DIE FURCHE · 51/5226 Musik & Literatur21. Dezember 2023Puccinis „Turandot“ an der Staatsoper, eine Gedenkrevue an der Volksoper,musikalisches Kindertheater im MuseumsQuartier. Ziemlich durchwachsen.Über Liebe, Gräuelund TräumenDa werden Kinderträume wahr: „Wo die wilden Kerle wohnen“ mit Jasmin Delfs (Max), Matthias Hoffmann (Hahnkerl) und Ensemble im MuseumsQuartier.Von Walter DobnerWas hat es mit Puccinis letzterOper „Turandot“ wirklich aufsich? Ist der Schauplatz Pekinggar ein Klischee, das vom Eigentlichenablenkt? Macht esschon deshalb Sinn, das Werk nicht – wie im unvollendetenOriginal – mit dem Selbstmord Liùsund einer Trauermusik enden zu lassen, sondernmit dem von Alfano erdachten Finale, umwenigstens etwas von der Zukunft Turandotsmit Calàf erahnen zu können?Der für zahlreiche unkonventionelle Lösungenbekannte Regisseur Claus Guth hat sich ‒man kann es im Programmheft ausführlichnachlesen ‒ vielfach Gedanken über dieses Sujetgemacht, sich intensiv mit Puccinis Opern œuvrewie mit den einzelnen „Turandot“-Versionenauseinandergesetzt. Und tatsächlich, wenn amEnde Turandot und Calàf gemeinsam die Bühneverlassen, erwächst das Gefühl eines HappyEnds, erfährt man etwas von der sich schließlichdurchsetzenden ewigen Kraft der Liebe. Das erklärtauch, warum Guth diesen Puccini so explizitals „Parabel über die Liebe“ apostrophiert.Selbst in einer Diktatur? Diese Frage stelltsich. Zahlreiche der ausgewaschen wirkenden,schmucklosen Kostüme (Ursula Kudrna) erinnernan die alte DDR. Das ebenso öde Atmosphäreverstrahlende Bühnenbild (Etienne Pluss)lässt Reflexionen zum heutigen Nordkorea aufkommen.Symbole dafür, dass Liebe alle Grenzenüberwinden kann? Das hätte sich andersbebildern lassen. Dafür hätte man nicht denszenischen Holzhammer auspacken müssen,um damit vorweg allen sonst bei diesem Puccinimeist gepflegten China-Bildern aus dem Wegezu gehen. Opernpublikum ist auch denkendesPublikum.Will man, wie Guth,„Turandot“ als Kammerspielfür drei Personen‒ Turandot, Calàf undLiù ‒ zeigen, muss mander aufopfernden RolleLiùs allerdings mehrBedeutung geben undBeachtung einräumen,als es in dieser Inszenierungder Fall ist. Sie„ Asmik Grigorians Turandotfesselte durch gestalterischeIntensität, stimmliche Kraftund überlegte Ausdrucksvielfalt.“konzentriert sich vornehmlich auf die komplexeInteraktion zwischen der ‒ wenigstens nachGuths Überzeugung ‒ in ihrer Jugend missbrauchten,daher allem Männlichen gegenüberskeptisch-ablehnend gegenüberstehenden, eiskaltenTurandot und ihrem sie manisch begehrendenLiebhaber Calàf. Mit zwei gleich starkenSängerpersönlichkeiten könnte dies durchausspannend sein.Aber damit kann diese neue Staatsopern-„Turandot“ nur bedingt aufwarten. Denn JonasKaufmann als Calàf fehlte es bei der Premiereletztlich an Strahlkraft, aber auch an schauspielerischerBeweglichkeit, entsprechend hieltsich der Jubel über seine Darstellung in Grenzen.Dafür fesselte Asmik Grigorians Turandotdurch gestalterische Intensität, stimmlicheKraft und überlegte Ausdrucksvielfalt. Siemachte damit auch die gespaltene Persönlichkeitihrer Figur beklemmend deutlich. KristinaMkhitaryan gab eine perfekte, sensible Liù.Die Idee, den bestenseinstudierten Chorzuerst vor der Bühnezu platzieren, späteraus dem Off singenzu lassen, ging nichteinmal akustisch auf.Und die drei Minister– gleich den übrigenPartien nur solidebesetzt? Sind sie bloßwillfährige, gar komödiantische Apparatschiks,die sich längst nach einem ruhigen Privatlebensehnen? So plump agierten sie jedenfalls indieser Szenerie.Hervorragend das