Aufrufe
vor 9 Monaten

DIE FURCHE 21.12.2023

  • Text
  • Frauen
  • Wien
  • Foto
  • Israel
  • Weihnachten
  • Dezember
  • Welt
  • Zeit
  • Furche
  • Menschen

DIE FURCHE · 51/5216

DIE FURCHE · 51/5216 Gesellschaft21. Dezember 2023Das erste Weihnachtsfest nach dem Tod eines geliebtenMenschen ist eine emotionale Herausforderung. Dann scheintder Verlust umso schmerzlicher. Trotz Trauer kann das Festdazu dienen, die Erinnerung an den Verstorbenen zu ehren.Wie eine Familie aus dem Waldviertel wieder Hoffnung fand.Der Platzbleibt leer„ Seit einigen Jahren hat auchunser Tannenbaum eine Lücke,der Zweig wird am Heiligen Abendmorgens auf das Grab gelegt.“Foto: iStock/ ReimphotoVon Andrea BurchhartEs ist Mittag am 23. Dezember2003. Zwei Mädchen schauen ausdem Fenster und warten. Endlichbiegt das rote Auto um dieEcke. Die beiden stürmen aus derHaustür, um ihre Tante zu begrüßen, dieaus Wien in ihre alte Heimat ins Waldviertelgekommen ist. Strahlend laufen sie ihrentgegen, doch plötzlich bricht die 46-Jährigevor den Augen ihrer Nichten zusammen.Schock. Panik. Rettung. Blaulicht. Wenigspäter ist klar: Michaela ist tot. Ein Aneurysmain ihrem Gehirn ist geplatzt.„Was dann passierte, kann ich nicht mehrgenau sagen. Unsere Mama hat Medikamentebekommen, mein Mann ist mit denKindern zu seinen Eltern gefahren. Ich habeirgendwie funktioniert, es waren Leutevom Kriseninterventionsteam da, späterkamen auch der Pfarrer und Nachbarn“, erinnertsich Michaelas Schwester Margit anden schicksalhaften Tag vor 20 Jahren. Dievorbereiteten Weihnachtsgeschenke bliebenwochenlang eingepackt im Versteck.Der Vater sprach kaum noch.„Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht anmeine große Schwester denke“, sagt Margit.Die Trauer kommt in Wellen, in denWochen vor dem Todestag wird sie immerpräsenter. In den ersten Jahren stärkerals heute, aber die Adventszeit bleibefür sie eigentlich die stillste Zeit des Jahres.Nein, die Zeit heilt die Wunden nicht, abersie lehrt, mit ihnen zu leben. Weihnachten,das war immer das Fest der großen Familie.„Michaela war der bunte Vogel. Sie kam„Eine soziale Geldanlage, dieJobs schafft, vor allem für Frauen in denLändern des Globalen Südens,ist mir sympathisch.Oikocredit bietet Hilfe zurSelbsthilfe und das finde ich fair.”Dr. Sabine HaagGeneraldirektorinKHM-MuseumsverbandGeld, dasdem Leben dientwww.oikocredit.at01 / 505 48 55Hinweis: Werbeanzeige von Oikocredit, EDCS U.A.,Verkaufsprospekt samt allfälligen Nachträgen abrufbar unter www.oikocredit.at

