du wirklich gewissenhaft arbeitest, sodass die Kinder lernen und profitieren, dann musst du viel mehr investieren als vier Stunden“, sagt sie. Jeden Tag setzt sich Elif an einen der kleinen Tische im Raum und schlägt ihre dicke Mappe auf, die sie nach Vorschrift mit Beobachtungen der Entwicklung einzelner Kinder befüllen muss. Wenn am Ende des Tages die Eltern ihren Nachwuchs abholen, stellt sich die 19-Jährige in den Türrahmen, verabschiedet sich und winkt dann hier und da einer Mutter oder einem Vater zu, mit dem sie über Auffälligkeiten eines Kindes sprechen muss, die sie in den Unterlagen der Beobachtungsbögen erkannt hat. Es gehört Selbstbewusstsein dazu, sich als gerade erwachsen werdende Person vor zwanzig Jahre älteren Eltern zu behaupten und zum Wohl des Kindes auch gegen Einwände auf seiner pädagogische Expertise zu bestehen. Elif ist zu jenem Zeitpunkt selbst noch nicht aus ihrem Elternhaus ausgezogen. Bildung im sozialen Wandel Der Kindergarten ist der erste Bildungsraum außerhalb der Familie. Hier werden emotionale, kognitive und soziale Voraussetzungen geschaffen, die nicht nur spätere Bildungsbiografien und Karrierechancen beeinflussen, sondern etwa die psychische Gesundheit. Manche alltagswichtige Kompetenzen können im Elternhaus einfach nicht erlernt werden, erklärt Michael Methlagl, der an der Pädagogischen Hochschule (PH) Wien Elementarpädagogik beforscht und zum Gespräch mit der FURCHE gemeinsam mit seiner Kollegin Natascha J. Taslimi erscheint. Taslimi ist Gesamtkoordinatorin für Elementarbildung an der PH Wien und Vorsitzende im Netzwerk elementare Bildung Österreich (NEBÖ). Gerade weil heute oft beide Elternteile beruflich tätig sind und sert, in dem es empfohlen wird, kollegin von einer freien Stelle in ihrer Arbeit erzählt, nimmt ten und kognitive Fähigkeiten zu das kindliche Umfeld oft von den zusammen, um Fingerfertigkei- ist sogar von 20.200 fehlenden Mitarbeiter(inne)n die Rede. Elif den Job im Kindergarten üben. Sie hebt weinende Kinder klassischen Kernfamilien abweicht, sei die Elementarpäda- Eigentlich will auch Elif nach zur finanziellen Überbrückung auf den Schoß, klebt Pflaster auf ihrem Abschluss zum Studieren der Sommermonate an. Doch aufgeschlagene Knie und wiegt gogik nun wichtiger denn je, damit Kinder lernen, sich in größere an die Universität. Sie kennt den als der Sommer zu Ende geht, sie nach dem Essen in den Mittagsschlaf. Im Turnsaal lässt sie die soziale Gruppen einzugliedern. Alltag im Kindergarten von fünf bleibt sie. Sie mag die Arbeit mit Jahren Praktika, die sie in der den Kindern und das geregelte Kleinen laufen, springen, stampfen und schreien. ginnen sind spezialisiert auf die „Ausgebildete Elementarpädago- Bafep absolviert hat, seit sie 14 Einkommen. Jahre alt war, und weiß, wie anstrengend die Arbeit ist. Weiter Ein Job mit Verantwortung sen, damit sie sich später wieder Kindern. Sie haben fachliche, di- Kinder müssen Energie auslas- Entwicklungsbegleitung von zu lernen, ist Elif wichtig. Mit der Elif arbeitet 40 Stunden in der konzentrieren können, haben die daktische und wissenschaftliche Matura, die sie in der Bafep erhält, Woche und leitet ihre eigene Gruppe. 