DIE FURCHE · 51/5210 International21. Dezember 2023Von Vedran Dzihicmehr normal“, betitelteder FrankfurterSoziologe Stephan Lessenich sein 2022 erschienenesBuch. Im Unter titel„Nichtlieferte er gleich die Losung zu unsererZeit – „Gesellschaft am Rande des Nervenzusammenbruchs“.Die Normalität der vergangenenJahrzehnte nach dem Ende desOst-West-Konflikts, so Lessenich, wird sichinnerhalb des permanenten Ausnahmezustands,in dem wir schon eine ganze Weileleben, nicht so leicht wiederherstellen lassen.Es waren mannigfaltige Krisen, diezuletzt an uns vorbeirasten, Verwundungenund Schrammen hinterließen: angefangenvon der Weltwirtschaftskrise überdie Bedrohung durch den Terror, die sogenannteMigrationskrise, die Corona-Pandemiebis hin zur Klimakrise, die uns alsmahnender Gefährte bis ans Ende unsererLeben begleiten wird. Und dann kamendie Kriege – die russische Aggression gegendie Ukraine und der Zermürbungskrieg,der seit Februar 2022 tobt, zuletztder Ausbruch des Krieges im Nahen Osten.Das alles führt und führte dazu, dass sichdas subjektive Gefühl des Kontrollverlustesüber das eigene Schicksal auf die Weltübertragen hat.Lessenich zitierte am Beginn seinesBuchs die berühmte Antwort von TheodorW. Adorno aus einem Interview mit demSpiegel aus dem Jahr 1969. „Herr Professor,vor zwei Wochen schien die Welt nochin Ordnung …“, fragte Der Spiegel, woraufAdorno lakonisch antwortete: „Mir nicht.“Gewiss war die Welt auch in den heute verklärendenZeiten der Sicherheit und derNormalität der 1990er und 2000er Jahrenicht in Ordnung, zumindest nicht überall.Während man im Westen eine Periodedes kontinuierlichen Aufschwungs erlebte,tobten auf dem Balkan blutige Kriege, geschahin Srebrenica ein Genozid. In Ruandawurde nahezu eine Million Menschenermordet. Und die Verkettung der Kriegeim US-amerikanischen Feldzug gegen denTerror seit dem 11. September trug eineblutige und beunruhigende Handschrift.Der Ausnahmezustand ist auch im Westenlängst angekommen. Spätestens mitder geballten Ladung der tiefsten Emotionenrund um den russischen Aggressionskriegin der Ukraine, den terroristischenAngriff der Hamas auf Israel und den blutigenKrieg im Gazastreifen, der uns dieSchreckensbilder tagtäglich in unsereSmartphones hineinspült, sind Affekte inder Politik wieder mit voller Wucht da. Jeohnmächtiger sich Menschen fühlen, destostärker reagieren sie auf die Komplexitätund Unüberschaubarkeit aktueller Problememit oft irrationaler Wut, Hass und auchGewalt. Radikale Verunsicherung des Einzelnenauf der individuellen Ebene ist, somöchte ich behaupten, ein Spiegelbild dergrößeren gesellschaftlichen Krisen unddes konfliktvollen Weltgeschehens geworden;die Symbiose zwischen Gefühlen derEinzelnen und dem großen Gefühl der Weltist zum Sinnbild unserer Zeit geworden.Der Keil: Getrieben von Wladimir PutinMit dem brutalen Übergriff des russischenPräsidenten Wladimir Putin auf dieUkraine ist ein Keil in die alte liberale Weltordnunggetrieben worden. „Die alte Weltliegt im Sterben, die neue ist noch nichtgeboren. Es ist die Zeit der Monster“, sagteAntonio Gramsci in der Zwischenkriegszeit.Die Welt heute befindet sich wieder ineiner Übergangsphase, ohne dass am Endedes Übergangs alte Gewissheiten auf unswarten. Die liberale Weltordnung scheint„ Je ohnmächtiger sich Menschenfühlen, desto stärker reagieren sie aufdie Unüberschaubarkeit aktuellerProbleme mit irrationaler Wut,Hass oder Gewalt. “Lesen Sie auchdas Gesprächmit dem SicherheitsexpertenIstván Gyarmati:„Europa fehltein Churchill“(8.9.2005) auffurche.at.Es ist ein neuer, machtpolitischer Darwinismus, der sichals Regel für das 21. Jahrhundert aufdrängt, analysiert derPolitforscher. Über die Welt(un)ordnung. Ein Weckruf.Die Suche nachder Gegenideeim Koma zu sein. Die fast schon alt anmutendeWelt der Kooperation, des Multilateralismus,der