DIE FURCHE · 34 10 Diskurs 22. August 2024 Den gesamten Briefwechsel zwischen Hubert Gaisbauer und Johanna Hirzberger können Sie auf furche.at bzw. unter diesem QR-Code nachlesen. ERKLÄR MIR DEINE WELT Jetzt ist brat! Hubert Gaisbauer ist Publizist. Er leitete die Abteilungen Gesellschaft- Jugend-Familie sowie Religion im ORF-Radio. Den Briefwechsel gibt es jetzt auch zum Hören unter furche.at/podcast Ich beginne gleich mit einer Ergänzung, betreffend die „Opferrolle“ von Hannah, der Frau des Tobit im gleichnamigen Buch des Ersten Testaments. Ich habe es in meinem Brief leider nicht erwähnt: Mutter Hannah hat sich keinesfalls ins bodenlose Jammern fallen lassen, weil der blinde Vater den Sohn in die Fremde schickt. Sie hat zuerst einmal ihrem Mann die heftigsten Vorwürfe gemacht, sodass dieser es ist, der – wie man lesen kann – vor lauter Selbstmitleid in Depression versinkt. Sie hingegen, die Pragmatische, weiß was jetzt zu tun ist: Sie setzt sich an den Webstuhl und verkauft ihre Produkte auf dem Markt. Ich „ Wären die Swift- Konzerte nicht abgesagt worden, hätte ich mir nie ein Konzert im Fernsehen angeschaut. “ denke, dass bei vielen Frauen die „Opferrolle“ so aussieht: Zupacken und Schluss mit Jammern. Liebe Frau Hirzberger, Sie revanchieren sich für meinen Lesetipp mit Ihrer Begeisterung für das Fantasy-Epos „House of the Dragon“. Ich muss Sie leider enttäuschen, ich habe auch von „Game of Thrones“ weder etwas gelesen noch gesehen, weiß nur, dass diese Geschichten Kultstatus haben. Gerne gebe ich zu, dass ich vor Jahrzehnten „Lord of the Rings“ mit Hingabe gelesen habe – und mich in Galadriel, die schöne Jungfrau, „gekrönt mit schimmerndem Haar“, verliebt habe. Die Filme daraus haben dann mein Entzücken in Langeweile verwandelt. Wie mir heute überhaupt alle Fantasy- Filme zu opulent und optisch zu anstrengend sind. Aber vielleicht sollte ich – wenigstens, um up to date zu sein – doch einmal in so eine Serie einen Blick werfen. Apropos: Ich gebe zu, dass ich, wenn die Swift-Konzerte nicht abgesagt worden wären, mir nie ein Konzert im Fernsehen angeschaut hätte. Mir hat dann die Ausstrahlung der „Eras Tour“ eigentlich gefallen. Und die wegen der Absage so sympathisch trauernden Swifties auch. Klammheimlich habe ich mir dann gewünscht: Oh hätten doch die beharrlichen Klimakleberinnen ein ähnliches Verständnis auslösen können! Fantasy, ich weiß! Krasser kann ja der Kontrast nicht sein. Hier lächelnde Swifties an friedlichen Basteltischchen – dort zähe und noch kürzlich rau angefasste Umweltaktivistinnen. Liebe Frau Hirzberger, trösten Sie mich, denn kaum habe ich die helle Taylor Swift in meinen Verständnisradius aufgenommen, schockt mich Charli XCX mit ihrer dunklen Gegenwelt. Brat ist in! Lese ich überall. Summer brat. Frech, rotzig, schlampig mit Laufmasche. Sogar die – einst Jungfrau – Maria ist an ihrem Himmelfahrtstag zum brat erklärt worden! Zum frechen Früchtchen aus Nazaret, woher immer man sich das zusammenreimt. Aber nix frommes Händefalten, nix mehr swifty, nix Galadriel! Jetzt ist brat! Mir völlig neu, also will ich mich wieder schlau machen und schau mir auf Youtube ein offizielles Video von Charli XCX an. Und ich sehe, wie taffe junge Frauen Rotwein ordern, um ein Bett stapfen – oder ist es eine Bahre? – und dem alten Mann darauf – oder ist es sein lebloser Körper? – Zigarettenrauch ins Gesicht blasen. Ich flüchte in die Arme unseres Bundespräsidenten, der vor