DIE FURCHE · 34 8 Gesellschaft 22. August 2024 Von Magdalena Schwarz man im K a f f e e h a u s sitzt und eine Stunde nichts „Wenn bestellt, wird man komisch angeschaut“, sagt die Pensionistin Sabine*. Hier, in der Caritas-Klimaoase im Pfarrgarten der Severinkirche im 18. Wiener Gemeindebezirk, sei das anders. Sabine und ihr Mann Rainer* sitzen sich auf Bierbänken gegenüber, vor ihr ein Stück Schokoladekuchen, vor ihm ein Pappteller mit Nudelsalat und ein kaltes Soda-Himbeer. Die Klimaoase, die vor allem armutsbetroffene und auch einige wohnungslose Menschen aufsuchen, ist für die beiden ein Zufluchtsort, und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Die Hitze ist einer der Gründe, warum sie hierherkommen. Es hat heute 30 Grad. Immerhin, gestern waren es noch 33. Die Sonne ist unerbittlich, der Himmel wolkenfrei, die Luft trocken. „Hitzetage“ nennen Meteorologen das, wenn die Lufttemperatur die 30er-Marke knackt. Am 12. August vermeldete die Austria Presse Agentur (APA), dass in Europa im Jahr 2023 mehr als 47.000 Die gute Seele Pfarrgemeinderatsmitglied Maria arbeitet ehrenamtlich in der Klimaoase mit. Ihr macht es Freude, den Gästen Gutes zu tun. „ Der Pfarrgarten ist eine erwartungsfreie Zone. Hier wird niemand gemustert, schief angeschaut oder gar abgewiesen. “ Foto: Johannes Hloch In der Klimaoase finden armutsbetroffene Menschen Schutz vor den heißen Temperaturen, dem Hunger und der Einsamkeit. Eine Reportage über ein Caritas-Projekt, das Abkühlung bringt. 40 Grad im Gemeindebau Menschen an den Folgen hoher Temperaturen gestorben sind. Im Pfarrgarten ist es kühl, das dichte Blattwerk der Bäume spendet Schatten. Sabine, Rainer und rund 30 andere Gäste holen sich kostenlos Brötchen, Getränke, Kaffee und Kuchen vom Buffet. Das neugotische Kirchengebäude ist auch als Lazaristenkirche bekannt. Zwei eindrucksvolle Türme ragen über dem Pfarrgarten mit der dunkelroten Rohziegelmauer in die Höhe. „Der Garten ist viel zu wenig offen“, sagt Maria, langgedientes Mitglied des Pfarrgemeinderates, die für die Caritas-Belange zuständig ist. „Mit der Klimaoase hat die Kirche eine Chance, sich von einer guten Seite zu zeigen.“ Diese gute Seite der Kirche, von der Maria spricht, die verkörpert sie selbst am besten. Sie trägt ein blauweißes Blumenkleid, die blonden Haare im Dutt und schlichte Ohrringe. Maria packt gerne mit an, und sie versteht intuitiv, was die Menschen brauchen. „Einige DIE SCHLIMMSTE DÜRRE SEIT 40 JAHREN Nothilfe für Simbabwe! „Die Regierung Simbabwes hat den Katastrophenzustand ausgerufen ... Wenn jetzt die Ernte ausfällt und die letzten Vorräte aufgebraucht sind, was passiert dann in den nächsten Wochen und Monaten? Wir müssen jetzt handeln und Leben retten!“ Pater Dr. Karl Wallner, Nationaldirektor von Missio Österreich Bitte beachten Sie den Spendenbeileger in dieser Zeitung! Verändern Sie mit uns die Welt!
