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DIE FURCHE 22.02.2024

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DIE FURCHE · 8 4 Das Thema der Woche Leben mit Krebs 22. Februar 2024 Von Andreas R. Batlogg SJ Max Kronawitter Der studierte Theologe, Jg. 1962, gehört zu den bekanntesten Fernsehdokumentarfilmern Deutschlands. Max Kronawitter hat mehr als 200 teils preisgekrönte Dokumentarfilme über Menschen mit einem schweren Schicksal gedreht, denen er damit auch ein Denkmal setzte: über Holocaust-Überlebende, über den Todesmarsch von Dachauer KZ-Häftlingen, über die Müllkinder von Pater Heinz Kulüke auf der Insel Cebu (Philippinen), über Steyler Missionsschwestern in Papua-Neuguinea, die sich um HIV-Patienten kümmern, die von ihren Familien wie Aussätzige verstoßen wurden, über den ersten deutschen Aids-Seelsorger Thomas Schwaiger („Letzte Berührungen“), über den erblindeten Benediktinerpater Elias – oder über das Afrikaprojekt von Prinz Ludwig, dem designierten Chef des Hauses Wittelsbach, den er auf dem „Löwenmarsch“ kennenlernte. Seine Filmfirma, die er noch als Student 1989 gründete, hat er „Ikarus“ genannt. Über 30 Jahre später muss er nun schreiben: „Ikarus – meine Firma – stürzt, und ob sie überleben wird, weiß ich nicht.“ Denn nun hat es ihn selbst erwischt, aus heiterem Himmel: Über Wochen hinweg sah er „Blitze“, wenn er sich anstrengte, und hatte dann Kopfschmerzen. Seine Frau Heike, selbst Ärztin, schleppte ihn zu einer Radiologin. Kaum aus dem Kernspintomografen heraus, wollte er zurück an den Schreibtisch. Seine Frau: Wir müssen erst die Bilder vom Schädel anschauen. Beide Ärztinnen erstarren vor dem Monitor. „Irgendwie“, so Kronawitter rückblickend, „ist es so, als hätte ich bei einem riesigen Würfelspiel die unwahrscheinlichste, aber eben doch mögliche Zahlenkombination bekommen.“ Ein Gehirntumor namens „Hugo“ Zum ersten Mal hört er das Wort „Glioblastom“ – ein bösartiger Hirntumor! Seine Frau drückt ihn: „Max, du wirst sterben.“ Später zitiert er aus dem Roman „Über Menschen“ von Julie Zeh: „Glioblastom ist das Ober-Scheißwort unter den Scheißwörtern. Ein dunkler Warlord in Buchstabenform. Er wird stets begleitet von seinen Adjutanten namens Inoperabel, Unheilbar und Palliativ.“ Zehn Jahre vorher hatte Kronawitter ein dreizehnjähriges Mädchen gefilmt, als es „in die Röhre gefahren“ wurde. Wenke nannte ihren Gehirntumor „Hugo“ – „um seinen Schrecken zu bannen“. Sie verlor ihren Kampf. Ihr Schicksal wurde nun zum eigenen, sein Film hat ihn eingeholt: „Bruchlandung! Wie vom Himmel gefallen bin ich. Als wäre ich selbst Teil dieser mythischen Erzählung“: Ikarus. Die erste Konsequenz: Fahrverbot! „Ich werde nie wieder ein Auto steuern“: Für einen, der im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen mit Blick auf das Karwendelgebirge wohnt und zu Hause sein Büro hat, ein harter Einschnitt. Der Neurochirurg will sofort operieren. Kronawitter kann noch eine Woche herausschinden. Der Aufschub hat ganz praktische Gründe: „Wir müssen mit den Kindern sprechen, das Unglaubliche irgendwie begreifen und so viele geschäftliche Dinge regeln.“ An Notfallpläne, Vorsorgevollmacht und andere Dinge hat der Diplomtheologe, Journalist und Filmemacher des Jahrgangs 1962 bis dahin nie gedacht. Aus nah und fern reisen Freunde an: „Der Krebs ist auf alle Fälle ein Katalysator. Er bewirkt, dass die einen enger an mich Foto: KArt-Fotografie / Ikarus Film heranrücken und andere eher das Weite suchen.“ Diese Frage kenne ich aus eigenem Erleben : „Warum ich?“ Auch das Verhandeln: „Dass es ausgerechnet mich mit solchen Sehstörungen trifft, wo ich doch davon lebe, gute Bilder zu machen! Wäre ich lieber blind oder taub?