DIE FURCHE · 8 10 Religion 23. Februar 2023 Von Peter Pawlowsky Eine der bedeutendsten Ausstellungen des vergangenen Jahres war in Trier zu sehen. Zugleich in drei Museen ging es um das gemeinsame Thema: „Der Untergang des Römischen Reiches“. Trier war eine von vier antiken Kaiserresidenzen, Trier ist zudem das älteste Bistum nördlich der Alpen. Also hatte Trier alles Recht, über den Untergang einer Weltmacht nachzudenken, der diese Stadt ihre historische Bedeutung verdankt. Heute kämpft die römisch-katholische Kirche mit einer Krise, wie sie in der Geschichte noch nicht vorgekommen ist. Weil sie sich aber als Nachfolgerin des Römischen Reichs versteht und in vielerlei Hinsicht das Denken und die politischen Methoden von dort übernommen hat, stellt sich die Frage, ob aus dem Untergang des Römischen Reichs etwas über den Untergang der römischen Kirche und vielleicht dessen Verhinderung gelernt werden kann. Die Schwierigkeit des Vergleichs kommt daher, dass die immensen kulturellen Leistungen sowohl des Römischen Reiches als auch der römischen Kirche unbestritten sind. Insofern ist der folgende Text bewusst einseitig, weil es heute darum geht, die historischen Ursachen der Krise schonungslos aufzudecken. Die Klassengesellschaft in der Kirche ist eine direkte Übernahme der antiken sozialen Ordnung und hat mit dem Evangelium nichts zu tun. Auch an die Organisation des römischen Staates der Kaiserzeit hat sich die römische Kirche angepasst. Der Papst wurde der Kaiser der Kirche, das Kardinalskollegium eine Art Senat, dessen Funktion aber kaum über die Wahl des Papstes hinausgeht. Die Priesterschaft spielte für die Kirche die Rolle der Beamtenschaft. Damit war ein Ordnungssystem geschaffen, in dem die Klassengesellschaft politisch über Jahrhunderte herrschte und in der Kirche durch den Gegensatz von Klerus und Laien bis heute fortbesteht. Foto: imago / Panthermedia Unterm Himmel Am 4.1.2023 schrieb Otto Friedrich über Benedikt XVI., den letzten „kaiserlichen“ Papst, siehe „Kämpfe(r) um den Glauben“ auf furche.at. Skulptur des Renaissance- Papstes Eugen IV. in der Kathedrale Santa Maria del Fiore, Florenz. Der römische Katholizismus fußt auf der Übernahme von Strukturen des Römischen Reiches. Diese bestehen bis heute fort. Und haben mit dem Evangelium nichts zu tun. Der Papst als Kaiser der Kirche Staatliche Gewalt im Dienst der Kirche Die Mittel zur Durchsetzung kirchlicher Forderungen waren von Anfang an kaum jesuanisch, vielmehr gewalttätig nach staatlichem Vorbild. Schon Augustinus (354–430) forderte Gewaltmaßnahmen des Staates gegen christliche Häretiker. Daraus entwickelte sich im Laufe des Mittelalters eine verhängnisvolle Kooperation: Die Kirche verurteilte, der Staat richtete hin. Schon 385 kam es zur ersten Verurteilung und Hinrichtung eines Christen durch Christen: Bischof Priscillian von Ávila propagierte eine strenge Askese für Priester und Laien, die Abschaffung der Sklaverei und eine Erneuerung der Kirche durch den Heiligen Geist. Die Hinrichtung eines Bischofs als Ketzer durch Christen prolongierte die frühere römische Methode des Umgangs mit Verweigerern des Kaiserkults. Damit war die spätere Inquisition begründet. Im Jahr 388 zerstörten aufgebrachte Christen in Kallinikon am Euphrat die dortige Synagoge. Kaiser Theodosius I. wollte die Übeltäter zur Rechenschaft ziehen, aber Bischof Ambrosius von Mailand sorgte dafür, dass die Brandstifter straffrei blieben und die Synagoge nicht wiederaufgebaut wurde. Die Juden erlitten eine erste drastische Niederlage durch christlichen Antisemitismus. In den darauffolgenden Jahrzehnten wuchs dem Bischof von Rom als letzte und zunächst unbestrittene Autorität in Italien immer mehr Macht zu. Schließlich erklärte sich Gregor der Große (540–604) zum Stadtherrn Roms und beanspruchte als Papst in der Nachfolge der Kaiser die Oberhoheit über die Christenheit. Mit dieser Rolle startete eine jahrhundertelange Tradition, seit im Jahr 800 der Frankenkönig Karl die Kaiserwürde aus der Hand des Papstes empfing. Diese Position stärkte das Papsttum und führte später zum Investiturstreit über das Recht, Bischöfe und Äbte einzusetzen. Der erste Kreuzzugsaufruf durch Papst Urban II. 1095 endete anlässlich der Eroberung Jerusalems in einem Mordrausch an Juden, Muslimen und einheimischen Christen. Die Kirche fand das damals und bei zehn weiteren Kreuzzügen bis 1295 ganz in Ordnung. Fürsten, Könige und Kaiser hatten noch lange bedeutenden Einfluss auf kirchliche Entscheidungen. Laien konnten mitreden, sofern sie politische Macht besaßen. Der Papst wurde 1870 in dem Augenblick „ Die Klassengesellschaft in der Kirche ist eine Übernahme der antiken sozialen Ordnung. Auch an die Organisation des Römischen Reiches hat sich die Kirche angepasst. “ für unfehlbar erklärt, in dem er seinen Kirchenstaat eingebüßt hatte. Im Kirchenrecht von 1917 schließlich wird jeder Einfluss von Laien auf kirchliche Entscheidungen verhindert: der perfekte Klerikalismus. In der römischen