36 Stunden davon bewegt sie Neben Elif arbeitet eine Assisten- so Taslimi. Das mache sie in Zei- Lehrerinnen an der Bafep erklärt. Kenntnisse auf hohem Niveau“, inskribiert sie sich für ein Lehramtsstudium. Als ihr eine Schul- sich zwischen den Zwei- bis Sechsjährigen. Sie versammelt sie mor- auch anderes tun: das Essen vorbedels außergewöhnlich wertvoll. tin in ihrer Gruppe, aber die muss ten des gesellschaftlichen Wangens im Kreis und mittags um die reiten, außerhalb des Gruppenraumes zusammenräumen und vieles lichkeiten, das theoretische Wis- Doch im Alltag fehlen oft Mög- kleinen Esstische. Sie erzählt den Kindern Geschichten und lehrt ihnen Lieder, um ihre Sprachfähig- Kindern allein. Zwischen 20 Kindern gilt es, sei- mehr. Deshalb ist Elif oft mit den sen in die Praxis umzusetzen. keiten und emotionalen Kompetenzen zu fördern. Sie sitzt mit den hen der Pädagogin für Schreibzuteilen, doch dafür fehlen die Vier Stunden in der Woche stene Aufmerksamkeit gerecht auf- älteren Kindern an Vorschulübungen, zählt mit ihnen Nummern ab recherchiert sie in Fachbüchern terbricht Elif Werkarbeiten mit arbeiten zur Verfügung. Dann Ressourcen. Immer wieder un- oder hilft ihnen, Formen zu zeichnen. Sie klebt mit ihnen Laternen abläufe und Bildungspläne, füllt gen mit Vierjährigen oder nach neuen Ideen, skizziert Zeit- Fünfjährigen, Buchbesprechun- setzt DIE FURCHE · 8 16 Forum 23. Februar 2023 DIE FURCHE EMPFIEHLT Lehrerin: Ein klasse Beruf PODIUMSDISKUSSION Was macht den Lehrberuf attraktiv(er)? Darüber diskutieren Anne Frey, Vizerektorin der PH Vorarlberg, Ilse Schrittesser von der Uni Wien und die Lehrerinnen Rosemarie Havranek und Carlotta Köhler im Rahmen der Reihe „Science Talk“ des Bildungsministeriums. Science Talk > Lehrer/in 27.2.2023, 19 Uhr. Aula der Wissenschaften, Wollzeile 27a, 1010 Wien Info/Anm.: www.science-talk.at Medien in Rumänien MEDIENMAGAZIN „CONTINENT“ In dieser Folge des in Kooperation mit der FURCHE gestalteten „Continent“ spricht Golli Marboe mit dem Gründer des „Media and Journalism Research Center“ Marius Dragomir über die Situation von Medien und Journalismus in Rumänien. Continent – Zur Lage der Medien in Rumänien Sa, 25.2., 17 Uhr & Mi, 2.3., 21 Uhr Radio Klassik Stephansdom www.radioklassik.at Karin Peschka: „Dschomba“ LESUNG UND GESPRÄCH In ihrem neuen Roman „Dschomba“ verbindet Karin Peschka die Vergangenheit jenes Ortes, in dem sie aufgewachsen ist, – Eferding – mit der eigenen Biografie als Wirtstochter. Moderiert wird der Abend von FURCHE-Feuilletonchefin Brigitte Schwens- Harrant. Karin Peschka: Dschomba 16. März 2023, 19 Uhr Literaturhaus Wien, Seidengasse 13, 1070 Wien. www.literaturhaus.at GLAUBENSFRAGE Friedrich Erxleben IHRE MEINUNG Schreiben Sie uns unter leserbriefe@furche.at Triumph über die Nazis Das Hinterfragen von Klischees soll falsch sein? Von Georg Stern Nr. 7, Seite 15 Der (umstrittene) Tanz des Auschwitzüberlebenden Adolek Kohn vor den Toren des Vernichtungslagers kann als eine Analogie zum Tanz der Mirjam im 2. Buch Mose des Alten Testaments gedeutet werden. Dort heißt es u. a.: „Mirjam sang ihnen vor: Singt dem HERRN ein Lied, denn er ist hoch und erhaben! Ross und Reiter warf er ins Meer.