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DIE FURCHE 23.01.2025

DIE FURCHE · 414

DIE FURCHE · 414 Diskurs23. Jänner 2025ERKLÄRMIR DEINEWELTIch bin voneinem ZeitgeistheimgesuchtDen gesamten Briefwechselzwischen Johanna Hirzbergerund Hubert Gaisbauer könnenSie auf furche.at bzw. unterdiesem QR-Code nachlesen.Johanna Hirzbergerist Redakteurin von „RadioRadieschen“ und freieMitarbeiterin von Ö1.Ich hoffe, Sie sind mittlerweile genesen. Ihr letzterBrief hat mich … verwundert. Nein, das ist nicht dasWort, nach dem ich suche. Er hat mich angestupst. Ichfrage mich, wen Sie genau auffordern, Verantwortung zuübernehmen. Vielleicht bin ich PMS-bedingt zu sensibel.Oha, ich spreche über meinen Zyklus, wer will denn sowas wissen, das ist doch zu privat. Ganz ehrlich, wennwir über Leistung und „brennen“ sprechen, muss manauch bedenken, wie viel Energie man zur Verfügung hat.Was soll ich denn noch zur Situation sagen. Sie wissen,im Laufe des vergangenen Jahres wurde das Weltgescheheninnerhalb und außerhalb Österreichs auf so vielenEbenen „zach“, wie meine GrazerFreundinnen sagen würden. Anfangsdachte ich, es sei mein persönlichesProblem, dass ich nichtbelastbar sei und mich deshalb zurückziehe.Mittlerweile merke ich,dass mich einer von vielen Zeitgeisternheimgesucht hat.Sie beziehen sich auf die Biedermeier-Zeit,und ich fühle mich angegriffen.Sagen Sie, habe ich dafüreinen Grund? Ja, mag sein, dassich mich ins Private zurückziehe und mir Idylle wünsche.Warum darf ich das nicht? Woher kommt das Gefühl,dass von mir mehr verlangt wird, als mir trotz Engagementund Ehrgeiz möglich ist? Sie sagen selbst, dassSie Glück hatten, weil Sie unter dem Schutzmantel wohlwollenderMentoren wachsen und wirken konnten. DieVerantwortung liegt nicht nur bei jüngeren Generationen.Die können nur mit Mitteln arbeiten und haushalten,die ihnen zur Verfügung gestellt werden. Wenn ältereGenerationen ihre Früchte lieber selbst genießen, anstattdafür zu sorgen, dass der Boden auch in Zukunft ertragreichbleibt, dann konzentriere ich mich lieber auf dieSchlumbergera-Kakteen in meiner Wohnung. „Wer nichtwill, der hat schon g’habt“, das sagt eine liebe Bekanntegerne, und das wurde zu meinem Mantra.Auf Barrikaden springen„ Wenn man das Privileghat, jemanden zufördern: Für wenentscheidet man sich,und wie viel ist manbereit zu geben? “Was mir abseits meiner privaten Idylle Hoffnung gibt,ist die Geschwindigkeit unserer Zeit. Vielleicht kommenund gehen der moderne Biedermeier und Vormärzschneller als erwartet. Ich will Sie nicht angreifen, dafürrespektiere ich Sie ehrlich zu sehr, aber ich darfmich hoffentlich schon wehren, wenn Sie mir zwischenden Zeilen vorwerfen, ich sei nichtmehr mutig und kämpferisch. Ichwerde auch heute noch überzeugtauf Barrikaden springen, wenn iches für notwendig erachte.Und genau deshalb muss ich Siefragen: Welche Verantwortung übernehmenSie? Sie waren und sind fürandere ein Mentor. Wie bewusst istIhnen, dass Sie aufgrund Ihres Geschlechts,Ihrer Herkunft, IhrerSexualität und Ihrer gesellschaftlichenStellung immer mehr Ressourcen haben werdenals Personen wie ich oder jene, die noch wenigerMittel und Möglichkeiten haben? Wenn man das