Staatsopernorchester. Derwegen Krankheit ausgefallene Franz Welser-Möst hätte ihm wohl mehr Valeurs und eine differenziertereDynamik entlockt als der für ihneinspringende Marco Armiliato, ein höchst verlässlicherRepertoire-, aber eben kein Premierendirigent.Auch er wurde gefeiert, im Gegensatzzum heftigen Buh-Orkan, mit dem dasRegieteam bei der Premiere bedacht wurde.Foto: -Werner KmetitschDa wäre mehr drin gewesenDie Frage, wie man Jubiläen begehen könnte,lässt sich unterschiedlich beantworten. Nichtimmer gelingt es, die hochgesteckten Ambitionenzu erfüllen. Das zeigte zuletzt die zum125-jährigen Bestehen der Wiener Volksopererdachte, ehrgeizige Produktion „Lass uns dieWelt vergessen – Volksoper 1938“. Melodienaus der letzten vor dem Anschluss hier realisiertenPremiere, „Gruß und Kuss aus der Wachau“,sollten den Rahmen bilden, um die folgenden,schrecklichen „braunen“ Jahre diesesHauses mit den zahlreichen Entlassungen jüdischerMitglieder und deren weiteres, oft in KZstödlich endendes Schicksal zu thematisieren.In Buchform, wie es Marie-Theres Arnbom mitihrem jüngst aktualisierten Buch „Ihre Dienstewerden nicht mehr benötigt“ vorzeigt, lässt sichdas offensichtlich besser, vor allem eindringlichervermitteln als mit einer Revue.Es sei denn, es gibt dafür ein niveauvolleres,nicht so auf billige Unterhaltung konzentriertesBuch, wie es der hier auch Regie führendeTheu Boermans verfasst hat. Damit wirdGeschichte weniger illustriert als verharmlost.Auch die Idee, Operettenkitsch mit zeitlich wiethematisch unpassendem Mahler oder Schönbergzusammenführen, wie es die interpretatorischweniger überzeugende als bemühte DirigentinKeren Kagarlitsky am Pult des wenigbrillant aufspielenden Orchesters demonstrierte,erwies sich als Hemmschuh für das berührende,packende Mahnmal, das man mit dieserUraufführung angestrebt hatte. Im Übrigen:Die Ensembles der Volksoper Wien haben ungleichmehr drauf, als sie diesmal zeigten.Zu sehr auf Puppencharme verlassenKönig über Erwachsene zu sein? WelchesKind träumt nicht davon, vor allem wenn esparieren muss? Da nützt als Ausflucht nurdie eigene Traumwelt, müssen die Erwachsenenals wilde Kerle herhalten. Eine Parabelüber das Erwachsenwerden: Davon handeltOliver Knussens in neun kurzen Szenen ausgebreiteteFantasy-Oper „Where the Wild ThingsAre“ („Wo die wilden Kerle wohnen“) nachMaurice Sendak. Ein Stück für Jung und Alt? Wenigstensfür die Jungen müsste man das Geschehendeutlicher nachzeichnen, wie es RegisseurNikolaus Habjan in der stimmigen, Kinderträumewach werden lassenden Bühnenarchitekturvon Jakob Brossmann im MuseumsQuartier versucht.Er setzt aber zu sehr auf den Charme virtuosgeführter Puppen, die bald zum eigentlichenEreignis dieser Szenerie werden, das Wesentlichedes Stücks jedoch in den Hintergrund drängen.Mehr plakativ als sensibel führte StephanZilias die Wiener Symphoniker durch die Partitur.Exzellent Jasmin Delfs als Max.TurandotWiener Staatsoper, 22.12. und 1., 4., 7., 10.6.24Lass uns die Welt vergessen ‒ Volksoper 1938Volksoper, 21., 27.12. und 5., 8., 10., 14., 17., 21.1.24Wo die wilden Kerle wohnenMusikTheater im MQ, 27.12.WIEDERGELESENWenn das Morbide die Oberhand gewinntVon Anton ThuswaldnerAls 1913 der Novellenband „DerDieb“ bei Rowohlt herauskam,war sein Verfasser schon tot. Geradeeinmal ein Gedichtband erschienzu Lebzeiten von Georg Heym,der sich damit als eine der herausragendenStimmen des Expressionismusbemerkbar gemacht hatte und als einbesonderer Finsterling obendrein. Erwahrte die klassische Form, hielt sichan Sonett und Reim, im Inneren