“ Wie Kronawitter kam auch ich seinerzeit zu der Ansicht: „Der Tumor ist keine Strafe.“ „ ‚Hirnamputiert‘: Das trifft Max Krona witters Gefühl. Das Bedienen des Handys oder des Computers ist zunächst völlig unmöglich. Wie vieles andere. “ Lesen Sie auch die Rezension von Andreas R. Batloggs eigenem Buch über Krebs, siehe „Ein mutiges Lebenszeugnis“, 14.2. 2019, furche.at. Max Kronawitter, Dokumentarfilmer und Theologe, hat ein Buch über „seinen“ Tumor geschrieben. Andreas R. Batlogg, selbst Krebspatient und Buchautor, erkennt da vieles wieder. Eine Zeitbombe im Gehirn Sein Glaube wurde, auch das ist ein Glaubenszeugnis, nie erschüttert. Seine bleibenden Handicaps stellen meine in den Schatten. Wer selbst Krebs hatte, kann dieses Buch nicht unbefangen lesen, viele Erinnerungen ploppen auf. Nach der gelungenen OP folgte die erschreckende Erfahrung: „Ich sehe Dinge, habe aber keine Ahnung, wie sie heißen, und muss überlegen, wozu sie dienen sollen.“ Als Kronawitter im Klinikum Großhadern zum ersten Mal selbstständig ins Bad gehen kann, weiß er nicht, wie die Gegenstände im Kulturbeutel heißen. Er schmiert sich Zahnpasta ins Gesicht und greift zum Kamm, den er mit dem Rasierapparat verwechselt: „Den Überblick zu behalten, habe ich an Heike abgetreten.“ Nächste Woche im Fokus: „Hirnamputiert“: Das trifft sein Gefühl. Das Bedienen des Handys oder des Computers ist zunächst völlig unmöglich. Wie vieles andere. Ständig auf Hilfe angewiesen zu sein, ist für einen hyperaktiven Tausendsassa ein mühsamer Lernweg. Das Schreiben wird zur Überlebensstrategie. Wie schreiben, wenn einer nichts mehr entziffern kann? Kronawitter findet seine Methode: Er spricht seine Erfahrungen in ein altes Diktiergerät. Dass sein Buch „Ikarus stürzt“, dessen tagebuchartige Aufzeichnungen, die mit der Diagnose vom 5. Dezember 2022 beginnen und bis 12. September 2023 dauern, zustande kommt, verdankt er seiner Frau. Max Kronawitters Leben ist ein Leben auf Abruf geworden: mit einer Zeitbombe im Gehirn. Am 17. Jänner 2024 hat er sein Buch vorgestellt, in der Benediktinerabtei Sankt Bonifaz in München. Drei Sprecher und eine Sprecherin aus seinen Dokumentarfilmen lasen ausgewählte Stellen vor. Ein berührender Abend. Ich habe mehrmals geweint beim Lesen. Darf ich das sagen? An einem einzigen Tag habe ich dieses Buch verschlungen! Wie kostbar Zeit ist, wie wichtig Beziehungen: Das kennt jeder Krebspatient. Die eigenen Unzulänglichkeiten werden viel bewusster. Auch die Ungeduld im Krankenbett. Als Kronawitter in der Klinik im Jänner 2023 mit seinem Zimmernachbarn das Requiem für den ehemaligen Papst Benedikt im Bayerischen Rundfunk anschaut und eine Oberärztin zur Visite kommt, fährt er sie an: „Wie Sie sehen, sind wir gerade mitten in einer Trauerfeier.“ Ebenso langsam wie mühsam kämpft sich Kronawitter in den Alltag zurück. Vieles geht nicht mehr, bleibt ihm fremd. Seine Kameras, sein Equipment: „Ausrangiert. Wie ich auch. Durch den Tumor ausgemustert aus den Reihen der Tüchtigen und Erfolgreichen, die dazugehören und gebraucht werden.