REZENSION „UNS KINDER DES KOMMUNISMUS BELÜGT MAN NICHT“ MARIA BIDIAN ZEIGT IN IHREM BEMERKENSWERTEN DEBÜT „DAS PFAUENGEMÄLDE“ DIE EMOTIONALE GESCHICHTE EINER FAMILIÄREN SPURENSUCHE INMITTEN EINER ZEIT POLITISCH-GESELLSCHAFTLICHER UMBRÜCHE. Von Maria Renhardt S chon seit einigen Jahren lässt sich beobachten, dass deutschsprachige Autorinnen und Autoren mit Wurzeln in den ehemals kommunistisch regierten Nachbarländern das Leben unter äußerst schwieriger politischer Situation in den Fokus ihrer Werke stellen. Besondere Bedeutung kommt diesbezüglich wohl der aus dem rumänischen Banat stammenden Nobelpreisträgerin Herta Müller zu, für die die Aufarbeitung der Diktatur unter Nicolae Ceaușescu schon lange zu einem ihrer Lebensthemen geworden ist. In den letzten Jahren haben auch jüngere Autorinnen wie etwa Iris Wolff oder Nadine Schneider in ihren Werken die Flucht aus Rumänien oder das Ankommen und das Leben in einem neuen Land zur Sprache gebracht. Die in Deutschland geborene Maria Bidian mit rumänischen Wurzeln begibt sich in ihrem Debütroman „Das Pfauengemälde“ ebenfalls auf eine Reise in das Land ihres Vaters, in dem sie heute selbst immer wieder lebt und arbeitet. Sie weist darauf hin, dass es sich in ihrem Werk um eine „innere Reise“ handle – entlang der Erinnerungen ihrer Protagonistin, „durch die Vergangenheit der Familie, durch die Vergangenheit“ Rumäniens. Im Mittelpunkt des Geschehens steht Ana, eine junge, in Deutschland lebende Filmcutterin, deren Familie jahrelang für die Restitution ihres unter dem Ceaușescu-Regime enteigneten Besitzes gekämpft und nun gewonnen hat, damit sich die „Wunde“ nach dieser langen „Geschichte der Verluste“ vielleicht endlich „schließen kann“. Anas Vater Nicu ist zwei Jahre zuvor gestorben, daher ist sie als Erbin seines Vermögens nun ebenfalls in diesen Prozess involviert. Auf ihr lastet jedoch ein Schuldgefühl, dem sie mit Trauertagebuch, Gesprächstherapie und Boxen zu begegnen versucht: nämlich die Schuld, zu spät „ischen offnung auf Veränderung lucht il Gealt und raumata blhen immer noch unbeirrt und stark iebe und Verbundenheit ur eimat.“ gekommen zu sein, als er in Rumänien ohnmächtig aufgefunden worden ist. Seinen bald darauf eingetretenen Tod hat sie bis heute nicht überwunden. Ana weiß, dass sie jetzt nach Rumänien fahren muss. Immerhin hat ihr Vater sich jahrelang darum bemüht, den Seinen „die alte Anerkennung, den alten Wohlstand, den alten Einfluss seiner Familie“ zurückzubringen. Und: Sie muss das Pfauengemälde holen und somit das „beenden, was Nicu nicht beenden konnte“. Die Fahrt in die Heimat ihres Vaters wird zu einer emotionalen Expedition, weil sie indirekt dazu gezwungen wird, in die innersten Schichten ihrer Identität vorzudringen. „Es ist wichtig, die eigene Familiengeschichte zu kennen, um sich selbst zu verstehen“, heißt es einmal. Davon ist auch Ana mehr und mehr überzeugt. Eng damit verbunden ist aber auch die Suche nach dem Pfauengemälde, um das sich eine Familienlegende rankt. Ursprünglich soll es einmal einer armenischen Prinzessin gehört haben. Dann wurde es – ähnlich wie in Lessings Ringparabel der Ring – immer an einen Auserwählten der Familie weitervererbt. Ihr Vater wollte sich das enteignete Kunstwerk zurückholen. Eine schier unlösbare Aufgabe, die nun Ana zufällt. Denn in Rumänien kommt sie auf den Ämtern wieder in Berührung mit den mühsamen, allseits bekannten bürokratischen Hürden, mit Bestechung und Wartelisten. Auch heute scheint sich noch nicht so viel verändert zu haben. Daneben führen sie Begegnungen und alte Bekanntschaften in die Vergangenheit zurück und helfen ihr bei der Durchdringung der kulturellen Wurzeln und bei der Spurensuche nach dem Vater, die sie als Teil der nötigen Trauerarbeit betrachtet. Diese Reise wird für die Protagonistin zu einem Balanceakt zwischen dem Schritt in die Zukunft und der Auseinandersetzung mit der familiären und politischen Vergangenheit, die sich aus so vielen Erinnerungen zusammensetzt und schließlich zu einem Mosaik verfugt. Aktuelle Demonstrationen und politische Kundgebungen stellen sogar die Glaubwürdigkeit der Regierung auf die Probe: „Uns Kinder des Kommunismus belügt man nicht.