Geschichte gab es oftmals mehrere Kaiser zur gleichen Zeit. Der Zwist wurde militärisch „gelöst“, aber der Schaden für die Einheit des Reiches blieb. Das wiederholte sich in der Geschichte der römischen Kirche. Es kam zur Spaltung in mehrere Nachfolgekirchen. Im Jahr 1054 scheiterten die Verhandlungen, in denen von römischer Seite der universelle Anspruch, über die gesamte Christenheit zu herrschen, verlangt wurde. Die römische Delegation und Patriarch Michael I. von Konstantinopel exkommunizierten einander gegenseitig. Immerhin zwei Jahrhunderte dauerte die blutige Ausrottung der Katharer. Nur wenig besser erging es den Waldensern, gegründet von Petrus Waldes († um 1217) in Lyon, der den Papst zunächst erfolgreich um eine Predigterlaubnis gebeten hatte. Aber die örtlichen Bischöfe schränkten diese Erlaubnis immer mehr ein. Als auch Frauen mitwirkten, kamen die Waldenser vor die Inquisition. Sie wurden immer wieder vertrieben, einige ihrer Gemeinden in Süditalien blutig ausgelöscht. Erst viel später verschafften ihnen die Lateranverträge von 1929 zwischen dem Vatikan und Mussolini die Anerkennung. Es ist hier nicht der Ort, um die Spaltungen der Kirche seit dem 16. Jahrhundert im Einzelnen zu beschreiben. Es geht vielmehr um die Frage, wie die römische Kirche in der Tradition des Römischen Reiches darauf reagiert hat. Mit dem Thesen anschlag 1517 durch Martin Luther gegen den Ablasshandel begannen zuerst eine theologische, dann eine politische und schließlich eine kriegerische Auseinandersetzung. Ohne die politische Unterstützung durch die deutschen Fürsten wäre Luther auf dem Scheiterhaufen gelandet. Ein Jahrhundert danach gipfelten die Auseinandersetzungen im Dreißigjährigen Krieg. Zehn Jahre nach Luthers Thesen trennte sich die anglikanische Kirche von der römischen. In der „Bartholomäusnacht“ im August 1572 wurden in Paris tausende Hugenotten heimtückisch ermordet. Papst Gregor XIII. ließ bei Bekanntwerden des Massakers zum Dank ein Te Deum singen. Szenarien des Untergangs Konfliktlösungen mit Gewalt wurden über Jahrhunderte zum Markenzeichen römischer Kirchenpolitik, überall dort, wo sich die Kirche auf die politische Unterstützung verlassen konnte: zuletzt etwa in Spanien unter der Diktatur des Generals Franco bis 1975, in Österreich während des Ständestaats 1934 bis 1938. Beide Diktaturen erfreuten sich konsequenter kirchlicher Unterstützung. Nur wenige Jahre nach dem Ende des Weströmischen Reiches gründete Benedikt von Nursia 480 auf dem Monte Cassino die erste Abtei des abendländischen Mönchtums. Damit wurde eine innere Spaltung der römischen Kirche grundgelegt: politische Befehlsausgabe auf der einen Seite, Gottsuche und Spiritualität auf der anderen. In den Orden wird deutlicher umgesetzt, was im Neuen Testament als Ordnung unter Christen gilt (Mk 10,45). Die Missionierung Europas erfolgte zwar vor allem durch Ordensleute, jedoch häufig auch unter militärischer Beteiligung. Den Fürsten war die Christianisierung ihrer Untertanen eine willkommene Unterstützung für die Ausdehnung ihrer Herrschaftsgebiete. Das wiederholte sich später im neuzeitlichen Kolonialismus. Heute ist die römische Kirche gespalten. Konservative Gruppen warnen davor, dass sich die Kirche an den Errungenschaften der Moderne orientiert. Gerade im römischen Zentrum der Kirche bestehen viele Verantwortliche noch auf den Methoden von früher, die sich – so meinen sie – über Jahrhunderte bewährt hätten. Der zur Jahreswende verstorbene emeritierte Papst Benedikt XVI. war einer ihrer prominenten Wortführer. Sie begehen aber einen Denkfehler. So wie heute war Orientierung an der „Moderne“ auch damals ein falscher Weg. Die damalige „Moderne“ ab der Zeit Kaiser Konstantins hat die Gestalt der Kirche bis heute geprägt. Das Vorbild war keineswegs das Evangelium, sondern die politische Konstruktion des Römischen Reiches, die sich weder biblisch noch theologisch rechtfertigen lässt. Der Ausweg aus dieser Bindung daran kann daher nichts anderes sein als ein neues Hinhören auf Wortlaut und Geist des Evangeliums. Der Autor, bis 1997 Leiter der Abt. Religion im ORF-Fernsehen, war bis 2015 stv. Obmann der Reformbewegung „Laieninitiative“.
Ciao ohne Der Abschied von der kalten Progression fällt leicht. au! ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG Das bringt Ihnen der Abschied: bmf.gv.at/entlastungsrechner So ist das Leben seit Anfang 2023 leistbarer: • Erhöhte Steuertarifstufen. Bisher waren z. B. Jahreseinkommen ab 11.000 Euro zu versteuern, jetzt erst ab 11.693 Euro • Verkehrs-, Pensionisten-, Alleinverdiener-, Alleinerzieher- und Unterhaltsabsetzbetrag sowie SV-Rückerstattung werden jährlich angepasst Zusätzlich bringen diese Maßnahmen mehr Spielraum: • Automatische Erhöhung von Familien- und Sozialleistungen auf Basis der Inflation • Weitere Senkung der 2. Stufe der Lohn- und Einkommensteuer von 32,5 % auf 30 % sowie erstmalige Senkung der 3. Stufe von 42 % auf 41 %
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