DIE FURCHE · 420 Ausstellung23. Jänner 2025Kunst aufzwei BeinenDie Skulptur nimmtim Werk Wurmseinen zentralenStellenwert ein,hier: Mind BubbleWalking, 2024,230 × 165 × 125 cm,Aluminium, Farbe.Die Albertina modern zeigt, dass Erwin Wurms Œuvregar nicht so „witzig“ ist, wie es vielleicht scheinen mag.Gerade durch das Absurde bringt er Sozialkritik ein.Das Paradoxeunserer WeltFoto: © Erwin Wurm / Bildrecht, Wien 2024; Foto: Markus GradwohlFEDERSPIELDaham bei den TalibanWenn freiheitliche Abgeordnete beimStammtisch der FPÖ Simmering Stammtischredenhalten, dann fördert deren Enthüllungkaum Überraschendes zutage: Die Herrenverachten die ÖVP als „machtgeil“ und wollen den Koalitionspreismöglichst hoch angesetzt wissen, undsie wollen, wenn ein Austritt aus der EU schon nichtmöglich ist, mit anderen von innen „dagegenhalten“.Allein das Ausmaß der Bewunderung für das Regimeder Taliban ist doch erstaunlich: Wer sich in Afghanistanin einer Stadt „deppert“ aufführe, der werdeaufs Land geschickt, wo „Stammeshäuptlinge“ allesso ziemlich im Griff hätten. Und wer dort immer nochnicht „spure“, werde nach Europa geschickt, weshalbhier das „letzte Gesindel“ lande.Die Weltpolitik als Besserungsanstalt und die Diktaturder schariagläubigen, Frauen drangsalierendenRadikal-Islamisten als pädagogisches Vorbild –hat unser selbsternannter „Volkskanzler“ nichtim FP-Wahlkampf 2006 den berüchtigten Slogan„Daham statt Islam“ ausgeheckt, der für die Wien-Von Daniela StriglWahl 2020 aufgewärmt wurde?Und jetzt wird das langjährigeSchreckbild der Turbaneund langen Bärte zum freiheitlichenRole Model? Ganz überraschend kommt dasnicht, denn bereits 2023 waren der Ex-EuropaparlamentarierAndreas Mölzer und Co zum Taliban-Außenministergepilgert, um lehrreiche Kontakte zupflegen. Die Stammtisch-Abgeordneten möchten gardie Taliban finanzieren helfen, indem sie ihnen Geldfür die Zurücknahme von Flüchtlingen bieten (dieMenschenrechtskonvention stört und soll weg). Seltsamerweisewird die FP-Politik vom politischen Gegnernicht an ihrer eigenen Propaganda gemessen.Zur, höflich gesagt, Widersprüchlichkeit der freiheitlichenIdeologie gehört auch, dass die Partei, die denbesten Teil ihrer Tradition und ihren Namen der Revolutionvon 1848 verdankt, heute für die Galionsfigurender Unfreiheit und Unterdrückung brennt.Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin.Von Theresa SteiningerEr unterläuft sie konsequent,die gängige Vorstellung davon,was eine Skulptur ausmacht:Erwin Wurm hinterfragtseit den 1980erJahren diese Kunstform – und tut diesmit bewusst absurden Ausformungen,die oft Gesellschaftskritik mitschwingenlassen.Wie sich seine Vorgangsweise entwickelthat und welche Querverbindungenes in den vergangenen 40 Jahrenseines Schaffens gibt, lässt nunin der Albertina modern eine „Retrospektivelight“ betrachten, wie KuratorinAntonia Hoerschelmann sienennt. Ihr und Assistenzkuratorin LydiaEder war es wichtig, in den 170 Exponaten,darunter Skulpturen, Malereien,Videos und Fotografien, nichtauf Vollständigkeit abzuzielen, sondernBezüge von früheren zu rezenterenArbeiten herzustellen.Das Spiel mit der Frage, was alles eineSkulptur sein kann, begann bereitsfrüh, wie man in den ersten Räumensieht. Von Anfang an war der menschlicheKörper ein wichtiges Thema fürWurm, er bildete ihn aus Holz undMetall nach und gab ihm durch bunteBemalung eine zweite Haut. Nichtnur Farbe, auch Kleidung stellte er inder Folge gerne als zweite Schutzhülledar. Dabei hinterfragte Wurm auch,wie man das Volumen erweitern könne,indem er einer Figur beispielsweise18 Pullis anzog oder aber eine Anleitungdazu herausgab, wie man sichdurch Essen und Nichtstun selbst ausdehnenkönne.