“ Durch den Sieg der Alliierten wurde das Judenmorden beendet, und einige konnten sogar noch lebend gerettet werden, unter ihnen Adolek Kohn. Sein Tanz kann daher als ein Zeichen des Triumphes über die besiegten Nazis angesehen werden. Dr. Anton Schwarz 1210 Wien Real und aussagekräftig Wo die wilden Kerle lernen Von Jana Reininger Nr. 7, Seiten 12–13 Sehr real und aussagekräftig, dieser Artikel. Mein Jüngster ist Kindergartenpädagoge, sehr engagiert – und voll beschäftigt. Während Corona war er oft als Einzelkämpfer tätig. Er ist kreativ und sehr beliebt bei den Eltern. Im September muss er zum Bundesheer, nach genau zwei Jahren seiner Pädagogentätigkeit. Danach wird er sich neu orientieren und den Kindergarten nur mehr als Opportunität für ein etwaiges Jobben betrachten. Kurt Strohmaier via Mail Freiwilliger Kampf? Frieden mit Waffen? Pro/Contra Von Brigitte Quint und Jan Opielka Nr. 5, Seite 5 Ich wage hier auch ein Contra auszusprechen – im Namen von tausenden gefallenen Söhnen und Vätern bzw. deren Familien. Nur schwer kann ich glauben, dass die ukrainischen Männer sich mit großer Mehrheit aus Liebe zu ihrem Heimatland haben einberufen lassen. Zugleich lasse ich den „bösen“ Verdacht zu, dass viele dem „Diktat“ zur Waffe gefolgt sind, um nicht als Deserteure verfolgt zu werden und als Verräter des „Vaterlands“. Brigitte Quint schreibt: „Die Ukraine würde binnen Wochen als Staat nicht mehr existieren ohne die Waffenlieferung des Westens.“ Meine – gar dekadente – Frage: Um wie viel höher steht das Ziel der Erhaltung der Nation über der persönlichen Freiheit eines Bürgers? Oder darf es diese Abwägung gar nicht geben? Anders gefragt: Wäre es verwerflich, wenn ein ukrainischer „Sohn“ zumindest im Geheimen dächte: „Es hätte sich auch in einer neutralen und entmilitarisierten Ukraine gut leben lassen – und das auch ohne Donbass und Krim?“ Jedenfalls war vor Beginn dieses Krieges Putins Bedingung für DIE FURCHE · 7 12 Bildung 16. Februar 2023 E Welt im Wandel In den österreichischen Kindergärten arbeiten zu wenige Pädagoginnen mit zu vielen Kindern. Das gefährdet das Kindeswohl und verschlechtert spätere Bildungsbiografien. Ein Portrait einer Pädagogin. Wo die wilden Kerle lernen „ Immer wieder unterbricht Elfi Arbeiten, um nach Kindern zu sehen, die sich laut bemerkbar machen. “ eine eigenständige Ukraine eine „neutrale (entmilitarisierte) Ukraine“ als geopolitischer Puffer zwischen NATO und Russland. Ist es wirklich so, dass die „Demokratie“ nur gerettet werden kann mit weiteren tausenden Söhnen der Ukraine? Pfr. Mag. Peter Mathei 6861 Alberschwende Ewigkeitswert Weihnachtsspannung mozaik von Manuela Tomic Nr. 51/52, Seite 34 Noch nie habe ich den Zauber eines Umspannwerks empfunden. Ich Von Hildegund Keul Manchmal entdecke ich überraschende Verbindungen zur FURCHE-Stadt Wien. So bei Friedrich Erxleben. Er wurde am 29. Jänner 1883 in Arenberg bei Koblenz geboren – nur wenige Häuser von meinem eigenen Geburtshaus entfernt. Seine Familie war gerade erst von Wien ins Rheinland gezogen. Die Mutter Franziska Grohe war Wienerin, sodass auch Friedrich der Stadt verbunden blieb. Er studierte Theologie und Philosophie zeitweise in Wien, außerdem in Trier, Heidelberg, Innsbruck und Rom. Später war er, doppelt promoviert, Dozent für vergleichende Religionswissenschaft an den Universitäten Prag, Krakau und, natürlich, Wien. Erxleben wollte Pfarrer werden, doch wegen einer Modernismus-Anzeige ließ das Bistum Trier ihn eiskalt ins Leere laufen. So kam er ins bewegte Berlin der 1920er Jahre, wo er als Wissenschafter, Seelsorger und herausragender Sänger wirkte. Einen legendären Besuch in Henndorf am Wallersee verewigte sein Freund Carl Zuckmayer in dessen Autobiografie „Als wär’s ein Stück von mir“. Aber warum ist Erxleben heute noch der Rede wert? In der NS-Zeit stand er als Seelsorger schwer verwundeten