fünf oder sechs Wochen bei einer Festspieleröffnung gesagt hat, dass in dieser Welt etwas immer entweder schwarz oder weiß sein muss, und er meinte, dass dies gefährlich wäre. Ich stimme ihm zu und bin mir sicher, dass ich auch in Charli XCX doch irgendwo ein Quäntchen Gutes finden werde. Ich wünsche Ihnen und Ihrem Hundefräulein noch angenehme Sommertage! Von Paul Lendvai Am 24. August feiert Lendvai seinen 95. Geburtstag. In FURCHE Nr. 23 In der FURCHE schrieb er 1965 einen persönlichen 3800 10. Juni 1965 Text über das Gefühl von Heimat und Dazugehörigkeit. Trotz seines höchst fortgeschrittenen Alters wird Paul Lendvai nicht müde, mit seiner Expertise die politischen Geschehnisse Osteuropas einzuordnen. Er baute die ORF-Osteuroparedaktion auf, führte durch das „Europastudio“ und veröffentlichte erst heuer ein neues Buch. Lendvai ist nicht nur Journalist und Publizist, sondern auch Kämpfer gegen Provinzialismus und Fremdenfeindlichkeit. Am 24. August wird er 95 Jahre alt. In der FURCHE hat er sich 1965 Gedanken über seine neue Heimat Österreich gemacht. Als ich vor nun mehr als acht Jahren auf dem Schwechater Flughafen eintraf, wußte ich noch nicht, daß dieses in jenen Tagen für die Ungarn so glitzernd und so reich erscheinende Land für mich eine zweite Heimat werden sollte. Eine Heimat, die ihr echtes Wesen nur für jene, die sie lieben, zu eröffnen bereit ist. Diese Liebe muß aber, so fühle ich, eine kritische und selbstkritische sein. Vor einer Woche hatte mich ein österreichischer Industrieller scherzhaft gefragt: „Wo möchten Sie denn am liebsten leben?“ Baronin N., die Gattin eines österreichischen Diplomaten, sagte vorher: „In Frankreich“, und der Fragende selbst stimmte für Italien. Und ich — mit Ich bin ein „Neuösterreicher“ Foto: APA / Robert Jaeger meinem ach so starken Akzent und turbulenter Vergangenheit — errötete und antwortete stockend: „Österreich.“ Vielleicht im Unterbewußtsein hatte ich bereits 1959 so gefühlt, als ein Freund mich auf die Vorrangliste zur Einwanderung in die USA setzte und ich meine Vergangenheit bewußt so schonungslos schwarz färbte, daß der liebenswürdige Vizekonsul sichtlich verwirrt wurde und glücklicherweise vermutlich eine negative Meinung an seinen Dienstvorgesetzten weiterleiten mußte. Vielleicht liebte ich Österreich auch dann, als ich mit vielschichtigen Ausreden und Vorwänden Berufungen 1960 bis 1961 nach Washington, London und Hamburg nicht folgte und in Wien geblieben bin. In den letzten zwei Monaten hat der Verfasser drei Nachbarländer — die Tschechoslowakei, Jugoslawien und Ungarn — besucht. Immer wieder mußte er dem in diesem kleinen und von seinem natürlichen Hinterland auch heute noch in vieler Hinsicht abgeschnittenen Österreich vollbrachten Wirtschaftswunder Tribut zollen. Jene selbstherrlichen und apokalyptische Visionen an die Wand malenden Journalisten hierzulande, die für die Koalition nur Spott und Verachtung (kein Wort des Tadels aber für die Bazillenträger neonazistischen Gedankengutes!) übrighaben, sollten nicht nur die Strecke Wien— Bonn, sondern auch jene nach Prag, Belgrad und Budapest mit offenen Augen befahren. [...] Wie wird man zu einem Neuösterreicher, oder warum fühlt sich ein „Zugereister“, ein „hergeflogener“ Flüchtling als Österreicher? Warum raunzt man unentwegt und verteidigt zugleich alles — von der Bedienung bis zu den Theatern — so leidenschaftlich, manchmal vielleicht zu „engagiert“, gegenüber