DIE FURCHE · 418 Literatur23. Jänner 2025FORTSETZUNG VON SEITE 17die Literatur der einst verfolgtenund bedrängten Klassiker schaffeEinverständnis zwischen Jakuten,Armeniern, Juden und Russen.Überraschenderweise hat die literaturzentristischeArgumentationin Grossmans armenischer Reiseauch in Zeiten von Cancel-Cultureund der (auch innerrussischen)Diskussionen, ob die russische Kulturallein ein „imperialistische“ Erbedarstellt oder auch ein „anderes“Russland denkbar ist, nichts an Aktualitätverloren.Das äußerst dichte und zugleichumsichtige Gewebe ausLandschaftsbeschreibung, Überlegungenzur damals auch in derUdSSR hitzig diskutierten abstrakten Kunst, Schilderungendörflicher Pastoralen im Zeitalterder Elektrifizierung letzter Bergdörferund Betrachtungen überden „russischen Ofen“, bleibt ausgewogenauf das Fremde wie dasEigene fixiert. Grossman erinnertsich, dass eine seiner Tanten währenddes Krieges nach Armenienevakuiert wurde, er denkt überSelbstmord nach und wird vonTodesahnungen befallen; die Bewunderungder armenischen Kirchenarchitekturfällt ekstatischaus, die Beschreibung eines Treffensdes atheistischen Schriftstellersmit dem armenischen Katholikoszeugt von Respekt und gerätzugleich durchaus süffisant.Wichtigster Bezugspunkt bleibtdie Katastrophe des nur sechzehnJahre davor zu Ende gegangenen„Großen Vaterländischen Kriegs“.Am Ende der armenischen Reisewird Grossman zu einer Hochzeitin einem Dorf eingeladen, bei derein Gast in seinem Trinkspruchzu Ehren des jüdischen Besuchersan seine Kriegsgefangenschaft erinnert.Dort habe er gesehen, wieeine Gruppe jüdischer Häftlingezur Hinrichtung geführt wurde.Grossman verbeugt sich vollerDankbarkeit für das armenischeMitgefühl mit der Tragödie der Judenbis zum Boden: „UnsterblicheBerge mögen zu Skeletten werden,der Mensch aber soll ewig bestehen.Nehmt diese Zeilen entgegenvon einem Übersetzer aus dem Armenischen,der kein Armenischkann. Wahrscheinlich ist vieles,was ich gesagt habe, missratenund schief. Ob geraten oder missraten,ich habe es mit Liebe gesagt.Barew dses – alles Gute euch, Armenierund Nichtarmenier.“ WassiliGrossman starb 1964, dreiJahre nach seiner Reise nach Armenien,sein Buch wurde in Russlandposthum und zensuriert 1967veröffentlicht.Armenische ReiseVon Wassili GrossmanAus dem Russ. von Christiane KörnerClaassen 2024, 208 S., geb., € 24,70Foto: iStock / Nazar NazarukVon Lothar StruckDa ist zunächst das Cover. Dicke,schwarze Striche, wie mit Tuschegemalt. Man denkt vielleicht anRiesen, die aus Flammen emporsteigen,links davon zwei kleineMenschlein. Wieder einmal eine Zeichnungvon Peter Handke auf dem Umschlag. Aber wasfür eine. Es sei bei Port Royal des Champs, PascalsSchule, so Handke. Dort stünden alte Bäumebeziehungsweise Überbleibsel von Bäumen,wie man sie sonst nur in der Lagune von Venedigfinde.Port Royal liegt etwa 20 km westlich vonChaville, Handkes Wohnort. Mit dem Wissenum diesen Ort stellt man sich vor, wie er diesenWeg zu Fuß querfeld- und querwaldeingegangen ist, analog zum „Kreuz-und-quer-Gehenden“ seines neuesten Prosabandes mitdem vielsagenden Titel „Schnee von gestern,Schnee von morgen“. Schon im Sommer erzählteHandke vom Schreiben daran: Da laufe einerdurch die Gegend herum und rede dummesZeug. Dazu scheint ein Zitat aus Anton TschechowsErzählung „Die Steppe“ zu passen, dasdem Buch vo ran ge stellt ist: „Zurück bei denSeinen hatte Igor ein unvermeidliches Bedürfnis,sich zu beklagen …“Aber keine Angst, der namenlos bleibendeAllein- und bisweilen Rückwärtsgeher, derdem „Club der unabhängigen Zuschauer“ angehört,beklagt sich nicht und muss demnachnicht in die Küche, wie eszu Beginn heißt. Sein