DIE FURCHE · 47 14 Diskurs 21. November 2024 ERKLÄR MIR DEINE WELT Abschied vom Gerümpel der Vergangenheit Den gesamten Briefwechsel zwischen Johanna Hirzberger und Hubert Gaisbauer können Sie auf furche.at bzw. unter diesem QR-Code nachlesen. Johanna Hirzberger ist Redakteurin von „Radio Radieschen“ und freie Mitarbeiterin von Ö1. „ Heuer ist ein ,Aufräumjahr‘: Ich habe Lust, mich von Dingen und Vorstellungen zu lösen. Begonnen hat es mit meinem vollgestopften Kinderzimmer. “ Manchmal habe ich Hemmungen, Ihren Brief zu lesen. Warum, weiß ich nicht genau. Vielleicht liegt es daran, dass ich mir selbst zu viel Druck mache, etwas Bedeutendes oder Sinnvolles antworten zu müssen. Vielleicht ist es auch die Angst, nicht den richtigen Ton zu treffen oder etwas Falsches zu sagen. Und um ehrlich zu sein: Nach Ihrem letzten, sehr persönlichen Text fällt es mir diese Woche besonders schwer. Mit Abschieden komme ich nämlich ganz schwer klar. Eigentlich muss ich an etwas (einem Chaos oder einer Beziehung) fast schon ersticken, damit ich mich in Frieden davon verabschieden kann. Vor einigen Monaten überkam mich genau dieses Gefühl und ich habe mich von meinem Kinderzimmer verabschiedet. Ein seltsames, aber auch befreiendes Gefühl. Der Raum, der mich so viele Jahre lang begleitet hatte, war mittlerweile vollgestopft mit Dingen, die mich eher erdrückten als inspirierten. Es war, als ob das Zimmer selbst eine Geschichte von mir erzählte – nur eine, die nicht mehr zu mir passte. Anstatt in den positiven Erinnerungen zu schwelgen, fühlte ich mich immer mehr von der Vergangenheit niedergedrückt. Jedes Mal, wenn ich meine Eltern besuchte und bei ihnen übernachtete, schien es, als gäbe es keinen Platz für die Gegenwarts-Johanna. Eines Morgens hatte ich das satt. Ich begann mit dem Entrümpeln. Ich öffnete die lila Box neben meinem Bett, die ich schon lange nicht mehr angerührt hatte, und fand darin ein altes Deutsch-Hausübungsheft. Es war wie eine Zeitreise, die ich nur jedem, der seinem vergangenen Ich einen Besuch abstatten möchte, empfehlen kann. Als ich das Heft aufschlug, stieß ich auf eine Geschichte, die ich damals geschrieben hatte. Das Thema war „6 Uhr morgens“. Statt von meinem eigenen Leben zu erzählen, hatte ich mich damals entschieden, eine humorvolle Szene zu beschreiben, die das Ende einer Partynacht schilderte. Ich erinnere mich noch genau, wie ich die Geschichte damals in der Klasse vorlas und wie alle, besonders meine Freundinnen, laut lachten. Für mich war diese Reaktion ein voller Erfolg. Mein Lehrer sah das anders. Er war selbst Schriftsteller und fand die Geschichte zu seicht und gab mir eine schlechte Note. Seither zweifle ich immer wieder an meinen Texten, auch wenn sie mir gefallen. Wenn ich nun so über diese Entrümpelungsaktion nachdenke, merke ich, dass dieses Jahr für mich insgesamt ein „Aufräumjahr“ ist. Es ist das erste Mal, dass ich tatsächlich Lust habe, mich von Dingen und Vorstellungen zu lösen. Übrigens: Gerade lese ich das Buch „Abschied als Anfang – Leben ist Wandlung“ von Verena Kast. Sie bezeichnet darin die Energie, die nach der Trauerphase aktiviert wird, um das weitere Leben zu bewältigen, als „schöpferische Vorstellungskraft“, die sie als eine „existenzielle Grundbegabung des Menschen“ bezeichnet. Diese Idee gefällt mir. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf fühlt sich unser Briefwechsel für mich wie eine „schöpferische“ Morgengymnastik an. Zumindest motiviert mich dieser Gedanke – auch wenn ich nicht ganz verstanden haben sollte, was mir Verena Kast in ihrem Buch eigentlich sagen will. Aber auch von diesem Anspruch kann man sich irgendwann einmal befreit verabschieden. KOMMENTAR Eine pauschale Gehaltserhöhung ist verfehlt Am Montag starteten die Gehaltsverhandlungen im öffentlichen Dienst – zumindest offiziell. Denn schon vorab gab es einen medialen Schlagabtausch. Mit einem Zwischenruf provozierte Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker. Sie plädierte gegenüber der Kronenzeitung für eine Nulllohnrunde der Beamten. Diese „müssten sich auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten keine Sorgen um ihre Beschäftigung machen“, und könnten daher einen Beitrag zur Budgetsanierung leisten. August Wöginger (ÖVP), Leiter des Österreichischen Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerbundes (ÖAAB), empörte sich: „Es dürfte ihr nicht klar sein, dass der Rechnungshof ein Kontrollorgan des Parlaments und nicht ein politisches Organ ist.“ Auch die prophylaktischen Streikdrohungen der Lehrkräftevertretung sind unüblich: Schon am 26. November könnten tausende Lehrer demonstrieren. Der Grund für den Unmut: Die Gehaltsgespräche beginnen mit einem Vierteljahr Verspätung, Beamtenminister Werner Kogler (Die Grünen) hatte sich lange bitten lassen. Die falsche Schraube Nun haben sie endlich am Verhandlungstisch Platz genommen: Eckehard Quin, Vorsitzender der Gewerkschaft öffentlicher Dienst (GÖD), vertritt die Lehrkräfte, die mit Abstand größte Beamten-Gruppe, sowie Personen in Gesundheitswesen, Verwaltung und Polizei. Ihm gegenüber sitzt neben Kogler auch Überraschungsgast und Noch-Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP), der sich aber bald gen Brüssel verabschieden wird. „ Fragt man Lehrkräfte, warum sie ihren Beruf verlassen, dann erfährt man: Es geht ihnen nicht ums Geld. “ Zu den Fakten: Die Gehälter von Pädagogen in Österreich liegen bei allen Schultypen und an jedem Punkt der Karriere über dem OECD-Schnitt. 2023 verdienten Volksschullehrkräfte hierzulande etwa 55.000 Euro beim Berufseinstieg, bis maximal 96.000 Euro (kaufkraftbereinigt). Das durchschnittliche OECD- Gehalt sind etwa 40.000 Euro, das Höchstgehalt rund 65.000 Euro. Auch in der Sekundarstufe I und in der AHS-Oberstufe liegen die Einkommen in Österreich deutlich über dem Schnitt. Fragt man Lehrkräfte, warum sie ihren Beruf verlassen, dann erfährt man: Es geht ihnen nicht ums Geld. Das unterstrich auch eine Umfrage unter Salzburger Lehrkräften, die gekündigt hatten. Sie beklagten mangelnde Unterstützung durch Schulleitungen und die Bildungsdirektion und die übermäßige Bürokratie. Das Verhalten der Schülerinnen und Schüler war für sie kein Motiv, um der Schule den Rücken zu kehren – fordernde Eltern allerdings schon. In Städten und Pflichtschulen kommen mangelnde Deutschkenntnisse und ein Anstieg psychischer Probleme hinzu. Und all das bei chronischem Personalmangel. In Wien unterrichtet mittlerweile jede fünfte Pflichtschullehrkraft ohne Abschluss. Studierende im Klassenzimmer: eine Notlösung, die längst Normalität ist. Quereinsteiger aus der Privatwirtschaft bestätigen den Ausnahmezustand. Eine 28-jährige Betriebswirtin, die zwei Jahre an einer Wiener Mittelschule unterrichtete, schilderte der FURCHE Anfang des Jahres: „Du hast Schüler mit ADHS oder Autismus, aber keine Schulung oder Unterstützung. Ich mache da nicht mehr mit.“ Eine pauschale Gehaltserhöhung ist also verfehlt. Besser wären Prämien für Lehrkräfte, die ihren Job besonders gut machen, sowie Erschwerniszulagen für jene, die an sehr herausfordernden Standorten arbeiten. Gewerkschafter Quin erklärte zwar, dass Arbeitsdruck und Personalmangel es zunehmend erschweren, am Arbeitsmarkt konkurrenzfähig zu bleiben. Und ganz unrecht hat er nicht, denn Süddeutschland versucht schon jetzt mit höheren Gehältern österreichische Lehrkräfte abzuwerben. Es stimmt auch, dass eine Volksschullehrperson nur 74 Prozent des durchschnittlichen Akademiker-Gehalts verdient. Doch das ist es nicht, was den Beruf unattraktiv macht. Das Problem ist, dass Pädagoginnen und