DIE FURCHE · 29 2 Das Thema der Woche Trotzdem treu? 20. Juli 2023 AUS DER REDAKTION Nein, es ist nicht die Hitze, welche die FURCHE veranlasst hat, ein vermeintlich hehres Thema, die Treue, unkonventionell aufzubrechen. Manuela Tomic nimmt den 50. Geburtstag von Monica Lewinksy zum Ausgangspunkt, um nicht nur an den Skandal zu erinnern, der US-Präsident Bill Clinton vor 25 Jahren fast das Amt kostete. Sondern dieser Fokus stellt Gewissheiten in Frage – bis zur lapidaren Feststellung der Theologin Theresia Heimerl, dass „Treue als Teil einer Herrschaftsbeziehung“ hoffentlich „ausgedient“ hat. Besonderes bietet in dieser Ausgabe auch Susanne Glass, die statt ihrer vorgesehenen Kolumne „Klartext“ mit einer Reportage aus der zwischen Säkularen und Religiö - sen polarisierten Gesellschaft Israels aufwartet. Mindestens so beklemmend ist das Protokoll der Gewalterfahrungen einer Frau, der Victoria Schwendenwein eine Analyse der Femizide in Europa beistellt. Brigitte Schwens-Harrant eröffnet das Feuilleton mit der Lektüre der Berichte der US-Journalistin Dorothy Thompson, die die Machtübernahme Hitlers in Berlin miterlebt hat. Unter den Nachrufen, die in dieser FURCHE gehäuft zu verfassen waren, sticht die Hommage an den franko-tschechischen Autor Milan Kundera von Anton Thuswaldner hervor. Auch die gegensätzlichen präsumtiven Hollywood-Blockbuster „Oppenheimer“ und „Barbie“ kommen zu Rezensionsehren. Und Johan nes Greß zeigt, dass die Hitze auch unwirtlichen Zeitgenossen wie Tigermücken hierzulande das Leben leichter macht. Gefährliche Zeiten also. (ofri) Von Theresia Heimerl Ein treuer Diener seines Herrn, treu ergeben, meine Ehre heißt Treue, ein treuer Hund … Die Treue in Redewendungen und Phrasen verschiedener lebensweltlicher Kontexte der deutschen Sprache ist keine romantische Angelegenheit. Treue ist ein Begriff aus der Welt klarer Herrschaftsverhältnisse. Treue ist eine Form von Verhalten eines Subjektes (in seiner wörtlichen Bedeutung als Untergebener) gegenüber seinem direkten Herrn: Der Bauer oder Soldat gegenüber dem Grundherrn, dieser gegenüber dem Kriegs- und/oder Feudalherren, der gegenüber dem König und dieser gegenüber Gott. Die Treue jener Tage und Jahrhunderte changiert in ihrer Bedeutung zwischen Gefolgschaft aus Geburt und Loyalität. Treue ist nur bedingt eine freiwillige Angelegenheit: Der Leibeigene, aber auch der einfache Ritter können sich im Alltag kaum aussuchen, welchem Herrn sie treu sein müssen. Sie können diesem – bestenfalls in Konflikten mehrerer Herren – untreu werden und einem anderen die Treue schwören. Das allerdings ist mit Risiken und Nebenwirkungen verbunden: Nicht nur kann der neue Herr im Konflikt unterliegen und der alte seine untreuen Subjekte bestrafen, der Treuebruch kann auch vom neuen Herrn als moralischer Makel mit praktischen Konsequenzen angesehen werden – wer einmal untreu wird, tut es wieder. Untreue beschädigt aber auch den Herrn, demgegenüber die Treue gebrochen wird, sie stellt seinen Herrschaftsstatus in Frage und das verletzt seine Ehre. Foto: imago / piemags Fides, Spes, Caritas Die drei goldglänzenden Frauen, die viele Barockkanzeln in Österreich zieren, tragen die Titel Fides, Spes, Caritas – und niemand würde in diesem Kontext eine Personifikation der Treue vermuten. Fides bedeutet auch Glaube Treue ist ein vertikaler Wert, der nur eine Richtung hat: von unten nach oben. Die Redewendung vom treuen Herrn gibt es nicht. Wohl aber ist die treue Frau bereits im Alten Testament ein Topos und bleibt es bis in Social Media. Die Treue als Sich-Verhalten in ehelichen und erotischen Angelegenheiten ist über weite Strecken der Sprach-, Kultur- und Sozialgeschichte nur eine besondere Form von hierarchischer Beziehung. Die