DIE FURCHE · 410 Religion23. Jänner 2025FORTSETZUNG VON SEITE 9„ Der Vatikan ist mein letzter Arbeitsplatzauf Erden, aber nicht der Wohnort für dieEwigkeit.“Papst FranziskusGLAUBENSFRAGESo viel GottVon Ines Charlotte KnollAuf über zehn Seiten plaudertFranziskus über das Konklave, ausdem er als Papst hervorging. DasRückflugticket bereits in der Tasche,spürte Kardinal Bergoglio,wie er „unter die Lupe genommen“wurde und wie die Erwähnung,dass ihm als junger Mann ein Teilseines Lungenflügels entfernt wurde,unübersehbar ein Manöver war,ihn im letzten Moment zu verhindern,als er immer mehr Stimmenbekam – einmal abgesehen von einerAuszählungspanne wegen einesübersehenen Wahlzettels, derdie Wiederholung eines Wahlgangserzwang.„Immer wenn es einem Papstschlecht geht, weht ein Hauch vonKonklave durch die Welt“: Das weißFranziskus. Vorgesorgt hat er, wieseine Vorgänger, für den Fall, dasser aus medizinischen Gründen seinAmt nicht mehr ausüben kann. Mitdem Vatikan bzw. der Kurie fremdelter bis heute. Klerikalismus, Klatschund Tratsch sind ihm zuwider. Ernennt es seltsam, dass sich keineraufregt, wenn ein ausbeuterischerUnternehmer gesegnet wird, „esaber zum Skandalon erhebt, wennder Papst eine geschiedene Frau odereinen Homosexuellen segnet. DerProtest gegen diese Form der pastoralenÖffnung offenbart häufig solcheFormen der Heuchelei.“Er kommentiert auch den Abschlussberichtder Weltsynode vomOktober 2024. „Auch die Frage, obFrauen zum Weiheamt des Diakonatszugelassen werden sollten,ist eine offene Frage, die noch einergründlichen Klärung bedarf“,sagt er in dem Zusammenhang etwa– das Thema ist also nicht erledigt.Franziskus hat klar vor Augen,dass seine Kirche am Übergang „voneinem systemrelevanten Christentum“zu „einem Minderheitenchristentum“steht. Deswegen brauche es„Mut zu einer Veränderung der Kirche,„ohne in nostalgische Ängste zuverfallen“.Pragmatik gegenüber dem TodEine „Kultur der Begegnung“schaffen oder die „Erziehung zurGeschwisterlichkeit“: Solche Wünschestehen in einem Testament.Franziskus weiß, dass manchelängst seinen Tod oder seinen Rücktrittherbeisehnen. Man versteht,warum er das Gästehaus Santa Martadem Apostolischen Palast vorgezogenhat. Oder warum er einmal inSanta Maria Maggiore unweit derStazzione Termini, des römischenHauptbahnhofs, seine letzte Ruhestättefinden will: „Was meinen Todangeht, so habe ich dazu eine rechtpragmatische Einstellung. Und dasselbegilt für das Risiko von möglichenAttentaten. Wenn es so weitist, dann werde ich nicht im Petersdombestattet, sondern in Santa MariaMaggiore: Der Vatikan ist meinletzter Arbeitsplatz auf Erden, abernicht der Wohnort für die Ewigkeit.“So weit ist es noch nicht. Das HeiligeJahr 2025 ist Franziskus eingroßes Anliegen. Dieser Papst hatviel gesät. Ein anderer wird ernten.Der Autor ist katholischer Theologeund Publizist in München.HoffeDie Autobiografievon PapstFranziskus,Kösel 2025384 S., geb.,€ 25,50schenkte seinem ersten Menschenpaareine durchlichtete, liebende Welt: Das Paradies.“An dieses Geschenk von Sein und„GottWahrheit erinnert die am 22. Jänner 1945 in Jerusalemverstorbene Dichterin Else Lasker-Schüler, dieVersöhnung aller Lebenden, Liebenden und Leidendenim Blick, wohl wissend, dass der Mensch „überMensch und Tier und Blume“ stolpere, „rücksichtslosund verständnislos über das Herz der Welt“. Wer die Augen öffnet, erkenntes sofort in sich selbst und überall. Wahlen hin, Wahlen her. EinTrost kommt aus dem Griechischen und einem hierorts unbekannten Gotte.Ihm war im Geiste Aristophanes begegnet: Koalemos, dem Gott derDummheit; manche sprechen auch von ihm als dem Gott für alle Idioten.Das sind wohl