regelbasierten Ordnung, inderen globalem Zentrum die Vereinten Nationenmit ihrem universalistischen Anspruchstanden, ist in einer tiefen Krise.Es ist die Zeit der beinharten Machtpolitikund einer geostrategischen und geopolitischenKonkurrenz. Herfried Münkler siehtin seinem neuesten Buch „Die Welt in Aufruhr“die alte Ordnung der Mächte aus dem20. Jahrhundert von einem neuen Fünfergespannder globalen Macht abgelöst: DieUSA, China, Indien, Russland und die EUsind die neuen geopolitischen Großgewichte.Die Szenen aus dem Sicherheitsrat erinnernan die Zeit des Kalten Krieges – Russlandund die USA nutzen wieder das fastschon archaische Vetorecht, um eigene Interessendurchzusetzen. Die Siegesgewissheitund das diabolische Lächeln von Putin,das er seit dem Beginn des Krieges im NahenOsten und der westlichen Uneinigkeitüber die Unterstützung für die Ukraine immerwieder aufsetzt, muten fast schon wieein Sinnbild dieser neuen – ja auch zynischen– Welt(un)ordnung, in der sich einneuer machtpolitischer Darwinismus alsRegel für das 21. Jahrhundert aufdrängt.Foto:iStock / Natalya BosyakWährend die machtpolitische Bipolaritätdes Kalten Krieges von einer neuenkomplexen Multipolarität abgelöst wurde,beherrscht eine andere bipolare Konstellationdie neue Welt(un)ordnung – jenezwischen Demokratien auf der einen undautoritären Regimen auf der anderen Seite.Die globale Trendwende ist – so zeigenes die Daten – längst erfolgt. Heute leben78 Prozent der weltweiten Bevölkerung inAutokratien.Wir haben es weltweit also einerseitsmit einer recht stark ideologisch besetztenKluft zwischen Autokratien und Demokratienzu tun, dazwischen und mittendrinsehen wir aber auch deutliche Anzeicheneines sonderlichen geopolitischen Drahtseilaktsbeziehungsweise eines neuenPragmatismus mancher Nationalstaaten,wo fast alles geht: Manche Staaten könnenes sich etwa leisten, sich auf die USAund die NATO in Sachen Sicherheit zu stützen,in Sachen Energie mit Russland zu kuschelnund den Handel mit China offensivvoranzutreiben. Man muss ja nicht weitüber den österreichischen Tellerrand blicken,um die offensichtlichsten Beispielefür diese geopolitischen Wendehälse zufinden. Viktor Orbán, der seit dem letztenEuropäischen Rat in Brüssel und seinemVersuch der Erpressung der EU den Ehrentitel„Erpressopremier“ trägt, gehört indiese Kategorie. Auch sein enger Freund,der serbische Präsident Aleksandar Vučić,der gerade die weder freien noch fairenWahlen für sich entscheiden konnte, ist bekanntfür die sonderbaren Verrenkungenzwischen Brüssel, Berlin und Washingtonauf der einen sowie Moskau und Pekingauf der anderen Seite. So wie diese geopolitischeWendehalsigkeit im kleinen europäischenKontext immer mehr en vogueist, so ist sie auch global zu einem besorgniserregendenTrend geworden. Von einerÀ la carte-Welt sprechen Ivan Krastev, TimothyGarton Ash und Mark Leonard ineinem unlängst veröffentlichten Berichtdes European Council for Foreign Relations,in dem die Ergebnisse einer weltweitenUmfrage zum Zustand unserer Weltpräsentiert werden. Staaten verhaltensich schlicht machtpragmatisch – Chinaist voll integriert in den globalen kapitalistischenHandelsfluss, nach innen werdenaber die autoritären Zügel noch stärkerangezogen, mit Russland kooperiertman eng, der demokratische Westen istaber auch ein zentraler Geschäftspartner.Auch westliche demokratische Staatenwie die USA verfolgen unbeirrt ihre Interessen.Wenn dann aus strategischem KalkülSchritte getan werden, wie es Bidenmit dem Rückzug aus Afghanistan tat odernun mit dem Veto gegen den Waffenstillstandim Gazastreifen zeigt, sind die autoritärenWidersacher schnell mit dem eigenenmoralischen Finger zur Stelle, um dieDoppelstandards des Westens zu kritisieren.Immer wieder nutzen die neuen Despotender Welt, ob die ganz großen wie Putinoder Xi