REZENSION Von Maria Renhardt Z u Spinnen mag man ein ambivalentes Verhältnis haben, auch wenn ihnen mythologisch gesehen – ähnlich den Moiren – gewissermaßen eine schöpferische Rolle zukommt. Im neuen dystopisch angelegten Langgedicht der Schweizer Lyrikerin Eva Maria Leuenberger wird sie als lauernde alte Zuschauerin zum Symbol für eine dem Untergang geweihte Welt. Bereits während sie ihr Netz webt, hat sie ihr Opfer fest im Blick. Leuenberger ist bekannt für ihre radikale, reduzierte und zugleich innovative Bildsprache mit generell avantgardistischen Zugängen zur Sprache, aber auch für ihr Interesse an brisanten Themen. Bereits nach ihrer ersten Publikation hat sie den Basler Lyrikpreis erhalten, der damals noch niemals zuvor für ein Debüt vergeben worden war. Weitere Auszeichnungen ließen nicht lange auf sich warten. In ihrem neuen Werk „die spinne“ greift sie – wie etwa auch Laura Freudenthaler in ihrer Prosa „Arson“ – das aktuelle gesellschaftspolitische Thema der Klimakatastrophe auf, das sie in ihrer Lyrik neu positioniert. Indem sie gegenwärtige Entwicklungen kompromisslos zu Ende denkt und dadurch eine Apokalypse heraufbeschwört, sticht sie in die größte Wunde der heutigen Zeit. Schon in ihrem Erstling „dekarnation“ umkreist Leuenberger die Themen Zerfall und Vergänglichkeit, die sie nun hier in ihrem dritten Lyrikband auf eine völlig andere Ebene hebt. „flügchen“, das vielerorts angesprochene Du dieses Bandes, lebt in einer höchst gefährdeten Welt, der der Untergang eingeschrieben, ja eigentlich bereits immanent ist: „die feuer rollen / in endlosschleifen / über dich hinweg“, „brennende zweige, fallendes eis“. Das lyrische Du liegt auf einer Matratze und erkennt in der Rückschau die ignorierten Zeichen, es klammert sich „an die alten Bilder“, als der „kastanienbaum / vor deinem fenster, / noch ohne feuer“. Nun lebt es nur mehr im „faksimile einer welt“, einsam und isoliert, von einem blauen Licht umgeben auf den Endpunkt wartend: „ich könnte / mich ergeben“. Als Subtext intendiert Leuenberger eine Engführung dieser ausweglosen und nun nicht mehr abwendbaren Situation mit den Umständen, denen der Mensch angesichts der globalen Zerstörung der Natur untätig gegenübersteht: „man gewöhnt sich / an alles“, „nichts passiert“, „du verschläfst die zeit“, „und trotzdem / trocknen die bäche“. Die Spinne wartet sichtbar auf den günstigen Moment, anders also als in Jeremias Gotthelfs Novelle „Die schwarze Spinne“, in der das Tier eingemauert in einen Pfosten längst vergessen der Befreiung harrt. Scham und die alte Kollektivschuld, die sich später symbolisch auch durch das Blut unter den „Das edrohliche dieser dichten poetischen ndeitision irkt als absolut beunruhigendes und beklemmendes Glutnest nach.“ „FEUER ROLLEN IN ENDLOS- SCHLEIFEN“ EVA MARIA LEUENBERGER WIDMET SICH IN IHREM DRITTEN LYRIKBAND „DIE SPINNE“ DEM HERAUS- FORDERNDSTEN PROBLEM UNSERER ZEIT: DER KLIMAKATASTROPHE. Fingernägeln offenbart, begleiten den schmerzhaften Bewusstwerdungsprozess, bevor die Spinne zuschlägt. „ein alter traum: ein letzter mensch / wandert durch die letzten stunden, / allein / oder frei.“ Das Zurückfallen auf das eigene Selbst und in das Kontinuum der Zeit löst Fragen, Zweifel und Irritationen aus. Mit der drastischen Vermehrung der Spinnen diffundiert das Unheimliche noch einmal verstärkt in den Raum; dieser „kippt / in die dunkelheit / in den abgrund / hinein / und der boden / fällt / du // fällst“. Leuenberger arbeitet in diesen fünf Kapiteln mit den Mitteln sprachlicher Wiederholungen, die als durchlaufende Fäden innere Verknüpfungen herstellen. Oft finden sich Endverse im Folgetext oder in neuen Kapiteln wieder. Das „flügchen“ wird von einer übergeordneten lyrischen Instanz sukzessive einem Erkenntnisprozess unterzogen. Feststellungen in den ersten Verszeilen („es ist 10