die, welche nur eine ausgefeilte Idee von sich selbst habenund die heute eine Stadt, ein Land „und morgen die ganze Welt“ besitzenwollen. Überschrieben wird das Projekt mit 1 einzigen Namen, es trägt eigentlichden Namen aller Mini-Imperatoren, die was werden wollen. Unddabei haben wir alle – auch jener Mensch mit dem 1 einzigen Namen – dieseeine durchlichtete, liebende Welt gesucht. Koalemos sei mit ihm undmit uns.Das haben schon Generationen vor uns gedacht, auch die am 21. Jänner1975 verstorbene Dichterin Mascha Kaléko, die in ihrer Zeit nicht Gottsein wollte: „Herr, du gabst uns die Welt, wie sie ist. / Gib uns doch bitte dazu/ Das seinerzeit leider / Nicht mitgelieferte / Weltgewissen“. Ja, leider!Glaubst Du das?“, frage ich aber mit den Betenden der Gebetswoche fürdie Einheit der Christen. Eine tolle Frage des Jesus aus Nazareth. Denn esgeht um das große wunderbare Ganze. Um das Leben aus jedem Tod. Auchum das aus der totgesagten Welt. Ja, rufen wir mit Else Lasker-Schüler:„Wir wollen uns versöhnen die Nacht – So viel Gott strömt über!“Die Autorin ist evangelische Pfarrerin i. R.Zum200. Jubiläumdas exklusiveSonder-MagazinJetzterhältlich zumStrauss-Jahr2025MAGAZIN2025 feiert die Welt den 200. Geburtstag von Johann Strauss – dem Meister des Walzers und der Operette,dessen Werke die österreichische Kultur nachhaltig geprägt haben. Tauchen Sie ein in sein Leben, seine Familieund seine unvergessliche Musik. Erleben Sie im Magazin eine faszinierende Zeitreise: Vom Biedermeier bis zurWiener Moderne, mit spannenden Geschichten und historischen Einblicken.Jetzt um nur 14,99 € bestellen:diepresse.com/strauss
DIE FURCHE · 423. Jänner 2025Religion/Film11Jüngste Studien zeigen, dass unsere Gesellschaft immer säkularisierter ist. Dokumentarfilmerin Rebecca Hirneise spürt dementgegen in ihremLangfilmdebüt „Zwischen uns Gott“ dem protestantischen Glauben in ihrer deutschen Heimat nach.Gott im SchwabenlandVon Otto FriedrichGerade 14 Prozent glauben hierzulandenoch an einen persönlichenGott. Das ist einesder markantesten Ergebnisseder repräsentativen Studie derORF-Abteilung „Religion und Ethik multimedial“und des For schungs zen trums„Religion and Transformation in ContemporarySociety“ der Uni Wien, die AnfangJänner vorgestellt wurde. Auch wenn manin Sachen Säkularisierung einiges gewohntist, überrascht diese Zahl doch, sindKirchen und kirchliche Symbole hierzulandeaus dem Alltag immer noch nichtwegzudenken. Und wenn man die kulturpolitischenAbsichten der aktuellen Koalitionsverhandlerernst nimmt, dann ist dortzumindest vordergründig religiöse Renaissanceangesagt – zumindest eine, diezur Abwehr gegen andere Religionen undLebensentwürfe, die ja längst quer durchsLand präsent sind, taugen soll.Das Studienergebnis könnte diesbezüglichepolitische Hoffnungen wie eine Seifenblasezerplatzen lassen, auch wenn daschristliche Abendland nun erst recht – undvor allem wortreich – beschworen wird. Inden Kirchen findet man sich mit obiger Diagnoselängst ab beziehungsweise nimmtsie als Ausgangspunkt einer zeitgenössischenPastoral: „Wenn nichts fehlt, wo Gottfehlt“ lautet folgerichtig der Buchtitel desin den Niederlanden lehrenden deutschenTheologen und Priesters Jan Loffeld. Kirche,respektive das Christentum, musssich in einer Gesellschaft neu erfinden, inder Gott nicht nur nicht bekämpft wird,sondern nicht einmal mehr fehlt.Unverständnis einer NichtgläubigenMan kann das Pferd aber nicht bloß vonder Seite des versprengten Häufleins derGottesgläubigen aufzäumen, sondern ausder Distanz der Gottesferne den Blick aufdie richten, für die Gott immer noch eine,wenn nicht gar die Konstante im