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DIE FURCHE 22.08.2024

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DIE FURCHE · 34 4 Das Thema der Woche Wie klingt Gott? 22. August 2024 Von Wolfgang Machreich Zur Todesstunde des Herrn kommen die Glocken auf die Welt. Seit alters her wird der Glockenguss auf Freitage um drei Uhr am Nachmittag gelegt. Eine stimmige Tradition: Zur Uhrzeit, als am Kreuz Gottes Stimme auf Erden starb, wird den Glockenstimmen Geist eingehaucht, „um uns zu mahnen und zu rufen“, wie Glockengießer Christof Grassmayr Wesen und Berufung der Glocken zusammenfasst. Der Seniorchef der Innsbrucker Glockengießerei führt als Zeremonienmeister durch die freitäglichen Gussliturgien, in denen weltliches und geistliches Handwerk gleichermaßen anpacken, Frommes gebetet und gesungen, Feuriges gegossen und gerührt wird, damit sich am Ende eines Gusstags Friedrich Schillers „Lied von der Glocke“ bestätigt: „Soll das Werk den Meister loben, / Doch der Segen kommt von oben“. 1799, als Schiller die „Glocke“ schrieb, gossen Grassmayrs Vorfahren bereits 200 Jahre lang ihre Glocken in Innsbruck, einem idealen Standort, „Metallgießer werden sich immer dort niederlassen, wo genügend Lehm und Erz vorhanden sind“. Laut den Gussbüchern des Familienbetriebs wurden in der 425-jährigen Firmengeschichte mehr als 6000 Glocken gegossen. Insgesamt läuten in Österreichs katholischen Diözesen laut aktueller Zählung 20.696 Kirchenglocken. Rechnet man die Glocken der evangelischen Kirchen dazu, aber auch andere christliche Konfessionen, hinduistische und buddhistische Gemeinschaften bestellen bei Grassmayr Glocken, und dividiert die Zahl durch die knapp 2100 Gemeinden, lässt sich Österreich nach wie vor als „Land der Glocken“ beschreiben. Zur Freude vieler, denen es beim Glockenklang so geht wie Christof Grassmayr, der nicht nur aus beruflicher Passion sagt: „Wo immer ich bin, freue ich mich, wenn ich Glocken höre und halte kurz inne.“ Wasserfall aus 50 Teiltönen Aber auch Ärger über Geläut und wenn Kirchenglocken die Uhrzeit schlagen, bis hin zu Anzeigen über Lärmbelästigung und Gerichtsprozesse gibt es. Und das nicht erst in jüngerer Zeit, wie ein Blick in den FURCHE-Navigator zeigt. Bereits in den 1950er-Jahren finden sich Artikel, „wie das Glockengeläut‘ erzürnt die Leut“. Der damals ironisch gemeinte Schluss lautete: „Der Herr sei, wie schon beim Propheten Elias berichtet, eben bloß im sanften Säuseln.“ Der Grassmayr-Firmenphilosophie folgend, ist eine Glocke auch nicht lediglich ein Klang- oder Schallkörper, sondern ein Musikinstrument. „Die Stradivari unter den Glocken zu bauen“, ist das handwerklich-künstlerische Ziel der beiden Söhne von Christof Grassmayr, die heute die Glockengießerei leiten. Dafür wird in Kooperation mit Universitäten und unter Zuhilfenahme modernster Mess- und Simulationstechniken experimentiert, um das Ton-Spektrum einer Glocke zu analysieren, das einem „Wasserfall“ aus 50 Teiltönen gleicht. Bis auf das Hundertstel eines Halbtons genau können die Innsbrucker Glockengießer die Klangfarben ihrer Glocken berechnen und ihre Formen den akustischen Anforderungen anpassen. Seniorchef Grassmayr bricht die hochkomplexe Berechnungsarbeit auf ein simples Bild herunter: „Wir haben als Kinder in der Küche die Suppenhefen aus Blech ausgeliehen; je größer der Hafen, desto tiefer der Ton. Unsere Kunst ist, dass wir der Glocke einen ganz bestimmten Ton geben.“ Der sich im Zusammenspiel mehrerer Glocken verschiedener Größen und Bild: iStock/Christine_Kohler (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger) „Reichtümer der Spiritualität teilen“, nannte am 1. Februar 1996 Wiens Weihbischof Helmut Krätzl das Glockenläuten; nachzulesen unter furche.at. Kirchenglocken und Muezzine sind zwei Erinnerungsfunktionen Gottes, die den öffentlichen Raum mit spirituellen Botschaften beschallen. Gleichermaßen stoßen sie auf offene Ohren, Ignoranz – oder Ablehnung. Den richtigen Ton anschlagen „ Beim Gebetsruf so wie beim Glockengeläut geht es um nichts weniger, als