Monologerscheint zunächstals eine Sammlung vonAugenblicken – und kurzkommt einem das surrealistische,freie Assoziierenin den Sinn. Er ist einSchauender, Lauschender,der Wahrnehmungen, Litaneien,Emphasen, Widersprüchlichkeitenundvermeintliche Spruchweisheitenscheinbar wahllosaneinanderreiht, was zu sprunghaften, zumTeil auch komischen Assoziationskaskaden bishin zu Kalauern führt. Etwa wenn sich die „Karawanender Jungen am Feier abend“ auf denWeg „hin zur NO-SIDE-STORY“ machen. Oderdie zwei Raben „die beiden Köpfe still aneinander“halten und derart „anstelle des Doppeladlersein[en] Doppel rabe[n]“ ergeben. Esgibt Selbstbeschwörungen, etwa den Wunsch,das Übersehen zu lernen oder das Denkenund Nachdenken zugunsten des Sinnens undNachsinnens zu ersetzen. Gelegentlich werdendie Apologeten der Gewissheiten persifliert:„Ich weiß jetzt, wie der Hase läuft, undhier liegt der Hund begraben, oder wer, undwer noch?“Man liest mit Vergnügen ein Lob auf die Hässlichen,und manchmal finden sich auch kurze,weltretterisch angedachte Imperative, etwader Wunsch an die „Guten“, sich „zu entorganisieren“,denn „wehe, die Guten organisierensich“. Und Meditatives wie der Wunsch, Gedulddurch das „Gleichmaß“ zu ersetzen. „Erfrischung“erfolgt durch die Stille, sie sich „ersteinmal klarzumachen, sie mir einzubleuen,mich in sie, die Stille, einzuhören“, aber auch„zugleich wegzuhören“. Sich am Horizont aufzeigendeIdeen werden fast immer im nächstenSatz verworfen, denn: „Es wird so kommen,wie es kommen wird müssen. Oder auch nicht.“Und es wird „so gut, wie es nie war“. Klingt dasnicht alles ein bisschen resignativ? Nein, stattdessen:„Fürchte die Musen, die dir mit Versprechungenkommen.“Sammlung von Augenblicken„ Der Zorn des Gehersfällt milde aus, seineRückschau gerät wederschwärmerisch nochverbissen, der Ausblickdes Erzählers lädt zurZuversicht ein, nein:erzwingt sie nahezu. “Mit „Schnee von gestern, Schnee von morgen“ hatLiteraturnobelpreisträger Peter Handke spielerischleichteDramaprosa geschrieben, sanft rüttelnd anden Fragen der Zeit.Fast versöhntIm Verlauf mäandert des Gehers Rede undman beginnt, das Lesen an diesen Rhythmusanzupassen. Wie schon in den letzten Journalbändengibt es Elfte Gebote und, neu, Tageshoroskope.Viele Blicke zurück – erstelltda jemand eine Lebensbilanz,eine Bestandsaufnahme?Eine Fortsetzungvon „Zwiegespräch“ ausdem Jahr 2022? Keine Frage,beide Stücke sind Zwillinge,aber zweieiige. War„Zwiegespräch“ noch formalein Dialog, ein „Spielvom Fragen“ wie einst zwischendem „Mauerschauer“und dem „Spielverderber“und im Tenor eher spielverderberisch,so zeigt„Schnee von gestern, Schnee von morgen“ einenProtagonisten, der mit sich und der Welt fastversöhnt zu sein scheint.Die sehnsuchtsvolle Frage am Ende vom„Zwiegespräch“ nach der Zeit, „da das Wünschenwieder helfen wird“ stellt sich der Kreuzund-quer-Gehernicht mehr. Es war eine Epoche,und sie ist vorbei. Jetzt ist es anders; ersucht seinen Frieden mit der „panischen Welt“,was teilweise gelingt. Eben war noch die Stilledas Maß aller Dinge, und jetzt heißt es: „DerLärm, der Krach, das Krach-und-Lärm-Chaos,welches mich in der vorigen Epoche als das bestialischsteanfiel, ist inzwischen, so sag ich’sjedenfalls jetzt, dabei, sich mir in ein Erlebnisumzuwandeln, einem Klangerlebnis sondergleichen…“ Nichts ist eindeutig, aber immerhinheißt es zwei Mal: Die „Wette des GeglücktenLebens“ kann man nur verlieren – aber, sobeide Male: „fröhlich“.Plötzlich ist der Geher getreu seinem Ideal„schön verschwunden“, in den „Bannwald“,herangewunken von einem Fichtenast. Heimkehroder Rückkehr in die Natur, „die Natur inPerson sozusagen“. Jetzt kommen