“ Gerade aus der politischen Situation heraus stellt sich die Frage, welchen Weg das Land künftig vor dem Hintergrund demokratischer Werte gehen will. Und welche Rolle spielt dabei das Pfauengemälde, das leitfadenartig und mit großer Symbolkraft diesen emotionalen Gang durch die andere Heimat begleitet? Bidian setzt sich in ihrem bemerkenswerten Roman auf sehr persönliche Weise mit dem Schicksal einer zwischen den Kulturen stehenden nächsten Generation auseinander, zeigt aber zugleich auch Gegebenheiten auf, die in einer Diktatur das 8
REZENSION KLEBRIGE JUGEND Von Veronika Schuchter Leben im Widerstand bestimmen. Zwischen Hoffnung auf Veränderung, Flucht, Exil, Gewalt, Traumata und schwerwiegenden Entscheidungen blühen immer noch unbeirrt und stark Liebe und Verbundenheit zur Heimat. In einer poetisch getragenen Sprache unterfüttert sie diesen Weg einfühlsam mit lyrischen und anderen literarischen Texten, in denen die Sehnsucht nach Freiheit metaphorisch zum Code wird. Und wie spricht man in solchen Zeiten über die Wahrheit? Diese Frage bündelt Bidian in einem Bild, das zeigt, dass man Repressionen mitunter auch kreativ begegnen kann bzw. literarisch: „Züge dürfen nicht grau sein. / Sie nehmen so alle Farbe mit. / Und man bleibt zurück, / ihnen ähnlich, / voll fremder Leute.“ E s beginnt mit einem Hörsturz. Als Nächstes spielen die Geschmacksnerven verrückt, und irgendwann kann sie sich nicht mehr rühren und wird panisch. Nach zehn Jahren als diplomierte Krankenpflegerin ist Anja am Ende ihrer Kräfte. Ihre Freundin Magda bringt sie heim zu ihren Eltern in ein obersteirisches „Industriekaff“, in das sie eigentlich nie zurückkehren wollte. Gerade noch war sie erwachsen, hatte eine Wohnung und stand voll im Berufsleben, und plötzlich soll sie sich in ihrem alten Jugendzimmer unter dem verstaubten Avril-Lavigne-Poster auskurieren. Mit ihren ehemaligen Freundinnen, „die jetzt alle selbstverständlich und rechtschaffen in heterosexuellen, verehelichten österreichischen Beziehungen gestrandet sind“, kann sie nichts mehr anfangen, nur mit Magda, mit der sie wie früher im Café Ulli Malibu Orange trinken will, diesen viel zu süßen, klebrigen Cocktail, der ihnen damals das Gefühl gab, erwachsen zu sein. Doch Magda taucht nicht allein auf der Faschingsparty auf, sondern hat ihren neuen Freund Volker im Gepäck. Anja sieht zunehmend Anzeichen einer toxischen Beziehung, doch Magda zieht sich immer mehr von ihr zurück. Die in Graz geborene Autorin Ulrike Haidacher kommt aus dem Kabarettbereich. Dort produziert sie nicht die großen Schenkelklopfer, sondern besticht mit einem Händchen für Situationskomik, Dialoge und unterschiedliche Beziehungskonstellationen. Auf dieses Rezept setzt sie auch in ihrem zweiten Roman „Malibu Orange“. Es gelingt Haidacher, das Gefühl zwischen Vertrautheit und Entfremdung zu beschreiben, das einen packt, wenn man in sein Elternhaus zurückkehrt. Am berührendsten ist das Kapitel über das Sterben der Großmutter, das Haidacher beim diesjährigen Bachmann-Preis-Bewerb gelesen hat. Ein bisschen verläuft sich der Text gegen Ende hin, aber das stört nicht weiter, denn die Autorin schreibt nicht auf einen spezifischen Punkt hin. Es ist nur ein sehr begrenzter Ausschnitt aus dem Leben ihrer Protagonistin, den Haidacher aber mit viel Witz und auch ein wenig Traurigkeit beschreibt. Das Pfauengemälde Roman von Maria Bidian Zsolnay 2024 320 S., geb., € 24,70 Malibu Orange Roman von Ulrike Haidacher Leykam 2024 214 S., geb., € 24,50 9
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