Foto: Styria Media Group / Marija Kanizaj Brigitte Schwens-Harrant Inhalt Die österreichische Literatur sei eigen, hört man immer wieder, und Anton Thuswaldner greift dieses Thema in seinem Essay auf. Seit Österreich 2023 Gastland auf der Leipziger Buchmesse war, scheint sie besonders „hoch im Kurs“. Aufmerksamkeit muss man in gewisser Weise eben auch herstellen. Der österreichische Buchpreis bietet eine solche Möglichkeit, eine andere ist die Buchmesse in Wien, die heuer vom 20. bis 24. November stattfi ndet. Das Herstellen zieht sich als Thema optisch durch diese Literaturbeilage, die Rainer Messerklinger wie eine Bauanleitung gestaltet hat. Literatur auf dem Weg in die Öffentlichkeit. 4 „In den Stadtraum eingeschrieben“ In „Halbnah“ untersucht Anna Maria Stadler erweiterte Möglichkeiten für das Leben im urbanen Raum. 5 Fühler einziehen, weiterkriechen! „Nacktschnecken“ sind das Abscheusymbol im Debütroman von Annemarie Andre. 6 Europäisches Leuchtturmprojekt Theresia Töglhofer thematisiert in „Tatendrang“ eine Initiative, die die Stärkung der Demokratie vorantreiben soll. 6 Steht ein Pferd im Garten Jana Volkmann erzählt in „Der beste Tag seit langem“ von der Beziehung zwischen Mensch und Tier. 8 „Uns Kinder des Kommunismus belügt man nicht“ Maria Bidian zeigt in „Das Pfauengemälde“ die emotionale Geschichte einer familiären Spurensuche. 9 Klebrige Jugend Ulrike Haidacher besticht auch in „Malibu Orange“ mit Dialogen und Beziehungskonstellationen. 10 „Feuer rollen in Endlosschleifen“ Eva Maria Leuenberger widmet sich in ihrem dritten Lyrikband „die spinne“ der Klimakatastrophe. 11 Johanna macht ihr eigenes Ding Andreas Jungwirth schreitet in seinem Roman „Alle meine Namen“ ein Leben ab. 12 „Was ist man außer man selbst? Doch wohl nichts.“ „Auf vertrauten Umwegen“ ist Julian Schutting in seinen „datierten Blättern“ unterwegs. 14 Emotionale Suchbewegungen Zwei neue Bilderbücher schaffen den Raum für kindliche Gefühlswelten. Publiziert mit Unterstützung des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport Von Anton Thuswaldner D en Anfang machte der Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Seit dem Jahr 2005 wird zu Beginn der Frankfurter Buchmesse der Preis für den besten deutschsprachigen Roman vergeben. Eine Jury aus Kritikern, Schriftstellern und Buchhändlern einigt sich in einem mehrstufigen Auswahlverfahren auf das zu prämierende Werk. Nach einer Longlist, bestehend aus 20 Titeln, folgt die Kür einer Shortlist, auf der sechs Titel verbleiben. Am Ende gibt es einen Sieger oder eine Siegerin. Monate ziehen ins Land, bevor die Entscheidung, publikumswirksam öffentlich verlesen, feststeht. Das garantiert Diskussionen, Streit und vor allem jede Menge Besserwisserei. Das Ziel ist, dem Medium Buch verstärkt Aufmerksamkeit zu verschaffen. Dazu ist jeder Wirbel gut. Natürlich erweist sich das Verfahren als problematisch, weil es ohne Ungerechtigkeiten nicht abgehen kann. Wie viele Bücher blieben auf der Strecke, weil sich gerade niemand fand, der sich für sie so stark machen konnte, dass sie als maßgebend für das jeweilige Jahr in Erwägung gezogen wurden. Immerhin geht es um eine Menge Geld und erheblichen Popularitätszuwachs. 25.000 Euro sind als Hauptpreis vorgesehen, für die fünf verbleibenden Verfasser, deren Werk es auf die Shortlist geschafft haben, werden jeweils 2500 Euro vergeben. Es passiert nicht oft, dass man sozusagen zusehen kann, wie ein Star gemacht wird. Als Vorbild dienten der britische Booker Prize und der Prix Goncourt in Frankreich. Für den Österreichischen Buchpreis griff man auf die Vorgaben des Deutschen Buchpreises zurück. Im Zeitraum von 19 Jahren schafften es mit Arno Geiger, Robert Menasse und Tonio Schachinger gerade einmal drei Autoren zu Preiswürden. Grund genug, die österreichische Version davon ins Leben zu rufen. Eine bunte Jury, die divergierende Interessen vertritt – im Buchhandel zählt vorwiegend das Verkaufsargument, in der Literaturkritik setzt man auf ästhetische Kriterien –, muss sich zusammenraufen, um am Ende dieses eine Buch aus der Fülle der Einreichungen zu ziehen. Das ist mit einer gehörigen Portion Verantwortung verbunden. Er ist auf Dauerhaftigkeit ausgerichtet. Von Kandidaten, die mit einem bedeutenden Literaturpreis ausgezeichnet werden, ist zu erwarten, dass sie kanonbildend wirken. Sie stehen dafür, was die Gegenwartsliteratur vorläufig ihrem Publikum zu bieten imstande ist. Über die Jahre gesehen erhebt der Österreichische Buchpreis den Anspruch, eine Leistungsschau österreichischer Schreibbemühungen zu liefern. Die Absetzbewegung vom Deutschen Buchpreis ist schon deshalb notwen- 2
