Aufrufe
vor 10 Monaten

DIE FURCHE 21.03.2024

  • Text
  • Krieg
  • Schnurbein
  • Foto
  • Buch
  • Welt
  • Papst
  • Zeit
  • Wald
  • Menschen
  • Furche

DIE

DIE FURCHE · 12 16 Film & Medien 21. März 2024 FILMMELODRAM Auch eine späte Liebe ist Liebe Liebe kennt kein Alter. Wenn es da nicht den Widerstand gegen Veränderung gäbe, welcher die Beziehung zwischen Eltern und Kindern vergiften kann. In „My Sailor, My Love“ schafft es der pensionierte Howard nicht mehr, seinen Haushalt im Griff zu behalten. So jedenfalls sieht es seine Tochter Grace, die als Krankenschwester die Pflege zu ihrer Lebensaufgabe gemacht hat. Sie bestimmt, was falsch und was richtig ist. Der Vater hingegen fühlt sich kontrolliert und bevormundet. Obschon die Selbstdisziplin bei dem pensionierten Kapitän nachlässt, genießt er Momente voller Vitalität. Wenn Howard Seemannsgarn spinnt, bekommen Kinder leuchtende Augen. Darum verhält er sich äußerst reserviert, als seine Tochter die Haushälterin Annie, selbst im fortgeschrittenen Alter, einstellt. Aber durch deren taktvolles und selbstsicheres Verhalten findet er zu seiner Selbstachtung zurück. Seine Vorbehalte schwinden: Annie und Howard kommen sich näher. Der finnische Regisseur Klaus Härö entfaltet die Liebe zweier alter Menschen als nicht selbstverständliches Geschehen. James Cosmo und Bríd Brennan mimen das sich zärtlich begegnende Paar, das seine Gefühle füreinander in tastenden Gesten ausdrückt. Es ist ein kostbares Glück, das verletzbar ist. Der Film zeichnet es respektvoll und einfühlsam. Dabei erkundet der Regisseur die Reaktionen der Angehörigen, schildert plastisch die psychische Verstrickung der Generationen, die destruktive Rollenumkehr, bei der betagte Eltern wie Kinder behandelt werden, und wirft die Frage auf, was ein gutes Leben heißt. So erzählt er zugleich eindrücklich vom tragischen Schicksal einer Tochter. Weil Grace mit ihrer unglücklichen Kindheit hadert, verliert sie das eigene Leben aus den Augen. Die Tochter steckt in der Anklage fest und findet keine Balance, wo sie den Vater unterstützen könnte und wo sie die Würde seines Alters, seinen Wunsch nach Selbstbestimmung achten sollte. Dass zuweilen den seelischen Regungen durch die konventionelle Filmmusik oder imponierende Landschaftsaufnahmen der irischen Westküste größerer Nachdruck verliehen werden soll, wirkt allzu kalkuliert. Trotzdem findet Härös anrührender Film immer wieder zu seinem treffsicheren Ton zurück. (Heidi Strobel) My Sailor, My Love SF/IRL 2022. Regie: Klaus Härö. Mit James Cosmo, Bríd Brennan, Catherine Walker. Polyfilm. 103 Min. Anrührend: Annie (Bríd Brennan) und Howard (James Cosmo) finden einander. „Die Unschuld“: Regiemeister Hirokazu Kore-eda kehrt filmisch nach Japan zurück – und erzählt dieselbe Geschichte aus dem Blickwinkel dreier Protagonisten. Drei Sichten Von Otto Friedrich Gleich zweimal war er zuletzt „fremdgegangen“: 2020 in Frankreich mit „La Vérité“, wo er Catherine Deneuve und Juliette Binoche in einem Familiendrama brillieren ließ. Und im Vorjahr in Südkorea, wo er mit „Broker“ einer babyverkaufenden Sippschaft nachspürte. Nun aber ist Japans Regiemeister Hirokazu Kore-eda filmisch wieder in seine Heimat zurückgekehrt und legt in „Die Unschuld“ eine zauberhafte Studie über die unterschiedlichen Facetten von Wirklichkeit vor, die sich aus den „ Selten ist so klar geworden, wie vernebelt die Wahrnehmung wird, wenn man sich bloß auf eine Betrachtungsweise versteift. “ Idyll mit zwei Buben Yori (Hinata Hiiragi) und Minato (Soya Kurokawa) auf der Suche nach sich selbst. verschiedenen Blickwinkeln jeweils anders darstellt. Und gleichzeitig thematisiert der Film Herrschaftsund Gewaltstrukturen der japanischen Gesellschaft sowie die Schwierigkeit, erstarrte Geschlechterrollen zu durchbrechen. Und zum Dritten geht es um ein Coming-of-Age unter diesen verschärften Bedingungen. Der Plot: Grundschüler Minato zieht sich immer