Gott eine Stimme zu geben, und die sollte, in ihrer Reinheit und Komplexität perfekt sein. “ unterschiedlicher Schwungdauer ergänzen muss, damit sich ein Kaleidoskop variierender Tonfolgen und ein besonderes Klangerlebnis einstellt. Insofern gilt auch für das Glockenmiteinander der Vergleich des Apostel Paulus im Römerbrief von einem Leib und den vielen Gliedern: nicht alle haben dieselben Aufgaben und Talente, aber alle sollen ihren Teil zu einem christstimmigen Orchester beitragen. Wobei das nicht zu allen Zeiten gleich klingen musste, wie die verschiedenen Glockenklang-Geschmäcker mit mehr oder weniger hohem Geräuschanteil im Laufe der 1500-jährigen Geschichte der Glocke in Europa zeigt. Der Kulturhistoriker und FURCHE-Redakteur in den 1950er-Jahren Friedrich Heer hat in seiner „Europäischen Geistesgeschichte“ den Begriff „Glocken-Europa“ geprägt. Diese Zuschreibung bestätigte Anfang der 2000er-Jahre der Wiener Wirtschafts- und Sozialhistoriker Michael Mitterauer, der Europas Entwicklung hin zu Glocken und Glockentürmen als einen spezifisch europäischen Sonderweg aufzeigte. Der sich für Mitterauer vor allem nach dem Jahr 802 abzeichnete, als Kaiser Karl der Große befahl, die klösterlichen Gebetszeiten im ganzen Reichsgebiet per „signa“ anzukündigen. Als solche „Zeichen“ machte er das Glockenläuten zur Pflicht, was die Entwicklung des Glockenwesens beschleunigte und den Startschuss zum Bau von Glockentürmen allerorten gab. Das Minarett als architektonische Parallele zum Glockenturm in der islamischen Welt wurde ursprünglich als Leucht- und Wachturm gebaut und diente bis zur Entwicklung von Lautsprechern als erhöhter Standplatz für die Gebetsrufe. „Zwischen den Glocken und dem Muezzin gibt es viele Ähnlichkeiten“, sagt Glockengießer Grassmayr. Eine davon ist das Bemühen den richtigen Ton anzuschlagen, bestätigt Gökhan Uygun, einer der Imame an der Zentralmoschee Köln. Dort läuft seit 2022 ein Pilotprojekt, bei dem der Muezzinruf zum Freitagsgebet über Lautsprecher und unter Lautstärke-Auflagen ins Freie übertragen werden darf. Im Gespräch mit Imam Uygun, der Koran-Lese- und Rezitationswissenschaften an der Marmara-Universität in Istanbul studiert hat, geht es vor allem um die Unterschiede im Klang zwischen dem Ruf eines Muezzins arabischer oder türkischer Prägung. In der türkischen Gebetsruf-Tradition werde größerer Wert drauf gelegt, sagt Uygun, „dass die fünf Gebetseinheiten in einer der jeweiligen Tageszeit angemessenen Tonart vorgetragen werden“. Heißt, das Morgen- und Nachtgebet sollen mit weicherer Tonalität das Aufstehen oder Einschlafen unterstützen, während zu Mittag oder am Nachmittag „ein knalligerer Ton“ die Lebensgeister erfrischen soll. Gebetsruf-App am Handy So wie die Grassmayrs in Innsbruck auf neueste Technik beim Gießen ihrer Glocken setzen, so zählt Imam Uygun in Köln eine Gebetsruf-App mittlerweile zum Standard für jedes Mobiltelefon muslimischer Gläubiger. Wobei man auch hier der Klangqualität große Bedeutung beimisst, „die besten Stimmen ausgewählt werden“. Geht es doch beim Gebetsruf so wie beim Glockengeläut um nichts weniger, als Gott eine Stimme zu geben, und die sollte, sagt Christof Grassmayr, „in ihrer Reinheit und Komplexität perfekt sein“. Die Recherche für diesen Beitrag wurde im Rahmen des Stipendiums Forschung & Journalismus der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gefördert. Bild: iStock/clu (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger) Nächste Woche im Fokus: Hört, auf zum Gebet! Ursprünglich waren Minarette Leucht- und Wachtürme; und die hier dargestellte alte Kaiserglocke am Kölner Dom wurde, so wie die Wiener Pummerin, aus erbeuteten Kanonen des Feindes gegossen. Im Vorfeld der Nationalratswahl klopft DIE FURCHE in einer Serie Schlüsselbegriffe ab, die sich die fünf im Parlament vertretenen Parteien auf die Fahnen heften. Zum Auftakt geht es um Freiheit bzw. den Begriff Liberalität – und die NEOS. Das Motto: Praxis und Realität auf dem Prüfstand.

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