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DIE FURCHE 21.03.2024

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DIE FURCHE · 12 10 Diskurs 21. März 2024 Den gesamten Briefwechsel zwischen Hubert Gaisbauer und Johanna Hirzberger können Sie auf furche.at bzw. unter diesem QR-Code nachlesen. ERKLÄR MIR DEINE WELT Rundum krähen die Hähne Hubert Gaisbauer ist Publizist. Er leitete die Abteilungen Gesellschaft- Jugend-Familie sowie Religion im ORF-Radio. Den Briefwechsel gibt es jetzt auch zum Hören unter furche.at/podcast Ja, es geht mir auch oft wie Ihnen, wenn Sie schreiben, dass Ihnen Geduld eine Qual ist. Mir auch. Vor allem Geduld mit mir selbst. Es will einfach nicht klappen, dass ich mit dem Alter endlich geduldig, gütig, weise und gelassen werde. Das beginnt am Morgen. Weil Sie Ö1 erwähnen: Ich werde wütend, wenn bereits am frühen Morgen völlig heterogene Programm- und Interviewfetzen bemüht anmoderiert oder als Werbedurchsagen in meine Morgenstimmung fliegen. Als „Trailer“, wie es so hässlich heißt. Wenn die Sendeminuten einander nicht mehr an der Hand halten, sondern sich gegen seitig aus dem Weg rempeln. „ Ich fordere die Einrichtung von me dialen Pufferzonen, die ein Dazwischen der Reflexion zulassen im achtlosen Nebeneinander von Elend und Überfluss. “ Dazu belanglose Musik, die in keinem Köchelverzeichnis steht. Einfach ein kulturloses Durcheinander von Themen, die ein Nebeneinander nur schwer ertragen. Da fehlt es doch – denke ich als hoffnungsloser Nostalgophiler (schlagen Sie nicht im Fremdwörterbuch nach, ich habe den Begriff eben erfunden) – an jedem Gespür! Und bei mir an jeder Geduld! Ich drehe das Küchenradio ab, ich verschone mich von den allerübelsten Nachrichten Trump, Putin und Netanjahu betreffend. Aber der Grant bleibt. Und ich bin mir wieder einmal der überraschendsten Neuigkeit sicher: Es fehlt mir jede Gelassenheit. Jede. Und mit dem muss ich leben, das wird sich nicht mehr ändern. Jetzt ernsthaft: Die oft krass gedankenlosen Übergänge in den Medien sind nicht bewältigt. Diese ab- und anstandslose, ja atemlose Abfolge völlig verschiedener Inhalte. Ist es Ignoranz? Oder steckt ein Konzept dahinter, ein finanzieller Kampf um Sekunden? Werbesekunden zum Beispiel. Dann ist es wirklich ein Verbrechen. Und wahrscheinlich die Wurzelsünde der Grundübel dieser Zeit: Abstumpfung, Gleichgültigkeit und Pietätlosigkeit. Von den selbstgesteuerten Gefühlsund Themensprüngen in den Social Media rede ich gar nicht. Ich weiß nicht, was dagegen getan werden könnte, ja müsste, wenn innerhalb einer Minute auf die Bilder der verhungerten Kinder der Welt die fröhlich im Überfluss schmausende, strahlende Jungfamilie erscheint. Sich abwenden und mit den Achseln zucken kann doch nicht der Ausweg sein! Ich fordere die Einrichtung von medialen Pufferzonen, die ein Dazwischen der Reflexion zulassen im achtlosen Nebeneinander von Elend und Überfluss, von Macht und Ohnmacht. Pufferzonen, die der Erinnerung an Menschenwürde Raum geben. Liebe Frau Hirzberger, entschuldigen Sie, dass ich meinem Gefühl heute so ungehemmt Ausdruck verliehen habe. Es verschafft mir wirklich eine Qual! Die Qual des Empfindens der Ohnmacht. Ich frage mich dann: Bin ich hochsensibel meinem Selbstmitleid verfallen, oder ist es schlicht das Alter? Männer dürfen ihre Empfindungen benennen, diesen Schluss habe ich aus Ihrem letzten Brief gezogen. Von dieser Erlaubnis habe ich also heute ausgiebig Gebrauch gemacht. Ich gebe zu, dass mir angesichts der oben angedeuteten Umstände oft hilflos zum Weinen ist. Männer, die weinen, höre ich in mir drinnen, artikulieren eben nur ihr Selbstmitleid. Und zeigen keine Haltung. Manchmal