Opfern der SA bei – und engagierte sich im „Solf-Kreis“ gegen den Nationalsozialismus. Als er ins KZ Sachsenhausen und dann ins Berliner Gestapo-Gefängnis kam, zeigte er eine erstaunliche Widerstandskraft. Entgegen einem strikten Verbot sang er jeden Morgen volltönend das „Gloria“. Weil er damit den Mitgefangenen ein Hoffnungszeichen setzte, wurde er brutal gefoltert. Nur mit knapper Not entkam er einem Todesurteil. Keineswegs gebrochen, sondern voll Schmerzen, aber auch heiterem Lebensmut konnte er noch einige Jahre als Pfarrer in Müden (Mosel) seelsorglich wirken. Gerade in einer Zeit, in der der Rechtspopulismus stärker wird, sollte Erxleben nicht vergessen werden. Die Autorin ist katholische Vulnerabilitätsforscherin an der Universität Würzburg. Foto: iStock/carlosgaw danke vielmals für diese neue Sicht auf bekannt Geglaubtes. Kinderaugen sind etwas Besonderes, sie sehen das Wunder, wo andere gerade mal nichts sehen. Eigentlich wollte ich Ihnen gleich schreiben, aber vor Weihnachten, na ja. Jetzt, wo Flucht und Ausgrenzung und Ich-weiß-nichtwas-noch-alles Riesenthemen werden, bedanke ich mich für Ihren einmaligen Außenseiter-Insider-Blick. (Auch so ein Kunstwort. Aber das ist Sprache auch: Bastelwekstatt.) Ich bin 1957 ins Aufbau-Österreich hineingeboren, zwischen meinen Großeltern und meinen hart arbeitenden Eltern gependelt worden, hatte meinen Urgroßvater im Haus (zuständig für meine Kinderkrankheitszeiten) und fuhr mit ihm und meinen Großeltern nach Salzburg auf einen Bergbauernhof, wo die Gäste eigene Löffel hatten, um aus der gemeinsamen Schüssel zu essen, anfangs. Später hatten sie eigene Teller. Es gab ein Plumpsklo in der Scheune, meterhoch Schnee und Kühe im Stall. Verzeihen Sie meine Redseligkeit. Manchmal kann man einander über die Jahrzehnte berühren wie Gott den Adam an der Decke der Sixtina. Oder so ähnlich. Es sind die besonderen Erfahrungen, die Ewigkeitswert haben. Christina Hagel via Mail Herzerfrischend mozaik #93: Dickicht Newsletter von Manuela Tomic 16. Februar 2023 Danke für diese Worte! Herzerfrischend wie immer, fröhlich und nachdenklich machend wie immer! Clemens Gottfried via Mail Hinweis: Den Newsletter „mozaik“ mit dem neuesten Stück von Manuela Tomic können Sie unter furche.at/ newsletter abonnieren. Erratum In Daniela Strigls Federspiel-Kolumne „Verdächtiger Eifer“ (Nr. 6, Seite 20) wurde in der Print ausgabe ein Satz sinnwidrig abgedruckt. Der Satz lautet richtig: „T. hat die Gefühle des Direktors, des Ensembles, der Filmcrew verletzt, indem er sie belog – aber der moralische und strafrechtliche Aspekt des Falles bewegt sich doch in einer anderen Dimension.“ RELIGION In dieser Ausgabe der FURCHE finden Sie eine Beilage der Missio Service GmbH. IN KÜRZE ■ Judengesuche an Pius XII. Die schriftlichen Hilfsgesuche von Juden an Papst Pius XII. (1939–58) aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs sind jetzt vollständig im Netz einsehbar. Die 2022 begonnene digitale Erschießung der rund 2500 Dokumente wurde unlängst abgeschlossen. Von A wie „Anonym“ bis Z wie „Zylberman“ können die Gesuche nun online eingesehen werden. Oft ging es darin um Hilfen für Ausreisen in Länder außerhalb Europas. Über die Rolle von Pius XII. im Zweiten Weltkrieg streiten Historiker seit Jahrzehnten. Die nun veröffentlichten Briefe und Akten liefern für diese Debatte wichtige neue Informationen. Vier Farben, Punkte, Sterne und