DIE FURCHE · 12 18 Lebenskunst 21. März 2024 Von Martin Tauss HUMAN SPIRITS Von Affen und Menschen Die Europapremiere findet in Österreich statt: Zum 90. Geburtstag von Jane Goodall wird am 3. April der IMAX-Film „Gründe für die Hoffnung (Reasons for Hope)“ in Pasching gezeigt. Der Film präsentiert die jahrzehntelange Arbeit der weltberühmten Affenforscherin und Umweltschützerin und verbindet historisches Material mit aktuellen Initiativen zum Artenschutz – zum Beispiel die Wiederkehr des Waldrapps in den Alpen oder die Wiederansiedlung des amerikanischen Bisons durch die „Blackfeet Na tion“, eine indigene Bevölkerungsgruppe im US- Bundesstaat Montana. Mit 26 Jahren startete Jane Goodall ihre abenteuerliche Reise in Gombe, Tansania, wo sie als akademisch nicht gebildete Forscherin erstmals hautnah an wilde Schimpansen herankam: Sie konnte ein Vertrauensverhältnis zu den Tieren aufbauen und dadurch in den 1960er Jahren bahnbrechende neue Erkenntnisse gewinnen. Ihre Beobachtung, dass diese Affen Werkzeuge herstellen und verwenden, war ein Einschnitt in der Wissenschaft – und führte zu einem neuen Verständnis der Mensch- Tier-Beziehung. „ Der kürzlich verstorbene Primatologe Frans de Waal zeigte die Wurzeln der menschlichen Natur bei unseren engsten lebenden Verwandten. “ Ebenso wie das Lebenswerk des am 14. März verstorbenen Primatenforschers Frans de Waal, der von sich behauptete, „die Affen ein bisschen näher an die Menschen herangeführt“ und zugleich „die Menschen ein bisschen heruntergeholt“ zu haben. „De Waal zerschmetterte die lang gehegte Vorstellung davon, was es bedeutet, ein Tier oder ein Mensch zu sein“, erklärte anlässlich seines Todes die Emory- Universität in Atlanta, wo der gebürtige Niederländer lange Zeit tätig war. Der Primatologe wies starke soziale Bindungen und emotionale Beziehungen in Gruppen von Menschenaffen nach. Durch seine Studien zu Konfliktlösung, Versöhnung, Kooperation, Mitgefühl und Fairness habe er „die Wurzeln der menschlichen Natur bei unseren engsten lebenden Verwandten“ aufgezeigt, so die US-Uni. Dass Affen sozial lernen und somit als kulturelle Wesen zu verstehen sein könnten, hat seit den 1990ern zu heftigen Debatten geführt. Aber selbst wenn man von fließenden Kontinuitäten zwischen Tier und Mensch ausgeht, bleibt eine epochale Frage im Raum, wie der Anthropologe Nicolas Langlitz im FURCHE-Interview erläuterte : Warum leben wir jetzt im Anthropozän, dem Zeitalter des Menschen, und nicht im „Schimpansozän“? Warum leben wir nicht auf einem „Planeten der Affen“? Wo liegt der kleine Unterschied, der solch gigantische Folgen nach sich gezogen hat? „Haben Affen Kultur?“ (8.11.2022): Anthropologe Nicolas Langlitz im Interview über tierische Talente, Jane Goodall und das Artensterben im Anthropozän, auf furche.at. Foto: iStock/rai Von Martin Tauss Offensichtlich hat der kleine Hase Moritz einen schlechten Tag: Vielleicht ist ihm etwas Ärgerliches passiert, oder er hat einfach nur schlecht geschlafen. Jedenfalls grantelt er vor sich hin, und man sollte ihm nicht zu nahe treten – bis seine Freundin Leni kommt und mit ihm gemeinsam ein Wutkissen bastelt. Auf das kann er dann ordentlich draufhauen, bis er sich besser fühlt. Diese Szene aus dem Kinderbuch „Moritz Moppelpo“ ist prinzipiell eine gute Strategie. Sie setzt allerdings an einem Punkt an, an dem die Wut schon sehr mächtig geworden ist. Und welcher Erwachsene nimmt sich das Wutkissen schon mit ins Büro? Selbst bei Kindern ist das Ausagieren nur eine Option von vielen. Es gibt andere Wege, wie man von klein auf einen konstruktiven Umgang mit diesem ungeliebten Gefühl lernen kann. Spirituelles Bypassing Die Geschichte vom Hasen verdeutlicht, dass die Pädagogik bei Gefühlen oft einem allzu simplen Strickmuster folgt. Sofern sie überhaupt jemals stattfindet. Wer