habe ich das Gefühl, dass viel von der Erbarmungslosigkeit unserer Zeit weggeschwemmt werden könnte, wenn wir alle fähig wären, öfter über unseren Verrat am Elend der Welt bitterlich zu weinen. Rundum krähen die Hähne. Ich wünsche eine nachdenkliche Karwoche. Von Walter Fischer Die Meerenge von Gibraltar trennt nicht nur Kontinente, In FURCHE Nr. 20 sondern auch Menschen. Tausende Afrikaner warten 3800 12. Mai 1998 auf die Gelegenheit zur Flucht nach Europa. Die Europäische Union hat am Sonntag einen Deal mit Ägypten geschlossen. Das Land erhält 7,4 Milliarden Euro – nicht zuletzt dafür, dass es Migrantinnen und Migranten daran hindert, nach Europa zu gelangen. Der Autor Walter Fischer hat 1998 in der FURCHE geschildert, welche gefährlichen Routen und Fluchtwege Menschen aus Afrika auf sich nehmen, um der Armut zu entkommen. Tödlicher Fluchtweg AUSGABEN DIGITALISIERT Wir stecken im Stau. Diesmal nicht auf einer der österreichischen Durchfahrer-Autobahnen, sondern im südlichsten Teil Spaniens bei La Linea. Die nüchterne Grenzstadt zu Gibral tar hat als Drogenumschlagplatz einen denkbar schlechten Ruf, vor allem wegen der damit verbundenen Kriminalität. Bei Nacht gelten die Straßen der Kleinstadt als lebensgefährlich. [...] Unser Ziel, die britische Enklave Gibraltar, sollte eigentlich von den Zoll- und Reiseerleichterungen der EU profitieren. Die Spanier sehen das anders. Weil sie die in Gibraltar ausgestellten Pässe nicht anerkennen, kommt es immer wieder zu zeitraubenden Zollkontrollen und Staus, manchmal mit dramatischen Folgen: So starb ein 65-jähriger Autofahrer nach mehrstündigem Warten an einem Herzinfarkt. Für die Presse Gibraltars ein Grund mehr, auf die permanenten Schikanen der spanischen Behörden hinzuweisen. [...] Neben rund 6000 Briten lebt in Gibraltar ein buntes Gemisch von Spaniern, Portugiesen, Italienern (vorwiegend aus Genua) und anderen Mittelmeervölkern (zirka 20.000). Der Rest sind Marokkaner. In der Tat ist Gibraltar ein Schmelztiegel von verschiedenen Völkern und Kulturen, obwohl alle auch Englisch sprechen. [...] Die meisten Touristen begnügen sich mit einer Gondelfahrt zum „Upper Rock“, von wo man einen grandiosen Ausblick auf die Stadt und die weite Bucht von Algeciras genießt. [...] Das große Flüchtlingslager am Rande der Stadt werden sie allerdings kaum besuchen. Dort hausen in einem früher staatlichen Landwirtschaftsbetrieb Tausende Flüchtlinge aus West- und Zentralafrika. Nach oft monatelanger, abenteuerlicher Reise sind sie illegal in die spanische Enklave gekommen, ohne Papiere und mit falschem Namen. Von hier aus hoffen sie auch noch die letzte Etappe auf dem Weg nach Europa, die Überfahrt nach Spanien, zu schaffen. Die Überfahrt findet in den Nachtstunden statt. Die kleinen Holzboote sind meistens überfüllt. Bei günstigen Witterungsbedingungen kann die zirka 15 Kilometer breite Meeresstraße in zwei Stunden überquert werden. Bei starkem Seegang sind Flüchtlingsboote oft ein bis zwei Tage am Weg. Viele erreichen das rettende Ufer nie. Die spanischen Behörden vermuten, daß in den letzten Jahren Tausende Afrikaner ertrunken sind. Allein im letzten Jahr wurden 70 Leichen an die Strände gespült. Wer den spanischen Foto: Pixabay Zollbeamten und der Guardia Civil nicht ins Netz geht und zurückgeschickt wird, kann von Schleppern zu andalusischen Obst- und Gemüseplantagen gebracht werden, wo Tausende Afrikaner als Billig- Arbeiter schuften. Die meisten versuchen jedoch, durch Spanien in andere europäische Länder zu gelangen, merken jedoch schon auf dem Weg dorthin, daß Europa nicht der erhoffte „Garten Eden“ ist. VON 1945 BIS HEUTE ÜBER 175.000 ARTIKEL SEMANTISCH VERLINKT DEN VOLLSTÄNDIGEN TEXT LESEN SIE AUF furche.at Medieninhaber, Herausgeber und Verlag: Die Furche – Zeitschriften- Betriebsgesellschaft m. b. H. & Co KG Hainburger Straße 33, 1030 Wien www.furche.at Geschäftsführerin: Nicole Schwarzenbrunner, Prokuristin: Mag. Doris Helmberger-Fleckl Chefredakteurin: Mag. 