DIE FURCHE · 51/5221. Dezember 2023Gesellschaft17nicht oft zu Besuch, aber zu Weihnachtenwar sie immer da. Meistens kam sie allein,manchmal brachte sie einen ihrer unkonventionellenFreunde mit, mittellose Lebenskünstler,was zu leidenschaftlichenDiskussionen mit unseren konservativenEltern führte. Es war nie langweilig. Siewar so leidenschaftlich, machte immergroßzügige Geschenke, versprühte guteLaune und Lebensfreude. Sie fehlt so sehr!“Im Jahr nach Michaelas Tod verbringtMargit Weihnachten mit ihren Töchternund ihrem Mann im Ausland. Eine Freundin,die Ähnliches erlebt hatte, riet ihr damalsdazu. „Ich hätte es nicht ertragen,wie gewohnt Weihnachten zu feiern, ohneMichaela den Baum zu schmücken oderalleine den Karpfen mit Erdäpfelsalat zuzubereiten.Ohne sie in der Christmette‚Stille Nacht‘ falsch zu singen.“ StattWaldviertler Nässe gab es also balearischeMeeresbrise. Eine besonders schwierigeSituation für die verwaisten Eltern.„Sie wollten nicht mitkommen und mit ihrerTrauer lieber in ihrer gewohnten Umgebungbleiben. Ich habe mich vor allemwegen meiner Kinder anders entschieden,auch wenn ich meine Eltern damit vor denKopf gestoßen habe. Wahrscheinlich habensie mir das bis zu ihrem eigenen Todnie wirklich verziehen.“Raum für Verstorbene und die TrauerDas erste Weihnachten nach einemTrauer fall anders zu gestalten, rät auchKrisenexpertin Monika Gundinger ihrenKlienten: „Das erste Jahr der Trauer istdas schlimmste. An Tagen wie Weihnachtenoder am Geburtstag wird besondersschmerzlich bewusst, dass jemand fehlt.“Wenn alles aus den Fugen gerät und Menschennicht mehr weiterwissen, ist die Psycho-Onkologinund psychologische Beraterineine stabile Begleiterin. Sie weiß,wovon sie spricht, denn nach dem Tod ihresSohnes musste sie sich selbst die unbeantwortbareFrage stellen: Wie überstehen wirdieses Familienfest ohne ihn? Es sei wichtig,sich aktiv mit der eigenen Trauer auseinanderzusetzen,die Tränen zuzulassenund sie nicht wegzudrücken bzw. zu glauben,eine scheinbare Weihnachtsidylle aufbauenzu müssen. „Es gibt wenige Menschen,die es so machen wie immer und dievertrauten Abläufe sogar als unterstützendesKorsett nutzen. Aber für die allermeistenist es eine große Erleichterung, aus demGewohnten auszubrechen“, ist Gundingerüberzeugt. Dabei musses sich nicht unbedingtum einen großen Ortswechselhandeln. Sokann es hilfreich sein,die Bescherung in einemanderen Raum zumachen, Einrichtungsgegenständeumzustellen,das Essen zueiner anderen Zeit einzunehmen.Tod und Trauer müssennicht ausgeblendetwerden, sondernhaben auch zu Weihnachtenihren Platz.Und auch wenn der Platz, den der Verstorbeneeingenommen hat, leer bleiben muss,darf und soll er eine Rolle spielen. „Ich rateaber dazu, nicht das letzte Bild oder gar dasTrauerbild aufzustellen, sondern sich gemeinsammit fröhlichen, schönen, buntenFotos an das Leben in seiner ganzen Füllezu erinnern“, so Gundinger. Man kann sichGeschichten erzählen, gemeinsam Erlebtes,Skurriles, Lustiges, Trauriges Revuepassieren lassen.„ Man kann nacheinem Todesfallnicht nach zweiTagen so tun, alswäre nichts passiert.In Wahrheit sindviele arbeitsunfähigund braucheneine Reha. “Monika Gundinger„Der Tod eines geliebten Menschen verändertdas Leben, der Blick auf das Wesentlichewird klarer“, weiß Gundinger. „Eswird nie mehr so sein wie vorher, aber wersich aktiv mit seiner Trauer auseinandersetzt,für den wird es auch mit den Jahrenleichter, und es kehrt wieder mehr Lichtund Leichtigkeit ins Leben ein.“ Auchwenn man weiß, dass noch schwere Situationenauf einen zukommen, kann man mitglücklichen Erlebnissen rechnen, weil dieLebensfreude nicht zerbrochen ist. „Ich habefür mich ein tröstliches Bild gefunden,ich sehe den Tod als Geburt in eine neueRichtung. Der Sterbende ist schon vorausgegangen“,beschreibtMonika Gundinger ihrenZugang. Unabhängigvom Glauben undspirituellen Ansätzensei es zudem hilfreich,die Vorfahren hintersich zu wissen und daraufzu vertrauen, dasssie gut versorgt sind.„Die haben ihre Erfahrungenschon gemacht,wir dürfen den Weghier noch gehen. Wirhaben es jeden Tag inder Hand, unser Lebenaktiv zu gestalten.“Wer Trauernde unterstützen möchte,macht am besten offene Angebote. „Werfragt schon gerne um Hilfe? Zu sagen, ichbleibe heute bei dir, wenn du willst, ichwasche deine Wäsche, ich bringe dir Essen,ist hilfreicher.“ Prinzipiell bemerktGundinger einen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel.„Die Menschen holen sichHilfe, Trauer wird weniger verschwiegen,auch Männer zeigen Gefühle. Für die Arbeitsweltwäre ein anderer Umgang wünschenswert.Man kann nach einem Todesfallnicht nach zwei Tagen so tun, alswäre nichts passiert. In Wahrheit sind vielearbeitsunfähig und brauchen eine Reha.“Margits Familie feiert Weihnachten wiederim Waldviertel. In einem Ratgeber hatsie von einem schönen Ritual der FamilieBonhoeffer gelesen, das sie übernommenhat. Der Bruder des evangelischen Theologenund Widerstandskämpfers war 1918im Alter von 18 Jahren als Fahnenjunkergefallen. Bonhoeffer schnitt damals einenZweig vom geschmückten Weihnachtsbaumab und legte ihn auf das Grab seinesBruders. „Seit einigen Jahren hat auchunser Tannenbaum eine Lücke, und derZweig wird am Heiligen Abend morgensauf das Grab gelegt, das meine Schwesternjetzt mit meinen Eltern teilt. JedesMal, wenn ich den Baum ansehe, muss ichlächeln, weil ich höre, wie meine Schwestersagt: ,Geh Git, was hast du mit demschönen Baum gemacht?‘“Foto: Manfred BaumannWieso Ritualein allen Lebensphasenwichtigsind, lesen Siein „Die täglichekalte Dusche“(12.12.96) vonPetra Biermeierauf furche.at.Die Krisen expertinMonikaGundinger rät,neue Ritualeeinzuführen,in denen Verstorbeneweiterhineine Rollespielen. Sie sagt:„Tod und Trauermüssen nichtausge blendetwerden.“SINNVOLLES SCHENKENSie sind noch auf der Suche nach einem Geschenk in letzterMinute? Dann bereiten Sie mit einem FURCHE-Abo IhrenLiebsten Freude, die bis ins neue Jahr anhält!alle Artikelseit 1945Sie schenken damit Zeit für neue Perspektiven, für Zugänge,die zum Weiterdenken anregen.›› Immer und überall digital und entspannt auf Papier›› Alle Artikel seit 1945 im FURCHE-Navigatorfurche.at/abo/schenkenaboservice@furche.at01 512 52 61 52

DIE FURCHE 2024

DIE FURCHE 2023