Privileghat, jemanden zu fördern: Für wen entscheidet mansich, und wie viel ist man bereit zu geben? Auch das isteine politische Frage, für die es die von Ihnen kritisierteSelbstreflexion braucht und mit der man die Zukunftbeeinflusst.Zum Abschluss möchte ich Ihnen mit einer Bitte dieHand reichen: Seien Sie weiterhin kritisch und provokant,dann raffe ich mich auf, mutig zu bleiben.KOMMENTARWien ruft, doch niemand antwortetIn der katholischen Kirche gilt nach wie vor das ungeschriebeneGesetz: „Willst du etwas werden, lass es dir nur ja nichtallzu sehr anmerken.“ Karrieristische Priester sind nicht nurPapst Franziskus ein Graus, wie er nicht müde wird zu betonen,auch in der österreichischen Kirche gilt es nicht als schicklich,über etwaige Ambitionen allzu offensiv zu sprechen. Ein beliebtesRitual bei anstehenden Bischofsernennungen ist deshalb dasmeist demütige Abwinken aussichtsreicher Kandidaten, bei derFrage nach einem möglicherweise bald anstehenden Jobwechsel.Auf die Spitze trieb diese Praxis der Salzburger Erzbischof FranzLackner in der „Zeit im Bild 2“ im vergangenenHerbst, als er auf die Frage„ Darüber, wie viele Geistlichebereits den bischöflichenWahlspruch und ein Wappenin der Schublade haben,lässt sich nur spekulieren. “Armin Wolfs zu Gerüchten, er könnteKardinal Schönborn als Erzbischofnachfolgen, sinngemäß sagte, dieseseien ihm nicht bekannt.Wenn der Heilige Vater ruft, kommteine Absage für die meisten dann aberdoch nicht infrage – sei es aus Gehorsamdem Papst gegenüber, sei es, weilman sich insgeheim doch schon mit der neuen Aufgabe angefreundethat. „Kein Kardinal geht in eine Papstwahl, ohne sichvorher Gedanken über einen passenden Papstnamen gemachtzu haben“, heißt es im aktuellen Kinofilm „Konklave“. Darüber,wie viele Geistliche bereits den bischöflichen Wahlspruchund ein Wappen in der Schublade haben, lässt sich freilich nurspekulieren.Dass, wie Medien berichteten, gleich zwei der drei Personenauf dem kolportierten Dreiervorschlag der Nuntiatur bereitsabgesagt haben sollen, wäre hingegen ungewöhnlich. Namentlichspekuliert wird hierbei über den Caritas-Europa-PräsidentenMichael Landau sowie den Rektor der Päpstlichen HochschuleSant’Anselmo in Rom, den Benediktinerpater BernhardEckerstorfer. Übrig bleiben würde nur noch der Innsbrucker BischofHermann Glettler – wenn man annimmt, dass die Reihungstimmt. Letztgenannter hatte im Advent in einem Interviewmit der Kronen Zeitung noch diplo matisch geantwortet, er würdegerne in Tirol bleiben. Beim Abschiedsgottesdienst für KardinalSchönborn am vergangenen Samstag wirkte Glettler lautBeobachtern hingegen nicht so, als wäre die Sache für ihn bereitsgänzlich abgeschlossen. LangeZeit galt Glettler für Beobachter alslogischer Nachfolger Schönborns. Inden Jahren in Innsbruck solle er dasbischöfliche Handwerkszeug erlernen,bevor er nach Wien auf die großeBühne wechsele, lautete die Erzählung.Der 60-Jährige gilt als starkerKommunikator und schätzt – ebensowie Schönborn – neue geistige Gemeinschaften.Schönborn geht in PensionWie am Mittwoch, 22. Jänner, bekannt wurde, bleibt die endgültigeEntscheidung, wer Schönborn nachfolgt allerdings weiterhinoffen. Wie zu erwarten war, nahm