schlecht darauf vorbereitet ist, mit explosiven Gefühlen wie Wut umzugehen, kann im schlimmsten Fall gefährlich werden. Sogar sehr gefährlich, wie sich anhand zahlreicher Gewalttaten zeigt, nicht zuletzt der wachsenden Zahl von Femiziden. Wut hat in unserer Kultur keinen guten Ruf, denn ihr destruktives Potenzial ist enorm. In der bürgerlichen Welt ist ihr freier Ausdruck verpönt, und der seit 2010 etablierte Begriff des „Wutbürgers“ ist somit ein Paradox. Folgerichtig handelt es sich um eine Person, die mit der bürgerlichen Tradition Aggressive Impulse haben eine große Zerstörungskraft. Gerade Menschen, die hohe Ansprüche an sich stellen, wollen sie sich oft abgewöhnen. Doch das wäre ein Irrweg. Wie sich Wut und Weisheit verbinden lassen. Mensch, ärgere dich! gebrochen hat und ihren Protestwillen gegen politische Entscheidungen (bzw. „die Politik“ generell) demonstrativ in Szene setzt. Dass es genug Missstände gibt und es gesellschaftlich wirkmächtig ist, sich kräftig zu empören, zeigen die vielfältigen Abwandlungen des Begriffs – von der „Wutoma“ bis zu den „Wutbauern“. Aus Sicht der Evolution hat jedes Gefühl eine wertvolle Funktion. Aggression in Form von Wut, Ärger und Zorn verteidigt unsere Grenzen und erkämpft, was dringend gebraucht wird. Durch unbändigen Zorn zum Beispiel kann man sich selbst „ ‚Herzenswut‘ ist offen ausgedrückter Ärger kombiniert mit Wohlwollen und Mitgefühl, verankert in tiefer Lebendigkeit. “ dann noch verteidigen, wenn man bereits verletzt am Boden liegt. Wut kann Mütter und Väter zu Kraftprotzen machen, wenn sie ihre Kinder schützen müssen. Viele Gewaltherrscher wurden durch aufbrandenden „Volkszorn“ von ihrem Thron gestoßen. Im Bereich der subtileren Gefühlsregungen kann es sein, dass man erst durch aggressive Impulse die unterschwellige Verletzung einer Grenze bemerkt. Wie aber würde sich die Wut selbst beschreiben? „Ich kann ganz schön heftig sein“, sagt sie im „Abc der Gefühle“, einem emotionalen Leitfaden von Udo und Gabriele Baer (Beltz-Verlag, 2021). „Wenn ich dann in Aktion bin, brauche ich manchmal einige Zeit, um mich wieder zu beruhigen. Ist die Energie erst einmal mobilisiert, muss sie ja irgendwohin (…). So hilfreich ich bin, so schlecht ist mein Ruf. Das liegt daran, dass ich manchmal erblinde.“
DIE FURCHE · 12 21. März 2024 Lebenskunst 19 Wenn Menschen von Wut wie besessen sind, ist Feuer am Dach: Unschöne Szenen, Hass und Gewalt liegen in der Luft. Das ist wohl auch der Grund, warum gerade Personen, die hohe Ansprüche an sich selbst stellen, ein problematisches Verhältnis zur Wut haben und sich diese am liebsten abgewöhnen würden. Dazu zählen insbesondere jene, die sich selbst als religiös begreifen oder eine Art von „spirituellen Weg“ verfolgen. Sie glauben oft, dass Wut und Zorn die Symptome eines Versagens seien und eine unüberbrückbare Distanz zu ihren hehren Zielen wie Erleuchtung oder bedingungsloser Nächstenliebe schaffen würden. Indem sie ihren Ärger negieren oder verdrängen, gehen sie in eine Falle, die der amerikanische Psychotherapeut Robert Augustus Masters als „spirituelles By passing“ bezeichnet: die Inanspruchnahme spiritueller Praktiken oder religiöser Glaubenssätze, um schwierige Gefühle und schmerzhafte seelische Wunden zu umschiffen. Das äußert sich dann in der Dämonisierung von Ärger, exzessiver Nettigkeit, strenger Selbstbewertung, phobischer Vermeidung von Konfrontationen sowie emotionaler Flachheit und Dissoziation. Masters verfügt über jahrzehntelange Erfahrung mit spirituell praktizierenden Klientinnen und Klienten. „Es ist so leicht, Wut zurückzuweisen, schlechtzureden, einzusperren oder sonst wie zu vergewaltigen, mit dem Effekt, dass sie sich – wie ein Tier, das zu lange im Käfig eingesperrt war – schlecht benimmt, sobald sie freigelassen wird. Dies bestätigt den Verdacht, dass