Jinping oder die kleineren wieErdogan, Orbán oder Vučić, den Hinweisauf die Doppelmoral des Westens, um dieregelbasierte Weltordnung zu desavouierenund ihr die Legitimität zu rauben.Krieg und Frieden – Paläste der AngstKrieg oder Frieden, Diktaturen oder Demokratien,lautet das ultimative Dilemmaheute, schrieb unlängst Timothy GartonAsh im britischen Guardian. Demokratischeund freie Gesellschaften, so sagtman, sind zukunftsfroh und positiv. Autokratiensind Paläste der Angst. Wo Angstherrscht, sind Zorn, Wut und Hass nichtweit weg. Wo Zorn und Hass überhandnehmen,droht Krieg. Die Anzahl der Kriege,die derzeit weltweit ausgetragen werden,ist zuletzt deutlich gestiegen. Im Jahr 2022sind 238.000 Menschen weltweit durchKonflikte gestorben, so viele wie seit 30Jahren nicht mehr. 2023 werden die Ziffernnoch dramatischer sein – allein der Blutzollim Nahen Osten geht bereits in fünfstelligeHöhen.Wenn sich die globale Pendelbewegungweiter in Richtung der autoritären undhybriden Regime dreht, droht der derzeitigeKriegszustand zur neuen Normalitätzu werden. Kann und darf man sich damitabfinden und resignieren? Defätismusist heute mehr denn je fehl am Platz. Derschon zitierte Antonio Gramsci sagte einmal:„Ich bin ein Pessimist auf kurze Sichtund ein Optimist auf lange.“ Es braucht jedenfallsGegenideen und Gegenentwürfezu dieser neuen Welt, die uns alle ängstigt.Auch wenn die Kritik am westlichenNormuniversalismus immer lauter wird,braucht es universelle Normen und Werte,die das Leben und die Würde des Menschen– die Menschenrechte – zur oberstenHandelsmaxime machen. Es ist jenesglobale Wir, das wir heuer anlässlich desJahrestages der Wiener Menschenrechtserklärungaus dem Jahr 1993 heraufbeschworenhaben, das heute mehr denn jenotwendig ist und für das es sich zu kämpfenlohnt. Auch wenn all dies inmitten desneuen machtpolitischen Darwinismusutopisch anmutet, ist es der einzige Wegzum Frieden.Der Autor ist Politologe am ÖsterreichischenInstitut für Internationale Politik.
DIE FURCHE · 51/5221. Dezember 2023Politik/Religion11Nicht nur in Russland, Ungarn und Polen stärken die christlichen Kirchen derzeit eher autokratische Politik, als sie zu stören. Es zeigt sich eineBeziehung im beiderseitigen Interesse – aber auf Kosten der Demokratie. Doch es gab und gibt Gegenbeispiele. Ein Gastkommentar.Auf Seiten der Autokraten?Von Sieglinde RosenbergerDie Friedensgebete in der LeipzigerNikolaikirche spieltenbeim Berliner Mauerfall 1989eine wesentliche Rolle. Pfarrerinnenund Pfarrer initiiertenWiderstand, über Jahre hinweg versammeltensich Menschen in der Kircheund fanden dort den notwendigen öffentlichenRaum zum Austausch. Die Nikolaikirchen-Bewegungzählt freilich zu denwenigen europäischen Beispielen für eineKirche, die aktiv auf der Seite der Demokratisierungsteht. Im Gegenteil stellensich in den letzten Jahrzehnten viele Kirchen,insbesondere in osteuropäischenLändern, auf die Seite von Autokraten. Siestören nicht die Entdemokratisierung –geistliche Würdenträger und ultrakonservativeParteien bilden vielmehr eineantidemokratische Allianz im Namenchristlicher, abendländischer Werte.Aber nicht nur in Osteuropa, auch inWesteuropa sind Oppositionsparteien beimAufbau eines ethno-religiösen Nationalismuserfolgreich. Wie die jüngsten Auswertungender Europäischen Wertestudie zeigen,neigen religiös gebundene Menschenzunehmend zu antidemokratischen Parteien,die das Christentum lediglich als abendländischeKultur verstehen, um so gegenZuwanderung zu mobilisieren.Es ist aber die liberale Demokratie, diedie Religionsfreiheit für alle garantiert.Erst der demokratische Grundsatz derGleichbehandlung gibt auch Minderheitsreligionendas Recht, ihren Glauben sichtbarzu leben. In autokratischen Ländernhingegen kann sich nur die jeweils „nationale“Mehrheitsreligion über eine