Erfindung der romantischen Liebe im Mittelalter besteht zuerst einmal in der Umkehrung der Herrschaftsverhältnisse: Nunmehr ist der minnesingende Ritter einer höher gestellten Dame treu, er macht sich in Vers und Bild zu ihrem Diener und die Angebetete zumindest in diesem lyrischen Dreieck zur untreuen Ehefrau. Der Wert der Treue bemisst in dieser hierarchischen Gesellschaft den sozialen Wert des Menschen, dem die Treue gilt. Anders als die deutsche Treue weist das lateinische fides, von dem die entsprechenden Wörter im Englischen (fidelity) und Französischen (fidelité) abgeleitet sind, eine zwischen zwei Bedeutungsfeldern oszillierende Bedeutung auf: Fides bedeutet nicht nur die Treue, sondern auch den Glauben. Diese zweite Bedeutung drängt die erste durch ihren exzessiven christlichen Gebrauch sogar in den Hintergrund, was bei der Übersetzung klassischer lateinischer Texte in meiner Schulzeit „ Im Zwischenmenschlichen könnte man es mit dem Vertrauen probieren, das einer Beziehung auf Augenhöhe deutlich besser ansteht als eine feudale Verpflichtung. “ Als Teil einer Herrschaftsbeziehung hat die Treue in einer demokratischen, rechtsstaatlichen und gleichberechtigten Gesellschaft hoffentlich ausgedient. Ein Essay. Vom Wert der Treue zu leicht sinnbefreiten Stilblüten führten konnte. Die drei goldglänzenden Frauen, die viele Barockkanzeln in Österreich zieren, tragen die Titel Fides, Spes, Caritas – und niemand würde in diesem Kontext eine Personifikation der Treue vermuten, schon gar nicht als souveräne, in der Höhe thronende Frau. Wer im Internet nach bildlichen Darstellungen der deutschsprachigen Treue in der Kunst(geschichte) sucht, landet bei Bildern und Skulpturen von Hunden, die zu Herrchen oder Frauchen aufblicken, vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Fides eröffnet zwischen Treue und Glauben einen viel weiteren Bedeutungsspielraum und mögliche Wertigkeiten. Fides als Glaube trägt zwar noch den vertikalen Aspekt (vom Menschen hinauf zu Gott) in sich, doch ist dieser losgelöst von irdischen Hierarchien, er ist vor allem eine innere Überzeugung, die auf Vertrauen beruht, das zwar im Deutschen der Treue etymologisch verwandt ist, aber historisch keineswegs immer mit der Treue einhergeht. Überhaupt hat die Treue in der deutschen Sprache nach 1945 einen seltsamen Beigeschmack. Einschlägiges Liedgut kreist um den Begriff der Treue, der Wahlspruch der SS, wo Treue in Kombination mit dem Ehrbegriff auftritt, sorgte Anfang des 21. Jahrhunderts für politische und juristische Aufregung. Der Treuebegriff dieser politischen Neigungsgruppe lässt sich auch als eine bedingungslose Gefolgschaft übersetzen, die über dem Gesetz steht. Diese wird gerne auch sehr genuin im Deutschen als Nibelungentreue bezeichnet, in Anspielung auf das mittelalterliche Epos, in dem der Burgunderkönig Gunther und seine Brüder dem Mörder Hagen die Treue halten und seine, von der Witwe des ermordeten Siegfried geforderte Auslieferung verweigern. Zumindest für das beschützte Mitglied einer solchen Gesinnungsgemeinschaft hat diese Treue zweifelsohne einen Wert, auch wenn sie dem modernen Rechtsstaat zuwiderläuft. Beziehung auf Augenhöhe Letzterer kennt die Treue in verschiedenen Bereichen, und ihr Gegenteil, die Untreue, als Delikt, dessen Wert sehr konkret bezifferbar ist, auch dort, wo es um die Ehe geht. „Untreue ist in einem Scheidungsverfahren nicht vorteilhaft“, heißt es dazu lapidar in einem Rechtsblog des Standard aus dem Jahr 2022. Die genaue Feststellung des Wertes der Untreue ist ein wertvolles Betätigungsfeld für Anwälte. Und dann wäre da noch die im puritanisch geprägten Kontext gern eingesetzte Vermischung von ehelicher und politischer Treue, Stichwort Bill Clinton (siehe Seite 4). Der Wert der Treue bemisst sich hier in Wählerstimmen. Im postkatholischen Europa gilt hingegen noch immer François Mitterrands Replik zum offenen Ehebruch, Monogamie sei nie Teil seines Regierungsprogamms gewesen. Treue hat also einen oftmals bezifferbaren Wert, aber ist sie auch ein Wert jenseits des Materiellen oder Politischen? Treue als Teil einer Herrschaftsbeziehung hat hoffentlich in einer demokratischen, rechtsstaatlichen und vor allem gleichberechtigten Gesellschaft ausgedient. In vielen Kontexten lässt sich die Treue heute durch den Begriff der Loyalität über- und ersetzen. Im Zwischenmenschlichen könnte man es mit dem Vertrauen probieren, das einer Beziehung auf Augenhöhe deutlich besser ansteht als eine feudale Verpflichtung. Wo das Vertrauen nämlich weg ist, bleibt nur mehr der pekuniäre Wert der Untreue im Scheidungsverfahren. Ob vielleicht auch Hunde lieber ihrem Besitzer vertrauen, als bloß aus Furcht ums Futter treu zu sein, vermag ich nicht valide zu beantworten, ich teile mein Haus mit Katzen, die sich schon immer jedweder Herrschaftsbeziehung erfolgreich widersetzt haben. Die Autorin lehrt Religionswissenschaft an der Kath.-theol. Fakultät der Uni Graz.
DIE FURCHE · 29 20. Juli 2023 Das Thema der Woche Trotzdem treu? 3 Etwa fünf Prozent der Erwachsenen halten sich für polyamor. Aber nur rund ein Zehntel lebt die Polyamorie aus. Warum ist das so? Über sexuelle Normen, Eifersucht und das Coming out. Anders lieben Von Tobias Kurakin Für Eva vom Grazer Poly-Stammtisch ist klar: Sie hat sich ihren polyamoren Lebensstil nicht ausgesucht, sie hat es einfach gespürt. „Bei mir hat es in einer monogamen Beziehung begonnen, als ich merkte, mich zieht etwas an – ich war auch oft schlecht darin, treu zu sein.“ Dass Polyamorie nur eine Ausrede zum Fremdgehen ist, weist sie zurück. Es gehe um Liebe, um romantische Gefühle, um Zuneigung zu mehreren Personen. „Nachdem meine erste Beziehung, in der ich mich als polyamor bekannte, in die Brüche ging, machte ich viele positive Erfahrungen“, so Eva. Ihr nächster Freund hätte zu ihrer Überraschung ähnliche Wünsche gehabt –„da war zumindest die erste Herausforderung bewältigt“. Eine einheitliche wissenschaftliche Definition für Polyamorie gibt es nicht. Laut dem Sozialwissenschaftler Stefan Ossmann von der Uni Wien, der sich im Zuge seiner Dissertation mit Polyamorie beschäftigt hat, gibt es unterschiedliche Ausprägungen. „Zum einen kann es eine intime Praxis sein, zum anderen Identität oder auch eine sexuelle Orientierung“, sagt Ossmann. Auch die WHO, die andere sexuelle Orientierungen wie Homo- oder Heterosexualität definiert, hat für Polyamorie keine Definition. Ossmann versucht eine Annäherung und beschreibt Polyamorie als „eine konsensuale Beziehung zwischen mehr als zwei Personen, basierend auf emotionaler Liebe und intimen Praktiken über einen längeren Zeitraum“. Wichtig sind die Unterscheidungen zu anderen nicht-monogamen Beziehungsformen. Eine offene Beziehung ist ein Arrangement eines eigentlich monogamen Paares, auch außerhalb der Beziehung Sex zu haben, Liebe spiele dabei in den meisten Fällen keine Rolle. Polygamie, speziell die Urform Polygynie, sei stark von Polyamorie zu trennen. Hier ist ein Mann gleichzeitig mit mehreren Frauen verheiratet, Offenheit und Freiheit wäre dabei nicht immer gegeben. „Neoliberales Optimierungsmodell“ Wie viele Österreicher polyamor leben, ist nicht bekannt. Schätzungen aus dem anglo-amerikanischen Raum gehen davon aus, dass sich fünf Prozent der Erwachsenen für polyamor halten, aber nur ein Zehntel von ihnen ihre Neigung auslebt. Für Österreich würde das bedeuten, dass nur wenige Tausende offen mehr als einen Partner lieben. Die Gründe für Polyamorie sind