sie dieselbe Behandlung benötigt wie eine wilde Bestie, die unser Zuhause bedroht“, schreibt er in seinem Buch „Spiritual Bypassing“ (2010). Darin versucht er unter anderem, einen weisen Umgang mit der Wut zu vermitteln, der gesamtgesellschaftlich zunehmend relevant erscheint. Wie könnte das konkret aussehen? Das hitzige emotionale Spektrum vom Ärger bis zum Zorn sei an sich kein Problem, so der US-Psychotherapeut. Entscheidend sei einzig, wie man sich darauf beziehe. Ist es eine blinde Reaktion – oder ein bewusstes Hinschauen, das erst die Basis für einen verantwortungsvollen Umgang mit Gefühlen schafft? Machen wir die Wut zu einer starren Waffe – oder bleiben wir selbst in ihrer vollen Verkörperung flexibel, emotional durchlässig und verletzlich? Wut auf der einen Seite, Wohlwollen und Mitgefühl auf der anderen können im Licht der Achtsamkeit koexistieren, ist Masters überzeugt. „Wut ist wie ein moralisches Feuer. Ob es destruktiv oder konstruktiv brennt, liegt in unseren Händen.“ Diese Balance verlangt einen mittleren Weg, und der verläuft genau zwischen den DIE FURCHE EMPFIEHLT Jagd in der Diskussion „ Bevor aus dem Fluss der Nervensignale ein reißender Strom wird, sollten frühzeitig die Alarmglocken läuten, damit man sich ans Ufer der Selbstkontrolle retten kann. “ beiden extremen Strategien von „Wut hinun ter schlucken“ (Kontrolle) und „Wut ausagieren“ (Katharsis) – die in gewissen Fällen auch ihre Berechtigung haben können. Robert Augustus Masters spricht vom Ideal der „Herzenswut“: Das heißt, offen ausgedrückter Ärger und Mitgefühl wirken heilsam ineinander, verankert in tiefer Lebendigkeit ebenso wie in klarem Wohlwollen für das Gegenüber. Es ist der Ausdruck einer „grimmigen Fürsorge“, die bewusst „mit einer hellwachen und forschenden Aufmerksamkeit“ verbunden wird, ohne dabei an Leidenschaft zu verlieren. Utopisch? Nein. Aber diese explosive Mischung gut auszubalancieren, ist eine hohe Kunst, die viel Übung verlangt. Kultur der Gefühle Wer Gefühlskompetenz erlernen will, setzt schon lange vor dem großen Wutausbruch an. Jedes Gefühl hat eine „Spürschwelle“: Schrittweise zu fühlen, wie sich Ärger gleich einem Crescendo in der Musik aufbaut, ist nichts anderes, als aktiv seine Grenzen wahrzunehmen. Je früher man eine sprachliche Zuordnung für ein sich anbahnendes Gefühl findet, desto besser. Es ist ein bisschen wie beim Rumpelstilzchen: Sobald sein Name enthüllt ist, verliert sein Wüten an Zauber und Macht. Aus Sicht der „ Während die kognitive Entwicklung in unserer Kultur oberste Priorität hat, wird die Kultivierung der emotionalen Aspekte bis heute sträflich vernachlässigt. “ Anlässlich des laufenden Volksbegehrens für ein Bundes-Jagdgesetz veranstaltet die Zoologisch-Botanische Gesellschaft mit dem Naturhistorischen Museum (NHM) Wien ein Symposium, bei dem (Tier-)Ethik und wissenschaftliche Hintergründe rund um die Jagd beleuchtet werden. Vier Impulsvorträge bilden die Basis für eine anschließende offene Diskussion (Hybrid veranstaltung, Anmeldung zur Onlineteilnahme bis 28. März unter info@zoobot.org). Hirnforschung: Bevor aus dem Fluss der Nervensignale ein reißender Strom wird, aus dem es kein Entkommen mehr gibt, sollten rechtzeitig die Alarmglocken läuten, damit man wachgerüttelt wird – und sich ans Ufer der Selbstkontrolle retten kann. Emotionale Prozesse wurden in den letzten Jahrzehnten intensiv erforscht. Unterstützendes Know-how findet sich an mehreren Orten, von der Psychoedukation über die psychotherapeutische Selbsterfahrung bis hin zum Achtsamkeitstraining und diversen Körper-Geist-Praktiken. Während die kognitive Entwicklung in unserer Kultur oberste Priorität hat, wird die Kultivierung der emotionalen Aspekte bis heute sträflich vernachlässigt. Mit tragischen Folgen. Um die emotionale Alphabetisierung zu