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DIE FURCHE · 12 21. März 2024 Diskurs 11 Warum Andreas Bablers „proletarische“ politische Ziele auch Bürgerliche interessieren sollten – ganz unabhängig von der vom SPÖ-Chef gezeigten sprachlichen Brillanz. Eine Replik. „Ein Stück des Weges“ gehen“ – aber welchen? Der Psychotherapeut Thomas Köhler hat kürzlich an dieser Stelle aus seiner Sicht einige Schwachstellen des SPÖ-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten, Andreas Babler, vorgebracht. Im Wesentlichen richtet sich die Kritik dabei auf eine unzureichende Rücksicht auf die „Bürgerlichen“ inner- und außerhalb der SPÖ und auf die mangelnde „Beherrschung“ der Hochsprache. Dabei erinnert Köhler an die SPÖ der 1970er Jahre und an Bruno Kreiskys Appell an bürgerliche Wählerinnen und Wähler, „ein Stück des Weges gemeinsam“ mit ihm zu gehen. Was Köhler vergisst: Der damalige Appell galt auch ausdrücklich kritischen und solidarischen Intellektuellen und Kulturschaffenden – und das durchaus mit Erfolg. Jedenfalls wird Babler vorgehalten, er imitiere diesen Schachzug Kreiskys, schenke aber jener Verbürgerlichung v. a. in der SPÖ selbst zu wenig Augenmerk. Dies passt auch zu dem häufig erhobenen Vorwurf, Babler und dessen politisches Programm seien zu prononciert links. Unvergleichliche Probleme Nun, ich denke zunächst, dass man die 1970er Jahre und die heutige Situation nicht so einfach vergleichen kann. Zu verschieden sind die Problemstellungen und damit die Herausforderungen heute an die Sozialdemokratie. Konnte Kreisky beispielsweise noch als Ziel verkünden, dass vor jedem Arbeiterhaushalt ein Mittelklasse-Pkw stehen sollte, wäre das heute ein ökologischer Fauxpas sondergleichen. Heute stellen sich ganz andere Probleme, die nicht mit der Zeit eines Kreisky zu vergleichen sind: etwa der starke, demokratiegefährdende Rechtstrend (u. a. auch durch die ÖVP forciert), die immer noch größer werdende Schere zwischen Arm und Reich, die dadurch verstärkte Verunsicherung vieler Menschen durch die Folgen der Pandemie – speziell in Zeiten der Teuerung, dann die von Konservativen und Rechten immer noch zum Schüren von Angst genutzte Migrationsproblematik und die Bedrohung durch die „Erderhitzung“, wie Babler den Klimawandel treffend dramatisiert (also sprachlich doch recht versiert!). Wegen dieser ganz anderen Probleme gilt es vielleicht auch, die Leute „linker“ anzuspre- Foto: Privat chen als in den 1970ern. Und das macht der SPÖ-Vorsitzende deutlich und pointiert, weil gerade angesichts der multiplen Krisen die grundlegenden gesellschaftlichen Konflikte und Ungleichheitsverhältnisse auch deutlicher spür- und sichtbar sind: wenn etwa Leute kaum ihre gestiegenen Heizkosten oder erhöhten Mieten zahlen können, um nur ein Beispiel zu nennen. Auch die Frage nach den Superreichen und ihrem Beitrag zur Besserung der Situation der Mehrheit (etwa durch Vermögenssteuern) wird in dieser Situation virulenter denn je, ebenso die Frage nach flächendeckender gesundheitlicher Versorgung DIESSEITS VON GUT UND BÖSE Von Josef Christian Aigner „ Gegen Inhalte wie Chancengleichheit und Erderhitzung ist ein weniger nobler Sprachduktus sekundär. “ ohne Zweiklassenmedizin. Alles Beispiele, die auch „Bürgerliche“ und die gesellschaftliche Mitte betreffen. Dazu gehört auch die Forderung nach einer besseren Chancengleichheit im Bereich der