vielfältig. Die wenig vorhandenen wissenschaftlichen Studien zum Thema rücken Begriffe wie „Freiheit, Neugierde und Offenheit“ ins Zentrum. „Polyamorie ist im Grund auch ein neoliberales Optimierungsmodell von Beziehungen – einige Personen versuchen durch mehrere Partner mehrere Bedürfnisse zu befriedigen“, sagt Ossmann. Selbst innerhalb der Community halte sich daher oft „ Einige Personen fühlen sich von allem, was außerhalb ihrer heterosexuellen monogamen Norm ist, bedroht – egal ob Polyamorie, Homosexualität oder eine andere Beziehungsform. “ das Vorurteil, dass Polys meist junge, weiße Akademiker sind. Ossmann glaubt nicht daran: „Polyamorie ist wie Homosexualität in jeder Gesellschaftsgruppe verteilt, es ist nur eine Frage, welche Gesellschaftsgruppen sich zum Coming Out durchringen“. Noch immer gebe es viele Missverständnisse und auch Anfeindungen. „Ich habe auch gute Freunde verloren, die mich abartig und unnatürlich nannten“, sagt Alex, der neben Eva am „PolyTisch“ in Graz Platz genommen hat. Oft sei es die Ungewissheit in einer neuen Situation, die das Umfeld von Polys überfordert. „Einige Personen fühlen sich von allem, was außerhalb ihrer gewohnt heterosexuellen monogamen Norm ist, bedroht - dann ist es egal ob es Polyamorie, Homosexualität oder eine weitere Beziehungsform ist“, analysiert Ossmann. Alex und Eva haben auch die Erfahrung gemacht, dass enge Freunde neidisch und missgünstig reagierten. Man habe einigen die Neugierde angemerkt. Statt einer offenen Kommunikation hätten sie aber mit Argwohn und Unverständnis gegenüber dem neuen Lebensstil ihrer Freunde reagiert, bedauern Eva und Alex. Was tatsächlich der Auslöser war, warum Eva und Alex zwar nun mehrere Partner aber eine Handvoll weniger Freunde haben, lässt sich nicht verifizieren. Die Wissenschaft kann dazu keine Erhebungen durchführen. Ohnehin sind die finanziellen Ressourcen in der Sexualwissenschaft begrenzt, auch weil das Thema nicht bei allen gut ankommt. Für „Polys“ ist nicht nur der Weg zum Coming Out und der Umgang mit Widerstand eine Herausforderung. „Wie bei jeder Beziehung ist auch in der Polyamorie Eifersucht teilweise Thema“, sagt Eva. Oft würden monogam-lebende sie beneiden und meinen, man könne nun mit jedem schlafen, mit dem man möchte. Das würde zwar stimmen, aber auch der Partner könne sich anderweitig vergnügen und sogar verlieben. „Damit klarzukommen, zählt gemeinsam mit dem Zeitmanagement, das man im Griff halten muss, zu den größten Baustellen“, so Eva. Dabei kämen die Kernelemente von Polyamorie zu tragen: Offenheit, Transparenz und Kommunikation. Eva und Alex sind mit ihrem Lebensstil zufrieden. Von der Politik werden sie ignoriert. Keine gefestigte Partei in Europa hat sich Poly-Rechte prominent ins Wahlprogramm geschrieben. „Es will sich niemand die Finger bei diesem Thema verbrennen, auch liberale Parteien bleiben zurückhaltend“, so Ossmann. Würde man sich mit einer möglichen Ehe von polyamoren Paaren, die in einem sogenannten Polykül eine Mehrheitsbeziehung führen, beschäftigen, inkludiere das die Legalisierung der islamischen Mehrheitsheirat. Dann würden die Gegner der Polys Aufwind – und die Hoffnung der Community nach einer freien Liebe einen weiteren Dämpfer - bekommen. Sie haben Fragen an das Bundeskanzleramt? service@bka.gv.at 0800 222 666 Mo bis Fr: 8 –16 Uhr (gebührenfrei aus ganz Österreich) +43 1 531 15 -204274 Bundeskanzleramt Ballhausplatz 1 1010 Wien ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG Das Bürgerinnen- und Bürgerservice des Bundeskanzleramts freut sich auf Ihre Fragen und Anliegen! bundeskanzleramt.gv.at
Laden...
Laden...
Ihr Zugang zu neuen Perspektiven und
mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte.
© 2023 DIE FURCHE