“ Immer wieder streut er seine Filme ein, etwa Begegnungen mit den Jesuiten Reinhold Iblacker (dessen Film „Noch 16 Tage“ über eine Sterbeklinik in London die Hospizund Palliatividee nach Festlandeuropa brachte) und Albert Keller. Oder mit der Fotografin Herlinde Koebl, die wie viele Wegbegleiter an dem Abend dabei war. Das tut Kronawitter gut. Auch wenn ihm nicht immer gleich alle Namen einfallen. Besuche, Reisen, der Familienurlaub am Meer: immer wieder die Frage, ob es „das letzte Mal“ ist. Ein Wechselbad der Gefühle „Im Alltag möchte ich wie der ,gesunde Max‘ behandelt werden und genieße die Illusion, es weiterhin zu sein“: Kronawitter ist dünnhäutig geworden. Mit Hilfe eines Professors will er wieder lesen lernen. Bei dem KZ-Überlebenden Peter Gardosch, der zwei Wochen vor der Vorpremiere starb, lernte Kronawitter, dass es auch auf der Flucht oder in einem Versteck „Glücksmomente“ gibt. Auch davon erzählt sein berührendes Buch. Das Wechselbad der Gefühle in den neun Monaten der Aufzeichnungen ließ ihn fragen, wie er mit dem „Rollentausch“ umgeht, jetzt, wo seine Kinder ihn umsorgen. Über Totenrituale auf Mindoro (Philippinen) hat er einen Film gemacht, der mumifizierte Leichen zeigte. Jetzt beschäftigt Kronawitter: Was soll auf meinem Grabstein stehen? Hadert er mit dem „Todesmarsch, auf den mich die Ärzte geschickt haben“? Das tut er nicht. Die letzte Kontrolluntersuchung ergab keine Metastasen: „Wie sehr man sich über ein Nichts freuen kann.“ Die Arbeit am Buch hat ihm geholfen: „Je mehr ich über meinen Krebs schrieb und ihn dadurch zu einem Objekt externalisierte, desto mehr konnte ich meine Angst vor ihm kontrollieren. Der Tumor, der – unbeherrschbar wie ein wildes Tier – alle Winkel meines Bewusstseins attackierte, der zum ersten Gedanken am Morgen und zum letzten am Abend geworden war, ließ sich zähmen.“ Kronawitter lebt in dem Bewusstsein: „Ein neues Leben in Drei monats abschnitten. Keiner weiß, wie lange.“ Natürlich hofft er. Und das Unwahrscheinliche ist nicht völlig unmöglich: „Zeitaufschub – wie schön wäre es, wenn das für meinen Tumor auch gelten würde.“ Der Autor ist Theologe, Publizist und Seelsorger in München. Ikarus stürzt Mein Tumor, meine Filme und mein neues Leben auf Zeit Von Max Kronawitter Herder 2024 272 S., geb., € 25,50 Seit Jahrzehnten wird Print totgesagt. Und ebenso lange wird das bestritten. Sicher ist, dass Digitalisierung und Internet die Medienwelt radikal verändert haben. Was bedeutet dies fürs klassische Medium Zeitung? Welche Entwicklungen sind zu erwarten, welche Transformationen scheinen nötig?

DIE FURCHE · 8 22. Februar 2024 Wirtschaft 5 Das Gespräch führte Wolfgang Machreich Nach 98 Prozent Gasimporten aus Russland im Dezember verlangte die grüne Ministerin Leonore Gewessler vorige Woche, die Abhängigkeit drastisch zu reduzieren. Energieexperte Walter Bolz, der u. a. auch Gewessler berät, erklärt, wie das gelingen soll. DIE FURCHE: Herr Boltz, hat die Nachricht von Alexej Nawalnys Tod Auswirkungen auf die Diskussion über Österreichs Ausstieg aus russischem Gas? Walter Boltz: Ich denke schon, dass sich die Apologeten, die den Gashandel mit Russland verteidigen, angesichts dieses De-facto-Mords jetzt schwerer tun. Natürlich kann man sagen, es gibt einige Staaten auf der Welt, die nicht unseren demokratischen Idealen entsprechen und mit denen wir wirtschaftliche Beziehungen pflegen – aber diese Länder führen keinen Krieg ein paar Hundert Kilometer östlich von Wien. Ob Nawalnys Tod tatsächlich ein Umdenken auslöst, wird sich zeigen. Ich bin skeptisch, weil wir in einer Gesellschaft leben, in der wir die essenziellen Probleme, egal ob Klimaschutz oder Sicherheitspolitik, lieber ausblenden. DIE FURCHE: Oder aussitzen? Der Krieg ist ja in einer Pattsituation, die Ukraine im Nachteil, Europa zögert, Trump steht vor der Tür, vielleicht kommt es doch zum Waffenstillstand … Boltz: Diese Überlegungen spielen sicher bei vielen eine Rolle: Wir halten uns zurück, das wird sich schon wieder normalisieren, und dann sind wir wieder bei den Ersten, die mit Russland Geschäfte machen. Die meisten übersehen dabei, dass wir es im Falle von russischen