Papst Franziskus dasRücktrittsgesuch Kardinal Schönborns an seinem 80. Geburtstagan, wie die vatikanische Pressestelle in ihrem Bollettino bekanntgab- Schönborn gilt also ab sofort als emeritiert. Gleichzeitigernannte der Vatikan Josef Grünwidl (61) als ApostolischenAdministrator – also als vom Papst eingesetztenÜbergangsleiter – für die ErzdiözeseWien. Der bisherige Bischofsvikar fürdas Vikariat Süd leitet die Erzdiözese damitinterimistisch und darf keine Maßnahmen treffen, die denkünftigen Erzbischof präjudizieren würden. Der gebürtige Niederösterreicherwar bislang höchstens Kircheninsidern ein Begriff.Grünwidl wurde 1988 von Kardinal König zum Priester geweihtund war von 1995 bis 1998 Erzbischöflicher Sekretär vonChristoph Schönborn, bevor er in Niederösterreich in verschiedenenPfarren tätig war. Bis 2023 war er zudem Vorsitzender desWiener Priesterrats. Er kennt Schönborn also gut. Dass der scheidendeWiener Erzbischof Grünwidl durchaus schätzt, zeigte derUmstand, dass er ihn 2024 zum Ehrenmitglied des Domkapitelsvon St. Stephan, ernannte.Dass die Erzdiözese Wien nun weiter auf einen Erzbischof wartenmuss, ist einerseits für die Gläubigen unbefriedigend. Andererseitsbedeutet es, dass Entscheidungen und Reformen, die dringendangegangen werden müssten, bis auf Weiteres auf die langeBank geschoben werden. Ebenso ist es wahrscheinlich, dass dieKandidatensuche nach den Absagen nun tatsächlich wieder vonneuem aufgerollt werden muss. Dieser Aufschub der Entscheidungwirft zudem kein gutes Licht auf die vatikanische Ernennungspraxisund den Päpstlichen Gesandten in Österreich, Erzbischof PedroLopez Quintana, der für die Erstellung des Dreiervorschlagsletztendlich verantwortlich zeichnet. Immerhin kommt die EmeritierungSchönborns definitiv nicht überraschend. Der Wiener Erzbischofhatte sein Rücktrittsgesuch, wie im Kirchenrecht vorgesehen,bereits mit Vollendung seines 75. Lebensjahres, also vor fünfJahren, eingereicht. (Till Schönwälder)Medieninhaber, Herausgeberund Verlag:Die Furche – Zeitschriften-Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KGHainburger Straße 33, 1030 Wienwww.furche.atGeschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner,Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-FlecklChefredakteurin: Mag. Doris Helmberger-FlecklRedaktion: Philipp Axmann BA, MMaga. AstridGöttche, Viktoria Kapp BA, Dipl.-Soz. (Univ.)Brigitte Quint (CvD), Magdalena Schwarz MA MSc,Dr. Brigitte Schwens-Harrant, Mag. Till Schönwälder,Dr. Martin Tauss, Astrid Wenz-Theriault MAArtdirector/Layout: Rainer MesserklingerAboservice: +43 1 512 52 61-52aboservice@furche.atJahresabo (inkl. Digital): € 298,–Digitalabo: € 180,–; Uniabo (inkl. Digital): € 120,–Bezugsabmeldung nur schriftlich zum Ende derMindestbezugsdauer bzw. des vereinbartenZeitraums mit vierwöchiger Kündigungsfrist.Anzeigen: Georg Klausinger+43 664 88140777; georg.klausinger@furche.atDruck: DRUCK STYRIA GmbH & Co KG, 8042 GrazOffenlegung gem. § 25 Mediengesetz:www.furche.at/offenlegungAlle Rechte, auch die Übernahme vonBeiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2Urheberrechtsgesetz, sind vorbehalten.Dem Ehrenkodex der österreichischenPresse verpflichtet.Bitte sammeln Sie Altpapier für das Recycling.Produziert nachden Richtlinien desÖsterreichischenUmweltzeichens,Druck Styria,UW-NR. 1417

