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DIE FURCHE 22.02.2024

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DIE FURCHE · 8 22 Wissen 22. Februar 2024 PFAS ist ein Sammelbegriff für Tausende von Kohlenstoff- Fluor-Verbindungen, die nur extrem langsam abbaubar sind. Am bekanntesten ist ihre Verwendung zur Beschichtung von Teflon-Pfannen. Von Tobias Müller Die Lage ist ernst: „Die schlechte Nachricht dieser ganzen Veranstaltung ist: Wir haben ein PFAS-Problem“, sagt der Mann vom Gesundheitsdienst. Die Menschen, die vor ihm auf den Stühlen sitzen, schauen etwas betreten drein. Weil sie sich Sorgen machen, sind sie an diesem Abend kurz vor Weihnachten ins Rathaus des Städtchens Papendrecht südöstlich von Rotterdam gekommen. Behörden, Bodenexperten und Trinkwasser betriebe informieren im Erdgeschoß. Hier, ein Stockwerk darüber, leistet der Gesundheitsdienst mit einem Vortrag Aufklärung. Die Anwesenden hören, dass PFAS eine Sammelbezeichnung für Tausende von Chemikalien ist, nämlich Per- und Polyfluoralkyl-Substanzen. Diese Kohlenstoff-Fluor-Verbindungen zählen zu den stärksten der organischen Chemie und verbreiten sich, einmal freigesetzt, leicht weiter. Da sie, in der Natur oder im menschlichen Körper, nur äußerst langsam abbaubar sind, werden sie als „Ewigkeitschemikalien“ bezeichnet. Beispiele sind Perfluoroctan-Sulfonsäure (PFOS) und Perfluoroctan-Säure (PFOA), auch C8 genannt. Wachsendes Bewusstsein Wasser- und fettabweisend sowie hitzebeständig, tauchten PFAS ab den späten 1940er Jahren in vielen Produkten auf, die den Alltag praktischer machen: Backformen, Outdoorkleidung, Teppiche, Einwegverpackungen, Backpapier, Kosmetik, Zahnseide, Löschschaum und in manchen Wärmepumpen. Am bekanntesten ist ihre Verwendung als Beschichtung von Teflon-Pfannen. „Plastik, Plutonium und Ozonloch“ (3.5.2019): Umwelthistorikerin Verena Winiwarter über die Gefahr durch „Ewigkeitslasten“, auf furche.at. Im niederländischen Dordrecht hat ein Chemiekonzern die Umgebung mit PFAS- Stoffen schwer geschädigt. Anwohner ziehen vor Gericht und fordern ein Verbot. Über das Problem mit „Ewigkeitschemikalien“. Verseucht ohne Ende Teflon wird unter anderem in Dordrecht produziert, in der Fabrik des Unternehmens Chemours, wenige Kilometer von Papendrecht entfernt – auf der anderen Seite des Flusses Merwede. Als sie 1962 eröffnet wurde, hatte der amerikanische Mutterkonzern DuPont schon Hinweise auf die Schattenseiten des Stoffes. Ein Jahr zuvor hatten Laborversuche mit Ratten gezeigt, dass selbst kleine PFOA-Dosen deren Leber vergrößern. 1979 wurde ein Versuch mit 16 Affen nach 20 Tagen abgebrochen: Je größer die Mengen des bei der Teflon-Produktion verwendeten PFOA waren, denen sie ausgesetzt waren, desto schneller starben sie. Auch über mögliche Missbildungen an Föten war man informiert, wenn die Mütter zuvor mit PFOA in Kontakt gekommen waren. Wie in den USA wurden auch in Dordrecht hochgiftige Chemikalien in der Umgebung entsorgt – in diesem Fall in die Merwede. Über all das schwieg der Konzern. Ab den 1980ern wurden die PFAS-Blutwerte der Mitarbeiter gemessen, die teils extrem erhöht waren. Spätestens seitdem ein investigatives TV-Magazin in den Niederlanden letzten Sommer über „Die PFAS-Vertuschung“ berichtete, ist das Thema in aller Munde. Bei der Anhörung durch eine Parlamentskommission betonten zwei Vertreter der Chemours-Direktion, all dies gehöre