einem dieseBäume von Port Royal in den Sinn, mit „demMenschen vor der Natur allein“. Eine Verwandlung.Ein Augenblick, dem man Dauer wünscht.Es übernimmt nun ein Erzähler. Er trägt dieSichtungen zusammen, wann der Geher wo gesehenwurde, in einem Bus etwa oder „als Mitgliedeiner Steppenwandergruppe“, aber „keinMensch kann eine Zeit sagen, wo er noch ging,und eine, wo er nicht mehr ging“.In diesem als Theaterstück angelegten Textfinden sich viele Motive aus Handkes Werk wieder.Etwa das Ringen um den „Ewigen Frieden“.Oder das Zitat der Überschrift eines Textes zuHermann Lenz, der diesen 1973 schlagartig inden Blickpunkt der literarischen Öffentlichkeitrückte. Manches Mal werden Referenzen undZitate variiert, in den schönsten Augenblickenauch selbstironisch gebrochen und ins Gegenteilgewendet. „Schnee von gestern, Schneevon heute“ ist spielerisch-leichte Dramaprosa,sanft rüttelnd an den Fragen der Zeit, aber vonheiterer Souveränität durchzogen. Der Zorndes Gehers fällt milde aus, seine Rückschau gerätweder schwärmerisch noch verbissen, derAusblick des Erzählers lädt zur Zuversicht ein,nein: erzwingt sie nahezu. Und während ichdies schreibe, fällt der Schnee von heute.PETER HANDKE SCHNEE VON GESTERN, SCHNEE VON MORGENS VP E T E R H A N D K ES C H N E EV O N G E S T E R N ,V O NS C H N E EM O R G E NSUHRKAMPSchnee von gestern,Schnee von morgenVon Peter HandkeSuhrkamp 202574 S., kart., € 20,60
DIE FURCHE · 423. Jänner 2025Theater & Musik19Als gut eingespieltes Team präsentieren die Schauspieler Bruno Cathomas und Seán McDonagh die Romanadaption von Ágota Kristófs Trilogie„Das große Heft / Der Beweis / Die dritte Lüge“ im Akademietheater. Die Inszenierung überzeugt allerdings nicht vollkommen.Im Trümmerhaufen des LebensVon Christine EhardtDie Adaption eines Romans isteine heikle Angelegenheit.Wer das Ausgangswerk kennt,ist meist enttäuscht, wer esnicht kennt, muss fürchten,Wesentliches aus der Originalvorlage zuverpassen. Trotz dieser Schwierigkeitenzählt die Literaturadaption auf den heimischenBühnen zur beliebtesten Stückwahl.Vor allem Erfolgsromane sind hierzulandeaus dem Repertoire der großen Theaterhäusernicht mehr wegzudenken. Mit ÁgotaKristófs Trilogie „Das große Heft / DerBeweis / Die dritte Lüge“ holt das Akademietheatergleich drei Romane auf einmalvor den Vorhang. Die vom Schauspiel Kölnübersiedelte Inszenierung unter der Regievon Mina Salehpour dampft die schonungsloseund rätselhafte Antikriegsgeschichteauf knappe zwei Stunden ein. Was bleibt, istein solider Abend, der den Fokus ganz aufKristófs unverwechselbare Sprache lenkt,dem es aber an Höhepunkten fehlt.Abhärten gegen den SchmerzGestartet wird allerdings mit einemKnall: Ein hohes Mauerwerk aus schwarzbemaltenGipsziegeln fällt um. Kurze Gedankenan Pink Floyds Album „The Wall“kommen einem in den Sinn, tatsächlichhätte die Coming-of-Age-Trilogie der britischenKultband einige Parallelen zu diesemliterarischen Meisterwerk zu bieten.Ein Gedanke, der jedoch schnell von brummendenBeats (Musik: Sandro Tajouri)übertönt wird, ein horizontaler Lichtstrahlzieht sich über die Bühne, und das hinterder Mauer versteckte Zwillingsbrüderpaarist zu sehen. Bruno Cathomas und SeánMcDonagh sind in übergroße weiße Hemdenund schwarze Pluderhosen gehüllt.Zwischen den Trümmern der gipsernenBauklötze beginnen sie im Chor mit der Beschreibungihrer traumatischen Kindheit.Zu Kriegsbeginn werden sie in die Obhutihrer grausamen Großmutter übergebenund müssen sich schnell an die gefühls-kalte und gewaltvolle Umgebung anpassen:„Die Schläge tun weh, sie bringen uns zumWeinen. Wir beschließen, unseren Körperabzuhärten, um den Schmerz ertragenzu können, ohne zu weinen.