Gewinne von bis zu 100.000 Euro „Dots“ und „Stars“ zieren das neue Brieflos Was am Nachthimmel aussieht wie Punkte, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Sterne. Brieflos hat sich am Himmelsgewölbe Anleihe genommen und das jüngste Mitglied seiner Familie mit Punkten und Sternen versehen. Dieses neue Los erstrahlt in vier unterschiedlichen Farben, und zwar in rot, blau, grün und rosa, wobei entweder Punkte oder Sterne die Außenseiten zieren. Eine „Sternstunde“ werden all jene erleben, die den Hauptgewinn in Höhe von 100.000 Euro oder einen der weiteren Gewinne aufreißen. Diese neue Serie heißt entsprechend ihrem Erscheinungsbild „Dots and Stars“ und besteht aus sieben Millionen Losen, wobei der Hauptgewinn zweimal enthalten ist. Daneben gibt es noch rund 1,2 Millionen weitere Gewinne von 1 bis 10.000 Euro. Selbstverständlich gibt es auch beim „Dots and Stars“-Brieflos das „Bonusrad“ als zweite Gewinnstufe, mit dem man direkt in der Annahmestelle auf dem Online-Spielterminal einen Gewinn von 2 bis 10 Euro sowie Freilose gewinnen kann. Die Lose sind in allen Annahmestellen der Österreichischen Lotterien zum Preis von 1 Euro pro Stück erhältlich. GESELLSCHAFT Foto: Österreichische Lotterien ■ Gegen den Ärztemangel Wegen des anhaltenden Ärztemangels finanziert die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) nun Stipendien für Kassenärzte. Dabei können diese bis zu dreieinhalb Jahre monatlich 923 Euro beziehen, um verpflichtend für mindestens fünf Jahre in einer Bedarfsregion als Kassenarzt tätig zu sein. Für die 50 angebotenen Plätze bewarben sich nun 60 Studierende aus der Humanmedizin ab dem dritten Studienjahr aller öffentlichen Universitäten. Wer ein Stipendium erhält, entscheidet nun eine Jury. Dieses wird zunächst für zwölf Monate vergeben. Bei entsprechendem Erfolg kann es auf bis zu 42 Monate verlängert werden.
DIE FURCHE · 8 23. Februar 2023 Philosophie 17 Er war ein Kosmopolit, Gesellschaftskritiker, Freigeist, Aktivist und eine exzentrischschillernde Persönlichkeit: Jacob Taubes. Zum 100. Geburtstag des Religionshistorikers und Philosophen. Von Nikolaus Halmer Jacob Taubes gilt als eine schillernde Gestalt, die eng gezogene Grenzen von Fachdisziplinen überschritt. Als Rabbiner war er mit den Schriften der jüdischen Tradition bestens vertraut. Er verband sie mit der Interpretation von gnostischen und christlichen Texten. Gleichzeitig war er ein radikaler Gesellschaftskritiker, der mit seinem Freund Herbert Marcuse das kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftssystem ablehnte. Im Gegensatz zu den Vertretern der Frankfurter Schule wie Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, die sich in den Elfenbeinturm einer am Marxismus orientierten elitären Theorie zurückzogen, beteiligte sich Taubes als Aktivist an den Studentenprotesten des Mai 1968. Als Kosmopolit wirkte er als brillanter Gesprächspartner, der sich „wie ein Fisch im Wasser“ in den akademischen Zirkeln von New York, Paris, London, Jerusalem und Berlin bewegte. Seine exzentrische Persönlichkeit polarisierte. Während zahlreiche Wissenschafter seine umfassenden Kenntnisse schätzten, die er mit rhetorischem Aufwand zu präsentieren wusste, sahen andere Gelehrte in ihm eben deswegen einen Hochstapler, Angeber und sogar einen notorischen Lügner. Zu seinem schlechten Ruf trug auch bei, dass er als ein Eroto mane galt, der seine Sexualität hemmungslos