der Vergangenheit an, die man nicht am Wissensstand der Gegenwart messen könne. Heute sei Chemours auf Nachhaltigkeit und Emissionsreduktion bedacht. Was freilich den Menschen in der Umgebung nicht hilft: Seit „ Anfang Februar traf sich die niederländische Aktionsgruppe zum 200. Mal vor dem Werkstor. Wie jedes Mal leerten die Mitglieder Kübel mit kontaminierter Erde davor aus. “ Jahren leben sie in der Nachbarschaft der Fabrik, in deren direkter Umgebung der Boden schwer verseucht ist. Studien legen einen Zusammenhang zwischen PFAS- Kontakt und Nieren- und Hodenkrebs nahe, außerdem erhöhtem Cholesterol, Schäden an Immunund Hormonsystem sowie Schilddrüsenkrankheiten. Gefahrenquellen, erklärt der Mann vom Gesundheitsdienst, seien „unser ganzes Nahrungs paket“: Trinkwasser, selbst angebautes Gemüse und Eier von Hühnern aus eigener Haltung oder in der Nähe der Fabrik gefangener Fisch. Dazu Schwimmen in verseuchtem Oberflächenwasser oder Kosmetikprodukte. „Ob man tatsächlich krank wird, hängt davon ab, wie viel man im Lauf des Lebens aufgenommen hat.“ Eine der Besucherinnen des Vortrags ist Meta Kamphuis (49), die in der Nähe der Fabrik aufwuchs. Vor etwa 30 Jahren verlor sie ihre Eltern an Krebs. Mit 45 bekam sie selbst die Krankheit – es war keine erbliche Vorbelastung. Sie überlebte, doch vor drei Jahren starb ihr Freund an Leberkrebs, „obwohl er nie getrunken hat“. Ein Jahr später erhielt ihre Schwester eine Krebsdiagnose. „Ich kann den Zusammenhang leider nicht beweisen, sonst stünde ich vor Gericht“, so Kamphuis. Industrievertreter berufen sich darauf, dass eine individuelle Erkrankung nicht eindeutig auf PFAS-Kontaminierung zurückgeführt werden könne. Um das zu ändern, drängen Kamphuis und ihre Mitstreiter von der Aktionsgruppe „Gezondheid vóór alles“ („Gesundheit zuerst“) nicht nur auf ein allgemeines PFAS-Verbot mit kurzen Übergangszeiten und Ausnahmen nur für dringende medizinische Anwendungen, sondern Bild: iStock/BlackJack3D auch auf eine breite Untersuchung der Bevölkerung. Eine Expertengruppe der „International Agency for Research on Cancer“ (IARC), die zur WHO gehört, stufte PFOA im November als „krebserregend für Menschen“ ein. Die EU hat nach PFOS (2006) auch PFOA (2020, mit Ausnahmen) verboten. Die Umweltbehörden Deutschlands, der Niederlande, Norwegens, Schwedens und Dänemarks reichten 2023 bei der Europäischen Chemikalien-Agentur (ECHA) einen PFAS-Verbots- Antrag ein. Im Umfeld der Dordrechter Aktionsgruppe, die seit 2016 gegen die chemische Verschmutzung protestiert, ist Kamphuis nicht die Einzige mit schweren Gesundheitsproblemen: Gründer Bram de Winter ist inzwischen an Krebs verstorben, sein Nachbar Kees van der Hel berichtet von der verminderten Fruchtbarkeit seines Sohns. Joop Keesmaat, einer der Aktivposten der Gruppe, verlor seine Frau ebenfalls an Krebs. „Gezondheid vóór alles“- Mitglieder haben ausgerechnet, dass die Krebssterblichkeit im Städtchen Sliedrecht, am gegenüberliegenden Flussufer in Windrichtung gelegen, deutlich erhöht ist. „Was daran liegen kann, dass PFAS das Immunsystem schädigen. Bestrahlungen oder Chemotherapie sind dann weniger wirksam“, sagt Kees van der Hel. Anfang Februar beging die Gruppe ein Jubiläum: Zum 200. Mal traf sie sich vor dem Werkstor, und wie jedes Mal leerten die Mitglieder Kübel mit verseuchter Erde und Flaschen mit kontaminiertem Trinkwasser davor aus. Mehrere Hundert Menschen