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DIE FURCHE 23.01.2025

DIE FURCHE · 42423.

DIE FURCHE · 42423. Jänner 2025Von Manuela TomicKomm,sing mit!MOZAIKIn der Hauptschule war ich derLiebling des Musiklehrers M.Mit kindlicher Kopfstimme fiepsteich brav jedes Lied unseres rotweiß-rotenLiederbuchs. Am 10. Oktober,dem Jahrestag der KärntnerVolksabstimmung, stand ich, dieAllerkleinste, in der ersten Reihedes Schulchors. Herr M. dirigiertemit stierroten Augen und militanterGesinnung den Kinderchor. Stolzstimmte ich in das „Kärntner Heimatlied“ein, wobei uns M. immernur die vierte Strophe wiederholenließ: „Wo Mannesmut und Frauentreu/ die Heimat sich erstritt aufsneu, / wo man mit Blut die Grenzeschrieb / und frei in Not und Todverblieb …“ Diese Strophe wurde derLandeshymne erst 1930 hinzugefügt.Sie stammt aus der Feder vonAgnes Millonig, einer steirischenHeimatdichterin, die 1933 Mitgliedder NSDAP wurde. Mit zehn Jahrenkannte ich diese Geschichte nicht.Nach unserem Auftritt stopfte ichmir glücklich Kärntner Reindling inden Singmund. Hinter meinem Rückenstreckten mir die drei Löwenauf dem Kärntner Wappen ihre rotenZungen raus. Am nächsten Tag lobtemich M. vor der versammelten Klasse:„Die Balkaner haben eben Rhythmusim Blut.“ War es dasselbe, mitdem man die Grenze schrieb? Dielustigen Löwenzungen lechzen immernoch danach. Unser Liederbuchhieß „Komm, sing mit!“.Illu: RMVon Astrid WenzMit der 18-jährigen BarbaraSchwara haben sich damalsalle Fahrlehrer Mühe gegeben.Kein Wunder, bei derTochter vom Chef weiß sichjeder zu benehmen. Dass nicht jede Frau ihreZeit in der Fahrschule so gut in Erinnerunghat, weiß Schwara aber nur zu gut. Die heute46-Jährige leitet die Fahrschule Michelbeuernin Wien, 2019 hat sie diese von ihrem Vaterübernommen. Und macht seitdem einigesanders als er.In Wien kennt man sie, die WähringerFahrschule gilt als Anlaufstelle für Menschen,die sich nach einer längeren Abwesenheitwieder einmal auf den Fahrersitz einesAutos wagen wollen. „Bei anderen Fahrschulenhören sie: ‚Aber warum wollen Sie noch eineStunde? Sie haben doch schon einen Führerschein!‘“,erzählt Schwara. Dabei würdevielen eine Auffrischung guttun.Da ist der Student, der mit 20 Jahren nachWien gezogen ist und seitdem mit den Öffisunterwegs ist, gerne aber einen Ausflug aufsLand machen möchte. Oder die Geschiedene,die immer ihren Mann fahren ließ und sichjetzt nicht mehr zutraut, im Urlaub ein Autozu mieten. Natürlich gebe es in Wien genuggute Gründe, kein Auto zu brauchen, dasstellt Schwara gar nicht infrage. Das heißtaber auch Abhängigkeit. „Jederzeit losfahrenzu können, bedeutet ein Stück weit Freiheitund Empowerment“, steht auf der Websiteder Fahrschule. Wer länger nicht hinterdem Steuer gesessen ist, entwickelt mituntereine regelrechte Angst vor dem Autofahren.Schwara bemerkte das bei ihren Schülernund begann, „Drive and Relax“-Stundenanzubieten. Hier startetjede Fahrstunde miteiner Shiatsu-Massage,Schwaras zweiter Leidenschaft.Und weil dasso gut angenommenwurde, wird es ausgebaut:„Rosa Schein“ sollein Gegenprogrammzur klassischen Fahrschulewerden.Familienunternehmen„ Statt strengenFrontalunterrichts solleine wertschätzendeAtmosphäre herrschen,in der man sich wieunter Freunden fühlt. “Barbara Schwara ist die Anlaufstelle für Frauen, die nachJahren wieder mit dem Auto fahren möchten. Was sie antreibtund warum so viele Angst vor dem Fahrersitz haben.Fahrschul-FeminismusDas richtet sich vor allem an Wiedereinsteigerinnen.Statt strengen Frontalunterrichtssoll eine wertschätzende Atmosphäre herrschen,in der man sich wie unter Freundenfühlt. Dafür wird gerade umgebaut, im Februarsoll die Dependance ums Eck der FahrschuleMichelbeuern eröffnen. Hell soll eswerden, mit einigen rosa Akzenten. SchwarasVision: eine Community von Wiedereinsteigerinnen(und Wiedereinsteigern), dieeinander unterstützen. Zu wissen, dass es anderengenauso geht wie einem selbst.Schwara spricht mit ihrem Angebot bewusstvor allem Frauen an, die Fahrschulbranchesei schon genügend von Männerngeprägt, sagt sie. Dazu muss man wissen,Fahrschulen sind in Österreich meist Familienunternehmen.Stefan Ebner, Branchensprecherder Fahrschulen in der Wirtschaftskammer,zufolge gibt es in Österreich 450Fahrschulstandorte, einige Anbieter betreibenmehrere davon. Knapp 80 Prozent von ihnenhaben weniger als zehn Mitarbeiter. ImBranchenüberblick wirkt der Frauenanteilmit knapp 40 Prozent relativ ausgeglichen,hier zählen aber alle Mitarbeiter dazu. Vonden 2200 Fahrlehrern im Land sind geradeeinmal zehn Prozent Frauen.