Bildung und damit nach der Förderung von Kinder-Bildungs- und Betreuungsstätten, die Babler als einen seiner Kernpunkte formuliert. Auch die Erderhitzung hinterfragt der SPÖ-Chef zu Recht auf die Hauptverursacher des CO₂-Ausstoßes hin, nämlich die wohlhabenderen sozialen Schichten beziehungsweise reicheren Staaten der Welt. All diese Themen sind sehr real und harren dringend einer Lösung. Gegen diese Inhalte ist der Sprachduktus, der im Vergleich zum Citoyen Kreisky bei Babler weniger nobel sein mag, doch mehr als sekundär. Und selbst wenn Letzterer – auch aufgrund seiner Herkunft aus einer Arbeiterfamilie – „proletarischer“ klingt als gewohnter Politikersprech, so adressiert das doch – im Vergleich zu den Schriftdeutsch Gewohnten – die Sprache der Mehrheit. Die „einfachen Leute“ sind wohl weniger auf kunstvolles Deutsch aus als auf engagierte Inhalte, die ihre Pro bleme betreffen. Bablers Reden werden oft als aus dem Bauch – manche meinen sogar aus dem Herzen – kommend und als authentisch-glaubhaft erlebt, im Gegensatz zu manchem gestelztem Gerede seiner Hauptmitbewerber, das sich oft genug in redundanten Floskeln ergeht. Auch das Duzen, das von Köhler wegen fehlender „professioneller Distanz“ kritisiert wird, sehe ich anders: Ist es nicht auch ein wenig verlogen, wenn Politiker pro forma siezen, um sich dann im Off duzend alle denkbaren Gemeinheiten an den Kopf zu werfen? Nahe an Papst Franziskus Ich selbst kenne die genannten Einwände aus Bildungsbürgerkreisen, halte sie mit Verlaub aber für etwas borniert und oberflächlich. Letztlich geht es doch darum, die vielen Unzufriedenen und ja, auch Angehörige bürgerlicher Schichten mit möglichst klaren Worten und Vorhaben dafür zu sensibilisieren, dass eine gedeihliche Erhaltung der Demokratie nur im Rahmen sozial gerechterer Verhältnisse garantiert ist. Nicht zufällig hat Babler sich mit seinem radikalen (radix, lat. Wurzel) Ruf nach sozialer Gerechtigkeit schon im letzten Jahr an Christlich-Soziale gewandt – liegt er doch bei manchen seiner Forderungen auch sprachlich (na also!) gar nicht weit weg von dem sozial engagierten Papst Franziskus; etwa wenn er wie dieser meint, wir müssten den Ärmeren nicht etwas abgeben, sondern ihnen „zurückgeben, was ihnen gehört“. Und das ist eine wichtige Botschaft, unabhängig von der verbalen Brillanz. Der Autor ist Psychoanalytiker, Psychotherapeut und em. Prof. für Bildungswissenschaft an der Universität Innsbruck. QUINT- ESSENZ Von Brigitte Quint Knutsch den Spiegel Letztens klärte mich die neunjährige Tochter meiner Freundin über den neuesten Trend auf: Auf dem News-Display der Wiener Linien habe sie gelesen, dass es „mega in“ sei, sich selbst zu heiraten. Noch beim Bezahlen – das Gespräch hatte in einem Beisl im Wurstelprater stattgefunden – diskutierte ich mit meiner Freundin intensiv über diese neue Form von Hochzeit. Der Kellner mischte sich ein, erklärte, wir säßen einem Irrtum auf. „Single-Weddings“, wie er es kundig nannte, hätten sie im Lokal bereits seit Jahren regelmäßig. „Neu sind die nicht.“ Später auf dem Spielplatz überprüften wir diese Information via Google. Tatsächlich. Seit Mitte der 2000er Jahre sagen Alleinstehende regelmäßig Ja zu sich selbst. Der Hochzeitskuss findet via Spiegel statt. Auf der Hochzeitsfeier steht statt des Brautpaares nur eine Braut oder ein Bräutigam im Mittelpunkt. Es gibt Trauzeugen, Hochzeitstorten, Fotografen und natürlich jede Menge aufgehübschter Gäste. Der Trend wurde zur Tradition. Es gilt, der Welt mitzuteilen, dass man sich selbst genug ist, sich dem Paardiktat nicht fügen will. Ich mag ja Menschen, die verstanden haben, dass das Leben mehr zu bieten hat als das ständige