waren gekommen – was nicht nur am Jubiläum lag, sondern auch daran, dass das Thema in Medien und öffentlichem Diskurs immer präsenter wird. Diskussion über Skiwachs Im Herbst befand ein Rotterdamer Zivilgericht per Zwischenurteil, Chemours sei für den Schaden haftbar, den die umliegenden Kommunen durch die PFAS-Verseuchung erlitten. An einer strafrechtlichen Sammelklage arbeitet die Amsterdamer Anwältin Bénédicte Ficq, die im Namen von 4000 Anwohnern Anzeige gegen den Konzern erstattet hat. Derweil häufen sich die Hiobsmeldungen: Im Dezember gab das Gesundheitsministerium bekannt, dass entlang der niederländischen Küste PFAS im Meeresschaum enthalten sind. Im Jänner ging aus einer Untersuchung des öffentlich-rechtlichen Senders NOS hervor, dass Eier aus Privathaltung auch weit außerhalb Dordrechts kontaminiert sind. Ein niederländisches Problem ist all dies nicht: Dass der Meeresschaum betroffen ist, war bereits von der belgischen Nordseeküste bekannt. In Österreich wiederum sorgt in diesem Winter fluorhaltiges Skiwachs für Diskussionen: Über die Unterseite der Bretter gelangen PFAS in den Boden.

DIE FURCHE · 8 22. Februar 2024 Wissen 23 Europas „Wärmepumpe“ im Atlantik könnte aufgrund des Klimawandels bald kollabieren: Eine neue Studie warnt vor „katastrophalen“ und „beängstigenden“ Folgen. Eine Einordnung. Drohender Kipppunkt Von Martin Tauss HUMAN SPIRITS Diktatorendämmerung Von Lukas Bayer Die Winter sind in Wien nun wie auf 2100 Meter Seehöhe: fünf bis acht Grad kälter als damals, ähnlich wie an der Messstation Galzig am Arlberg. Auch die Sommer sind etwas kühler, das Klima insgesamt kontinentaler. Die zunehmende Hitze des Klimawandels ist aber nur leicht gedämpft. Hitzewellen, Dürren und Starkregen beschäftigen uns weiterhin – und dazu die Frage: Wie verändert sich Europa in einem Klima, das innerhalb einiger Jahrzehnte um durchschnittlich fünf bis 15 Grad kälter geworden ist? Welche Verwerfungen drohen, jetzt wo sich Regen- und Trockenzeit im Amazonas-Regenwald umgekehrt haben, der Meeresspiegel deutlich ansteigt und die Anbauflächen von Weizen und Mais weltweit um die Hälfte zurückgegangen sind? Explodierende Heizkosten Vor diesem Katastrophenszenario warnt eine neue Studie rund um den Klimaphysiker René Van Westen, publiziert im Fachmagazin Science Advances. Dafür hat ein Forschungsteam des Instituts für Meeresund Atmosphärenforschung der Universität Utrecht den Kollaps der Atlantikzirkulation (AMOC) simuliert. Diese hat Europa bisher verlässlich mit Wärme versorgt, in den letzten beiden Jahrzehnten ist sie allerdings schwächer geworden. Bald könnte sie kollabieren. Die Ergebnisse bestätigen, dass die Atlantikzirkulation einen Kipppunkt hat – und versiegt, wenn dieser mit zu viel Süßwasser verdünnt wird. Die Folgen wären laut Einschätzung der Forscher „beängstigend“ bis „verheerend“. Besonders Nordeuropa würde sich daran kaum anpassen können; in Wien beispielsweise würden die Heizkosten explodieren. Einzelne Studien haben oft ihre Schwächen, deshalb sollte man nicht voreilig handeln. Es ist nun aber schon die vierte Studie, die auf einen nahenden AMOC-Kipppunkt hinweist. Zuvor hatten Standardklimamodelle immer wieder das Risiko unterschätzt. Die aktuelle Studie basiert auf Beobachtungsdaten, die tausende Jahre zurückreichen. Diese wurden im stärksten Rechenzentrum der Niederlande ein halbes Jahr lang simuliert. Dadurch konnte ein