privilegierteStellung freuen. Diese ist ein Monopolisthinsichtlich Finanzierung, Zugangzu Schulen und Kindergärten und hat dieAutorität, gesellschaftspolitisch relevanteGesetzgebung zu beeinflussen. ReligiöseMinderheiten besitzen hingegen nichtnur nicht diese Rechte, sie werden in politischenKampagnen oft attackiert und müssenals Sündenböcke herhalten.Vereinnahmen und schweigen„ Ist die katholische Kirche eherauf der Seite der autokratischenRegierungen zu finden, sounterstützt die orthodoxe Kircheauch die Agenda von rechtsextremenParteien. “Wie und warum unterstützen christlicheKirchen den Rückbau von Demokratie?Zwei Entwicklungen fallen dabei auf:In osteuropäischen Staaten, namentlichin Ungarn und Polen, steht das Wertesystemder liberalen Demokratie unter massivemDruck. Beschädigungen der Menschenrechte,der Rechtsstaatlichkeit undder individuellen Freiheits- und Autonomierechtewerden von den Amtskirchengeduldet, manchmal wird dabei auch aktivmitgeholfen. Die Regierung vereinnahmtdie Kirche. Ungarn sei ein christlichesLand mit christlichen Werten, soetwa die Erzählung, mit der eine feindseligePolitik gegen Rechtsstaatlichkeit,gegen Menschen mit nichtchristlichenGlaubensbekenntnissen und generell gegenGeflüchtete legitimiert wird.Auf die Vereinnahmung reagieren Kirchenteils mit Schweigen, was in der Konsequenzauch auf Bejahung hinausläuft.Teils zeigt die Amtskirche aber auch einegroße ideologische und interessengeleiteteNähe zur Regierung. Dies trifftinsbesondere auf die Bischöfe Polens unddie bis vor kürzlich regierende PiS (Parteifür Recht und Gerechtigkeit) zu. Nicht seltenmachten sich Kirchenvertreter zumSprachrohr der Regierung. Und in Ungarnwiederholen manche Bischöfe direkt OrbánsNarrativ der christlichen Werte imKontext der Migrationspolitik. Illustrativdafür ist eine Aussage eines ungarischenBischofs, wonach die ins Land kommendenMigranten die christlichen Werte verwässernwürden und daher eine restriktiveMigrationspolitik auch im Interessedes Christentums sei.Der leisen oder auch lauten Zustimmungzur Einschränkung von liberalen Grundwertenwie dem Recht auf Asyl steht einübereinstimmendes Interesse in gesellschaftspolitischenFragen gegenüber. DieKirchen werden mit religiös-konservativenGesetzen im Bereich der Schulpolitik(zum Beispiel Sexuallehre), der Ehe, der Familienförderung,der Abtreibung, der eingeschränktenRechte für LGBTQ-Personenbelohnt; sie bekommen Aufträge in der Bildungund im Sozialbereich – und ihr Wohlverhaltenwird mit finanzieller Unterstützungaus dem Staatshaushalt gewürdigt.Ist die katholische Kirche eher auf der Seiteder autokratischen Regierungen zu finden,so unterstützt die orthodoxe Kircheauch die Agenda von rechtsextremen Parteien.So zum Beispiel in Rumänien, wo derAufstieg der extremen Rechten eng mit extremkonservativen Gruppierungen der orthodoxenKirche verwoben ist. Neben einergeradezu feindschaftlichen Positiongegenüber der Regierung treten die klerikal-politischenGruppen für das Abtreibungsverbotein, kritisieren „Genderideologie“und Frauenrechte und stellen sichgegen Rechte für LGBTQ-Personen. Beider georgischen Orthodoxie und ihr nahestehendenOrganisationen schließlich istdie Verbundenheit mit ultrakonservativen,Russland-orientierten Gruppen besondersdeutlich. Diese politisch-religiöse Gemengelagefällt mit Hassreden gegen religiöse,ethnische und sexuelle Minderheiten aufund organisiert gewalttätige Kundgebungengegen Kulturveranstaltungen. Nichtchristlich, nicht traditionell, nicht der georgischenNation entsprechend – das sinddie Vorwürfe, die die religiös-politischenOrganisationen gegen muslimische Zugewanderte,gegen liberale Politikerinnenund Politiker sowie Aktivisten richten.Diese exemplarischen Hinweise untermauern,dass die Werte der liberalen Demokratiederzeit kaum auf religiöse Verteidigerund