befördern, sollte Gefühlskompetenz bereits im Kindergarten und in der Schule hoch oben auf der Agenda stehen. Wie viel Unheil könnte später damit verhindert werden? Über einen philosophisch-praktischen Ansatz zur geistigen Transformation lesen Sie im Artikel „Bewusstseinskultur: Die letzte Rettung“ (25.4.2023), auf furche.at. Von der Freizeitjagd zum Ökomanagement? Vortragssaal NHM Wien, 3. April, 18 Uhr DAS ERWARTET SIE IN DEN NÄCHSTEN WOCHEN. DIE FURCHE nimmt in den kommenden Ausgaben folgende Themen* in den Fokus: Diagonale Nr. 14 • 4. April Österreichs Filmbranche versammelt sich in Graz zur großen Werk- und Leistungsschau. Wie hat sich das Filmland Österreichs im letzten Jahr entwickelt? Und was wird anders unter der neuen Diagonale-Intendanz? Der Aufklärer Nr. 16 • 18. April Am 22. April jährt sich der Geburtstag Immanuel Kants zum 300. Mal. Wie kaum ein anderer hat der Königsberger das Denken revolutioniert. Wie steht es heute um den Ausgang aus der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“? Die europäische Idee Nr. 18 • 2. Mai Am 5. Mai 2024 feiert der Europarat sein 75-jähriges Bestehen – ein Dreivierteljahrhundert Arbeit für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Auftakt einer FURCHE-Serie zur EU-Wahl. Liebe ohne Romantik Nr. 20 • 16. Mai Sind Freundinnen und Freunde die wahren Seelenverwandten? Während Medien und die Gesellschaft romantische Liebe glorifizieren, finden viele Menschen Erfüllung und Verbindlichkeit in platonischem Miteinander. Franz Kafka Nr. 22 • 30. Mai Vor 100 Jahren, am 3. Juni 1924, starb erst 40-jährig in Kierling bei Klosterneuburg einer der wichtigsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Die Wirkungen seines Werks auf Lesende, Schreibende, Kunstschaffende sind enorm. Wallfahrten Nr. 24 • 13. Juni Neben den traditionellen (und neuen) Pilgerwegen begeben sich heute immer mehr Menschen auf Reisen „in Gottes Namen“. Ist es die Sehnsucht nach einem spirituellen Wegweiser, der die Touristen antreibt? Eine Suche. *Änderungen aus Aktualitätsgründen vorbehalten. Wie geht Verzeihen? Nr. 15 • 11. April Kaum eine Beziehung kommt ohne Verletzungen aus. Versöhnung kann helfen, um einen Neustart zu wagen. Aber haben wir das Verzeihen in Zeiten von immer extremeren Positionen bereits verlernt? Wie es dennoch gelingt. Gedankenraub Nr. 17 • 25. April Von KI-Kunst bis Gen-Daten: Das 21. Jahrhundert revolutioniert die Definition von „geistigem Eigentum“ und stellt an Juristen, Philosophen und Datenschützer spannende – und beunruhigende – Fragen. Wilde Delikatessen Nr. 19 • 8. Mai Das Interesse an Wildpflanzen boomt: In der Volksmedizin sind viele als Heil-, Gift- und „Kraftpflanzen“ bekannt. Über das sinnliche Projekt des „essbaren Gartens“ und die Wiederentdeckung eines alten Wissensschatzes. Schreckgespenst AfD Nr. 21 • 23. Mai Auch Deutschland kippt längst nach rechts – und die Lage wird sich zuspitzen, wenn gewichtige Wahlen im Osten anstehen. Die AfD greift in Brandenburg, Sachsen und Thüringen nach der Macht. Was sind die Folgen? Kaputte Demokratie Nr. 23 • 6. Juni Die EU-Wahl bildet den Auftakt für ein Superwahljahr, in dem nicht nur Parteien auf dem Prüfstand stehen, sondern das ganze politische System. Die Demokratie muss sich einer ernsthaften Selbstkritik unterziehen. Die Kunst des Streits Nr. 25 • 20. Juni Ein (überhitzter) Wahlkampfsommer in einer ohnehin stark polarisierten Gesellschaft steht an. Konflikte aufgrund politischer Meinungsverschiedenheiten drohen auch im persönlichen Leben. Wie können wir zivilisiert streiten? ALLES AUCH DIGITAL AUF FURCHE.AT Podcasts, Videos, E-Paper und alle FURCHE-Artikel seit 1945 JETZT 77 Jahre Zeitgeschichte im NAVIGATOR.
Laden...
Laden...
Ihr Zugang zu neuen Perspektiven und
mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte.
© 2023 DIE FURCHE