Frühwarnsignal für den Kipppunkt identifiziert werden: das Minimum des Süßwassertransports vom Nord- in den Südatlantik. Mithilfe dieses Frühwarn signals ist die Wissenschaft einen Schritt näher, die entscheidende Frage zu beantworten: Wann könnte die Zirkulation tatsächlich kippen? Eine letztjährige Studie hatte dafür einen Zeitraum von 2025 bis 2095 berechnet, mit einer statistischen Sicherheit von 95 Prozent. Sie war aufgrund ihrer vereinfachten Annahmen umstritten, doch in der aktuellen Studie wird dieser Zeitraum als „akkurat“ bezeichnet. Könnte die Atlantikzirkulation also bereits nächstes Jahr kippen? „ Ein selbstverstärkender Prozess ist typisch für die unumkehrbaren Kippelemente des Klimasystems. Sie können sich gegenseitig auslösen – wie ein Kartenhaus, das in sich zusammenstürzt. “ „Ich halte das für unwahrscheinlich, denn das Frühwarnsignal geht einem Kollaps in etwa 25 Jahre voraus“, sagt Marc Olefs, Abteilungsleiter für Klimafolgenforschung an der Geosphere Austria. Weitere Messdaten vom Südrand des Atlantiks seien nötig, um die Zeitspanne besser einzuordnen, so der Klimaforscher. Die Atlantikzirkulation, die eigentlich „Atlantische Meridionale Umwälzzirkulation“ heißt, fließt zwar einen Teil ihrer Reise mit dem Golfstrom, ist aber nicht dasselbe. Der Golfstrom kann gar nicht kippen, denn er wird von Winden angetrieben. Die Atlantikzirkulation hingegen wird von Dichteunterschieden angetrieben, die von Temperatur, Druck und Salzgehalt abhängig sind. Sie bringt viel mehr Wärme nach Europa als der Golfstrom, obwohl dieser mehr Wassermassen transportiert. Für das Klima ist also die Atlantikzirkulation ausschlaggebend. Wesentlich für den Kollaps der Atlantikzirkulation sei wiederum der menschengemachte Klimawandel, sagt Olefs. Aufgrund der Erderwärmung regne es mittlerweile häufiger und stärker. Zudem schmelzen die Gletscher auf Grönland schneller als angenommen und nähern sich ebenfalls einem Kipppunkt. Dadurch gelangt zusätzliches Süßwasser in den Nordatlantik. Wird der Amazonas zur Savanne? „Das Süßwasser verdünnt den Nordatlantik: Er wird weniger salzig, verlangsamt sich und transportiert weniger Süßwasser nach Süden. Dadurch verdünnt sich der Nordatlantik weiter und wird noch schwächer“, erklärt Olefs. Mittlerweile sei dieser so schwach wie seit mehr als tausend Jahren nicht mehr. Dieser selbstverstärkende Prozess ist typisch für die Kippelemente unseres Klimasystems. Sie sind zudem unumkehrbar und können sich gegenseitig auslösen – wie ein Kartenhaus, das in sich zusammenstürzt. Kippt die Atlantikzirkulation, könnte das etwa den Amazonas-Regenwald in eine savannenartige Landschaft verwandeln und so den menschengemachten Klimawandel zusätzlich befeuern. Erst vor einigen Tagen hat eine Studie im Fachmagazin Nature davor gewarnt, dass auch diese „grüne Lunge“ bereits in einigen Jahrzehnten kippen könnte. Die gute Nachricht: „Der Kipppunkt der Atlantikzirkulation lässt sich noch vermeiden“, betont Marc Olefs. Denn was wir selbst verursachen, können wir theoretisch selbst aufhalten. Dafür brauche es weltweit, auch in Österreich, konsequente Maßnahmen: „Ein Klimaschutzgesetz, ein schärferes Erneuerbaren-Wärme-Gesetz, eine höhere und weiterhin sozial verträgliche CO₂-Bepreisung, die Abschaffung von fossilen Subventionen und die Einführung von Tempo 100.