DIE FURCHE · 34 22. August 2024 Gesellschaft 9 unserer Gäste schlafen draußen, manche können sich keinen Kaffee leisten“, erzählt sie. Ähnlich zur Covid-19-Pandemie bringt die Klimakrise vorhandene ökonomische Ungleichheiten zu Tage. Ein Policy Brief des Maria Jahoda-Otto Bauer Instituts betont, dass die Hitze vor allem jene Menschen treffe, die es bereits am schwersten hätten. Laut EU- Daten leben fast 40 Prozent aller armutsbetroffenen Menschen in Österreich in beengten Wohnverhältnissen, das heißt: schlechte Isolierung und Fenster, knapper Wohnraum. Einer Publikation der Volkshilfe zufolge ist Hitze ein „mehrdimensionales und gesellschaftliches Problem“. Armutsbetroffene Menschen wohnen auch häufiger zur Miete, weshalb es sich für sie meist nicht lohnt oder überhaupt leistbar ist, in Außenjalousien oder gar Photovoltaikoder Klimaanalagen zu investieren. Das Problem wird sich dieses Jahr, das schon jetzt das weltweit wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen ist, vermutlich verstärken. Sie sind wehrlos gegen die Hitze Die Klimaoasen bieten Zuflucht vor den Temperaturen, vor allem in der Stadt. „In den Gemeindebauwohnungen kann es über 40 Grad heiß werden, da braucht es Orte zum Abkühlen“, sagt Lesigang. Nach fünf Saisonen Erfahrung mit den Klimaoasen hätten er und sein Team gelernt, was die Menschen bräuchten: erfrischende Getränke, Abkühlungssprays, Sonnencremen. Natürlich sei auch das Essen ein Pull-Faktor. „Für manche unserer Gäste ist das hier die einzige Mahlzeit des Tages“, sagt Lesigang. Noch wichtiger als die kostenlosen Speisen und Getränke sei der persönliche Kontakt, sagt Maria. „Unsere Besucher freuen sich, wenn ihnen jemand etwas serviert. Es geht um die Würde. Die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer sind freundlich, aber zurückhaltend. Die Klimaoase ist eine erwartungsfreie Zone. Hier wird niemand gemustert, schief angeschaut oder gar abgewiesen. Die Biergarnituren sind mit ausreichend Abstand platziert: Wer plaudern oder Kartenspielen möchte, teilt einen Tisch. Wer den Garten, ein kühles Getränk und das sanfte Stimmengewirr für sich genießen möchte, kann sich weiter abseits setzen. “ Sabine, früher Verkäuferin, heute Mindestpensionistin, hat gerne Menschen um sich. Sie spricht schnell und animiert, hat Freude am Austausch. „Es ist eine Frage der Menschlichkeit“, erklärt sie, und unterstreicht den Satz mit einem erhobenen Zeigefinger. Einfach nur unter Menschen zu sein, das reicht nicht. Es geht darum, Teil einer Gemeinschaft zu sein, gesehen und ernstgenommen zu werden – gerade hierzulande. Denn dass der Mensch ein soziales Tier ist, ist hinlänglich bekannt. Dass dies aber besonders auf den Österreicher und die Österreicherin zu- „ Fast 40 Prozent der armutsbetroffenen Menschen leben in beengten Wohnverhältnissen mit schlechter Isolierung. “ trifft, mag manche überraschen. Dem Grantler-Image zum Trotz sind die Menschen in Österreich überraschend kontaktfreudig, verbringen sie doch im Schnitt neun Stunden pro Woche Qualitätszeit mit ihrer Familie und ihren Freunden. Laut der OECD „How’s Life 2020“-Studie ist das Land damit Spitzenreiter in der Geselligkeit, deutlich vor Deutschland (sieben Stunden) oder den USA (fünf Stunden). Das Zusammensitzen, Plauschen und Feiern ist Teil der Volksseele. Gerade am Land trifft man sich regelmäßig, ob am Stammtisch, im Alpenverein oder beim Feuerwehrfest. Das Beisammensein ist aber auch den Städtern wichtig: In Wien gibt es zum Beispiel knapp 30.000 Vereine. Vereinsamung passiert weltweit Doch genau dieser Kontakt geht zunehmend verloren. „Erosion der sozialen Infrastruktur“ nennt der amerikanische Politikwissenschaftler Robert Putnam diese Entwicklung. Im Jahr 1995 sorgte er mit seiner Publikation „Bowling Alone: America’s Declining Social Capital“ für Aufsehen. Er zeigte, basierend auf statistischen Daten, dass die US-Gesellschaft immer weniger an gemeinschaftlichen Aktivitäten, wie etwa Nachbarschaftstreffs, Vereinen oder Gottesdiensten, teilnahm, und, dass dadurch gegenseitiges Vertrauen verloren ging. „Ganz oben auf unserer wissenschaftlichen Agenda sollte die Frage stehen, ob in anderen fortgeschrittenen Demokratien eine vergleichbare Erosion des Sozialkapitals im Gange ist“, schrieb „ Sozialsein ist Putnam schon 1995 – und mit dieser Warnung hatte er Recht. Denn der Trend zur Isolierung ist auch in Österreich zu beobachten. Laut Statistik Austria waren zu Jahresende 2020 1,6 Millionen Menschen Mitglied in zumindest einem Sportverein. Das ist beachtlich – und dennoch sank die Zahl seit 2017 um rund eine halbe Million. Die schrumpfenden Mitgliederzahlen der großen Kirchen sind ebenfalls bekannt. 