„ Das Spiel mit der Frage,was alles eine Skulptursein kann, begann bereitsfrüh. Von Anfang an warder menschliche Körperein wichtiges Themafür Wurm. “Aufgabenstellungen ziehen sich generelldurch Wurms Werk: Das startetbei einer „Staubskulptur“, bei derin einem Glassturz nichts als Staub istund man erfährt, wie man diese selbstherstellen könne. Berühmt gemachthat er dies dann mit seinen „One MinuteSculptures“, in denen Besucherinnenund Besucher seine Anweisungenbefolgend selbst für eine Minute langSkulpturen werden. Das darf man inder Albertina modern auch ausprobierenund wird aktiv in Kunst eingebunden.Ob man sich 60 Sekunden langauf mehrere Tennisbälle legen, mitFlaschen an eine Wand lehnen oderan Figuren befestigte Pullis überziehenmöchte: Jedenfalls nimmt man ungewöhnlicheStellungen ein, verharrtin diesen – und wird quasi selbst zumKunstwerk, so wie Wurm es wollte.Ungemütlich ist es auch in dem danebenstehendenNarrow House, einerim Volumen stark reduzierten Schule,die wie ähnliche Werke Wurmsdie Beengtheit in gesellschaftlichenNormen verdeutlichen möchte. Generellspielt unterschwellige Sozialkritikin Wurms Werk eine wichtige Rolle,wie zahlreiche der Exponate zeigen:Da bläst er ein Auto auf, um einerseitsdas Wortspiel „Fat Car“ zu nutzen, andererseitseben Prestigeobjekte unseresAlltags auf den Arm zu nehmen.Gier, Überfluss, Warenfetischismus –das sind hier seine Themen. Ähnlichist es bei den Handtaschen, denen erBeine verleiht. Indem er sie zu Menschenmacht, hält er vor Augen, wieeinige diese als Statussymbole undsich durch Objekte definieren. Er nutzeden Weg des Absurden, um Problemeanzusprechen, lässt Wurm wissen.Natürlich fehlen in der Albertinamodern auch bekannte Werke wie dieEssiggurken nicht. Rund 20 davon stehenauf Podesten, alle aus Acrylharzgefertigt und bemalt. Nur auf den erstenBlick wirken sie gleich. Wie sieseien auch alle Menschen individuell,teilt uns Wurm mit. Um bei Bezügenzur Wiener Jausenkultur zu bleiben,stehen im nächsten Raum zweieng umschlungene, monumentaleWürstel, die einander küssen. Auchsie sind grotesk aufgeblasen – wieeben auch Wurms Couches, Autos undGedankenblasen.Kippen der gewohnten WahrnehmungSpäter sollte Wurm dies dann insGegenteil verkehren, zuletzt reduzierteer Figuren auf ein Minimum, siewirken, als hätte man ihnen die Luftausgelassen. Und er führt dies nochweiter, indem er beispielsweise inDarstellungen wie „Balzac“ den Menschenüberhaupt verschwinden lässtund ihn nur mehr durch einen Kleiderbergdarstellt.Neben zahlreichen zu Kunst gewordenenÜberlegungen zur Neudefinitionder Skulptur finden sich auch einigeZeichnungen. Einerseits zeigtWurm darin Persönlichkeiten wieThomas Mann und Thomas Bernhard,andererseits sich selbst, mal rauchend,mal mit Pistole. Die Kritik an der Waffenindustriezieht er in einem gleichdaneben positionierten Colt, der Reifenspurenzeigt, weiter.Und man merkt: Vordergründigwitzig ist Wurms Kunst maximal beioberflächlicher Betrachtung. Die Ausstellungzeigt, dass es ihm in all der Absurditätund Paradoxie um etwas anderesgeht als darum, jemandem zumLachen zu bringen. Das hat sich überdie Jahre seines Schaffens nicht geändert,ebenso wenig die Verzweiflungüber unsere Gesellschaft, die aus denWerken spricht.Erwin WurmAlbertina modernBis 9.3., täglich 10–18 Uhrwww.albertina.at
DIE FURCHE · 423. Jänner 2025Film21KURZKRITIKENDas Gespräch führte Matthias GreulingGemeinsam mit seinem KollegenAlexandre de La Patellièrehat Matthieu Delaporte„Der Graf von Monte Christo“ inSzene gesetzt. Das Duo, bisherbekannt durch Komödien wie „Le Prénom“,widmet sich damit einem der bekanntestenWerke von Alexandre Dumas. DIEFURCHE sprach mit Delaporte über seinenZugang zum Genre.DIE FURCHE: Monsieur Delaporte, wie kannman einen solchen Stoff, der unzählige Maleverfilmt wurde, heute in der Zeit der Bilderflutneu und frisch erzählen?Matthieu Delaporte: Wir sind von den Eindrückenunserer Zeit