„Der Beruf ist nicht sehr familienkonform“,sagt Schwara. Die meisten Fahrstunden findenam Nachmittag und Abend statt. Keinegute Zeit für Mütter, die zum Beispiel aufdie Öffnungszeiten der Kindergärten angewiesensind. Dabei könnten mehr Frauen imFahrschulauto einem großen Problem entgegenwirken.Spricht man mit Frauen über ihreFahrstunden, hört man oft ähnliche Geschichten:eine Hand, die viel zu lange aufder Hand der Fahrschülerin am Lenkrad liegenbleibt. Ein Fahrlehrer,der bei einer falschenBlinkersetzungin eine Schreitiradeausbricht. „Ein Fahrschulautobietet eineextrem gute Bühne dafür“,sagt Schwara. Einenger Raum, dazu nochder Altersunterschiedund das Machtgefällezwischen Lehrer undSchülerin. In manchen Situationen müssenFahrlehrer auch körperlich eingreifen, dasliege in der Natur des begleitenden Fahrens.Es komme allerdings immer auf die Intentionan, meint Schwara.In der Ausbildung wird darauf kaum eingegangen.Pädagogisches ist nur bei den Fahrschullehrernvorgesehen, die Theoriekurseunterrichten. Hier geht es vor allem um Präsentationstechniken,erklärt Stefan Ebner.Für Fahrlehrer, die mit ihren Schülern undSchülerinnen Übungsfahrten durchführen,würden „Wissensvermittlung und die praktischenFähigkeiten“ in der Ausbildung im Vordergrundstehen, sagt Ebner. Es gehe darum,„mit einer Vielfalt von Meinungen beim Kundenumgehen zu lernen“. Im vergangenenJahr wurde die Ausbildung reformiert, seitdemdürfen angehende Fahrlehrer schnellerin der Praxis mitarbeiten und verdienenbereits nach zwei Monaten ihr erstes Gehalt.Auch Ebner spricht das Hierarchieverhältniszwischen Fahrlehrern und Schülern an, betontaber, dass es „bei 90.000 Führerscheinprüfungenpro Jahr und einer Vielzahl vonMenschenkontakten auf engem Raum“ zuwenigen bis keinen Vorfällen komme – dieauch gemeldet würden. Das habe auch wirtschaftlicheGründe: Fahrschulen stehen heutein größerer Konkurrenz zueinander. Inhaberkönnen sich schlechte Mundpropagandaschlichtweg nicht leisten.Vorfälle ernst nehmen„Wir nehmen solche Fälle ernst und dieBetroffenen sollten das auch“, betont SandraKonstatzky, Leiterin der Gleichbehandlungsanwaltschaft.Viele wüssten nicht,dass sie sich auch bei sexueller oder rassistischerDiskriminierung in der Fahrschulean die Behörde wenden können. Derzeithabe man nur „eine Handvoll“ solcher Fälle,das sei aber nicht ungewöhnlich. Obwohl esim beruflichen Kontext mittlerweile ein Problembewusstseingebe, fehle das in anderenLebensbereichen oft noch. Konstatzky appelliertjedenfalls, die kostenlose und vertraulicheBeratung der Gleichbehandlungsanwaltschaftin Anspruch zu nehmen. Die dortigenExperten können gut abschätzen, ob die Beweislagezum Beispiel für eine Schadensersatzklagereicht. Wer zuerst nur das Gesprächsuchen möchte, ist bei den Frauenberatungszentrender einzelnen Bundesländer gut aufgehoben.Bei „Rosa Schein“ beginnt sich indeslangsam eine Community zu etablieren, aufdie Barbara Schwara stolz ist. Manche kommeneinmal im Monat für eine Fahrstundevorbei, andere besuchen das Technikcafé undlernen dort in einem entspannten Umfeld, einenReifen zu wechseln. Blöde Fragen gibt eshier nicht, stattdessen wird Kaffee getrunkenund Kuchen gegessen. „Wir schließen niemandenaus, auch Männer können gerne vorbeikommen“,sagt Schwara.Manuela Tomic, Autorin und ehemalsFURCHE-Redakteurin, ist in Sarajevogeboren und in Kärnten aufgewachsen.In ihrer Kolumne schreibt sie überKultur, Identitäten und die Frage,was uns verbindet.Die Kolumnengibt es jetztals Buch!Foto: Rosa ScheinEin rosa TouchBarbara Schwara (links) und DanielaHofmann wollen Wiedereinsteigerinnendabei helfen, ihre Angst vor dem Autofahrenzu überwinden.

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