DIE FURCHE · 423. Jänner 2025Diskurs15Auch wenn Papst Franziskus geistig rüstig ist: Nachfolgespekulationen sind längst im Gange.Die Website „The College of Cardinals Report“ mit klar konservativer Agenda tut sich besonders hervor.Der (verbotene)Wahlkampf hat begonnenFür den Rechtskatholizismus ist dasgegenwärtige Pontifikat eine Tortur.Schon ein kurzer Blick in die einschlägigenPlattformen im Netz offenbartein ganzes Sündenregister,das die katholischen Ultras dem gegenwärtigenPapst um die Ohren schmeißen. Dabei gehtes ganz und gar nicht zimperlich zu, wenn dieseHerrschaften Papst Franziskus am Zeugflicken: Glaubensabfall und Häresie sind daschon fast alltägliche Vorwürfe, besondere Eifererergehen sich in langen Abhandlungen darüber,ob Franziskus überhaupt ein rechtmäßigerPapst ist oder – etwas verklausulierter – obein Häretiker überhaupt noch Papst sein könne.Dazu gesellen sich Berge von konkretenVorwürfen – Franziskus verrate die Tradition,insbesondere in seiner Ablehnung der vorkonziliarenLiturgie, er höhle die christliche Morallehreaus und setze mit Klimaschutz undFlüchtlingen weltliche Themen vor Glaubensfragen.Und er beteilige sich am „Great Reset“,dem Plan „globalistischer Eliten“, die Weltherrschaftzu übernehmen.Die Bandbreite des konservativen Widerstandsist breit, nicht alle agieren so extremwie hier angeführt. Gemeinsam ist dieseninnerkirchlichen Parteiungen die Überzeugung,dass sich ein „Betriebsunfall“ wie dieWahl des Bergoglio-Papstes nicht wiederholendarf. Und der Tag ist nicht mehr fern, andem die Karten an der Kirchenspitze neu gemischtwerden. Nachdem – man denke an denKassenerfolg des Papstwahldramas „Konklave“– schon die Populärkultur sich des Themaslängst bemächtigt hat, beginnen auch die kirchenpolitischenStrippenzieher zu agieren.ziskus hat das Kardinalskollegium internationalisiertwie kein Papst zuvor. Während dieAmtsträger traditioneller Bischofssitze wieMailand, Paris oder Venedig bis dato nichtmehr mit einem Kardinalshut rechnen können,wurden auch Bischöfe kleiner Herden zum Kardinal.So wurde Giorgio Marengo, der Leiter derApostolischen Präfektur Ulaanbaatar in derMongolei, wo gerade einmal 1500 Katholikenleben, 2022 zum Kardinal kreiert. Auch überihn erfährt man auf der Website erhellend viel.Dennoch bedienen die Informationen des„College of Cardinals Report“ eine konservativeAgenda: Die geistlichen Herren werden nachZEIT-WEISEVon Otto Friedrich„ Der Umgang mitMissbrauch, der dieKirche in den letztenJahren so beschäftigthat, kommt hier garnicht vor.“den Themen beurteilt, die für einen streng konservativenKatholiken von heute maßgeblichsind. So werden die Kardinäle danach eingeteilt,ob sie 1. den Frauendiakonat befürworten,2. für die Segnung homosexueller Paareeintreten, 3. den Pflichtzölibat für Priester aufweichen,4. den vorkonziliaren Messritus beschränkenwollen, 5. die vatikanische China-Politik unterstützen, 6. für die Synodalität sind,7. wie sie zu einer Verschärfung der künstlichenEmpfängnisverhütung und 8. zur Sakramentenzulassungvon wiederverheirateten