Lieferanten nicht mit kommerziellen Unternehmen zu tun haben, sondern mit einem politischen System, das auf die Kunden maximalen politischen Druck ausüben will. Das ist keine „normale“ Wirtschaftsbeziehung. Ich muss damit rechnen, dass dieser Lieferant jederzeit – und zwar zu dem Zeitpunkt, der für ihn am besten ist, zum Beispiel wenn bei uns eiskalter Winter herrscht – die Gaslieferungen unterbricht. Weil er damit maximalen politischen Druck ausüben kann. Da muss man sich als Land fragen: Wie kann ich dem entkommen? DIE FURCHE: Das frage ich Sie... Boltz: Indem ich von diesem Lieferanten gar nichts oder nur mehr wenig kaufe. Dann verliert er jegliches Druckmittel gegen mich. Unser Fehler war, dass wir den Marktanteil der Russen zu groß werden ließen. Das ist schlecht, egal in welchem Wirtschaftssegment. Die Russen haben uns auch bewusst in diese Abhängigkeit gebracht. Wir waren so naiv, zu glauben, sie würden ihre Marktposition nicht ausnützen. Mittlerweile haben sie mehrfach bewiesen, dass sie ein unzuverlässiger Lieferant und bereit sind, den Druck auf westliche Käufer zu maximieren. Durchaus zum Schaden der eigenen Unternehmen, denn auch Gazprom hat aufgrund dieser Politik wahnsinnig viel verloren. DIE FURCHE: Nach Beginn des Krieges 2022 ist der Gaspreis auf über 300 Euro pro Megawattstunde hinaufgeschnellt. Wo steht er heute? Klimaschutzministerin Leonore Gewessler fordert mehr Tempo beim Raus aus russischem Gas. Energieexperte Walter Boltz hält sogar ein Ende russischer Importe mit Ende 2024 für möglich. „Noch nie war der Ausstieg so einfach“ Boltz: Heute gibt es kurzfristiges Gas um 24 Euro, wer langfristig für nächstes Jahr kauft, muss mit 25, 26 Euro rechnen. Vor der Krise lag der Preis bei rund 18 Euro, da darf man aber die Inflation seither nicht vergessen. Wir nähern uns also wieder einem normalen Preisniveau. DIE FURCHE: Das Hauptargument gegen die Forderung von Ministerin Gewessler nach einem schnellen Ausstieg ist eine dadurch ausgelöste massive Erhöhung des Gaspreises inklusive negativer Folgen für Wirtschaft und Haushalte … Boltz: Das stimmt einfach nicht. Zum Glück sind wir jetzt in der Situation, dass es genügend Gas am Weltmarkt gibt, auch die Speicher sind voll und die Preise auf halbwegs normalem Niveau. Ein Problem bekommen wir nur, wenn wir unvorbereitet in eine Lieferunterbrechung laufen. Wenn wir uns vernünftig darauf vorbereiten, dann gibt es keine relevanten Preiseffekte. Noch nie seit dem Angriff auf die Ukraine wäre es so einfach, aus der Abhängigkeit von russischem Gas auszusteigen. DIE FURCHE: Wie müsste dieser Ausstieg ausschauen? Boltz: Wenn wir sagen, wir nehmen in einem Jahr halb so viel russisches Gas wie heute und in zwei Jahren steigen wir komplett aus, dann schließen die Firmen und Versorger jetzt Verträge mit anderen Lieferanten. Selbst einen Ausstieg aus den russischen Importen mit Ende 2024 könnten wir relativ locker gestalten, sodass sich die Gaskunden mit Beginn des Kaltjahres ab Oktober mit Gas aus anderen Quellen ohne relevante Preiseffekte eingedeckt haben. Der Gasmarkt ist ziemlich resilient. Zu großen Preisausschlägen kommt es nur, wenn es zu einer plötzlichen Unterbrechung einer sehr großen Menge kommt. Wenn jetzt von einem Moment auf den anderen die Lieferung aus Russland stoppt, weil eine Rakete auf eine Pipeline in der Ukraine fliegt, dann hätten wir für ein, zwei Monate wieder höhere Preise. Aber selbst dann hätte die OMV bereits Vorsorge getroffen. DIE FURCHE: Inwiefern? Boltz: Im Fall einer plötzlichen Unterbrechung garantiert die Foto: Wolfgang Machreich OMV ihren Kunden Gas aus anderen Quellen. Zum Beispiel aus