Leben ist.Die Dokumentarfilmerin Rebecca Hirneisehat in ihrem ersten Langfilm genau diesversucht. Und was ihr unter dem genialsprechenden Titel „Zwischen uns Gott“ anBeobachtung gelingt, ist ein berührenderfilmischer Essay über Glauben und das Unverständniseiner Nichtglaubenden.Hirneise, die ihr Handwerk als Regieassistentinund Produzentin der Dokumentarfilm-DoyenneRuth Beckermann gelernthat, stammt aus der schwäbischen KleinstadtMühlacker. Ihre dortige Verwandtschaftist protestantisch geprägt – „klassische“Evangelische sind darunter ebensowie Methodisten oder freikirchlich Verwurzelte.Gemeinsam sind dieser Sippe ihrbibelfestes Christentum und ein Glaube,der über den Zweifel erhaben scheint. MitGott reden und rechnen diese Menschen.Die Filmemacherin hat diese religiöseWelt hinter sich gelassen, sie lebt in Wienund grenzte sich von ihrer Familie ab. Dennochlässt es sie nicht los, dass zwischenihr und den Ihren Gott steht, mit dem sienichts anzufangen weiß. So sehr, dass siemit der Kamera nach Mühlacker zurückkehrtund ihre Verwandten in diese sagenlässt, was religiös Sache ist. Ein distanzierter,aber ebenso zart-empathischerBlick auf eine für Hirneise unverständlicheLebensphilosophie. Das heißt mitnichten,dass sich die Filmemacherin über dasGehörte lustig macht oder es abqualifiziert.„Ich habe Religion immer als zwischenmenschlichesKonstrukt wahrgenommen,das hauptsächlich Konflikte auslöst“,Lesen Sie auchein Interview mitHirneises LehrmeisterinRuthBeckermann zuVergangenheitsbewältigung(24.10.2023)auf furche.at.„ Alle Facetten skurriler bis verquererReligiosität spürt der Film auf. Undmacht sich dennoch weder lustignoch führt er diese Christinnenund Christen vor. “Auf derSucheRegisseurinRebeccaHirneise willverstehen,was ihre Verwandtschaftim Religiösenfindet. VierJahre späterist darausein Film geworden.schreibt Hirneise über ihre Erfahrung. Sieund ihre Mutter sind die einzigen Agnostikerinnenin der Familie. Besuche bei ihrendementen Großeltern bringen das alte Themawieder ans Tageslicht, und Hirneise beschließt,das, was ihre Verwandten glauben,mit der Kamera aufzunehmen – mitdem Nebeneffekt, dass Familienmitglieder,die einander längst nichts mehr zu sagenhatten, wieder ins Gespräch kommen.Vier Jahre lang (2019-2023) war Hirneisebei den Gesprächen und religiösen Übungendabei, bekanntlich hat es in dieserZeit auch eine Pandemie gegeben, die geradeReligiöse in ihrem Glauben herausgeforderthat. Man ist bei einer schier endlosenSing- und Betstunde der Methodistendabei und lauscht den Kontroversen dieserMischpoche, denn interessanterweisesind sich gerade die Gläubigen nie wirklicheinig. Die Toleranz für andere, ebenfallschristliche Meinungen endenwollendzu nennen, ist eine starke Untertreibung.Dass Gott die Liebe ist, betonen die Protagonistenwieder und wieder – und könnendoch nicht verbergen, dass dieses Wesenihnen auch Angst und Schrecken einjagt.Alle sind distinguierte Ortsbewohner, einerheilt auch Krankheiten durch Gebet –alle Facetten skurriler bis verquerer Religiositätspürt der Film auf. Und macht sichdennoch weder lustig noch führt er dieseChristinnen und Christen vor. Es gelingtRebecca Hirneise vor allem, das Familienmitgliedaußen vor zu lassen und der distanziertenfilmischen Beobachterin dasFeld zu übergeben. So wird aus „Zwischenuns Gott“ ein religiöses Panoptikum, wiees im Schwabenland bis zum heutigen Tagexistiert. Man ist froh, an dieser durchausgebrochenen Gottesbegegnung teilhabenzu dürfen.Zwischen uns GottA 2024. Regie: R. Hirneise. Filmladen. 90 Min.KREUZ UND QUERFurche25_KW04.indd 1 15.01.25 12:28
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