“ Vor allem der Ausbau der erneuerbaren Energien sei wichtig, vor allem wenn man bedenke, wie abhängig Österreich in den letzten Wintern von russischem Gas gewesen sei – und wie viel mehr man hierzulande in einem bis zu acht Grad kälteren Klima heizen müsste, so der Klimaforscher. Bild: iStock / Peter Blottman Photography Atlantikzirkulation Diese Zirkulation (AMOC) versorgt Europa mit Wärme. In den letzten Jahrzehnten ist sie schwächer geworden; bald könnte sie versiegen. Österreich wäre mit eiskalten Wintern konfrontiert. Wie verhindert man Diktatoren, die Unheil in historischer Dimension anrichten können? Die das „Talent“ zum Kriegsverbrecher haben? Die ihre politischen Opponenten am liebsten wegsperren oder ermorden lassen? Die es sich zur Lebensaufgabe gemacht haben, andere Menschen zu manipulieren? Deren Fahndungslisten mit zunehmendem Alter immer länger werden? Die zu lange an der Macht sind, als dass sie noch zwischen sich und dem Staat unterscheiden könnten? „ Ein ergiebiges Thema: wie käufliche Eliten und nützliche Idioten den Aufstieg von Tyrannen begünstigen – und was man dagegen tun könnte. “ Erstens und vor allem durch den Schutz der Demokratie. Was aber könnte man noch tun? „Machtlust muss durch Gesetze und politische Maßnahmen eingedämmt werden. Aber es sollte auch in allen Einzelfällen Vorbeugung geben, auf den verschiedenen Ebenen von Instinkt und Gefühl, von Drüsen und Eingeweiden, von Muskeln und Blut.“ Wie soll das funktionieren? „Es ist gar nicht so schwer. Besonders wenn man früh genug anfängt. Mit vier bis fünf Jahren werden alle unsere Kinder hier gründlich getestet: Blut- und Psychologieproben, somatologische Einordnung. Dann röntgen wir ihnen die Handgelenke und machen ein EEG. All die niedlichen kleinen Peter-Pan-Knaben (Prototyp Hitler, Anm. d. Red.) werden unfehlbar herausgefunden, und es wird bei ihnen sofort mit der angemessenen Behandlung begonnen.“ Utopische Visionen Fazit: „Wir kurieren sie von ihrem Verbrechertum, bevor sich dieses entwickeln konnte.“ Aber wie verhindert man den Prototyp Stalin? Die politischen Einrichtungen machen es solchen Menschen „so gut wie unmöglich, in größerem Maßstab zu dominieren. Zweitens erziehen wir unsre Muskelmänner dazu, aufmerksam und empfänglich zu sein; wir zeigen ihnen, wie sie die Alltäglichkeiten des Lebens genießen können. (…) Und schließlich kanalisieren wir diese Lust zum Dominieren und leiten sie weg von Menschen und um auf Dinge. Wir stellen sie vor alle möglichen schwierigen Aufgaben, die anstrengend sind und Kraft erfordern, also ein Training für ihre Muskeln sind und ihre Herrschsucht befriedigen – aber nicht auf Kosten andrer, sondern auf eine harmlose oder geradezu nützliche Weise.‘ ‚So dass all diese Prachtkerle Bäume fällen statt Leute, wollen Sie das sagen?‘ ‚Genau das!‘“ Die von Aldous Huxley ausgedachten Lösungen bleiben – leider – auch heute noch zutiefst utopisch. Der visionäre britische Schriftsteller entwarf in seinem letzten Roman „Eiland“ (1962) eine geläuterte Gesellschaft und versuchte, die Lektionen aus der barbarischen europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts zu ziehen. Vielleicht werden künftige Autoren dies mit Blick auf das 21. Jahrhundert tun. Und vielleicht werden sie ein Themenfeld beleuchten, das bei Huxley noch ausgespart blieb: wie käufliche Eliten und nützliche Idioten den Aufstieg von Tyrannen begünstigen – und was man dagegen tun könnte.

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