1951 waren noch knapp 90 Prozent der Bevölkerung Katholiken, 2022 ist die Zahl auf rund 52 Prozent heruntergerasselt. Mit den Kirchen leeren sich aber nicht nur die Gottesdienste. Ein gesamtes soziales Ökosystem verschwindet, von Pfarrcafés über Jungschartreffs bis hin zu Seniorenkreisen. Viele alltägliche Aktivitäten gingen früher einher mit einem persönlichen Gespräch: Der wöchentliche Lebensmitteleinkauf brachte einen Plausch mit dem Supermarktkassierer, der Nachmittag im Büro beinhaltete eine Kaffeepause mit den Kolleginnen. Doch diese Zeiten sind vielerorts vorbei. Lieferservice, Home-Office und WhatsApp haben soziale Interaktionen in die Online-Welt verschoben, einige sind ersatzlos verschwunden. Dasselbe passiert im Privaten: Die Gartenzäune werden höher, die Straßenfeste seltener. Das Desinteresse – und mit ihm das Misstrauen – steigen. Soziales Kapital, wie Putnam es nennt – eine Umarmung, ein warmes Wort – all das ist eine rare Ressource geworden, und zwar gerade für armutsbetroffene Menschen. Denn Sozialsein ist auch eine Geldfrage. Konsumfreie, öffentliche Orte werden weniger: Laut Wirtschaftskammer gab es 2023 361 Freibäder, 2015 waren es noch 391. 2022 gab es in fast der Hälfte der österreichischen Gemeinden keine Bücherei. Die Teuerung mache auch eine Frage des Geldes. Konsumfreie Orte werden weniger. Viele können es sich nicht mehr leisten, ins Wirtshaus zu gehen. “ Wiens Sommer werden immer heißer Zwischen 1963 und 2023 ist die Anzahl der Sommer- und Hitzetage in Wien stetig angestiegen. 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 1963 einsamer, so Klemens Lesigang, Koordinator der Caritas-Klimaoasen und -Wärmestuben. „Man kann nicht mehr in ein Wirtshaus gehen, oder die Nachbarn zum Schnitzel einladen, weil das einfach zu teuer geworden ist“, erklärt er. Gleichzeitig steigt die Armut. 2023 waren laut Sozialministerium landesweit 336.000 Menschen „erheblich materiell und sozial benachteiligt“, das sind 135.000 Personen mehr als 2022. Konkret bedeutet das, dass sie sich eine unerwartete Ausgabe von 1.370 Euro nicht leisten können. Projekte wie die Klimaoasen helfen. Ohne Freiwillige wie Maria wären sie undenkbar. „Mittlerweile sind etwa 600 Ehrenamtliche engagiert“, sagt Lesigang. Bisher gibt es sie nur in Wien und Niederösterreich, doch Lesigang ist zuversichtlich, dass auch andere Diözesen das Konzept aufgreifen werden. Die Nachfrage sei auf jeden Fall da: Bis zum Herbst werden die Klimaoasen laut seiner Schätzung die 10.000-Marke an Besuchen erreichen. Armut, Isolation, Hitze – jede einzelne CARITAS KLIMAOASEN 1973 1983 1993 2003 2013 2023 Im Pfarrgarten der Severinkirche im 18. Wiener Gemeindebezirk finden regelmäßig Klimaoasen statt. Lesen Sie auch unser Dossier „Hitzewelle“ mit Analysen, Interviews und Reportagen auf furche.at. Mithelfen und spenden Foto: Stefanie J. Steindl dieser Belastungen schadet dem Wohlbefinden und der Gesundheit, doch im Dreiergespann werden sie unerträglich. Im Umkehrschluss bedeutet das aber, dass Lösungen, die alle drei Probleme adressieren, enorm wirkungsvoll sind. Auf struktureller Ebene können Maßnahmen, die Raum für Begegnung schaffen, der sozialen Erosion entgegenwirken. Denn diese schreitet voran, und sie hat Folgen: Soziale Blasen verunmöglichen politische Kompromisse, Einsamkeit erhöht gesundheitliche Risiken, und isolierte junge Männer sind anfälliger für Radikalisierung. „Ich glaube nicht, dass mehr persönlicher Austausch alle Probleme lösen wird“, schreibt der Journalist Derek Thompson im Magazin The Atlantic. „Aber ich glaube, dass jede soziale Krise (…) ein Stück weit gelöst werden könnte, wenn die Menschen etwas mehr Zeit mit anderen Menschen verbringen würden.“ Für Sabine und Rainer verschafft die Klimaoase jedenfalls an einem heißen, einsamen Nachmittag Erleichterung. Auf wirhelfen.shop kann man für 3,50 Euro ein Getränk/eine Mahlzeit oder für 50 Euro ein Hitze-Paket (Isomatte, Sonnencreme etc.) finanzieren. Auf füreinand.at können sich Interessierte für kleinere Hilfseinsätze melden, in Lebensmittelausgabestellen, im Plaudernetz oder in den Klimaoasen. (ms) VORSORGE & BESTATTUNG 11 x in Wien Vertrauen im Leben, Vertrauen beim Abschied 01 361 5000 Sommertage (25+ C°) Hitzetage (30+ C°) Grafik: M. Schwarz Quelle: GeoSphere Austria Daten www.bestattung-himmelblau.at wien@bestattung-himmelblau.at
Laden...
Laden...
Ihr Zugang zu neuen Perspektiven und
mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte.
© 2023 DIE FURCHE