mehr zurück, seine alleinerziehende Mutter Saori (Sakura Ando) kann sich nicht erklären, warum. Mit der Zeit glaubt sie zu wissen, dass es mit dem Verhalten von Minatos Lehrer Hori ihrem Sohn gegenüber zu tun hat. Sie versucht, von der Schulleitung Antworten auf diesen Verdacht zu erhalten, doch die ist mehr um die Reputation der Bildungsanstalt besorgt denn um die Wahrheit. Das bekommt auch Lehrer Hori (Eita Nagayama) zu spüren, der um der Schulehre willen in eine Sündenbockrolle gedrängt wird. Dazu kommt das Miteinander Minatos mit seinem Klassenkameraden Yori, eine Freundschaft, die nicht sein darf. Kore-eda erzählt diese Geschichte gleich dreimal – zuerst aus der Perspektive von Mutter Saori, dann aus der Sicht des unglücklichen Lehrers Hori und schließlich so, wie sie sich für den Buben Minato darstellt. Durch diesen erzählerischen Kunstgriff wird offenbar, dass sich die Wahrheit des Geschehens durch die Wirklichkeiten, aus denen heraus die Protagonisten agieren, unterschiedlich zeigt: Ist Minato das Opfer des pädagogischen Fehlverhaltens seines Lehrers? Oder wird ebendieser Lehrer Hori durch fal- FILMKOMÖDIE Malen nach Zahlen MEDIEN IN DER KRISE Fördern, um zu überleben Wenn 30 Jahre nach „Pulp Fiction“ die beiden Stars Uma Thurman und Samuel L. Jackson wieder gemeinsam in einer Gaunerkomödie vor der Kamera stehen, dann sind die Erwartungen hoch. Schade nur, dass „The Kill Room“ von Nicol Paone so lustlos umgesetzt wurde, dass wohl kaum Erinnerungen an Tarantinos Meisterwerk wach werden dürften. Dabei ist das Ausgangsszenario des Drehbuchs von Jonathan Jacobson durchaus originell: Was, wenn eine finanziell strauchelnde Galeristin (Thurman) sich mit einem windigen Gangster (Jackson) zusammentut, um durch den Transfer von Kunstwerken Geld zu waschen? Dann muss ein neuer Maler her, dessen Bilder gekauft und teuer wiederverkauft werden. Auftragskiller Reggie, genannt „The Bagman“, erklärt sich widerwillig bereit dazu. Dumm nur, dass seine Bilder für immer mehr Aufsehen in der Kunstwelt sorgen und auf dem Markt bald Rekordpreise erzielen. Was als perfekt getarnte Geldwäscheaktion begann, droht schnell, zu viel Aufmerksamkeit zu erregen. Thurman spielt die zugedröhnte Kunstkennerin als überspannte Neurotikerin, während Samuel L. Jackson flotte Sprüche von sich geben darf. Nur dümpelt „The Kill Room“ leider so einfallslos vor sich hin, dass er weder als Kunstsatire noch als Gangsterkomödie wirklich überzeugt. (Philip Waldner) Uma Thurman spielt in „The Kill Room“ die ständig zugedröhnte Kunstkennerin Patrice. The Kill Room USA 2023. Regie: Nicol Paone. Mit Uma Thurman, Samuel L. Jackson. Universal. 98 Min. Böswillige Zeitgenossen werfen Qualitätsmedien gern vor, es an Objektivität missen zu lassen oder im Sold der Mächtigen zu stehen. Dass dies beim rabiaten Boulevard mindestens so der Fall ist, regt dieselben Zeitgenossen weniger auf. Und weiter gilt: Qualität hat ihren Preis; in Zeiten, in denen Gewinne bei den Medienmultis von Google abwärts eingefahren werden – und nicht von den lokal agierenden und verbreiteten Medien –, bleibt es nicht nur eine Frage wirtschaftlicher Kreativität, um ein Medienunternehmen über Wasser zu halten. Es ist ein Ceterum Censeo: Wer Qualität will, muss diese auch bezahlen. Und wenn sich die lokalen Medienunternehmen nicht mehr über Wasser halten können, dann bleibt nur mehr der Ruf nach gerechter Verteilung öffentlicher Mittel. Es kann nicht sein, dass Medien, die uns in U-Bahn-Stationen gratis beglücken, deren journalistische Leistung aber überschaubar ist, ebenso von der öffentlichen Hand profitieren wie andere, die sich etwa Auslandskorrespondenten vom Mund absparen müssen. Ja auch die FURCHE muss da pro domo reden. Die Konsumenten von Qualitätsmedien werden mittlerweile ordentlich zur Kasse gebeten. Das wird nicht reichen. Wer Demokratie will, muss Medien fördern – als Privater wie als öffentliche Hand. (Otto Friedrich)

