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DIE FURCHE 21.11.2024 + booklet

DIE

DIE FURCHE · 47 10 Religion/Film 21. November 2024 Von Otto Friedrich Trotz aller Synodalitätsversuche trägt die katholische Kirche, in Kategorien der Staatstheorie ausgedrückt, viele Elemente einer absoluten Monarchie in sich: Der Papst an der Spitze vereinigt mit dem Jurisdiktionsprimat in seiner Person auch die in modernen Staatswesen getrennten Gewalten von Gesetzgebung, Regierung und Rechtsprechung. Der globalen Mediengesellschaft kommt solch personalisierte Monokratie entgegen: An der Person des Papstes lässt sich die katholische Kirche simplifiziert darstellen, auch wenn einige ihrer demokratiegewöhnten Schäfchen den archaischen Absolutismus zu bekämpfen pflegen. Das katholische Regime definiert sich dabei nicht durch Abstammung wie traditionelle Königtümer, sondern es handelt sich um eine „Wahlmonarchie“: Stirbt der Papst, so versammelt sich das etwa 120-köpfige Kardinalskollegium zum Konklave – jeder Kardinal unter 80 kann an der Papstwahl teilnehmen. Die Wahlversammlung findet in der Sixtinischen Kapelle, einem Nebengebäude des Petersdoms in Rom, unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Das Prozedere ist genau festgelegt: ein bis zwei Wahlgänge pro Halbtag, wer eine Zweidrittelmehrheit der versammelten Kardinäle erreicht hat und die Wahl annimmt, ist der neue Papst. Die Stimmzettel eines erfolglosen Wahlgangs werden so verbrannt, dass schwarzer Rauch aus der Sixtina aufsteigt, ist der der Rauch weiß, wissen die Öffentlichkeit auf dem Petersplatz und die Medien der Welt: „Habemus Papam – Wir haben einen Papst!“, was kurz darauf der Kardinalprotodiakon auf der Loggia des Petersplatzes verkündet, wenn er den Neugewählten der Welt vorstellt. Dramatische Inszenierung GLAUBENSFRAGE „Wie Opus-Dei rund um die Papstwahl Regie führt“ beschrieb Ex-FURCHE- Chefredakteur Heiner Boberski am 3.10.2002 auf furche.at. Die höhere Stimme Mächtige Männer Kardinal Lawrence (li., Ralph Fiennes) und Kardinal Bellini (Stanley Tucci) wollen die Kirche vor dem Rückfall in den Antimodernismus bewahren. Richtig glücklich hatte ich mich jüngst verlesen: Für „eine höhere Stimme“, die bleibe, wolle sich die im frühen Herbst in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau gewählte Theologin Christiane Tietz einsetzen. Sie sprach indes von der „hörbaren Stimme“, welche die Kirche in der Gesellschaft sein solle. Dies glückliche Verlesen aber wies mich auf ein unterbewusst Vermisstes hin: Die höhere Stimme fehlt! Aber es gibt sie, diese fehlende Stimme und sie muss hörbar werden! Richtig glücklich macht mich überdies ein Datum im Kalender: der 20. November, den die Evangelischen Kirchen als Buß- und Bettag begehen. Eine Kostbarkeit von einem Zeitraum zu dieser Zeit, da jedweder Sinn weggefegt werden will wie Herbstlaub. Durch eine Politik der ultimativen Skrupellosigkeit, die in vielen Landen ihre Stimme erhoben hat: gegen allen Glauben, gegen jede Vernunft und gegen die Würde des ganzen großen wunderbaren Lebens. Unsere Gegenwart ist wahrscheinlich das antagonistischste Zeitalter aller Zeiten. Die Kür des Pontifex regt seit Jahrhunderten die Fantasie der Menschen an. Edward Bergers „Konklave“ ist ein gelungenes Beispiel dafür, Machtkämpfe unter Kardinälen fiktional, aber authentisch darzustellen. Die Ungewissheit einer Papstwahl Auch das Ritual des Konklaves ist ein Medienereignis. Aber hinter allen frommen Gebräuchen spielen sich Dramen ab, bevor die meist hochbetagten Männer im Kardinalspurpur ihre Wahl getroffen haben. Kein Wunder, dass ein Konklave auch die dramatischen Künste seit langem inspiriert. Und die Tatsache, dass der derzeitige Inhaber des Stuhles Petri demnächst seinen 88. Geburtstag begeht, macht es erst recht aktuell, das Konklave neu in den Blick zu nehmen. Da die Vorgänge innerhalb des Konklaves geheim sind, bleiben nur fiktionale Ausschmückungen, die das, was hinter den Türen der Sixtina geschieht, erahnen wollen. Auch der Film hat sich wiederholt des Dramas Konklave angenommen, etwa 1968 in Michael Andersons Bestseller-Verfilmung „In den Schuhen des Fischers“, wo Anthony Quinn den dem sowjetischen Gulag entronnenen Kiril Lakota spielt, der das Konklave als neuer Papst verlässt. Und gerade 13 Jahre ist es her, dass Nanni Moretti in „Habemus Papam – Ein Papst büxt aus“ den französischen Schauspiel-Star Michel Piccoli als neuem Pontifex an der Bürde seines Amtes verzweifeln lässt. Beide Filme zeichnete aus, dass sie die Vorgänge rund ums Konklave in nachvollziehbarem Realismus zeichneten – so oder so ähnlich könnte es gewesen sein, auch wenn Der just verstorbene Dichter Jürgen Becker schrieb spät, dass er versuche, „mit der Leere zurande zu kommen, die jeden Morgen aufs Neue beginnt”. Eine gähnende Leere erfasst so viele in einem empfundenen „Immerschon“. Lesbar auch im „Das Wüten der ganzen Welt” des am 25. November 1944 geborenen Maarten ‘t Hart: „Ein Geschlecht nach dem anderen sprießt und verschwindet wie das Laub im Wald, und ein ewiges Vergessen, stets hungrig auf Beute lauernd, saugt uns in eine bodenlose Leere fort, die nie gesättigt wird.” Das ganze Leben der Gläubigen soll Buße sein, meinte Luther in der ersten seiner 95 Thesen. In Erkenntnisliebe kann die Buße die Antagonismen auflösen. Dafür der Feiertag: Die höhere Stimme wird wieder hörbar im Lied von der Erde, das meine Augen auch sehen in dieser Welt! Die Autorin ist evangelische Pfarrerin i.R. Von Ines Charlotte Knoll Foto: Bildnachweis das nachfolgende Agieren der jeweiligen Päpste dann schon den Gesetzen von Drama oder Tragikomödie folgte. All das lässt sich analog übers neueste Leinwandopus sagen, das dieser Tage unter dem schlichten Titel „Konklave“ ins Kino kommt. Auch bei diesem Film handelt es sich um eine Bestsellerverfilmung – und zwar des gleichnamigen Romans des britischen Autors Robert Harris. Regie führte der Deutsche Edward Berger, der für sein Netflix-Antikriegsepos „Im Westen nichts „ Hinter allen frommen Gebräuchen des Konklaves spielen sich Dramen ab, bevor die meist hochbetagten Männer im Kardinalspurpur ihre Wahl getroffen haben. “ Neues“ bei den Oscars 2023 gleich vierfach bedacht wurde. Auch die Schauspieler-Riege gehört zum Feinsten, was der englischsprachige Filmkosmos zu bieten hat. Man kann dringend empfehlen, „Konklave“ in der Originalsprache anzuschauen, denn das Englisch von Kardinal Lawrence und Co wechselt immer wieder ins Italienische der Kurie oder bei Kardinal Benitez ins Spanische, ohne dass Untertitel nötig waren. Schon diese polyglotte Kunst ist ein Highlight des Films. „Konklave“ trägt aber auch der Kirchenentwicklung Rechnung. Stand die Papstwahl bei „In den Schuhen des Fischers“ erkennbar im Schatten des II. Vatikanums und Johannes’ XXIII., so nahm Nanni Moretti 2011 bei „Habemus Papam“ an den Pontifikaten von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Maß. Dass die Ära von Franziskus auch auf das nun dramatisierte Konklave abfärbt, war den diesmaligen Filmemachern klar. Der alte Papst, der überraschend verstirbt, lebt im Gästehaus St. Martha – wie der reale Pontifex. Und in den Zimmerfluchten dieses modernen Gebäudes finden auch die Intrigen und Machtkämpfe statt, die die filmische Papstwahl umranken. Das Kollegium ist – wie ebenfalls unter Franziskus – geografisch diverser, dass ein Italiener das Rennen macht, scheint durchaus unwahrscheinlich. Kardinal Lawrence (Ralph Fiennes), gebürtiger Brite, leitet als Dekan des Kardinalkollegiums das Konklave. Ihm ist daran gelegen, die Kirche vor einem Rückschritt in den Antimodernismus zu bewahren. Diesen vertritt der wortgewaltige Kardinal Tedesco (Sergio Castellitto), Patriarch von Venedig, der mit seiner Kritik am verstorbenen Papst nicht hinterm Berg hält. Dagegen ist die Position des frankokanadischen Kardinals Tremblay (John Lithgow) nicht klar einzuordnen, dafür gibt es mehr als Gerüchte um seine Machtspiele: Dass er selber das Papstamt anstrebt, wird schnell offenbar, und um den afrikanischen Konkurrenten Kardinal Adeyemi (Lucian Msamati) zu kompromittieren, ist ihm jedes Mittel recht. Grandioses Spiel Lawrence’ Verbündeter, der aus den USA stammende Kardinal-staatssekretär Bellini (Stanley Tucci), steht für die Kontinuität nach dem verstorbenen Papst, unverkennbar ist da eine Kirche im Stil à la Franziskus gemeint. Ob es aber für eine Zweidrittelmehrheit im Konklave reicht? Lawrence, der eigentlich keine Ambitionen auf den Papstthron hat, tut alles, um das Konklave von Machenschaften freizuhalten, wobei er auf die Mithilfe von Schwester Agnes (Isabella Rossellini) zurückgreift, die die Chefin der Betreuung der Kardinäle in St. Martha ist. Schließlich taucht unmittelbar vor Konklave-Beginn Erzbischof Benitez von Kabul auf: Der gebürtige Lateinamerikaner war vom verstorbenen Papst in pectore als Kardinal eingesetzt worden und kann nun am Konklave teilnehmen – und dieses aufmischen. Grandios ist vor allem das Spiel von Ralph Fiennes, der dem Kardinal Lawrence eine fast unheimliche Authentizität verleiht und der auch in schwere Glaubenszweifel gerät, die er aber als Teil des wahren Glaubens versteht: Die größte Sünde ist die Gewissheit, lautet ein zentraler Satz dieses Kirchenmannes in einem grandiosen, gar nicht „kirchenfeindlichen“ Drama um die Kirche. Der Twist am Schluss mag dann einer zeitgeistigen Dramaturgie geschuldet sein. Dies vermag der epischen Größe des Films „Konklave“ dennoch wenig anzuhaben. Konklave (Conclave) USA/GB 2024. Regie: Edward Berger. Mit Ralph Fiennes, Stanley Tucci, John Lithgow, Isabella Rossellini, Lucian Msamati. Constantin. 120 Min.

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