ausländischen Besuchern oder Diplomaten? Wie wird aus einem Mann, der Ungarn erst mit 27 Jahren verlassen hat und mit einer Engländerin verheiratet ist, nicht nur der Besitzer eines österreichischen Reisepasses, sondern auch ein Österreicher der Überzeugung nach? AUSGABEN DIGITALISIERT VON 1945 BIS HEUTE ÜBER 175.000 ARTIKEL SEMANTISCH VERLINKT DEN VOLLSTÄNDIGEN TEXT LESEN SIE AUF furche.at Medieninhaber, Herausgeber und Verlag: Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KG Hainburger Straße 33, 1030 Wien www.furche.at Geschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner, Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Chefredakteurin: Mag. 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DIE FURCHE · 34 22. August 2024 Diskurs 11 Die Elektromobilität wird als Allheilmittel gegen die Krimakrise ins Treffen geführt, erklärte Josef Christian Aigner in der Ausgabe 32 der FURCHE. Ein Argument, das für Aufsehen sorgt. Eine Replik. Der logische Fehler ist die Idealvergleichsfalle Der Autor erhebt in seinem Artikel den Vorwurf, die Elektro-(Auto-) Mobilität werde engstirnig als Allheilmittel zur CO₂-Reduktion gepriesen, demgegenüber bleibe die Gesellschaft gänzlich unaufgeklärt über die Schattenseiten der für die Akkus in den Elektroautos notwendigen Lithiumproduktion. Elektromobilität ist ein Element im großen Technologie- und Methodenkoffer, mit dem man die Klimakrise eindämmen und letztlich verhindern will. Sie ist sicher kein „Allheilmittel“, wie es Aigner in den Raum stellt, genauso wenig wie Windenergie, Geothermie, Pelletsheizungen, Photovoltaik usw. eines sind. Niemand behauptet ernsthaft, ein „Allheilmittel“ gegen die Klimakrise zu haben. Etwa die Hälfte der weltweit als Benzin, Diesel, Kerosin usw. verbrauchten Erdölprodukte wird im Straßenverkehr verwendet. Die global tätigen Ölkonzerne, von Saudi Aramco bis ExxonMobil, die diesen Treibstoff produzieren, setzen circa 10 Mrd. US-Dollar um – pro Tag. Es lässt sich leicht vorstellen, wie sie dazu stehen, wenn eine Innovation wie die Elektromobilität droht, ihnen mittelfristig ihren Umsatz zu halbieren. Da kommt die Botschaft, der Lithiumbergbau sei nicht umweltfreundlich und halte rechtsstaatliche und ökologische Standards nicht ein, gerade recht. Produktionsverhältnisse in China Die Internationale Energieagentur erkennt in den Batteriespeichern ein wichtiges und kritisches Element der Energiewende, sowohl für die Kraftwerke als auch für den Transportbereich. Die Kosten für Batteriespeicher sind seit 2010 um circa 90 Prozent gesunken. Hier wird eine Technologie allmählich weltweit substanziell – und damit zu einer realen Gefahr für das fossile Energiesystem. Man kann die vom Autor festgestellte „beabsichtigte Uninformiertheit“ zu mildern versuchen: Vergleicht man die jährliche Welterdölproduktion mit der Größe eines Fußballfeldes, entspricht der Welt-Lithiumbedarf pro Jahr der Fläche der beiden Elfmeterpunkte. Durch die Verbrennung der fossilen Energieträger Kohle, Erdöl und Erdgas deponieren wir Jahr für Jahr CO₂ mit einer Masse Foto: Privat DIESSEITS VON GUT UND BÖSE Von Johannes Schmidl „ Windkraftwerke erzeugen zwar CO₂-frei elektrische Energie, aber werden von ihr nicht auch Vögel erschlagen? “ von etwa dem 20-fachen der jährlichen Welt- Stahlproduktion in unserer Atemluft. Jedes Jahr. Wir wissen, welche Folgen das hat und noch haben wird. Aber klar, auch die Produktion von Lithium ist nicht