REZENSION EUROPÄISCHES LEUCHTTURM- PROJEKT Von Maria Renhardt Ü ber Europa ist schon viel Literarisches geschrieben worden. Neben dem Langgedicht „Die Sprache von Gibraltar“ von Björn Kuhligk sind wohl die Texte von Karl-Markus Gauß oder Robert Menasse besonders bekannt. Nun führt ein Debüt thematisch ins Herz der außenpolitischen Arbeit Brüssels. Die gebürtige Steirerin Theresia Töglhofer, die selbst im Bereich der EU-Erweiterung arbeitet, stellt in ihrem Roman „Tatendrang“ ein Projekt in den Mittelpunkt, das in Südosteuropa die Stärkung der Demokratie und Verständigung vorantreiben soll. Am Anfang steht für Hanna Fürst, die Protagonistin des Romans, ein Studienlehrgang an der Inter-Euro-Universität. Sie gewinnt tatsächlich einen der attraktiven Plätze im „Young Professional- Programm der Europäischen Außenzentrale“ und möchte am Schluss eine von denen sein, die nach diesem unbezahlten Praktikum bleiben können. Druck und Leistungsbereitschaft sind also immens hoch, denn für ihre Punkte braucht sie ein herzeigbares Resultat. Hanna landet in der Abteilung EUROPER, die sich mit den „Rändern“ Europas beschäftigt. Dort soll sie ein „Leuchtturmprojekt“ im wahrsten Sinn des Wortes ins Leben rufen, eine Friedensinitiative mit „Symbolkraft“ – auf einer Insel mit Grenzverlauf. Dafür koordiniert Hanna eine neue Arbeitsgruppe, der auch die Aktivisten Lej und Jakov als unmittelbar Betroffene angehören. Zwischen der strikten Drei-A-Regel („Achtung, Augenhöhe, Abstand“), Networking, Socializing und umständlichen bürokratischen Checklisten gerät sie emotional viel tiefer in die Materie hinein, als sie eigentlich will. Töglhofer bietet in ihrem temporeich und amüsant erzählten Roman lehrreiche Einblicke in die Arbeitsbedingungen junger Praktikantinnen und Praktikanten, die mit einem System voll starrer Hierarchien, Intrigen, Feindschaften und Wettbewerb konfrontiert sind, aber auch in die paradox raue Welt der Diplomatie mit einem genau vorgegebenen sprachlichen Reglement, das helfen soll, Programme auf den Weg zu bringen. Als Subtext liest man hier aber auch ein Plädoyer für tatsächliche Augenhöhe, die die Randzonen Europas politisch ehrlicher in den Blick nimmt. Tatendrang Roman von Theresia Töglhofer Residenz 2024 287 S., geb., € 25,– Von Veronika Schuchter E s beginnt wie eine Mischung aus Dystopie und Märchen: Zwei Frauen sind nachts auf dem Heimweg durch eine ausgestorben wirkende Stadt. Sie stoßen auf ein angeschlagenes Pferd, es lehnt an einem geschlossenen Gasthaus, auf dem Kopf ein deplatziertes Spitzenhäubchen. Die Frauen vermuten ein malträtiertes Fiakerpferd und nehmen sich seiner an – oder besser ihrer, denn der Rappe ist eine Stute. Das ungewöhnliche Trio trottet durch die Wiener Außenbezirke, bis es endlich bei dem Haus am Stadtrand ankommt. Die schwarze Stute sinkt völlig entkräftet im Garten nieder, die zwei Frauen legen sich daneben. Was für ein Bild: wie diese drei gemeinsam durch die Nacht wandern und schweigend nebeneinander im Gras liegen. Jana Volkmanns neuer Roman „Der beste Tag seit langem“ beginnt so atmosphärisch und geheimnisvoll, dass man sofort in diese Welt kippt und ein wenig verzaubert ist. Nicht weil hier eine Idylle erzählt wird, das Gegenteil ist der Fall. Die totale Erschöpfung wird spürbar, aber auch die Verbundenheit dieser drei Lebewesen. Die zwei Frauen sind die Ich-Erzählerin Maja und ihre Nichte Cordelia. Sie taufen die Stute Isidora und kümmern sich – ohne jegliches Wissen über Pferdehaltung – um das Tier, das inzwischen den Garten mit seinen beschlagenen Hufen in Schlamm verwandelt und die Hecke frisst. Viel zu sehen hat es nicht und Bewegung schon gar keine. Nebenan wohnt die mehr als wohlhabende Anwaltsfamilie Kargel, die aus sehr vielen Schwestern und einer Großmutter zu bestehen scheint und deren etwas aggressive Katze sich mit Vorliebe ins Haus von Maja und Cordelia schleicht. Die Angst vor der Entdeckung Isidoras durch die Kargels erweist sich als unbegründet. Nadja, eine der Kargel-Schwestern, hilft dabei, ein Dach für das Pferd zu bauen, neue Freundschaften entstehen. Vor allem bleibt