auslebte. Foto: picturedesk.com / Ullstein Bild / Mehner Der Denker der Apokalypse Die schlechteste aller Welten Der an der katholischen Universität in Washington emeritierte Historiker Jerry Z. Muller hat vor Kurzem eine umfangreiche Biografie des anarchischen Gelehrten vorgelegt, die den Titel „Professor der Apokalypse: Die vielen Leben des Jacob Taubes“ trägt. Sie ist das Ergebnis einer langjährigen Beschäftigung mit dem Leben und Werk des Religionsphilosophen, in dem zahlreiche Freunde und Gegner zu Wort kommen. Geboren wurde Jacob Taubes am 25. Februar 1923 in Wien als Sohn eines rabbinischen Gelehrten. Die sich abzeichnende Herrschaft der Nationalsozialisten in Österreich veranlasste die jüdische Familie, 1936 nach Zürich zu emigrieren, wo Taubes eine Ausbildung zum Rabbiner erhielt; danach studierte er in Zürich Philosophie und Geschichte. 1947 promovierte er mit einer Arbeit über die „Abendländische Eschatologie“. Dieses Buch gilt heute als Hauptwerk des jüdischen Religionsphilosophen, in dem es um Endzeiterwartungen ging, wie sie im Alten und Neuen Testament, in gnostischen Schriften, in Visionen des mittelalterlichen Mönchs Joachim von Fiore und sogar in den Texten von Karl Marx formuliert wurden. Die Eschatologie – die Erwartung des Weltendes – stand im Zentrum von Taubes’ wissenschaftlicher Arbeit. Für ihn, der als Jude zum Zeitzeugen der nationalsozialistischen Massenvernichtung in verschiedenen Konzentrationslagern wurde, war die bestehende Welt die „schlechteste aller Welten“. Ähnlich wie der französische Philosoph Vladimir Jankélévitch, der Literaturwissenschafter Peter Szondi und der Dichter Paul Celan, die Taubes persönlich kannte, zählte er zu der Generation der existenziell Traumatisierten, die zwar den nationalsozialistischen Schergen entkommenen konnten, denen es jedoch unmöglich war, den Massenmord an sechs Millionen Juden zu vergessen oder gar zu verzeihen. Für Taubes wäre das Vergessen eine schwere Beleidigung gegenüber denen gewesen, die in den Lagern umgekommen waren. Die „schlechteste aller Welten“ blieb für ihn weiter unerträglich, weil auch nach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes weiterhin Menschen ermordet, gefoltert und gequält wurden. Für Taubes gab es nur die Konsequenz: den radikalen Bruch mit der faktischen Welt, wie er in apokalyptischen Strömungen erfolgte, in denen eine „Revolution von unten“ angestrebt wurde – verbunden mit der Hoffnung auf eine kommende Welt des „ganz Anderen“, in der das Leid der Menschen ein Ende finden würde. Diese Hoffnung teilte Taubes mit dem Philosophen Ernst Bloch – in der Erwartung, die Dürftigkeit der Welt, die im „Dämmerzustand des Nochnicht“ verweilt, überwinden zu können. „So lange Menschen die Hoffnung auf eine neue Unschuld bewahren, ohne Kompromisse, so lange bewahren diese Illusionen eine höhere Wahrheit als eine Religion oder eine Wissenschaft, die daran arbeiten, eine solche Hoffnung zu vernichten“, schrieb Taubes. Er war sich klar, dass die „Revolutionäre von unten“ in der faktisch bestehenden Welt scheitern mussten; er sah in ihnen jedoch eine treibende Kraft der Geschichte, um – wie es Karl Marx ausdrückte, den Taubes ebenfalls zu der illustren Galerie der Apokalyptiker zählte – „diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zu zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt“. „Die Apokalyptik ist revolutionär, denn sie schaut die Wende nicht in unbestimmter Zukunft, sondern ganz nahe“, notierte Taubes, „das apokalyptische Prinzip enthält in sich eine gestaltzerstörende und eine gestaltende Macht.