Pädagogen überfrachtet werden mit Aufgaben, für die früher die Allgemeinheit verantwortlich war. Kinder für eine kaputte Welt rüsten „Als Gesellschaft spielen wir jedes neue Thema über die Schule“, sagte Schulpsychologin Andrea Richter im FURCHE-Interview. Die UN-Klimakonferenz in Baku liefert dürftige Erfolge, von USA bis Ungarn zementieren Rechtspopulisten ihre Macht, die EU scheitert an einer fairen Migrationspolitik sowie der Regulation der Sozialen Plattformen. Egal, die Schule wird es richten: Sie soll jungen Menschen Klimabewusstsein, Demokratiebildung, interkulturelles Verständnis und Medienkompetenz beibringen. Und das am besten „fächerübergreifend“, das heißt: mal eben zwischen Rechnen, Lesen und Wirtschaftskunde. Angesichts dessen sind die Forderungen der Lehrkräfte nach einer Art „Schmerzensgeld“ nachvollziehbar. Doch die klaffenden Wunden im Bildungssystem wird eine Gehaltserhöhung nicht beheben. (Magdalena Schwarz) Medieninhaber, Herausgeber und Verlag: Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KG Hainburger Straße 33, 1030 Wien www.furche.at Geschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner, Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Chefredakteurin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Redaktion: Philipp Axmann BA, MMaga. Astrid Göttche, Dipl.-Soz. (Univ.) Brigitte Quint (CvD), Magdalena Schwarz MA MSc, Dr. Brigitte Schwens-Harrant, Mag. Till Schönwälder, Dr. Martin Tauss Artdirector/Layout: Rainer Messerklinger Aboservice: +43 1 512 52 61-52 aboservice@furche.at Jahresabo (inkl. Digital): € 298,– Digitalabo: € 180,–; Uniabo (inkl. Digital): € 120,– Bezugsabmeldung nur schriftlich zum Ende der Mindestbezugsdauer bzw. des vereinbarten Zeitraums mit vierwöchiger Kündigungsfrist. 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DIE FURCHE · 47 21. November 2024 Diskurs 15 Unter Elon Musk ist Twitter zu X und zu einem Hort von rechten Ideologien, Verschwörungserzählungen sowie Irrsinn geworden. Höchste Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen. Anmerkungen eines Zaungastes. #eXit von X: Endlich ausgezwitschert Auch als Journalist alten Stiles kam man spätestens in den 2010er Jahren nicht umhin, sich mit den Social Media nicht nur auseinanderzusetzen, sondern darin auch präsent zu sein. Ich gebe zu, dass ich mit diesen neuen Medien zunächst ordentlich gefremdelt habe. Insbesondere wenn ich zuhauf persönliche Details und Intimitäten wie private Belanglosigkeiten zu Gesicht bekam, habe ich mich gefragt, wie denn diese Kommunikationsform die Menschheit weiterbringen soll. Und ich gestehe, dass mich das Grundmisstrauen nie verlassen hat. Denn gerade die letzten politischen Umbrüche im „freien“ Westen, die bis vor Kurzem völlig undenkbar waren, haben auch und gerade mit der Konkurrenz der Social Media mit dem, was bislang „Qualitätsjournalismus“ hieß, zu tun. Aber mit dem Maß, in dem sich politischer Diskurs – so platt und tief er auch sein mochte – in die Social Media verlegte, wäre es völlig unjournalistisch, sich nicht darin konstruktiv umzutun. Ich persönlich habe mich für Twitter als Plattform entschieden, weil ich dort politische Diskurse und viele Informationen vorgefunden habe – und bin dort auch noch immer als Social- Media-Zaungast präsent. Es interessierte mich auch die Meinung von Kolleginnen und Kollegen heimischer Qualitätsmedien aller Couleur, die es zu beachtlichen Follower-Zahlen gebracht haben. Ich gebe zu: Auch hier war ich von Anfang an genervt, wenn da persönliche Befindlichkeiten und Schicksale, die selten überprüfbar sind, in meiner Timeline aufgepoppt sind. Auch wenn ein vieltwitternder Chefredakteur sich über gurkensalatmampfende Bahn-Mitfahrende mokiert, war ich selten amused. Twittern war halt auch ein Synonym für Geschwätzigkeit. Irre