Geschiedenenstehen, 9. ob der Klimawandel fürInformativ, aber gefährlichEin augenfälliges, wenn auch sehr gut gemachtesBeispiel dafür ist die Website „The Collegeof Cardinals Report“, die von einem Vatikanistenteamrund um den Briten EdwardPentin und die US-Amerikanerin Diane Montagnagestaltet wurde. Dieses Team hat die Vitenund kirchlichen wie politischen Positionender 252 Kardinäle, von denen zurzeit 139 zurPapstwahl berechtigt sind, zusammengestellt.Eine Fundgrube nicht nur, aber auch für Journalisten– wenn auch eine gefährliche. Fransieim Fokus steht und 10. was sie zum SynodalenWeg in Deutschland sagen.Schon an diesen Fragen ist zu ermessen, dassdie Autoren dieses „Reports“ die Rechtgläubigkeiteiner rechten Agenda entlang definieren.Und wenn man schon bei kirchenpolitisch heißenEisen ist, fällt auf, dass der Umgang mitMissbrauch, der die Kirche in den letzten Jahrenso beschäftigt hat, gar nicht vorkommt.Wunschkonzert der KonservativenSchon auf der ersten Seite wartet der „Collegeof Cardinals Report“ mit zwölf „Papabili“auf. Auch da wird klar, dass die Namen einWunschkonzert der Konservativen darstellen,findet sich darunter der westafrikanischeKurienkardinal Robert Sarah, der ein ausgewiesenerFranziskus-Kritiker ist. Ähnlich gestricktist der Utrechter Kardinal Willem Eijk,den bislang kaum jemand auf der Papstkandidatenlistegehabt hätte. Da ist die Nennungdes Budapester Kardinals Péter Erdő logischer,der ja bei den Familiensynoden 2014/15 eineleitende Rolle spielte. Erst vor wenigen Tagenwar Erdő in Österreich – als Prediger beim Begräbnisdes Salzburger Weihbischofs AndreasLaun; mehr als ein Indiz zur Einordnung.Interessanterweise stellt der „Report“ den82-jährigen Alterzbischof von Genua, AngeloBagnasco, an die Spitze seiner Papabili – es wäredas erste Mal seit Jahrhunderten, dass mitihm einer außerhalb des Wahlkollegiums gekürtwürde. Und von der „anderen“ Seite findetsich Franziskus-Freund Matteo Zuppi unterden Spitzenkandidaten, bei der biografischenDarstellung des Erzbischofs von Bologna wirdüberdeutlich, was für ein liberaler Knochen erist. In einer breiteren Liste von Papabili stehendann auch die Kardinäle Leo Burke und GerhardMüller, die der Papst von ihren Kurienpostenentfernt hat und die zu den schärfsten Kardinalskritikernvon Franziskus gehören.Die Liste ist informativ, aber gefährlich, weildie Informationen ihrer konservativen Agendauntergeordnet sind. Auch wenn fürs Konklaveein „Wahlkampf“ streng verboten ist: Der „Collegeof Cardinals Report“ ist längst Teil davon.Der Autor war bis April 2024 stv.Chefredakteur der FURCHE.ZUGESPITZTWeißbuchfür die ZukunftWählen Sie sich einen Strohmann.Spenden Sie ihm und seinen Unterstützernjahrelang und reichlich.Stellen Sie Journalisten bei jederGelegenheit als ideologisiert, desinformiertund an den Menschennicht interessiert dar. BedenkenSie: Jede noch so knappe Äußerungist ein kleiner Schritt zum großenZiel: die Ablehnung der Mediendurch die Massen.Kaufen Sie sich gescheiterte Politiker,sie werden es Ihnen vielfach danken.Analysieren Sie die Bedürfnisseder Wähler, nehmen Sie sie in IhrProgramm auf. Lassen Sie sie ebensofallen wie alle Ihre Versprechen,sobald Ihr Strohmann