DIE FURCHE · 12 21. März 2024 Film 17 sche Anschuldigungen von Mutter Saori wie der auf Schein bedachten Schulleitung ins Unglück gestürzt? Oder kommt Minato mit einer Beziehung nicht zu Rande, weil in dieser Gesellschaft nicht sein kann, was nicht sein darf? Es ist frappierend, wie divergent die Geschichte ist, die da dreimal erzählt wird. Und mit jedem Mal schält sich das tatsächliche Geschehen mehr und mehr heraus. Suspense à la Kore-eda Der narrative Dreh entpuppt sich alsbald als Suspense à la Kore-eda: Selten ist in einem Film so klar geworden, wie vernebelt die Wahrnehmung wird, wenn man sich bloß auf eine Sicht- oder Betrachtungsweise versteift. Die Wahrheit der einzelnen Protagonisten dabei ist nicht falsch, aber ohne die komplementären Sichten bleibt sie jeweils unvollständig. „Es ist, als würden wir dieselbe Luft einatmen, aber auf unterschiedliche Weise ausatmen“: Mit diesen Worten hat Hirokazu Kore-eda seine filmische Herangehensweise beschrieben. Grandios, wie der Regisseur auf diese Weise imstande ist, Spannung aufzubauen und auch scheinbar gleichbleibende Versatzstücke der Erzählung(en) wie einen Feuerwehreinsatz, eine Rauferei in der Klasse oder einen Erdrutsch in einen je neuen Zusammenhang zu stellen. Gleichzeitig markieren diese die Eckpunkte der unterschiedlich wahrgenommenen Wirklichkeit. Und am Ende sind die drei Geschichten der gleichen Lebensepisode erzählt, aber die daran Beteiligten haben sich, ihr Verhalten und ihre Sicht fundamental verändert. Ein dreifaches Vexierbild stellt „Die Unschuld“ dar – der deutsche Titel umfasst eine Facette dazu, ebenso „Monster“, wie der Film für den angelsächsischen Raum und auch im Original betitelt ist. Großartig auch die Bildsprache, die vor allem in den Szenen mit den beiden Buben Minato (gespielt von Soya Kurokawa) und Yori (Hinata Hiiragi) geradezu poetische Dimensionen erreicht. Auch die Musik trägt dieses Changieren zwischen Suspense und Poesie wesentlich mit. Es ist das letzte Werk des vor einem Jahr verstorbenen Filmkomponisten und Oscarpreisträgers Ryuichi Sakamoto. Die Unschuld (Monster/Kaibutsu) J 2023. Regie: Hirokazu Kore-eda. Mit Sakura Ando, Eita Nagayama, Soya Kurokawa, Hinata Hiiragi. Filmladen. 126 Min. Nicolas Cage dringt als Professor Matthews in die Träume fremder Menschen ein: Kristoffer Borglis „Dream Scenario“ entpuppt sich als treffsichere Gesellschaftssatire. Traum-Mann Von Walter Gasperi Biologieprofessor Paul Matthews (Nicolas Cage) fühlt sich von Töchtern und Studenten wenig verstanden. Also tut er sich in fremden Träumen um ... Vor 25 Jahren erzählte Spike Jonze in „Being John Malkovich“ (1999) von einem Büro, von dem aus man in den Kopf des Schauspielers John Malkovich eindringen konnte. An diesen herrlich surrealen Film erinnert die Prämisse von „Dream Scenario“, dem englischsprachigen Debüt von Kristoffer Borgli („Sick of Myself“). Doch der Norweger dreht die Positionen um: Hier dringt nicht jemand in den Kopf von Nicolas Cage bzw. des von ihm gespielten Biologieprofessors Paul Matthews ein, sondern vielmehr dringt Matthews/Cage, ohne selbst etwas zu tun, in die Träume von ihm völlig Fremden ein. Mit Ausbreitung des Phänomens wird Matthews, der unter der Nichtbeachtung durch seine Teenagertöchter und seine Studenten leidet, berühmt. Bald ist der Hörsaal bei seinen Vorlesungen voll, medial wird von ihm berichtet, und er wird in Talkshows eingeladen. Dass er in diesen Träumen selbst nie agiert, sondern bei einem Autounfall, einem Erdbeben oder einem Mord nur teilnahmslos zusieht, passt zu seinem passiven Auftreten im Alltag. Ins Negative kehrt sich aber seine Berühmtheit, als er in den Träumen plötzlich zum Aggressor wird, die Träumenden vergewaltigt oder ermordet: Ausgrenzung folgt auf dem Fuß. Ganz auf Nicolas