“ Ihre negativeSelbsterziehung halten sie ebenso wie dieexakten Beobachtungen ihrer Umgebungin einem Notizheft fest. Darin sind all dieGräuel des Krieges, die Vergewaltigungen,Diffamierungen und Deportationen niedergeschrieben.Hier hat kein Fünkchen HoffnungPlatz. Eine Explosion tötet ihre Mutter,gerade als sie ihre „Lieblinge“ endlich abholenmöchte, und auch der Rest der Angehörigenverstirbt. Für ihr Überleben werden sieselbst zu Dieben, Rächern und Mördern, lernenaber auch, anderen zu helfen und nacheigenen Moralvorstellungen zu handeln.„Das große Heft“ erschien 1986 und warder Debütroman der in Ungarn geborenenund 1956 in die Schweiz geflohenenSchriftstellerin, die 2011 verstarb. Die experimentelleErzählform sowie ihr unver-wechselbarer Schreibstil, der brutal undunprätentiös eine verrohte Gesellschaftim Überlebensmodus beschreibt, machtenKristóf weltberühmt.Die im Duett gesprochenen Berichte,wunderbar von Cathomas und McDonaghvorgetragen, spiegeln die eindringliche Atmosphäredes Romans im ersten Teil beeindruckendwider, tiefe Bassklänge unterstreichendie düstere Szenerie nochzusätzlich. Die beiden Schauspieler sindein gut eingespieltes Team, ihre Stimmenund Bewegungen laufen nahezu im Gleichklangab, nur die erzählten Dialogpassa-Stück fürStückFoto: © Andreas SchlagerDas Verschieben,Aufstellen und AuftürmenverstreuterMauerteile scheintdie vergeblicheSuche nach einergeschlossenenund unverbrüchlichenIdentität zuversinnbildlichen.„ Die szenische Kraft, die den Anfangdes Stücks noch durchzieht, gehtbei der verknappten Darstellung von‚Der Beweis‘ und ‚Die dritte Lüge‘zusehends verloren. “gen, die mit kindlich-verstellten Stimmengesprochen werden, irritieren den schnörkellosenFluss der Erzählung. Das synchroneKonzept zerfällt am Ende des erstenTeils, die gemeinsamen Sätze werdenzunehmend von unterschiedlichen Wortenunterbrochen. Ab nun sind die beidenBrüder getrennt, der eine flieht, der anderebleibt, und die Erinnerungen füllen sichmit immer mehr Lücken, Brüchen und Ungereimtheiten.Die vormals namenlosenZwillinge werden zu Claus und Lucas. Indiesem Anagramm ist bereits der Zweifelan einer linearen Identitätskonstruktionenthalten. Die Lebensgeschichten beginnensich zu widersprechen, ineinander zuverschwimmen und brechen schlussendlichganz auseinander.Kristófs Text widersetzt sich demWunsch des Publikums nach Glaubwürdigkeitund Kausalität. Ihr Schreiben erinnertan Michel Foucaults Verständnis von Vergangenheit,das sich einer teleologischenAuffassung von Genealogie widersetzt.Auch eine zeitliche und örtliche Einordnungverwehrt uns die Autorin. Das machtden Reiz der vieldeutigen Zwillingstrilogieaus. Die gekonnte Verschränkung von Geschichteund Fiktion ergibt ein narrativesLabyrinth, aus dem es keinen gesichertenWeg hinaus gibt. Ambivalenzen, die in derAufführung zwar zur Geltung kommen, dieszenische Kraft, die den Anfang des Stücksnoch durchzieht, gehen bei der verknapptenDarstellung von „Der Beweis“ und „Diedritte Lüge“ aber zusehends verloren. DasVerschieben, Aufstellen und Auftürmender verstreuten Mauerteile, das die vergeblicheSuche nach einer geschlossenen undunverbrüchlichen Identität zu versinnbildlichenscheint, hält die Schauspieler gegenEnde des Abends zwar in Bewegung, ziehtdie Zuschauer jedoch nicht mehr in denBann. Trotz gekonnter Schauspielleistunggab es nur verhaltenen Premierenapplausfür eine ebensolche Vorstellung.Das große Heft•Der Beweis•Die dritte LügeAkademietheater: 23.1., 1., 11.2.OPERETTESo ist dieses „Spitzentuch“ entbehrlichVon Walter DobnerSchon einmal, 1880, wurde dieRenovierung des Theaters ander Wien mit diesem