aberbrodelte es, als ob seine Lyrik einenVorschein des Kommenden abgebenwollte. Selbst bekam er, der von einergewaltigen Sinnkrise erfasst war, dieAnschauung der exzessiven Gewaltnicht mehr mit, kam er doch ums Leben,als er einem Freund helfen wollte,der beim Schlittschuhlaufen auf derHavel eingebrochen war.In seiner Prosa in „Die Sektion“ ereignetsich nichts Erfreuliches. Heymspart nicht mit Adjektiven, die dem Publikumjeden Augenblick klar vor Augenführen, dass die Welt ein unwirtlicherOrt ist ‒ bevölkert von der unfreundlichenSpezies Mensch. In der Erzählung„Jonathan“ verbringt ein junger Mannseine Tage im Spital, beide Beine geschient,sie werden ihm am Ende abgenommenwerden. Es genügt der Blickauf die erste Seite, um depressionsanfälligzu werden. Jonathan befindet sichin einer „entsetzlichen Einsamkeit“,sein Bett scheint „auf einem höllischenStrome herunterzuschwimmen“, undwas zeichnet diesen Strom aus? „EwigeKälte“ und „ewige Starre“.Diese Prosa läuft ständig auf Hochtouren,sie forciert den Schrecken, kultiviertdas Grauen. Heym trägt nicht dick auf,sondern knüppeldick, deshalb genügt esnicht, eine armselige Figur „durch Dunkel“laufen zu lassen, es muss „schrecklichesDunkel“ sein. So ist das mit demExpressionismus, der alles daransetzt,den Menschen als Fehlkalkulation desUniversums auszuweisen. Das Personalin der Klinik ist „mürrisch, langsam, verdrossen“,kein freundliches Wort ist zu erwarten.Und wenn vom Nebenzimmer auseine Patientin unverhofft Trost zuspricht,wird der Kontakt unterbunden. EtwasAussichtsloses ist um die Figuren, derenganzes Streben unter dem Zeichen derVergeblichkeit steht. Sie sind gezeichnetvom Fieber, geschlagen von Hunger, dasLeiden wird ihnen zur eigentlichen Natur.Heym verstärkte damit die Stimmungder Zeit, die wenige Jahre vor dem ErstenWeltkrieg ohnehin von politischenSturmwarnungen verdüstert war. Erschwor sein Publikum auf das Morbideein und verfuhr dabei mit grandioserStilsicherheit. All das Katastrophalewirkt ja deshalb so überzeugend, weilsich Heym als Wortkünstler in Szenesetzt, womit sein Blick auf die Welt mitenormer Schlagkraft durchgesetzt wird.Überzeugung geschieht durch Sprachmacht.An den acht Erzählungen, diehier zusammengefasst sind, lässt sichdas leicht überprüfen.Die SektionErzählende Prosa von Georg HeymHg. von Andreas NohlSteidl Nocturnes 2023, 128 S., geb., € 18,50
DIE FURCHE · 51/5221. Dezember 2023Theater27Im Akademietheater ist „Hildensaga. Ein Königinnendrama“eine feministische Zuspitzung des blutigenNibelungenstoffs von Ferdinand Schmalz.Wie ausFäden StrickewerdenFoto: Matthias HornDer nahende Todist in dieser Inszenierungmit schwarzenLinien in dieweiß bemalten Gesichtergeschrieben.Im Bild: Nicholas Ofczarekals Danton.In Georg Büchners Revolutionsstück „Dantons Tod“ glänzen amBurgtheater in der Regie von Johan Simons Nicholas Ofczarekals Danton und Michael Maertens als Robespierre.Kriemhild (2. v. li.) und die drei Nornen: Nina Siewert, Katharina Lorenz, Zeynep Buyraç, Elisa Plüss.Von Patric BlaserWir leben in Zeiten, die uns einebeträchtliche Ambiguitätstoleranzabverlangen.Wenn das immer so leichtauszuhalten wäre wie andiesem Abend im Akademietheater, wäredas aber auch kein Problem.Das von den Nibelungenfestspielen in Auftraggegebene und im Juli dortselbst uraufgeführteDrama grundiert ein düsteres Themaund vermag hier trotzdem zu beglücken.Das liegt nicht nur an dem fein komponierten,wunderbar geschriebenen, manchmal verspieltenund klugen Text des österreichischenWunderdramatikers Ferdinand Schmalz.Das Leading-Team umRegisseur Jan