DIE FURCHE · 29 20 Tanz 20. Juli 2023 Von Rio Rutzinger ImPulsTanz wurde 1984 von Ismael Ivo und Karl Regensburger als Workshop-Festival gegründet, in den ersten vier Jahren gab es nur Kurse. Damals unterrichteten sechs Lehrer(innen) insgesamt 15 Workshops im Zeitraum von drei Wochen. 1991, als ich eingestiegen bin, gab es bereits 120 Kurse. ImPulsTanz war damals längst mehr als ein erweitertes Jazztanz-Studio, es kamen Tänzer(innen) aus der ganzen Welt, vor allem aus New York, und so konnte man von Beginn an Workshops mit internationalem Flair anbieten. 1989 war der Kontakt zu Mary Overlie entstanden, sie hatte mehrere Tanzschul-Curricula geschrieben und machte Entwürfe, wie man Profis optimal involvieren konnte. Auf dieser Basis ist die Research-Project-Schiene begründet. Das ist mein Aufgabenbereich bei ImPulsTanz, der heute „Workshops & Research“ heißt. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs änderte sich 1989 die Lage. Es kamen Choreograph(inn)en und Tänzer(innen) aus Slowenien, Tschechien und Ungarn. Diese Mischung aus Profis, Amateur(inn)en und Student(inn) en ist insofern besonders, weil die Leute anders an die Stadt gebunden sind. Sie sind nicht nur für die Zeit der eigenen Performances da, sondern über einen längeren Zeitraum, können sich andere Produktionen ansehen und die Stadt wahrnehmen. Das heißt, die Tänzer(innen) stehen nicht nur auf der Bühne, sondern forschen gemeinsam. Das Aufeinandertreffen von internationalen Profi-Tänzer(inne)n ist einzigartig. Man sieht ja normalerweise immer dieselben Leute, in der Schule oder in den Kursen. Aber hier werden „Blasen“ aufgebrochen, indem man auf Menschen aus den unterschiedlichsten Gruppen und Bereichen trifft. Bei ImPulsTanz sind Gleichzeitigkeit und Vielfalt außergewöhnlich. Viele besuchen nach dem Workshop noch eine Performance und gehen im Anschluss in die Lounge ins Vestibül, um dort weiter zu tanzen oder mit Menschen zu sprechen. Foto: yako.one Rio Rutzinger Geboren 1969 in Ried im Innkreis, kam er 1991 zum Tanz, als Mitarbeiter des Workshopfestivals von ImPulsTanz, dessen künstlerischer Leiter er heute ist. Weitere Informationen zum Festival: impulstanz.com „ Diese Mischung aus Profis, Amateur(inn)en und Student(inn)en ist insofern besonders, weil die Leute anders an die Stadt gebunden sind. “ Bis 6. August läuft noch das ImPulsTanz – Vienna International Dance Festival. Rio Rutzinger, der künstlerische Leiter der Workshops und Research Projects, über die Besonderheit dieses Wiener Tanzevents. „Hier werden Blasen aufgebrochen“ WORKSHOPS UND RESEARCH PROJECTS ImPulsTanz bietet 224 Workshops an, davon 109 Kurse, die offen sind für Menschen, die keine Tänzer sind. 80 Workshops laufen unter dem Titel „Open Level“, hier begegnen einander Menschen mit unterschiedlichem Können. Die „Advanced Workshops“ besuchen professionelle Tänzer(innen), hier ist man quasi wieder in der eigenen „Blase“, aber man trifft Leute aus der ganzen Welt und geht zusammen in die Tiefe. Die Profi-Klassen sind ein Riesenerfolg, sodass es auch schon Überlegungen gab, die Anfänger-Klassen zurückzufahren. Aber es sind genau diese Kurse so besonders, weil hier Menschen ohne Tanzerfahrung auf Profis treffen. Das führt zu einer außergewöhnlichen Mischung an Körpern, die einen mit viel Erfahrung, die anderen mit weniger bzw. mit besonderen, etwa mit Rollstuhl-Tänzern. Diese Kombination gibt es nur in Wien. Und dann gibt es Klassen, wo es einfach darum geht, Bewegung zu zelebrieren. Es nehmen auch Menschen teil, die in ihrem Herkunftsland ins Gefängnis gesteckt werden, wenn sie tanzen. Hier können sie auftreten, und so wird Tanzen zugleich ekstatisch und politisch. ZWISCHEN ELITÄR UND PREKÄR Viele professionelle Tänzer(innen) leben prekär und arbeiten gleichzeitig in einem super-elitären Bereich, darin liegt eine interessante Dialektik. Das ist oft bei zeitgenössischen Künsten nicht leicht aufzulösen. Nur die Superstars können allein von den Performances leben bzw. wohlhabend werden, etwa Akram Khan, der Shows macht, mit denen er 1500 bis 2000 Personen in den Zuschauerraum kriegt. Das sind aber vielleicht fünf in der Welt. Der Rest lebt von der öffentlichen Hand, vom Unterrichten, Vorträge halten. TECHNIK-WORKSHOPS ALS HIT Die Säule stellen die Technik-Workshops dar. Ein Sechstel aller Buchungen liegt allein bei den Jazztanz-Klassen. Das ist logisch, denn das kennt jeder, spätestens seit es MTV gibt bzw. seit man Tanzvideos