Stimmen zählen können. Derreligiöse Mainstream steht in jenen europäischenLändern, die bereits deutliche antidemokratischeEntwicklungen durchlaufen,vielmehr auf der Seite der Autokraten.Die demokratiepolitisch unerfreulichePositionierung der Kirchen in Osteuropaist also offensichtlich, sie gilt aber nicht uneingeschränkt.Zum einen kommen der katholischenKirche sowohl in Polen als auchin Ungarn in beträchtlicher Anzahl dieGläubigen abhanden. Diese Entwicklungschwächt die gesellschaftliche Autoritätder Amtskirche und macht sie für die Politikzukünftig weniger attraktiv. Zum anderengibt es Spannungen innerhalb derKirchenleitung. Nicht alle WürdenträgerKLARTEXTLesen Sie dazuauch „Kyrill & Coim Ukrainekrieg:Todeskult undÜberlebenskampf“(1.3.2023) von ErnstTrummer auffurche.at.Gerechtigkeit als GeschenkEs ist die Zeit des Jahres, in der man sichetwas wünschen darf. Ob sich die Wünscherealisieren lassen, ist eine andere Geschichte.Aber der Zauber, sich einmal vorzustellen,alles wäre besser, ist an sich schon erfüllend.Aus den zahlreichen Themen, die sich für Wünscheanbieten, möchte ich das Thema Bildungherausstreichen. Allein schon deshalb, weil esabsolut zukunftsweisend ist. Wieder einmalwurde heuer eine PISA-Studie durchgeführt –und die Ergebnisse sind einmal mehr erschütternd(vgl. dazu auch S. 15). Die Kluft zwischenKindern mit und ohne Migrationshintergrundist in Österreich nach wie vor enorm – und wesentlichhöher als im OECD-Durchschnitt. BeimLesen ist der Gap sogar mehr als doppelt so hoch.Das ist eine traurige Bilanz, aber noch skandalösersind die Ergebnisse im Hinblick auf sozialeHerkunft und Geschlecht – völlig unabhängigvom Migrationshintergrund. In Mathematikund Naturwissenschaft entspricht der Unterschiedzwischen sozial privilegierten und sozialbenachteiligten Jugendlichen vier bis fünftragen den antidemokratischen Kurs uneingeschränktmit. Einzelne Bischöfe undPriester distanzieren sich von Attacken gegenMinderheiten. Gläubige und karitativeOrganisationen zeigen sich solidarisch mitSchwächeren und versuchen, insbesonderefür Geflüchtete, eine kleine Tür zwischenvielen geschlossenen zu öffnen. InOsteuropa stehen vereinzelt kirchennaheNGOs für Ähnliches ein wie Caritas oderDiakonie in Österreich im breiten Stil – sieerheben immer wieder kritisch die Stimmefür jene, die kaum eine haben, sie zeigenWege für eine solidarische Gegenwartund Zukunft. Es gibt also Grund zur Hoffnung,dass die christlichen Kirchen auchin Osteuropa wieder einen politischenKurs in Richtung Demokratie, Freiheit undSolidarität einschlagen.Die Autorin ist Professorin i. R. für Politikwissenschaftan der Universität Wien.Schuljahren, Tendenz steigend!Zudem weist Österreichunter allen 41 Staatenin Mathematik diezweitgrößte Geschlechterkluftzugunsten von Burschen auf. Nur Italienschneidet noch schlechter ab.Ja, die Integration ist hierzulande offenbargescheitert – aber nicht wegen der Migrantenkids.Das Bildungssystem Österreichs scheitertauch daran, die eigenen Kinder zu integrieren.Geerbte Unterschiede werden nicht eingeebnet,sondern perpetuiert. Dass Migranten dabei benachteiligtwerden, ist klar. Dass das ein reinesMigrationsproblem wäre, ist aber Fantasie.Zu Weihnachten möchte ich nun ein weniganders fantasieren: Ich wünsche mir Chancengleichheit!Ich wünsche mir ein Land, in dem dieSchule ein wirksamer Hebel ist und jedes Kind,das sie besucht, ein kleines Wunder erlebt.Die Autorin ist Professorin für Migration undIntegration an der Donau-Universität Krems.Foto:IMAGO / ITAR-TASSPatriarch &DiktatorSchauplatz Kreml,28. November2023: Kyrill, Patriarchvon Moskauund ganz Russland,spricht auf derBühne des „Weltkonzilsdes russischenVolkes“ –und WladimirPutin schwebtper Videoschaltungdarüber.Von Julia Mourão Permoser
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