Cage hat Borgli seine sehr unterhaltsame Gesellschaftssatire zugeschnitten. Während der Hollywoodstar in den Alltagsszenen durch Zurückhaltung brilliert, kann er in den Albtraumszenen seine Lust am Übertreiben voll ausleben. Mit seiner einfallsreichen Visualisierung der Träume sorgt Borgli dabei ebenso immer wieder für Überraschungen und Witz wie mit dem von ihm selbst geschriebenen, perfekt aufgebauten Drehbuch. Konsequent wird dabei zwar eine klassische Geschichte von Aufstieg und Fall erzählt, aber gleichzeitig wird mit den Träumen eine herrlich surreale Komponente eingebaut. Aber auch inhaltlich ist „Dream Scenar io“ auf der Höhe der Zeit, wenn ebenso treffsicher wie bissig von der Gier nach Ruhm und der Sehnsucht, aus der Masse herauszustechen, erzählt wird. Bitter werden die Schattenseiten des Ruhms aufgezeigt, und mit schwarzem Humor wird die Cancel-Culture kritisiert. Denn mag auch Matthews von Beginn an eine schwelende Unzufriedenheit und latente Wut ausstrahlen, so bleibt er doch bis zum Ende ein im Grunde sympathischer und bemitleidenswerter Antiheld, dessen Absturz ins Bodenlose bewegt. Dass seine „Traumstory“ ein neues Business ins Leben ruft, ist dabei ebenso ein weiterer bissiger Kommentar zur heutigen Gesellschaft wie sein Ruhm im fernen Europa. Dream Scenario USA 2023. Regie: Kristoffer Borgli. Mit Nicholas Cage, Lily Bird, Julianne Nicholson, Star Slade, David Klein. Panda Film. 100 Min. SPIELFILM Konversation und Komödie: Köstlich! Seit den „Monsieur Claude“-Filmen ist Christian Clavier auch hierzulande als Komödienstar im Kino ein Begriff: Die Figur des wohlbetuchten, im Denken aber stramm kleinstbürgerlichen älteren weißen Mannes, der mit der Gegenwart (vor allem in deren multikultureller Ausprägung) nicht zu Range kommt, scheint dem mittlerweile 71-Jährigen auf den Leib geschrieben. Nun darf sich das Publikum im vergleichbaren „Oh la la – Wer ahnt den sowas?“ an und mit Clavier erneut amüsieren. Die Filmkomödie ist diesmal als Kammerspiel angelegt und spielt im Schloss der alten Adelsfamilie Bouvier-Sauvage, wo deren Erbe Frédéric (Clavier) die Tradition und seine Profession als Edelwinzer noch hochzuhalten sucht. Dass Tochter Alice ausgerechnet den Peugeot- Händler-Sohn François zu ehelichen gedenkt, ist jedoch mehr als ein Wermutstropfen fürs aristokratische Selbst verständnis Bouvier-Sauvages. Es muss halt doch eine Reunion der beiden Elternpaare auf dem Château geben, und da geraten Frédéric und Bräutigamvater Gérard (Didier Bourdon) aneinander: „Grumpy Old Men“ auf Französisch – köstlich! Dass die jungen Leute ihre Altvorderen dann noch mit DNA-Tests beglücken, mischt die Mischpoche erst recht auf – denn deren Herkünfte sind alles andere als standesgemäß bzw. erwartbar, sodass jedes nur erdenkliche Vorurteil gegen den/die anderen in Anschlag gebracht werden kann. Konversation und Komödie – was will man mehr? (Otto Friedrich) Oh la la – Wer ahnt denn sowas? (Cocorico) F 2023. Regie: Julien Hervé. Mit Christian Clavier, Didier Bourdon. Filmladen. 92 Min. Christian Clavier gibt den Schlossherrn Frédéric de Bouvier-Sauvage. KREUZ UND QUER DIE SUCHE NACH DEM ECHTEN HEILIGEN GRAL DI 26. MÄRZ 22:35 Um ihn rankt sich einer der größten Mythen des Christentums: Der heilige Gral, ein letztlich rätselhafter Gegenstand, soll jener Kelch sein, aus dem Jesus seinen Jüngern beim Letzten Abendmahl zu trinken gegeben hat. Wer ihn besitzt, so heißt es, besiegt seine Feinde, kann Tote erwecken und wird unsterblich. Doch niemand weiß, wie dieses machtvolle Mysterium konkret aussieht oder gar, wo es sich befindet. Wissenschafterinnen und Wissenschafter folgen der Spur des Grals nach Israel, Spanien und Frankreich. religion.ORF.at Furche24_KW12.indd 2 12.03.24 13:37

DIE FURCHE 2024

DIE FURCHE 2023