Suchen und Finden von Mr. oder Mrs. Right. Aber warum braucht es für diese Erkenntnis eine Inszenierung? Andererseits scheinen viele Paare, die erkannt haben, dass sie zusammenbleiben wollen, auch eine Inszenierung zu brauchen. Würde ich mich selbst heiraten wollen? Ich fürchte, ich wäre mir zu anstrengend. Falsch. Ich bin mir zu anstrengend. Schließlich habe ich mich ständig am Hals. Ich lebe mit mir selbst in einer wilden Ehe. In einer wilden Zwangsehe genau genommen. Eine Trennung von „Mrs. Me“ ist ausgeschlossen. Was ich auch nicht wollen würde. Dafür hänge ich zu sehr an mir. Freilich muss man zusehen, dass man mit sich im Reinen ist, sich das Leben so einrichtet, dass man zurechtkommt. Und wer die eigenen Bedürfnisse ignoriert, tut sich auch keinen Gefallen. Ich fürchte, diese Selbstliebe kann man sich nicht erheiraten, eher erarbeiten. Zum Knutschen finden sich dann von selbst Alternativen zum Spiegelbild. Nein sagen kann man immer noch. Zu wem oder was auch immer. NACHRUF Der Erfinder von „Zeit im Bild“ Das Interview, das Thaddäus „Teddy“ Podgorski der FURCHE gab, liegt schon fast 20 Jahre zurück, seine Problemsicht auf den ORF könnte über weite Strecken aber heute genauso gesagt werden: Podgorski war nicht nur ein Urgestein des ORF, sondern auch dessen scharfzüngiger Kritiker, der zwischen zwei Amtsperioden des legendären Gerd Bacher für vier Jahre an der Spitze der heimischen Medienanstalt stehen durfte. Am 16. März ist er 88-jährig in Wien gestorben. Bereits 1953 heuerte der 18-Jährige beim Sender RotWeiß- Rot als Nachrichtensprecher an. Zwei Jahre später wechselte er in den Aktuellen Dienst des neu gegründeten ORF- Fernsehens, dessen Leitender Redakteur er bald wurde. Der Sendungstitel „Zeit im Bild“ ist ebenso seine Erfindung wie viele Sendungsformate danach – „Sportpanorama“, „Seitenblicke“, „Universum“, „Seinerzeit“, „Jolly Joker“ etc. Dabei ließ sich der Fernsehmann mit Leib und Seele den Mund nicht verbieten – ein kritischer Bericht vor einem Staatsbesuch des Schahs von Persien führte gar zu seinem kurzzeitigen Hinauswurf, und Gerd Bacher suspendierte Podgorski nach einer unbotmäßigen Bemerkung übers Salzburger Festspiel-Publikum. Er kam dennoch immer wieder zurück: 1967 als Chefreporter, 1972 als Sportchef, eine Position, in der er seine Leidenschaft – er war auch Amateurboxer, Rennfahrer, Flieger, Reiter, Radrennfahrer – zum Beruf machen konnte. Zwischen 1986 und 1990, als er Generalintendant war, baute Podgorski die Regionalisierung des ORF aus – die Dezentralisierung der Landesstudios und die Sendung „Bundesland heute“ sind bis heute sichtbare Zeugen seiner Ära. Das FURCHE-Gespräch mit Teddy Podgorski 2005 fand im Café Gutruf statt, einem unscheinbaren Lokal hinter der Wiener Peterskirche, dessen Besitzer das Vorbild für Helmut Qualtingers „Der Herr Karl“ war – über den TV-Skandal, den dieser Spiegel der österreichischen Seele 1961 ausgelöst hatte, konnte Podgorski da ebenso berichten wie darüber, dass das Fernsehen 1972, als Karl Schranz von den Olympischen Spielen ausgeschlossen worden war, die Menschen „aufgehetzt“ hätte. Auch zu den Humanitarian-Broadcasting-Events „Licht ins Dunkel“ und „Nachbar in Not“ merkte der Altvordere gar Kritisches an – vieles davon wurde erst viel später auch in der öffentlichen Diskussion thematisiert. Sein Tod ruft in Erinnerung, dass Teddy Podgorski gewiss eine Personifizierung des goldenen Zeitalters von Fernsehen in Österreich war. (Otto Friedrich) Foto: APA /ORF / Ali Schafler Lesen Sie auch das FURCHE- Interview mit Teddy Podgorski vom 16.6.2005, siehe „35 Jahre beim Baberlzeug“ auf furche.at.

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