Bosse undBühnenbildner StéphaneLaimé sowie das Ensembletragen dazu bei,dass der im besten Sinnetheatrale Abend zu einemfast etwas altmodischenwird.TheatererlebnisDie beiden HildenWenn da das Themanicht wäre. Schmalz nämlich fokussiert denNibelungenstoff auf die beiden Hilden Brünhild(Julia Windischbauer bei ihrem Burg-Debüt) und Kriemhild (Katharina Lorenz)und zeigt, was passiert, wenn diese sich überdas erfahrene Leid austauschen und sich verschwistern,anstatt sich zu zerstreiten. Dieserganz gegenwärtige Ruf nach Frauensolidaritätbringt es mit sich, dass das Patriarchatüberkommen, die Männer dümmlich und dieHelden durchwegs lächerlich wirken, was dermännliche Teil des Ensembles an der Schaustellungund gleichzeitigen Dekonstruktionvon maskulinen Ritualen mit großer Lustzu performen weiß. Die Kostüme, in die KathrinPlath das männliche Personal steckt,erinnern stark an Strumpfhosenfilme à laRobin Hood und fügen der beabsichtigtenLächerlichkeit ein Übri ges hinzu.„Ich will zu dir ins Herz hinein“, nuscheltSiegfried, der im tiefen Schnee nach Islandgekommen ist, Brünhild zu freien. Dabeigleicht Nils Strunk in seinem „Katastrophenanzug“recht wenig dem Bild, das mansich von einem Drachentöter gemeinhin somacht. Sie im feinen Pelz hingegen steht„ Bei Schmalzmacht Frau eben,was sie will. Denngenau darumgeht es in seinersäkularen Weiterbzw.Umschreibung. “oben auf dem Eisblock, steif und schmilztkein Deut dahin. „Da wär’s euch zu eng.“Trotzdem hievt sie ihn zu sich nach oben.Auch in der Entkleidungsszene, als komischeLuftnummer inszeniert, macht er keineHeldenfigur. Doch scheint es, nimmt vonda an das Schicksal seinen Lauf. Schmalzfügt dem Stoff drei Nornen hinzu, eine ArtSchicksalsgöttinnen, die das Geschehen ausVergangenheit und Gegenwart kommentierensowie die Zukunft ‒ und damit die Handlung‒ weissagend vorantreiben. Sie raten,die Küsse des Drachentöters abzuwehren, jaihn wie einen Erzfeind zu behandeln. Aberbei Schmalz macht Frau eben, was sie will.Denn genau darum geht es in seiner säkularenWeiter- bzw. Umschreibung: dem vermeintlichenSchicksal dieFäden aus der Hand zu nehmen.Und so sind es ausschließlichdie Frauen, dieer mit Handlungsmachtausstattet. Da kann BrünhildsVater Wotan (OliverNägele) lange lamentieren,er, der (Gott-)Vater sei es,der hier alles zusammenhalte,er sei „die Ordnungwie ihr Gegenteil“. So wirdBrünhild in der vermeintlichenHochzeitsnacht nicht genagelt, sondernes ist der dümmliche König Gunther(Dietmar König), der buchstäblich an dieWand genagelt wird, was dem SprachkünstlerSchmalz so manchen Kalauer entlockt.Bei allem Witz ist die Inszenierung von einem(stets heiteren) Ernst grundiert, wobeisich Jan Bosse in der Darstellung der Gewalteine auffällige, wohltuende Zurückhaltungauferlegt. Statt drastische Vergewaltigungoder das Gemetzel, das sich durch den Rachefeldzugder Frauen entfacht, zeigt er stellvertretendeingängige Bilder: So senkt sichin der Jagdszene im Wormser Wald, an derenEnde Siegfried von Hagen ermordet wird,langsam ein Netz mit orangefarbenen Lamellenüber die Bühne hernieder. Währendsich die Männer in der Nibelungentreue verheddern,wirken die Lamellen wie Blut, dasüber das Bild rinnt.Man kann es so sagen, um im Bild zu bleiben:Die Fäden dieser sehenswerten Inszenierungsind fein gesponnen.Hildensaga. Ein KöniginnendramaAkademietheater, 25., 30.12. und 3., 7., 23.1.24Foto: Marcella Ruiz CruzZärtlichePolitgroteskeVon Christine EhardtEine Manege voller Clowns fährt JohanSimons für seine Inszenierung von GeorgBüchners Revolutionsstück „DantonsTod“ am Wiener