ESSAY HOCH IM KURS SEIT 2016 WIRD JEDES JAHR DER ÖSTERREICHISCHE BUCHPREIS VERGEBEN. EINE CHANCE, AUF SEHR EIGENE ARTEN DES SCHREIBENS AUFMERKSAM ZU MACHEN. dig, weil die österreichische Literatur hoch im Kurs steht, was durch den Deutschen Buchpreis nicht entsprechend abgebildet wird. Tatsächlich unterscheidet sich die österreichische Literatur von der deutschen. Spracharbeit ist ihr wichtiger, es gibt die lange Tradition der Wortklauber von Johann Nestroy über Karl Kraus und die Wiener Gruppe bis zu Bodo Hell und Brigitta Falkner. Als 2016 der Preis zum ersten Mal vergeben wurde, wirkte das wie eine Korrektur der deutschen Vorgabe. Eva Schmidt und Reinhard Kaiser-Mühlecker, die in Deutschland auf der Shortlist als österreichische Kandidaten gehandelt wurden, kamen in Österreich gar nicht vor. Dafür waren auf der österreichischen Shortlist Dichter aus der sprachkritischen Tradition wie Friederike Mayröcker und Peter Waterhouse gereiht. Sie bildeten den Kontrapunkt zu den prallen Erzählern vom Format eines Bodo Kirchhoff und André Kubiczek. Am Ende standen sich Friederike Mayröcker in Österreich und Bodo Kirchhoff in Deutschland als jene Prosaautoren gegenüber, die uns zeigen sollten, wo es langgeht. Für Mayröcker war das die Bestätigung eines Lebenswerks, das worthungrig und erzählverweigernd aus dem Inneren einer Sprachdenkerin kommt. Das war keine Entdeckung, die man einer „unktioniert die deutsche iteratur ie ein orglich geschmiertes aschinchen sind in der sterreichischen gern Strfaktoren eingebaut.“ staunenden Öffentlichkeit präsentieren musste, sondern ein Hinweis für die Leser, sich dringend der Zauberkräfte einer der Großen der deutschsprachigen Literatur zu vergewissern. So ging es nicht weiter. Neues Jahr, neue Jury, 2017 war das Jahr des handfesten Erzählens. Eva Menasses Erzählband „Tiere für Fortgeschrittene“ holte sich in Österreich den Titel, in Deutschland machte ihr Bruder Robert Menasse mit seinem Europa-Roman „Die Hauptstadt“ das Rennen. In Österreich hatte er es auf die Shortlist geschafft, wo wieder zwei Bücher zur Diskussion standen, die die Spracharbeit in den Vordergrund stellten: Olga Flors Roman „Klartraum“ und Brigitta Falkners Wunderwerk aus Sprachverliebtheit, Biologie und Zeichenlust, „Strategien der Wirtsfindung“, Bücher, die im deutschen Pendant gar nicht in Erwägung gezogen wurden. Die österreichische Version des Buchpreises blickt auf die schmuddeligere Art des Schreibens. Funktioniert die deutsche Literatur wie ein vorzüglich geschmiertes Maschinchen, sind in der österreichischen gern Störfaktoren eingebaut. In der Form, die nicht restlos aufgehen und sich zu einem perfekten Ganzen fügen muss, und im Inhalt, wo so oft jene alle Aufmerksamkeit bekommen, die neben der Spur stehen. Man denke nur an Herrn Turin aus Daniel Wissers Roman „Königin der Berge“, eine richtige Zwiderwurzn. Zu Recht eigentlich. Seine Endstation ist das Pflegeheim, das Granteln ist ihm zur adäquaten Lebensform geworden. Und wer meint, dass Tod und Siechtum Grund für Depression sein müssen, kommt durch Herrn Turins Fantasiewelten bald einmal auf den Aberwitz, der Unerträgliches austrickst. Unzuverlässigkeit, wo immer man hinschaut, auch so eine österreichische Art der Wirklichkeitsvernebelung. Dafür war Wisser 2018 der Buchpreis gewiss. Mit Wirklichkeitsvernebelung kennt sich Norbert Gstrein auch aus. Auf den ersten Blick liest sich der Roman „Als ich jung war“ (Österreichischer Buchpreis 2019) wie die Rekonstruktion eines störrischen Lebens aus der Ich-Perspektive. Doch dieses Ich ist ein Erzählschwindler, der Spuren auslegt, möglicherweise lauter falsche. Eine Welt, die aus dem Kopf kommt und als die reine Wahrheit erscheinen will, ist auch so eine Spezialität des Landes, in dem manches verschwiegen, anderes zurechtgelogen wird. „Zurechtgelogen“ – ein hartes Wort für die nie bös gemeinte Weise, Unannehmlichkeiten aus dem Weg zu gehen. Nimmt man noch den Preisträger von 2020 dazu, Xaver Bayer mit seinem Band „Geschichten mit Marianne“, dann bekommt man überhaupt den Eindruck, sich in einem Land der bösen Geister aufzuhalten. Eine ausgesprochen wankelmütige Wirklichkeit entsteht Geschichte für Geschichte; der Alltag gibt nur das Sprungbrett ab, um in jene unheimlichen Räume der Seele abzutauchen, wo Ängste lauern und Gefahren drohen, in die Abgründe eben. Clemens J. Setz war mit dem Roman „Monde vor der Landung“ der Gewinner des vorigen Jahres, in dem er kluge Leute von der Bahn abkommen lässt, um sich in eine Form von Schwurbelwissenschaft zu verbeißen. Großartig zu lesen und unheimlich mit Blick auf Verschwörungstheoretiker von heute. 3
Laden...
Laden...
Ihr Zugang zu neuen Perspektiven und
mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte.
© 2023 DIE FURCHE