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DIE FURCHE 21.12.2023

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DIE FURCHE · 51/5236

DIE FURCHE · 51/5236 Kultur21. Dezember 2023Los geht’s!Frauen verhalfdas Rad zu einemExtraschub Freiheit.Rosa Mayrederzufolge truges mehr zur Emanzipationder Frauenaus den höherenGesellschaftsschichtenbei alsalle Bestrebungender Frauenbewegungzusammen.Von Christian JostmannWer in ÖsterreichsStädten unterwegsist, kannnicht übersehen:Das Fahrrad istwieder da. Dabei war es nie weg,nur zeitweilig so an den Rand gedrängt,dass es im öffentlichenRaum kaum noch eine wahrnehmbareRolle spielte. Aber mittlerweiledient es immer mehrMenschen nicht nur als Mittelzur Fortbewegung, sondern auchzum Transport eines Lebensgefühls,in dem Freiheit, Selbstbewusstseinund gelebte Ethik zusammenfließen.Zudem machtein gängiges Fahrrad zwar denKörper schlank, nicht aber denGeldbeutel. Kein Wunder also,dass das sympathische Vehikelauch hierzulande auf eine mehrals 150-jährige Erfolgsgeschichtezurückblicken und neuerdingsseine Rückkehr feiern kann.Die Insel und das „Safety Bicycle“Geschichte und Comeback desFahrrads in Österreich findetman aufs Schönste illustriert ineinem neuen Band der EditionWinkler-Hermaden, eines kleinenVerlags, der seit 15 Jahren mitgroßem Erfolg österreichische Regional-und Alltagsgeschichte insBild setzt. Das Bildmaterial, dasdie Autoren Matthias Marschik,Edgar Schütz und Wolfgang Wehapversammelt haben, ist so anschaulichwie facettenreich undZu diesemThema lesenSie auch dasDossier „Mehrals Lifestyle“vom 31.8.2022unter furche.at.Es ist ein Allround-Vehikel der vielen Möglichkeiten: das Fahrrad.Seit mehr als 150 Jahren steht es für Mobilität und Unabhängigkeit undist Triebfeder wie Ausdruck gesellschaftlicher Veränderungen.Freiheit aufzwei Rädernerinnert nicht zuletzt an den großenBeitrag, den das Fahrrad vorallem in der ersten Hälfte des20. Jahrhunderts zur Mobilisierungder Menschen geleistet hat.Ob Mann oder Frau, Arbeiter oderAristokrat, Kind oder Greis – abetwa 1900 konnte sich, wer wollte,aufs Rad schwingen und so seinenBewegungsradius gleich umein Vielfaches erweitern.Es brauchte nur ein bisschenSchwung und Gleichgewicht ‒ undnatürlich zuvor die Erfindung einesin jeder Hinsicht erschwinglichenRadtyps: des „Sicherheitsniederrades“oder englisch „Safety„ Ob Mann oder Frau, Arbeiteroder Aristokrat, Kind oder Greis –ab etwa 1900 konnte sich, werwollte, aufs Rad schwingen. “Foto: Topothek KreuzstettenBicycle“ genannt, denn auf der Inselwurde der bis heute maßgeblicheTypus mit zwei gleich großenRädern, Diamantrahmen undKettenantrieb in den 1870er Jahrenentwickelt. In Österreich wurdedieser Radtyp in Werkstättenwie Janisch im oststeirischen Ilzoder – in größerem Stil – von Firmenwie den Grazer Puch-Werkenund der Österreichischen Waffenfabriks-Gesellschaftin Steyr, deren1896 registriertes Modell„Waffenrad“ heute Ikonenstatushat, bald nachgebaut.So wurde das Fahrrad für vieleMenschen zum „Vehikel derFreiheit“ oder in den Worten derSchriftstellerin Rosa Mayreder:„Das Bicycle hat zur Emanzipationder Frauen aus den höheren Gesellschaftsschichtenmehr beigetragenals alle Bestrebungen derFrauenbewegung zusammengenommen.“Auch Kaiserin Sisi solleine begeisterte Radlerin gewesensein, doch von ihr ist, wie dieAutoren bedauernd anmerken,kein Foto im Sattel eines Vélocipèdeüberliefert. Dafür von anderenradbegeisterten Prominenten wieTheodor Herzl, Arthur Schnitzlerund von seinerzeit legendärenGrößen des Radrennsports, namentlichMax Bulla, Richard Menapaceund Ferry Dusika. Letztertrat auch in SA-Uniform in diePedale, denn bei den Nazis musstenauch die Fahrräder rollen, obbeim Sammeln fürs Winterhilfswerkoder an der Front. Dem „Arbeiter-Radfahrer-Bund“,dem Vorgängerdes ARBÖ, hatte hingegenschon der „Ständestaat“ 1934 dieLuft ausgelassen, der übrigensauch die Kennzeichen- und Abgabepflichtfür Fahrräder (wieder)einführte.Dass ein die individuelle Freiheitbeförderndes Instrument wiedas Fahrrad den Autoritäten undautoritär Gesinnten ein Dorn imAuge war und weiterhin ist, verwundertnicht, und so gehörenzur Geschichte des Fahrrads seitjeher Regulierungsmaßnahmenund Verbote, aber auch der Kampfdagegen, etwa von den Wiener„Bicyclisten“, die 1884 die Aufhebungdes Radfahrverbots in derStadt forderten, bis zur 1979 gegründetenArbeitsgemeinschaftumweltfreundlicher Stadtverkehr(ARGUS), heute Teil der RadlobbyÖsterreichs.Mehr als ein LebensgefühlSeit Statthalter Erich Graf Kielmannsegg1897 den Radverkehrauf Straßen freigab, muss sichdas Fahrrad in der Konkurrenzum den öffentlichen Raum bewähren.Der seit den 1950er Jahrenmassiv gestiegene Platzanspruchdes Automobils drohte dasungleich bescheidener auftretendeRad gänzlich zu verdrängen,etwa als Klapprad in den Kofferraumoder auf Kinderspielplätze.Aber ein Bewusstseinswandel,nicht zuletzt angestoßen durchÖl-, Umwelt- und Klimakrise, hatihm seit den 1970er Jahren einezunächst langsam anrollende,dann immer schwungvollere Renaissanceverschafft. Es sieht soaus, als würde sich das Fahrrad,wie bei der Geschichte vom Hasenund dem Igel, am Ende als resilientererweisen, als seine Verächterdachten. Und das nicht nur inder Stadt, sondern auch auf demLand, wo es – auch das zeigt derBand in vielen eindrucksvollenBildern – schon immer seine Heimathatte, von Hanfthal bis Radkersburg,von Großkrut nachHochburg am Inn und bis in denPinzgau.Österreich fährt Rad150 Jahre Fahrradgeschichtein BildernVon Matthias Marschik,Edgar Schütz und Wolfgang WehapEdition Winkler-Hermaden 2023192 S., geb., € 39,90

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