“ Jacob Taubes Der Religionsphilosoph (1923‒1987) polarisierte mit seinen Ansichten und wurde dafür einerseits geschätzt, anderseits vehement abgelehnt. „ Die Eschatologie – die Erwartung des Weltendes – stand im Zentrum von Taubes’ wissenschaftlicher Arbeit. “ Nach der Promotion verbrachte Taubes zwei Jahre in New York, wo er am Jewish Theological Seminary studierte. Nach einem Zwischenspiel in Jerusalem übernahm er Gastdozenturen an den Universitäten Harvard und Princeton. Obwohl sich der Religionsphilosoph als apokalyptischer Denker verstand, der die akademischen Institutionen geringschätzte, übernahm Taubes eine Professur für Religionsgeschichte und Religionsphilosophie an der Columbia University in New York. Ab 1966 war er Ordinarius für Judaistik und Hermeneutik an der Freien Universität Berlin. Dort unterstützte er gemeinsam mit seiner Ehefrau Margherita von Brentano aktiv die Studentenbewegung von 1968. So lud er Herbert Marcuse, den er während seiner Gastprofessur in Princeton kennen und schätzen gelernt hatte, zu einem Vortrag nach Berlin ein, diskutierte mit Rudi Dutschke und schrieb Gutachten für Mitglieder der Kommune 1. Die Revolte dieser rebellischen Studenten von Mai 1968 bedeutete für Taubes einen wesentlichen Bruch mit der Nachkriegsgesellschaft der Bundesrepublik Deutschland. Er hoffte, dass diese Bewegung einen radikalen Umsturz der gesellschaftlichen Verhältnisse bewirken würde – eine Hoffnung, die zutiefst enttäuscht wurde. Dazu kam, dass Taubes vom akademischen Establishment weitgehend gemieden oder zumindest belächelt wurde, da er außer seiner bereits 1947 erfolgten Dissertation „Abendländische Eschatologie“ kein weiteres Buch publiziert hatte. In der Folge verfiel Taubes in schwere Depressionen, die noch durch die Trennung von seiner Ehefrau Margherita von Brentano verstärkt wurden und eine anhaltende Psychose auslösten. Tagsüber lag er im Bett, vergaß zu essen und war dermaßen desorientiert, dass er in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wurde. Es gelang ihm, sich psychisch zu stabilisieren, schwankte zwischen Depressionen und Manien. Er nahm seine rastlose Reise tätigkeit zwischen Paris, Jerusalem und Berlin wieder auf, wo er an der Freien Universität einen Guerillakampf gegen Kollegen und Kolleginnen führte. Die letzten Vorträge hielt Taubes in Heidelberg, bevor er am 21. März 1987 in Berlin verstarb. Eine adäquate Einschätzung des facettenreichen, widersprüchlichen Lebens und Werks von Jacob Taubes formulierte der rumänisch-französische Philosoph Emil Cioran: „Professor und Nicht-Professor zugleich, verkörperte Taubes den Abscheu vor jeder öden Wissenschaft. Sein Polemiker-Temperament bewirkt, dass er alles belebt, worüber er spricht. Ein Geist, den das Wissen nicht verfälscht hat, der mit gleicher Intensität über die Erbsünde und über die letzten Schlagzeilen zu sprechen vermag.“ Der Autor ist Wissenschaftsjournalist. Professor der Apokalypse Die vielen Leben des Jacob Taubes Von Jerry Z. Muller Übersetzt von Ursula Kömen Suhrkamp 2022. 927 S., geb., € 59,70 Abendländische Eschatologie Von Jacob Taubes, mit einem Nachwort von Martin Treml Matthes & Seitz 2007 287 S., geb., € 29,80
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