Dreiaktereröffnet. Warum nicht an diese Traditionanknüpfen, noch dazu in diesemJohann-Strauss-Jahr, wenngleichman um den mäßigen Ruf und dieumstrittene Qualität dieses in vierTextversionen vorliegenden Werkswusste, von dem letztlich nur einOhrwurm im allgemeinen Bewusstseinverblieben ist. Der freilich ist einMeisterwerk, ein Welthit im wahrstenWortsinn: der Walzer „Rosen ausdem Süden“, dessen Melodien in dieserOperette immer wieder anklingen.Dennoch, dass diese Neuproduktion– zugleich die erste szenischeim neu eröffneten Musiktheater ander Wien – derart schieflaufen würde,war nicht vorherzusehen. Wasim Übri gen nicht daran lag, dass dasLeading Team den Fokus nicht aufdas titelgebende Spitzentuch legte,sondern auf die Figur des Cervantes.Der Versuch, damit die Handlung zuentwirren, schlug allerdings fehl. Dahätte man schon stärker in den Texteingreifen müssen, bei dem man sichfür eine Mischfassung entschiedenhatte. Selbst damit konnte man nichterahnen, dass man mit diesem Sujet –es dreht sich im Wesentlichen um einenunreifen König, einer an ihmverzweifelnden Königin, einen intriganten,machtgeilen Premierministerund den listigen Poeten Cervantes –die einstigen Verhältnisse am Habsburgerhof,vor allem die fortschrittlichenpolitischen Ideen von KronprinzRudolf, aufs Korn nehmen wollte.Anstelle dies wenigstens ansatzweisein der Inszenierung zum Ausdruckzu bringen, versuchte man miteher matten Pointen zuweilen die gegenwärtigepolitische Situation hierzulandezu reflektieren. Das sorgtefür kurzfristige Lacher, aber ebensoKopfschütteln. So billig sollte man esnie geben. Von den Versäumnissender Regie Christian Thausings, welcherdie Protagonisten mehr zufälligauf der Bühne erscheinen lässt,als sie klar zeichnet und führt, vermochtedas nicht abzulenken. Dabeihätte das Einheitsbühnenbild (Ti-mo Dentler, der auch für die altmodischen,wenig schicken Kostüme verantwortlichzeichnet) durchaus eineInspirationsquelle sein können: einKarussell mit Requisiten, die aufden kindlichen König hinweisen, alsSymbol einer sich stetig drehendenWelt. Ein Bild, das man deutlicher insSpiel hätte bringen können.Auch musikalisch reichte es nichtzu der offensichtlich angestrebtenEhrenrettung dieses Johann Strauss.Zwar spielte man aus der den jüngstenForschungsstand dokumentierendenStrauss-Edition der Wiener VerlagsgruppeHermann, aber was nütztdas beste Material, wenn dafür nichtdie entsprechenden Protagonisten zurVerfügung stehen? Wenn man, wie derDirigent Martynas Stakionis, hörbarnicht mit dem charakteristischen Stilvertraut ist, kann man auch das Orchester– das wenig klangschöne, unterschiedlichpräzise agierende WienerKammerOrchester – nicht zu dennötigen Ergebnissen inspirieren.Auch die Solisten zeigten sich nurbedingt auf der Höhe ihrer Aufgabe– egal, ob die in ein besonders un-Foto: Werner Kmetitschschickes Outfit gesteckte Diana Hallerin der Hosenrolle des Königs, die mitGlanz geizende Elissa Huber als seineFrau, Beate Ritter als ziemlich hantigeKönigin-Vertraute Donna Irene,Maximilian Mayer als oft bis an seinevokalen Grenzen geforderter Cervantesoder Michael Laurenz als outrierterPremier. Selbst der ArnoldInmitten einesopulenten Bühnenbildesinteressierenden König (imBild Diana Haller)nur delikate Trüffelpastetenund außerehelicheAbenteuer.Sein Landverliert er dabeiaus den Augen.Schoenberg Chor wartete bei der Premierenicht immer mit der ihn sonstso auszeichnenden Textdeutlichkeitauf. Wenigstens das sich mit Tierköpfenpräsentierende Ballett brachte unprätentiösenSchwung in die Szenerie.Das Spitzentuch der KöniginTheater an der Wien: 24., 26., 28.1.
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