gewählt ist.Sollten nach der Wahl Verhandlungennötig sein, legen Sie diese getrostin die Hände Ihrer Sponsoren.Politiker denken an die Wiederwahl,also kurzfristig. Sponsoren,wie wir sie schätzen, denken anBlutsverwandte und Äonen. BesetzenSie maßgebliche Posten mitWendehälsen und Wortbrechern,so bleiben Sie situationselastisch.Taucht Kritik auf? Verbieten Sie dasGendern. Das lenkt ab. Schüren SieNeid, Wut und Hass auf GruppenIhrer Wahl. Das gibt Ihnen Anlassdurchzugreifen. So viel Freiheitmuss sein.Folgen Sie der Spur des Geldes. Undvergessen Sie nie: Die Zukunft sindSie.Brigitte Schwens-HarrantNACHRUFDavid Lynch: Meister der VielschichtigkeitMan konnte ihn mögen oder auch nicht – unzweifelhaftwar David Lynch ein genialer Kopf.Einer, der wie kein Zweiter das Label „Kultregisseur“verdiente. So, wie er Hypes um sich und seineFilme aufbauen konnte, schafften das nur wenige – unterihnen vielleicht Hitchcock oder Tarantino, in völliganderen Genres. Denn Lynchs Metier war das Mysteriöse,das Unerklärbare, immer auch: das Surreale. Dass ernun mit 78 Jahren verstarb, beschert der Filmwelt denVerlust eines ihrer großen Visionäre. Er verband das Unbewussteauf einzigartige Weise mit der Realität. SeineFilme wirkten stets lange nach.Geboren 1946 in Missoula, Montana, zeigte Lynchschon früh ein Interesse an Kunst und Film. Sein Debüt„Eraserhead“ (1977) war ein surrealer Albtraum, der mitseinem ungewöhnlichen Stil die Filmwelt erschütterte.Es war jedoch „Blue Velvet“ (1986), der ihn zum Kultregisseurmachte. Der Film entblößte die dunklen Abgründeeiner Kleinstadt und öffnete den Blick auf dasBöse hinter der Fassade des Gewöhnlichen. Doch desKino filmers Lynch eigentlicher Triumph war eine TV-Serie: „Twin Peaks“ (1990–1991) verwischte die Grenzenzwischen Mystery, Krimi und Psychologie und wurde zueinem TV-Event hochstilisiert, wie es ihn zuvor nicht gab.Die geheimnisvolle Kleinstadt Twin Peaks, mit ihrenRätseln und seltsamen Charakteren, wurde zum Synonymfür seine ganz eigene Ästhetik des Unheimlichen.Lynch hatte nie Interesse an einfachen Antworten.Seine Filme, von „Mulholland Drive“ (2001) bis „InlandEmpire“ (2006), sind geprägt von offenen Fragen undeiner Atmosphäre zwischen Traum und Albtraum. Erstellte die Welt infrage, indem er sie durch eine Linseder surrealen Schönheit und des Abgründigen betrachtete.In seinem Werk ging es weniger um Erklärungenals um das Erleben einer intensiven, oft schmerzhaftenWahrnehmung der menschlichen Natur. Abseits desFilms widmete sich Lynch in den letzten Jahren auchder Musik und der Malerei, was seine kreative Vielseitigkeitunterstrich. Doch trotz seiner Berühmtheit blieber ein Außenseiter, der sich nie dem Rampenlicht hingab.Stattdessen ließ er seine Werke für sich sprechen –Filme, die die Zuschauer animierten, die Welt anders zusehen und sich in ihr zu verlieren. Dazu lädt sein Werkauch nach seinem Tod ein, es setzt auf Vielschichtigkeitstatt Oberflächlichkeit und kann immer wieder neu entdecktwerden. (Matthias Greuling)Foto: AFP / Tiziana FabiRegisseur DavidLynch war vor allemfür seine surrealen,mysteriösen Werkebekannt. Nunverstarb er78-jährig.

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