Burgtheater auf. Diebunte Truppe aus Narren ist hochkarätigbesetzt. Gleich zwei ehemalige Jedermännerzeigen in diesem so sinnlichen wie komplexenSpiel um Macht und Moral ihr schauspielerischesGeschick. Michael Maertensals tugendhafter Despot Robespierre, der fürseine Ideale über Leichen geht, und NicholasOfczarek als sein lasterhafter KontrahentGeorge Danton, an dessen Händen ebenfallsdas Blut Unschuldiger klebt.Der Politiker, Schriftsteller und MedizinerBüchner hatte mit Dantons Tod 1835 einvon der zeitgenössischen Kritik teils hochgelobtes,teils abgrundtief verhasstes Politdramageschaffen. Doch nicht nur seine politischeBrisanz, sondernauch die radikale Ästhetikund „ungenirte“ Sprachewerden seit damals heftigdiskutiert. Büchners Weggefährteund Förderer CarlGutzkow sprach von einer„Autopsie“, welche die Mechanismender FranzösischenRevolution in einerMischung aus Historie undHistoriografie schonungslosseziert.Der an Handlung arme,an gesellschaftskritischen Gedanken und dokumentarischenVersatzstücken reiche Textwird bei Simons auf wenige Dialoge reduziert.Auf der halbrunden und mit Holz vertäfeltenBühne treten einander Robespierreund Danton mit ihren Gefolgsleuten ‒ verkleidetals Tramps, Buffos, Jokers und allerlei anderelustige Gestalten (ihre famosen Kostümestammen von Greta Goiris) ‒ gegenüber,derweil ihre tänzelnden Silhouetten auf derweißen Wand darüber ein spiegelverkehrtesSchattenspiel vollführen.„Wir alle sind Narren!“, rufen sie und galoppierendabei wie Pferde über die leere Bühne,während Ole Lagerpusch aus dem Souffleurkastenspringt und als doppelzüngige Stimmedes Volkes immer wieder die Seiten wechselt.Der nahende Tod ist allen mit schwarzen Linienin die weiß bemalten Gesichter geschrieben.Ihre variationsreiche Körpersprache undihre verspielten Interaktionen erinnern dabeian hybride Elemente der Commedia dellʼarteund des Comicstrips. Den Joker gibt Jan Bülowals skrupelloser St. Just, der mit gezielterDesinformation und populistischen SprüchenVolk und Konvent zu täuschen versteht.Heiner Müller meets Büchner„ Eine inspirierendeInszenierungvoller Zärtlichkeitund Absurdität,die Schauspielernund Zuschauerngroße Konzentrationabverlangt. “Der Höhepunkt des Abends ist aber einemanderen Werk entliehen: Lagerpusch erzähltmit grandioser Gestik und Mimik die Heiner-Müller-Parabel„Nachtstück“ aus dessenDrama „Germania Tod in Berlin“ zu Vergangenheitund Gegenwart der DDR (das mitBüchners Stück nicht nur die um Jahre verspäteteUraufführung teilt), in deren Verlaufein „Mensch, der vielleicht eine Puppe ist“,sich selbst zerstückelt, um endlich auf seinFahrrad zu kommen.Nicht nur inhaltlich, sondernauch formal sindMüller und Büchner beiSimons eng verknüpft.Collagenhaft fügt er dieSzenen aneinander undstellt politische und privateZiele gegenüber.Denn während dieMänner schwadronieren,müssen die Frauen(Annamária Láng, Marie-Luise Stockinger undAndrea Wenzl) das Elend ihrer politischenSchachzüge ausbaden. Sie sind es auch, dieAnfang und Ende der Aufführung bestreiten:„Alles regt sich“, heißt es von Stockingernoch zu Beginn, „jetzt ist alles still“, merktLáng als Dantons Frau nach der Ermordungihres Mannes in der letzten Szeneresignierend an.Eine inspirierende Inszenierung vollerZärtlichkeit und Absurdität, die Schauspielernund Zuschauern große Konzentration abverlangt.Der verhaltene Premieren applauslässt vermuten, dass sich publikumsseitigdie Bereitschaft dazu in Grenzen halten wird.Dantons TodBurgtheater, 25., 29.12. und 3., 18.1.24
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