schaut, weiß man, wie das aussieht. Die meisten haben das nachgetanzt, nach einem Film oder Video. Entweder lernt man es in der Musikschule oder im Club. Damit ist klar, warum das gut läuft. Auch riskiert man nicht viel. Man lernt eine Choreografie, tanzt Schrittfolgen nach, muss sich nicht selbst ausdrücken. Wenn man etwa den Workshop „More than naked“ bei Doris Uhlich besucht, dann durchbricht man gleich eine Vielzahl an gläsernen Decken. Man macht etwas, bei dem man sich selbst ausdrückt, mit lauter fremden Personen und noch dazu nackt und für fast drei Stunden. Eine normale Jazztanz-Stunde hingegen dauert 90 Minuten, man lernt bestimmte Schritte, die kann man dann vielleicht auch in der Disco oder wo auch immer nachtanzen. AKTIVISMUS MIT GESELLSCHAFTLICHER VERANTWORTUNG Im Bühnenbereich wird es in den nächsten 20 Jahren eine Transformation gehen, weil jetzt schon viele junge Künstler(innen) nicht mehr in den für eine andere Kunstform errichteten Gebäuden Kunst machen wollen. Sie treten Großteils in Häusern auf, die vor über 100 Jahren fürs Sprechtheater gebaut wurden, etwa im Akademietheater oder im Volkstheater. Die Architektur ist dort speziell angelegt und die kann man auch nicht so schnell ändern. Selbst Neubauten sind schwierig. Mit Proszenium, fixer Bühne, so sieht das Interesse im jetzigen Tanztheater absolut nicht aus. Ich bin sehr gespannt, wohin das geht. Es passiert viel Aktivismus in der Kunst, mit gesellschaftlicher Verantwortung. In den Workshops wird auch Wissen zu Entscheidungsfindungen weitergeben. Und damit erfolgt eine Art Demokratiebildung. Wenn etwa gelehrt wird, dass nichts immer nur von einer Quelle ausgeht, sondern viele da sind. Hier wird kein Helden-Denken mehr gefördert, sondern ein kommunaler Diskurs. IN KÜRZE LITERATUR ■ Büchner-Preis für Lutz Seiler THEATER • FILM ■ Bibiana Zeller (1928-2023) COMIC ■ Francisco Ibáñez (1936-2023) WISSEN ■ Teilerfolg für SFU „In Lutz Seiler ehrt die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung einen Autor, der mit klangvollen Gedichtbänden begann, von dort zum Erzählen fand, stets aber ein so klarer wie rätselhafter, dunkel leuchtender Lyriker bleibt“, begründet die Jury ihre Entscheidung für den diesjährigen Georg- Büchner-Preisträger. „Lutz Seiler hat als Romancier und als Dichter zu seiner eigenen, unverwechselbaren Stimme gefunden, melancholisch, dringlich, aufrichtig, voll von wunderbaren Echos aus einer langen literarischen Tradition.“ Die mit 50.000 Euro dotierte Auszeichnung soll am 4. November im Staatstheater Darmstadt verliehen werden. Als Frau Kottan in der Fernsehserie „Kottan ermittelt“ wurde sie einem breiten Publikum bekannt, für das Burgtheater ging sie auch nach ihrer Pensionierung als Ensemblemitglied 1999 noch auf die Bühne. Ihr erstes Engagement erhielt sie nach einer privaten Schauspielausbildung 1950 am Theater in der Josefstadt. In den folgenden Jahren war sie überwiegend auf deutschen Bühnen zu sehen. Erst 1972 kehrte die Schauspielerin in ihre Heimatstadt zurück, das Burgtheater engagierte sie. Ihre Karriere erzählte sie 2015 in ihrer Autobiografie„Bitte lasst mich mitspielen!“. Am 16. Juli ist Bibiana Zeller im Alter von 95 Jahren gestorben. 1936 als Sohn eines Buchhalters in Barcelona geboren, zeichnete er schon als Kind und veröffentlichte mit elf Jahren seinen ersten Cartoon. Er arbeitete zunächst bei einer Bank, wurde aber bald vom Verlag Bruguera als Zeichner angestellt und widmete sich dem Cartoon. Ende der 1950er-Jahre erfand er die Comicserie „Clever & Smart“ („Mortadelo y Filemón“) über zwei Geheimagenten. Am 15. Juli ist Francisco Ibáñez gestorben. „Er hinterlässt uns das gewaltige Erbe seines Scharfsinns, seines Sinns für Humor und mehr als 50.000 Seiten mit unvergesslichen Figuren“, schreibt der Verlag Penguin Random House. Die Sigmund Freud-Privatuniversität (SFU) hat im Ringen um den Erhalt ihres Medizin-Masterstudiums einen Teilerfolg errungen. Im Vorjahr war dem seit 2015/16 etablierten Masterstudiengang für Humanmedizin der SFU von der AQ Austria die Akkreditierung entzogen worden. Nach einer Beschwerde der Hochschule hat das Bundesverwaltungsgericht nun die Akkreditierungsbehörde AQ Austria beauftragt, einen neuen Bescheid zu erstellen, wie es aus dem Gericht auf Anfrage der APA hieß. Die Universität geht in einer Aussendung davon aus, im Herbstsemester wieder ihr Masterstudium anbieten zu können.
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