umweltfreundlich. Wenn man möchte, findet man Gegenargumente zu jeder Technologie, mit der man fossile Energieträger ersetzen kann: Windkraftwerke erzeugen zwar CO₂-frei elektrische Energie, aber werden von ihnen nicht auch Vögel erschlagen? Photovoltaik liefert ebenfalls klimaneutralen Strom, aber wer redet von der Versiegelung der Landschaft durch die Module, geschweige denn von den unhaltbaren Produktionsverhältnissen in China? Sind diese Technologien wegen der „gänzlichen Unaufgeklärtheit der Bevölkerung über ihre Schattenseiten“ alle „zynische Scheinlösungen“? Josef Christian Aigner tritt mit seiner Argumentation in die Idealvergleichsfalle. Seine Hinweise sind zwar nicht grundsätzlich falsch, der Lithiumabbau ist tatsächlich ökologisch häufig nicht in Ordnung. Aber das Problem ist bekannt und man arbeitet weltweit an Lösungen, wie man auch daran arbeitet, Lithi- um, das in den Akkus ja nicht verbraucht wird, in die Kreislaufwirtschaft zu führen. Das Recycling funktioniert noch unbefriedigend, aber es ist prinzipiell möglich, wie es auch andere Technologien zur Akkuproduktion gibt, die ganz ohne Lithium auskommen werden. Auch einige der Einwände gegen Windenergie und Photovoltaik stimmen, ebenso wie solche, die gegen Pelletkessel, Geothermie und alle anderen Lösungen der Klimakrise vorgebracht werden. Es gibt auch zu jeder dieser Technologien Bücher und Filme, die auf deren vermeintliche Nachteile fokussieren, um zu zeigen, dass sie jeweils keine „Allheilmittel“ gegen die Klimakrise seien. Nur sind die Probleme der fossilen Energieträger, die von den erneuerbaren allmählich ersetzt werden, um Größenordnungen schlimmer. Mit ihnen sind wir wirklich auf dem Weg in die Klimakrise, in Richtung Bedrohung der Ernährungs- und Ökosysteme, begleitet von wirtschaftlicher und politischer Instabilität. Nicht alle Nachteile wiegen gleich schwer Jede noch so vorteilhafte Technologie scheitert beim Vergleich mit einem hypothetischen Idealzustand. Zieht man daraus den Schluss, alle technologischen Lösungen seien im Prinzip gleich schlecht, weil sie das Ideal nicht erreichen, macht man nicht nur einen logischen Fehler, man tappt auch in die Idealvergleichsfalle. Wenn etwas Nachteile hat, ist es noch nicht falsch, und nicht alle Nachteile wiegen gleich schwer. Fossile Energie wird nie Teil einer nachhaltigen Energieversorgung sein, Elektromobilität jedoch schon. Man kann Aigner zustimmen, wenn er „weniger Autoverkehr zum Wohl von Umwelt und Menschen“ fordert. Auch dazu gibt es gute Ansätze in der politischen Gestaltung der Rahmenbedingungen – und auch dagegen gibt es Widerstand, wie gegen Elektromobilität, Windenergie usw. Mit „weniger Autoverkehr“ wird man das Verkehrsproblem aber nicht lösen. Auch das ist leider kein Allheilmittel. Der Autor ist Physiker, Energieexperte, Buchautor und arbeitet für den Dachverband Erneuerbare Energie Österreich. ZUGESPITZT Szenen aus dem Dorf der Denker Hier kommt der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger mit der rumänischen Kunststudentin ins Gespräch. Hier rockt die österreichische Ministerin spätnachts die Tanzfläche im Gasthof, während im Raum daneben der Regierungskollege von aufmüpfigen Studenten ausgefragt wird. Einen Tisch weiter diskutieren der britische Politikwissenschafter und die irakische Studentin, wohin sich Europa entwickeln soll. Und am Ende gehen alle in kitschige Berghütten schlafen. Hier kann nur von einem Ort die Rede sein: Vom kleinen Tiroler Bergdorf Alpbach im August, während des Europäischen Forums. In den Gründungsjahren zeichnete das Forum einen primitiven Charme aus. Philosoph Hans Albert berichtete einst in der FURCHE: Man schlief in Bauernhäusern ohne fließend Wasser, hielt Seminare in Bauernstuben ab und saß zusammengedrängt auf Holzbänken, die immer wieder umfielen. Dennoch meinte Albert: „Die Primitivität der äußeren Umstände wurde ausgeglichen durch eine Intensität des geistigen Austauschs, wie ich sie später nirgends mehr erlebt habe.“ Philipp Axmann FURCHE-Dossier zum Forum Alpbach Täglich neue Berichte vom Forum Alpbach auf www.furche.at/ dossier/alpbach NACHRUF Er war ganz schön. Und ganz schön böse. Alain Delon ist etwas Bemerkenswertes gelungen: Er hat nicht wegen seiner Schönheit Karriere gemacht, sondern trotz ihr. Die Medien gaben ihm stets Kalt-Warm: Mal war er „Everybody’s Darling“, mal zerrissen sie ihn in der Luft. Talent allein ist gut. Schönheit allein ist auch gut. Beides zusammen darf so nicht passieren – dazu ist der Neid einfach zu groß. Genau deshalb war der französische Schauspieler immer mit unbestreitbarer Schönheit, Charisma und Arroganz assoziiert und litt auch unter der Eindimensionalität seiner Wahrnehmung. Man verunglimpfte ihn als „Pretty Face“ – dabei hatte er ein unglaubliches Schauspieltalent. Produzent David O. Selznick nahm ihn wegen seines charismatischen Gesichts unter Vertrag, aus der US-Karriere wurde vorerst nichts. Aber in Frankreich stieg er ab Ende der 50er-Jahre zum Superstar auf. Denn Delon zog die Blicke von Melville, Visconti, Godard, Malle und Antonioni auf sich und drehte ein Filmmeisterwerk nach dem anderen. Nach „Nur die Sonne war Zeuge“ (1959) spielte er in „Rocco und seine Brüder“ (1960) meisterlich auf. Drei Jahre später glänzte er in Viscontis Welterfolg „Der Leopard“. In Michelangelo Antonionis „Liebe 1962“ gab Delon den verträumten Börsenmakler an der Seite von Monica Vitti – wieder Filmgeschichte. „Der eiskalte Engel“ (1967) ist der Film, der Delons bewegungslose Mimik, den starren Blick, die äußerliche Eleganz gepaart mit absoluter Arroganz gebar: Der Auftragskiller Jeff Costello hätte gar nicht anders aussehen können wie dieser junge, umwerfende und unnahbare Delon. Er war ganz schön. Und ganz schön böse. Hierzulande ist Delon vor allem wegen seiner Liebe zu Romy Schneider berühmt. Legendär die knisternde Erotik in „Der Swimmingpool“, der das Ex-Paar 1969 vor der Kamera wieder vereinte. Der Mord an seinem jugoslawischen Leibwächter, dem man nachsagte, er habe ein Verhältnis zu seiner damaligen Frau Nathalie (für die er Romy einst verließ) gehabt, erschütterte 1968 ganz Frankreich. Die Vorwürfe gegen Delon in diesem Zusammenhang wurden erst Jahre später fallengelassen. Doch seither umschwirrten den Schauspieler die wildesten Gerüchte – er pflege enge Beziehungen zur Unterwelt, habe Verbindungen zur Mafia. Homophobe Aussagen und sein Geständnis, Frauen geschlagen zu haben, wurden für Delon ebenso zum Stolperstein wie seine Freundschaft zum Rechtspopulisten Jean-Marie Le Pen. Nun starb Delon 88-jährig bei Paris, nach mehreren Schlaganfällen. Ein Weltstar mit Schattenseiten, und einer der schönsten Bösewichte der Filmgeschichte. (Matthias Greuling) Foto: APA/AFP Mit Alain Delon (1935-2024) ist Frankreichs größter und schönster Weltstar gestorben. Umstritten war er aber auch.
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