überwältigt. Als Regisseurmöchte man aber etwas Einzigartigesschaffen. Das war unser Ziel. Er solltedank der Laufzeit von drei Stunden eine geradezuopernhafte Dimension bekommen,und wir wollten das epische Kino mit einemGefühl der Atemlosigkeit verbinden. Es waruns wichtig, dass die Zuschauer vollständigin diese großartige Erzählung eintauchenkönnen – in eine Geschichte, die vollerLicht ist, aber auch voller Schatten. Weiles diese Gegensätze braucht, haben wir versucht,zwischen dem Epischen und dem Intimenzu balancieren; viel Raum zum Atmeneinzubringen und gleichzeitig kleine Pausenfür Reflexionen zu schaffen. Es geht darum,nicht ständig im Spektakel gefangenzu sein. Das Interesse am Spektakel wirddurch kleine Dinge getragen: durch Intimitätund Gefühle. Deshalb wollten wir so nahwie möglich an unseren Figuren bleiben.FILMKRITIK „DER GRAF VON MONTE CHRISTO“In epischer BreiteJean Marais, Richard Chamberlain oder Gérard Depardieuwaren alle schon „Der Graf von Monte Christo“,jene Figur aus Alexandre Dumas’ berühmtem Roman,der zur Weltliteratur zählt. Der Franzose Pierre Nineyschlüpft nun in der episch angelegten Neuverfilmung vonMatthieu Delaporte und Alexandre de La Patellière in dieTitelrolle.Als junger Seefahrer Edmond Dantès hat er gerade ein eigenesSchiff bekommen und ist im Begriff, seine große LiebeMercédès (Anaïs Demoustier) zu heiraten. Da wirft manihm plötzlich Kontakte zum abgesetzten Kaiser Napoleonvor. Grund genug, ihn zu verhaften und in den dunkelstenKerker auf der Gefängnisinsel Chateau d’If zu stecken – obwohles keinerlei stichhaltige Beweise gibt. Erst 14 Jahrespäter gelingt ihm mithilfe seines Zellennachbarn AbbéDIE FURCHE: Gut und Böse und die Zwischentöne– all das haben Sie in dem Film versammelt…Delaporte: Es ging darum, dabei diesesGleichgewicht wiederzufinden; ein Gleichgewicht,an das ich mich bei vielen altenFilmen erinnere – solche Filme werdenheutzutage leider immer seltener gemacht.Es sollte ein Kino sein, wo auch dunkle Elementeexistieren können. Diese Mischungaus Dunkelheit und Licht war uns sehrwichtig.DIE FURCHE: Hat sichdas Genre des Spektakelkinosverändert?Denn solche Filmescheinen tatsächlichseltener geworden zusein.Delaporte: Große,epische Filme sindseltener geworden.Das hat auch mit demSerienboom zu tun und bestimmt auchmit der Aufmerksamkeitsspanne des Publikums.Wir aber finden, dass es genugGeschichten gibt, die eine solche Formbrauchen.DIE FURCHE: In dieser Geschichte geht’s umThemen wie Verrat oder Erwachen ... Wassagt uns diese Geschichte über unsere Zeit?Delaporte: Ich denke, genau deshalb bleibtdas Buch über Jahrzehnte hinweg relevant.Rache kennt keine Grenzen von Zeit oderNationen. Jeder kann nachvollziehen, wases bedeutet, wenn einem Unrecht widerfährtoder wenn jemand ungerecht behandeltwird – Ungerechtigkeit ist universellfühlbar. Der Wunsch nach Wiedergutmachungist etwas, was jeder Mensch empfindenkann. Rache hat etwas Ewiges: Wennman versucht, eine Wunde zu heilen, gräbtman selbst tiefer hinein. Das kann auch zueinem Gift werden, das sowohl deinen Gegnerals auch dich selbst schädigt.DIE FURCHE: Dabei könnte der Graf vonMonte Christo doch eigentlich ein sorglosesLeben führen.Delaporte: Was an„ Der Film sollte dankdreistündiger Laufzeiteine geradezu opernhafteDimension bekommen.Wir wollten das Kinomit dem Gefühl vonAtemlosigkeit verbinden. “Faria (Pierfrancesco Favino) eine waghalsige Flucht. Er beginnteinen grausamen Rachefeldzug gegen all jene, die ihndereinst beschuldigten und sein Leben zerstörten.Das alles erzählen die beiden Regisseure, die bisher vorallem wegen der Komödie „Le Prénom“ bekannt sind (beiuns als Remake unter dem Titel „Der Vorname“ erschienen),sehr klassisch und auch pompös, mit tollen Bildern und vielDramatik. Die komplizierte Handlung der ab 1844 als Fortsetzungsromanerschienenen Vorlage haben die Regisseuregestrafft und auf die Hauptfiguren fokussiert. Dennochist es gerade in der ersten Hälfte des Films durch viele Zeitsprüngeschwierig, die Spannung zu halten und das Publikum nicht zu verwirren. Insgesamt hinterlässt die Neuverfilmungeinen hochwertigen Eindruck und unterhältüber weite Strecken gut.