es nicht bei dem Fiakerpferd. Beim Spazieren sammeln die mittlerweile drei Frauen einen ausgemergelten Beagle auf, ein Versuchstier aus dem Labor, vermutet Nadja. Dass Maja und Cordelia plötzlich lauter ausrangierte Nutztiere zulaufen, ist kein Zufall. Die sogenannten Nutztiere treten offenbar in den Streik. Jana Volkmann wendet sich in ihrem Roman einem Sujet zu, das seit einigen Jahren zum Trendthema avanciert ist. Die Human-Animal Studies beschäftigen sich mit der Beziehung zwischen Mensch und Tier, den Fragen, was beide trennt und verbindet und wie ein ethischer Umgang mit Tieren aussehen könnte. Auch in der Literatur wurden durch diese Fragestellungen neue Impulse gesetzt. Maxi Obexer beschäftigt sich in ihrem dieses Jahr erschienenen grandiosen Roman „Unter Tieren“ mit der Frage, wie man über Tiere sprechen kann, ohne paternalistisch zu sein oder sie zu vermenschlichen. Sie selbst führt das vor, und auch Jana Volkmann tappt nicht in die 6
REZENSION „Der et hat it ist melancholisch und an manchen Stellen scheint etas nheimliches durch die realistische rähloberfläche.“ STEHT EIN PFERD IM GARTEN MITREISSEND ERZÄHLT JANA VOLKMANN IN IHREM ROMAN „DER BESTE TAG SEIT LANGEM“ MIT UNGEWÖHNLICHEN FIGUREN VON DER BEZIEHUNG ZWISCHEN MENSCH UND TIER. Falle der Humanisierung oder der Idealisierung von Tieren. Ihre Tiere sind eigenwillig und eigenständig, ja widerborstig und manchmal sogar brutal. Nur weil sie sich helfen lassen, mutieren sie nicht zu treuherzigen Haustieren, die sich auf den Füßen ihrer selbstgerechten Retter zusammenrollen und in ewiger Dankbarkeit streicheln lassen. Vielmehr beginnt ein Prozess der Emanzipierung der Tiere, die sich nicht länger kapitalistisch ausbeuten lassen wollen. Wobei: Das führt schon wieder zu weit, denn dass dem wirklich so ist, dafür liefert der Text keinen Beweis. Jana Volkmann erzählt ihre Geschichte nicht als Parabel oder anderweitig allegorisch aufgeladen. Ihr Roman ist so gut, weil sie eine mitreißende Erzählerin ist, nicht weil sie ein Statement setzen möchte oder eine Theorie literarisch umsetzt. Natürlich erinnert das geschundene Fiakerpferd an Nietzsches Begegnung mit einem Droschkenpferd in Turin, das ihn so rührte, dass er es umarmte. Doch Volkmann überfrachtet ihren Text nicht symbolisch. Wollte man eine literarische Traditionslinie ausmachen, wäre das vielleicht der magische Realismus. Volkmanns Figuren sind ein bisschen ungewöhnlich und schräg, aber nicht skurril. Cordelia schließt sich einer Tierrechtsgruppe an und beteiligt sich an Protestaktionen. Zurück bleibt Maja, die erst ihren eigenen Weg finden muss. Als selbstständige Ghostwriterin erschreibt sie anderen Menschen akademische Titel, was Intelligenz, Uneitelkeit und die Fähigkeit der emotionalen Distanzierung erfordert. Genau so agiert sie auch als Erzählerin. Maja gibt sich nicht der Illusion hin, eine Retterin zu sein: „Man konnte ja in einer für Menschen und durch sie errichteten Wirklichkeit nicht einmal nett sein zu Tieren, man konnte nur die Grausamkeiten ein wenig reduzieren, wenn man sich eine ungeheure Mühe gab. Aber jemanden zu retten, das war ein Ding der Unmöglichkeit, eine Illusion.“ Volkmann will erzählerisch viel, und das kann einen Text schnell überladen. Wähnt man sich zunächst in einem dystopischen Märchen, wird daraus ein Familiendrama, ein Aktivismusroman und schließlich die Entwicklungsgeschichte der Erzählerin. Der Text hat Witz, ist melancholisch, und an manchen Stellen scheint etwas Unheimliches durch die realistische Erzähloberfläche. Das Haus beginnt sich langsam in seine Bestandteile aufzulösen. Die Stadt ist Wien, doch manchmal wirkt sie wie eine Ruinenlandschaft. Volkmann löst all diese Assoziationen aus, ohne sie jemals offen zu benennen. Sie wechselt das Tempo, die Stimmung, und einmal fällt aus dem Nichts eine fremde Stimme in die Erzählung ein. Doch die Autorin macht das unauffällig und dosiert ihre einzelnen Komponenten vorsichtig und geschickt. Der beste Tag seit langem Roman von Jana Volkmann Residenz 2024 249 S., geb., € 26,– 7
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