Wortmeldungen im Minutentakt Ein erster Tiefpunkt war der US-Präsidentschaftswahlkampf 2020, wo Donald Trump Twitter schon einmal zur Lügen- und Fake- News-Plattform verkommen ließ. Aber als der US-Präsident Anfang 2021 von Twitter gesperrt wurde, begann eine kurze Spanne der Normalität, die allerdings mit der Übernahme von Twitter durch Elon Musk 2023 abrupt endete. Musk „deregulierte“ die Beschränkungen von Hassrede auf X, wie er Twitter umbenannt hatte, mit dem Argument, dass dies die Meinungsfreiheit beschneide. Im jüngsten US- Wahlkampf zeigte sich, dass dies mit einer Flut an rechtsextremen oder verschwörungserzählerischen Posts einherging. Auch als Zaungast kann man sich seither vor Elon Musks irren Wortmeldungen, die nicht selten im Minutentakt folgen, nicht mehr erwehren. Letzten Sonntag behelligte mich der verhaltensauffällige Milliardär und US-Wahlkampfgewinnler innerhalb weniger Minuten mit einem Foto seiner selbst neben Trump mit ZEIT- WEISE Von Otto Friedrich „ Seit der US-Wahl nehmen Abschiede von X deutlich zu. Am Sonntag folgte in Österreich ein kleiner Paukenschlag. “ dem Text: „Guess who’s that?“ Dann folgte ein Kurzvideo einer weitgehend Unbekleideten mit großem, wogendem Busen im Stil eines Playboy-Covers. Musks Text dazu: „I can’t believe this is Trump’s new Press Secretary“. Dass eine derartige Person nun die Presse-Briefings im Weißen Haus veranstaltet, schockiert ob der anderen Personalauswahl Trumps kaum mehr. Auch diese Entscheidungen hatte Musk in seinen Posts in höchsten Tönen gepriesen. Dass er wenig später in einem weiteren Post ein Loblied auf den argentinischen Präsidenten Javier Milei weiterleitete, weil dieser die Einfuhr- zölle abschafft, war dann doch verwunderlich: Hatte Donald Trump, Elon Musks großer Held, nicht wieder und wieder betont, dass „Einfuhrzoll“ das wichtigste Wort seiner zweiten Präsidentschaft wäre? Seit Musks Eskapaden auf X gibt es Absetzbewegungen von der Plattform. Werbekunden zogen sich zurück, alternative Plattformen wie Threads aus der Facebook-Instagram-Familie boten sich an – allerdings gelang es nicht, X nahezukommen. Ähnliches gilt für die dezentral organisierte Plattform Mastodon: Alles probiert, aber kein Vergleich. Doch seit der US-Wahl nehmen Abschiede von X deutlich zu. Relevante Medien wie der britische Guardian und andere wechselten auf die junge, ebenfalls dezentrale Plattform Bluesky, die in Design und Funktionen Twitter ähnelt (und von dorther auch gegründet wurde). Armin Wolf: „Es war vor allem giftig.“ Am Sonntag folgte ein kleiner Paukenschlag der österreichischen Twitter-Community. Eine Reihe prominenter Journalistinnen und Journalisten hat X verlassen und ist zu Bluesky gewechselt. Darunter sind Österreichs Follower-Kaiser (640.000) und ZIB 2-Anchorman Armin Wolf, Falter-Chef Florian Klenk, Kleine Zeitung-Wien-Chef Michael Jungwirth, Standard-Chefredakteur Gerold Riedmann, Puls 4-News-Chefin Corinna Milborn und andere dem Qualitätsjournalismus rechts und links der Mitte Verpflichtete. Begründung für die unter dem Hashtag #eXit laufende Aktion: Die Beschimpfungen und Hasspostings hätten in den letzten Monaten zu stark zugenommen. Armin Wolf bezeichnete Twitter in seinem Blog als „eine geniale — und unfassbar schnelle — Nachrichtenagentur und gleichzeitig ein unerschöpfliches Archiv“. Nun aber zieht er mit anderen einen Schlussstrich: „Es war sehr lange schön mit dir, Twitter, aber in den letzten Jahren, seit du dich nur mehr X nennst und täglich immer weiter radikalisierst, war es gar nicht mehr schön, sondern vor allem giftig, voller Lügen, aggressiv und deprimierend.