(Matthias Greuling)Aus demKerkerDer junge SeefahrerEdmondDantès (PierreNiney) möchteVergeltung, nachdemer 14 Jahrelang unschuldigim dunklenKerker saß.Matthieu Delaporte hat Alexandre Dumas’ „Der Graf von Monte Christo“ neu und sehr bildgewaltigverfilmt. Ein Gespräch über die Mischung von Spektakel und Intimität.„Rache hat etwas Ewiges“Monte Christos Figurfaszinierend ist:Er besitzt alles Gelddieser Welt; könntetausend Leben führen,aber wählt einesvoller Rache. Jeweiter die Geschichtefortschreitet, destomehr erkennt erallerdings, dass Rachekeinen Ausweg bietet.DIE FURCHE: Der Film ist seit seiner Cannes-Premiere sehr erfolgreich. Wird er auch internationalein Blockbuster?Delaporte: „Der Graf von Monte Christo“ist keine Komödie, im Gegenteil, es istein komplexer und vor allem langer Film.Es war eine äußerst wichtige finanzielleund industrielle Herausforderung, diees zu bewältigen galt. Dies ist der größtefranzösische Film, gemessen am Budget,für das Jahr 2024. Wenn die Leute einemvertrauen, kann man nur hoffen, dass esfunktioniert.Der Graf vonMonte Christo(Le comte deMonte-Cristo)F 2024. Regie:Matthieu Delaporte,Alexandrede La PatellièreMit Pierre Niney,Anaïs Demoustier,Bastien BouillonPanda. 178 Min.In der Welt vonExil-IranernMatthew Rankins Film irritiert aufproduktive Weise. Es bleibt in derSchwebe, wo man sich befindet.Spielt „Universal Language“ in einem verfremdetenIran oder in einem magischen,kanadischen Absurdistan? Der Regisseurhat darin nicht nur Biografisches verarbeitet,sondern macht als Verehrer iranischerFilmkunst auch intertextuelle Anleihenbei ihr. So erzählt er parallel von der Irrfahrtzweier Mädchen und von einem Angestelltenauf dem Weg zu seiner Mutter.Dergestalt befasst sich sein Film kritischmit Mentalitäten wie auch der Lage im Iranund lässt vielen Assoziationen Raum, obschondie Miniaturen mit „Camp“-Elementenmanchmal blutarm wirken. Es scheint,als versetze er das Kinopublikum in dieWelt von Exil-Iranern. Zwar leben sie inKanada, führen aber die Heimat wehmütigmit sich. All das unterstreicht die famoseKameraführung durch Parallelfahrten,abriegelnde eintönige Gebäudefronten,Überblendungen und begrenzende Raumillusion.(Heidi Strobel)Universal Language (Une langue universelle)CA 2024. Regie: Matthew Rankin. Mit RojinaEsmaeili, Saba Vahedyousefi. Filmladen. 89 Min.GnadenloseVertreibungVom Sommer 2019 bis zum Oktober2023 dokumentierten der palästinensischeAktivist Basel Adra, derisraelische Journalist Yuval Abraham, dieisraelische Filmemacherin und KamerafrauRachel Szor sowie der palästinensischeFotograf Hamdan Ballal die israelischeZerstörungs- und Vertreibungspolitikim südlichen Westjordanland. Hautnahlässt das Kollektiv in „No Other Land“die Ereignisse mit klassischen Filmaufnahmenund Handybildern nacherleben,während Archivaufnahmen an die langjährigenRepressalien erinnern. KeineHintergrundinformationen werden geboten,sondern das Publikum soll emotionalisiertwerden. Aufwühlend und entschiedenparteiisch ist dieser vielfach preisgekrönteDokumentarfilm, der das israelische Vorgehenwütend anprangert. Dennoch verbreitetdie Freundschaft des palästinensisch-israelischenFilmteams zumindesteinen Funken Hoffnung auf Überwindungder nationalen Feindschaft und ein friedlichesZusammenleben. (Walter Gasperi)No Other LandN / PSE 2024. Regie: B. Adra, Y. Abraham,H. Ballal, R. Szor. Polyfilm. 92 Min.
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