51/52 · 21. Dezember 2023DIE ÖSTERREICHISCHE WOCHENZEITUNG · SEIT 1945 79. Jg. · € 6,–Frohe Weihnachtenund ein gutesneues Jahr wünschtDIE FURCHE allenLeserinnen undLesern.Die nächste Ausgabeerscheint am 4. Jänner.Licht in diese Welt ...Auf kleine Holztafeln hat Heribert Friedl seine„100 Poems“ gemalt – in extremer sprachlicherDichte gestaltete „Nachrufe“ in eine Welt hinein,von der man nicht weiß, ob es sie gibt. Die Bildersind noch bis 6. Jänner im Kulturzentrum beiden Minoriten in Graz zu sehen (kultum.at).Friedls Bilder interpretieren auf ihre Weise denFOKUS „In einer aufgewühlten Welt“ (S. 2–5).Die letzten Dünen vor EnglandDas Thema Flucht prägte die Debatteauch 2023. Doch eine Außengrenze fandweniger Beachtung: der Ärmelkanal.Eine Reportage. · Seiten 6–7Krisen wie aus einem RomanWo steht die Gesellschaft anno 2023?Analog zu Charles Dickens’ „ChristmasCarol“ von 1843 analysieren drei Geisterder Weihnacht. Seiten 14–15Foto: KULTUM / J. RauchenbergerTaktschlag des LebensDie Stunde ist mehr als nur einemessbare Zeiteinheit. Als Metapherdurchzieht sie die Weltliteratur, sieschlägt allen. · Seite 25Die katholische Kirche ermöglicht Segnungen für „Paare in irregulären Situationenund gleichgeschlechtliche Paare“. Anmerkungen zur überraschenden Post aus dem Vatikan.Eine schöne BescherungAUS DEM INHALT„In einem breiteren Licht“Die Kulturwissenschafterin Aleida Assmannüber Weihnachten nach dem 7. Oktober,das kulturelle Gedächtnis und den Blick aufdie andere Seite der Geschichte.Seiten 3–4Von Otto FriedrichDie deutsche Sprache hält Redewendungenbereit, die durchausentgegengesetzte Aussagenermöglichen. Das auchaußerhalb von Weihnachtengebräuchliche „Eine schöne Bescherung“bedeutet im Wortsinn ein erfreulichesGeschenk, im übertragenen Sinn aber dasgenaue Gegenteil davon.Man ist dieser Tage versucht, auch dievorweihnachtliche Post aus Rom mit solcherCharakteristik zu qualifizieren. Das Dokumentder vatikanischen GlaubensbehördeFiducia supplicans über die Möglichkeitvon Segnungen auch für gleichgeschlechtlichePaare und geschiedene Wiederverheirateteoder solche, die in „wilder Ehe“leben, wurde von der LGTBQ-Community,aber auch von den Bischofskonferenzenin Deutschland und Österreich freudig begrüßt.Dementgegen ließen etwa die US-Bischöfe verlauten, in Bezug auf die katholischeEhe- und Sexualmoral bleibe auchdurch dieses Dokument alles beim Alten.In der Tat lässt das Dokument beide Interpretationenzu: Zum einen wird – erstmals– „Paaren in irregulären Situationenund gleichgeschlechtlichen Paaren“ dieMöglichkeit zur Segnung eingeräumt.„ Mit dogmenstarrerBeharrlichkeit werdendie Bedürfnisse derverletzlichen Menschennicht mehr erreicht.“Gleichzeitig soll weder die Stellung der Eheangetastet werden, noch dürfen diese Segnungenin einem gottesdienstlichen Rahmenstattfinden. Ist Fiducia supplicans(übersetzt: „flehendes Vertrauen“) nun einDurchbruch zu Reformen oder eine Vernebelungstaktik,um die Polarisierung in derkatholischen Kirche noch abzufangen?Die Methode FranziskusEines ist gewiss klar: Der neue Glaubenspräfekt,Kardinal Víctor Manuel Fernández,erweitert – mit Billigung des Papstes – denInterpretationsspielraum in diesen Fragenstark. Das konservative Kirchenlager,das nach dogmatischer Klarheit verlangt,schäumt einmal mehr, auch wenn es sichdarauf berufen kann, dass die nun erlaubtenSegnungen – bildlich gesprochen – nurim kirchlichen Hinterstübchen und quasi„inoffiziell“ gespendet werden dürfen.Andererseits ist dies genau die Methode,die Franziskus in seinem Pontifikat zu perfektionierenscheint. Um das Geheul seinerWidersacher abzumildern (dem er aber sound so nicht entkommt), öffnet er Türcheneinen Spalt breit – wissend, dass dieseaber von den Betroffenen schnell aufgerissenwerden könnten, und hoffentlich auchwerden! Man erinnert sich, dass der Papstnach der Familiensynode im SchreibenAmoris Laetitia (2016) nur in einer Fußnotedie Möglichkeit angedeutet hat, dass auchgeschiedene Wiederverheiratete zu denSakra menten zugelassen werden könnten.Die Folge dieser „Fußnote“ war aber, dassin vielen Teilen der katholischen Kirche diesesThema abgehakt werden konnte. Aufdiese Weise erreichte Franziskus, dass auchin bislang zentralen Fragen der MorallehrePluralität möglich wurde. Das bereitet nichtwenigen in der katholischen Kirche, Theologenzumal, Kopfzerbrechen. Man könntedem entgegenhalten – um ein Kampfvokabeldes vormaligen Papstes Paul VI., nachwelchem der „Rauch Satans“ in die Kircheeingedrungen sei, zu paraphrasieren: Aufdiese Weise wird es dem „Rauch des HeiligenGeistes“ möglich, sich auch in einer inAltehrwürdigkeit und Menschenferne erstarrtenInstitution auszubreiten.Der 87-jährige Pontifex und sein HelferFernández haben erkannt, dass mit dogmenstarrerBeharrlichkeit die Bedürfnisseder verletzlichen und verletzten Menschennicht mehr erreicht werden. Legt nicht auchdie Weihnachtsbotschaft von der AnkunftGottes als Neugeborenes nicht genau dasnahe? Franziskus’ päpstliche Kreativitäterweist sich so als Versuch, dem mehr alsbehäbigen Kirchenschiff jene Manövrierfähigkeitzu verleihen, die es in Zeiten wiediesen braucht.So gesehen darf man sich über Fiduciasupplicans als eine – im Wortsinn! – schöneBescherung freuen.otto.friedrich@furche.atDie Suche nach der GegenideeDer Politologe Vedran Dzihic über den neuen,machtpolitischen Darwinismus, der sich alsRegel für das 21. Jahrhundert aufdrängt. EinWeckruf in einer Welt(un)ordnung. Seite 10Ein poetisches EvangeliumDas neue Album des britischen AusnahmemusikersPeter Gabriel besticht als spirituelleBeschwörung eines besseren Seins auf demFundament der Vergebung. Seite 13Schau, schau, eine Frau!Die Akademie der Wissenschaften stellt„ihre“ Forscherinnen in einer Ausstellung inden Mittelpunkt. Nobelpreise blieben denFrauen häufig verwehrt. Seite 33„Die Wölfe meiden den Nationalpark“Braucht der Naturschutz mehr Wildnis odervielmehr extensive Landwirtschaft? SchafhalterinElisabeth Ertl und Biologe KurtKotrschal im Schlagabtausch. Seiten 34–35furche.atÖsterreichische Post AG, WZ 02Z034113W,Retouren an Postfach 555, 1008 WienDIE FURCHE, Hainburger Straße 33, 1030 WienTelefon: (01) 512 52 61-0
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