“ Auch als Zaungast werde ich mich dem anschließen. Der Autor war bis April 2024 stv. Chefredakteur der FURCHE. ZUGESPITZT Ein Zahn, viele Taler Es begann mit einem dumpfen Pochen im Zahn und endete damit, dass mich zwei Männer festhielten, während ein Dritter mit einer Zange auf mich zuging. Seine Schürze, verziert mit getrocknetem Blut, ließ nichts Gutes ahnen. Der Reihe nach. Seit Tagen hatte ich Zahnschmerzen. Es half nichts: Der Übeltäter musste raus. Ich musste zum Bader. Zögerlich klopfte ich an seine Tür. Schwungvoll flog sie auf. Was ich wolle, fragte ein Hüne. Sein Blick fiel auf meine geschwollene Wange. „Zahnweh?“ fragte er süffisant. Er nannte seinen Preis. “Ich habe nicht nur Löcher im Zahn, sondern auch im Geldbeutel”, antwortete ich flehend. Es blitzte etwas in seinen Augen auf – ein Funken Inspiration oder vielleicht einfach der Wunsch, mich zu quälen. Sein Vorschlag: „Du lässt mich vor Publikum deinen Zahn ziehen. Die Eintrittsgebühren werden die Rechnung begleichen.“ Ich nickte. Er grinste. Zahnlos. Schaulustige sammelten sich bereits um die Bühne und streckten dem Mann die Taler entgegen. Der Bader kam auf mich zu, mit einer Zange, so groß wie sein Unterarm. Seine Helfer hielten mich fest. Ich schrie, die Menge johlte. Der Zahn wurde gezogen, ich schmeckte Blut und mir wurde schwarz vor Augen. Als ich sie öffnete, blickte ich auf eine Zahnarztrechnung. Miriam Al Kafur PORTRÄTIERT Skulptur und Infrastruktur Sie verwendet mit Straßensperren, Schienen und Brückenteilen Elemente aus der städtischen Infrastruktur und thematisiert in ihren Arbeiten damit den öffentlichen Raum der Stadt, mit ihren Ordnungen und Ordnungssystemen, aber auch mit ihren Ausgrenzungsmechanismen. Die Materialien, mit denen die Bildhauerin Cäcilia Brown arbeitet, sind einerseits schwere und harte wie Beton, Stahl und Ziegel, aber sie greift auch auf Holz, Wachs und Keramik zurück. Sie arbeitet Fundstücke um – teils auch durch Verbrennen – und macht aus ihnen Neues. „Eine wichtige Rolle für die Entstehung von Cäcilia Browns Arbeiten bildet das Verhältnis von Drei- und Zweidimensionalität, was sich in der Einbindung von Fotografie manifestiert. Bestandteil des Entstehungsprozesses ist auch ein dialogisches Prinzip, das Führen von Gesprächen, um Geschichten zu erfahren, die dann wiederum Browns Skulpturen mitformen.“ So begründete die Jury ihre Entscheidung, Brown mit dem diesjährigen Msgr. Otto Mauer Preis für bildende Kunst auszuzeichnen, der heuer zum 44. Mal vergeben wird. Die Jury erwähnte auch ihren „subtil-pointierten, mitunter auch humoristischen Umgang mit Sprache, der sich u. a. in den assoziativ-poetischen Titeln manifestiert, so heißen ihre Objekte oder Serien etwa ‚Intercity. Willkommen im Parlament‘ (2013), ‚Problemwalze‘ (2015), ‚Aus der Serie der leichten Mädchen: die Kupferdiebin‘ (2017), ‚Nun entschuldigen Sie mir, ich bin hier‘ (2012) oder ‚Über die Männersteuer‘ (2017).“ Geboren 1983 in Sens, Frankreich, wuchs Cäcilia Brown bei Salzburg auf. Sie studierte Performative Kunst und Bildhauerei und Film an der Akademie der bildenden Künste Wien und ist seit 2015 Dozentin an der Kunst Universität Linz. Sie arbeitete als Kunstvermittlerin im Atelier im Kindermuseum Zoom und führte wöchentliche Kinderkunstworkshops in temporären Flüchtlingsunterkünften in Wien durch. Der Msgr. Otto Mauer Preis für bildende Kunst, der mit 11.000 Euro dotiert ist, wird am 28. November 2024 im Erzbischöflichen Palais in Wien überreicht. Vom 19. Dezember 2024 bis 1. Februar 2025 werden im Jesuiten- Foyer in Wien ausgewählte Arbeiten der Preisträgerin gezeigt (geöffnet jeweils am Donnerstag und Freitag von 16 bis 18 Uhr und am Samstag von 11 bis 13 Uhr. Zwischen 24. Dezember 2024 und 6. Jänner 2025 geschlossen. Eintritt frei). (bsh/Otto Mauer Fonds) Foto: Anthony Brown Die Bildhauerin Cäcilia Brown erhält am 28. November den Msgr. Otto Mauer Preis für bildende Kunst 2024.
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