ihrer Gasproduktion in Nordeuropa. Die notwendigen Pipelinekapazitäten für 2024, 2025 sind gebucht. Das sollte anderen Gasversorgern zu denken geben. Das Unternehmen, das am meisten Einblick hat und die Situation am besten beurteilen kann, hat sehr wohl bereits operative Vorkehrungen für einen Ausfall von russischem Gas getroffen. DIE FURCHE: Hängt diese Vorsorge auch mit dem Auslaufen des Transitvertrags zwischen Moskau und Kiew am Jahresende zusammen? Boltz: Ich bin mir ziemlich sicher, dass es keine Verlängerung des „ Ich bin mir ziemlich sicher, dass es keine Verlängerung des russischen Transitvertrages mit der Ukraine gibt. “ Walter Boltz, unabhängiger Energieberater, war Leiter der E-Control und Berater von Gasunternehmen. Gasvertrag bis 2040 Wenn die Ukraine den Gastransit Ende 2024 stoppt, könnte das auch ein Ausstiegsszenario für den Liefervertrag zwischen OMV und Gazprom bieten. Foto: Gas Connect Austria Erdgas als geopolitische Waffe Russlands ist Thema von „Gashahn geht bald wieder zu“, 27. April 2006; nachzulesen unter furche.at. GASPREIS & GASVERBRAUCH Transitvertrages gibt. Die Ukrainer werden einfach nicht mehr mit den Russen darüber verhandeln – und das kann man ihnen angesichts der Kriegsgräuel nicht verübeln. DIE FURCHE: Damit verliert auch die Ukraine dringend benötigte Einnahmen aus dem Gastransit. Boltz: Das steht in keiner Relation. Die Ukrainer bekommen rund 600 Millionen Dollar dafür, dass russisches Gas im Wert von vier Milliarden durch ihr Land gepumpt wird. Ich gehe davon aus, dass die Ukraine lieber auf diese paar Hundert Millionen verzichtet, wenn sie damit Milliardenzahlungen an Russland verhindern kann. Und ob Russland rechtzeitig eine alternative Route findet, ist fraglich. DIE FURCHE: Wäre ein Stopp der Lieferungen durch die Ukraine eine Gelegenheit für die OMV, aus ihrem bis 2040 laufenden Gasliefervertrag mit Russland auszusteigen? Boltz: Ja, aber niemand kann verlangen, dass die OMV bis zum 31. Dezember wartet, was passiert. Mit dieser Unsicherheit, ob weitere Gaslieferungen möglich sind, ist für mich eine entscheidende Voraussetzung für diesen Vertrag nicht mehr gegeben. DIE FURCHE: Neben der Prüfung aller Möglichkeiten für eine Lösung dieses „Knebelvertrags“ möchte Ministerin Gewessler den Ausstieg aus russischem Gas mit einem entsprechenden Gesetz vorantreiben. Geht sich das in der Vorwahlkampfzeit noch aus? Boltz: Ich glaube nicht, dass es zu dem Gesetz kommt. Ich sehe vielmehr eine gute Chance, dass mit Jänner 2024 die Lieferungen einfach aufhören. Das wäre auch eine österreichische Lösung. Wir brauchen nur zu warten, bis jemand anderes etwas tut. Das halte ich für das Wahrscheinlichste. Da braucht es keine entschlossene Handlung in Österreich – und das entschlossene Handeln ist ja nicht etwas, wofür wir sonderlich bekannt sind. Trend: Weniger Gas, mehr Grünstrom Auch die Angriffe von Houthi-Rebellen auf Schiffe im Roten Meer tangieren den Gaspreis wenig. Arabische Gastanker meiden den Suezkanal und werden nach Asien umgelenkt, sagt Energieexperte Walter Boltz, während mehr US-Tanker nach Europa kommen: „Das ist ein gut funktionierender globaler Markt, da wird abgetauscht, deswegen haben wir trotz Suez-Blockade für Flüssiggas keine Engpässe.“ Vorige Woche lag der Gaspreis mit unter 26 Euro je Megawattstunde auf dem tiefsten Stand seit über sechs Monaten. Im Vergleich zu 2022 ist der Gasverbrauch 2023 in Österreich um fast 13 Prozent gesunken. Der Stromverbrauch ging um fünf Prozent zurück. Wesentlich dafür ist laut E-Control die Eigenerzeugung aus Photovoltaikanlagen. (wm)

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