REZENSION JOHANNA MACHT IHR EIGENES DING Von Anton Thuswaldner so:“ oder „wie immer“) lassen sich horizontal durch die Lyrik gelesen auch zusammenhängend wahrnehmen. Immer wieder richten sich imperativische Hinweise an das angesprochene Du: „schau dich um“, „schau dich an“, „mach doch“. Schauen und Hinschauen, das endlich passiert, durchdringt als Leitmotiv diese Lyrik. Schließlich werden Naturzerstörung und Menschliches zusammengeführt: „flügchen. schau. // asche in den bäumen / und kein klang. / hier ist es. / dieses versmaß / deiner finger / deiner füße / deiner haut // die konsequenzen / deines körpers // schau.“ Andernorts unterstreicht Leuenberger die Botschaft aber auch durch exemplarisch gesetzte Handlungen, etwa wenn das lyrische Du eine Zigarette raucht und die sukzessive Kontamination des eigenen Körpers mit der Erdverschmutzung in Beziehung gesetzt wird. Irgendwann bietet die Haut keinen Schutz mehr, dem Fallen und Verlöschen folgt im Traum die Imagination eines zukünftigen oder doch alten Lebens. Und was dann? „du stehst auf. / trittst aus der geschichte / in den nächsten raum.“ Dem Fallen setzt Leuenberger das bedingungslose Eingehen in die Natur entgegen, das in eine Verwilderung des menschlichen Seins oder in eine Verschmelzung mit Moos und Tieren mündet: „zweige sprießen / aus deinem haar; / spinnenbeine, horn / der neuen hirsche. / die zellen zittern, / fraktal, / und neugeordnet. / von den fingern tropft harz, / tannensüß, die nadeln / in den poren vermengt, verschlungen.“ Diffundiert die menschliche Existenz wieder zurück in den Urgrund zu einem neuen Anfang? Die Coda holt das Du, mit der Aufforderung zu bleiben, wieder jäh aus der Imagination zurück. Leuenbergers Lyrik ist von großer Intensität getragen. Das Bedrohliche dieser dichten poetischen Endzeitvision wirkt angesichts gegenwärtiger Katastrophenbilder als absolut beunruhigendes und beklemmendes Glutnest nach. D er historische Roman ist ein schwieriges Genre. Allzu leicht passiert es, dass in ihm Figuren aus der Vergangenheit wie Leute von heute aussehen – nur in eine andere Umwelt versetzt, die nicht mehr als nur Kulisse ist. Dabei ist es unmöglich, uns in die Denk- und Gefühlswelt von Personen aus früheren Zeiten zu versetzen, wir werden unsere eigene Lebenswelt, an der wir alles messen, nicht los. Ein Moment von Fremdheit muss ins Buch kommen, eine Unnahbarkeit, die uns die literarischen Figuren auf Distanz hält. Und dass Recherchen vonnöten sind, die den Alltag in allen Details abklären, versteht sich von selbst. Andreas Jungwirth begeht nicht den Fehler, die Emotionen hochschießen zu lassen, weil er von einem tragischen Schicksal erzählt. Dazu bleibt der Tonfall zu unterkühlt, zu sachlich, zu abgeklärt. Das passt zu Johanna, die im Mittelpunkt steht. Sie kommt aus kleinen Verhältnissen, erlebt allerlei Formen von Erniedrigung und bewahrt sich das Herz einer Kämpferin. „So wie der Vater will auch sie ein besseres Leben als jenes, das die Umstände für sie vorgesehen haben.“ Dafür muss sie selbst etwas tun. Sie stellt sich auf eigene Beine, macht sich schon als Fünfzehnjährige auf den Weg ins Ausland, möchte Abhängigkeiten vermeiden. Dass sie sich mit ihrem Streben nach Selbstständigkeit enorme Lasten aufhalst und gegen Widerstände ankämpfen muss, nimmt sie in Kauf. Andreas Jungwirth ist ein Erzähler von klassischem Zuschnitt. Eine auktoriale Instanz tritt in Erscheinung, die chronologisch die Stationen eines Lebens abschreitet. Erweitert wird dieser Blick von außen durch Passagen, in denen Johanna selbst zu Wort kommt in Form von Einschüben einer Unerschrockenen, die als Achtzigjährige Rückschau hält. Die Häutungen einer Person, die sich mit jedem neuen Lebensabschnitt neu definieren muss, werden durch Namensänderung deutlich gemacht. Das kann durch Fremdbestimmung geschehen – „Ich nenne dich Jeanne“, sagt der windige Reto zu ihr –, oder Namensänderung wird Symbol der Selbstbehauptung. Als Gegengift gegen die Geschichtsvergessenheit gut geeignet. die spinne Langgedicht von Eva Maria Leuenberger Droschl 2024 90 S., geb., € 21,– Alle meine Namen Roman von Andreas Jungwirth Atelier 2024 208 S., geb., € 24,– 11
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